Donnerstag, 28. März 2024

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Dementi über Staatsdoping-Aussagen
"Wir sehen hier Fassadenpolitik der Russen"

Die Chefin der russischen Anti-Doping-Agentur, Anna Antseljowitsch, hat ihre kritischen Aussagen zu Staatsdoping in der "New York Times" dementiert. Für die frühere Leichtathletin Ines Geipel - selbst Opfer des DDR-Dopings - ein klassisches Szenario. "Wir sind hier im absoluten Absurdistan", betonte die Weltklasseläuferin im DLF.

Ines Geipel im Gespräch mit Reinhard Bieck | 28.12.2016
    Die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, Ines Geipel.
    Putin habe seinen Sportkrieg in diesem Jahr tatsächlich verloren, sagte die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, Ines Geipel, im Deutschlandfunk. (dpa-Bildfunk / Rainer Jensen)
    Nach einem Teileingeständnis ständen "viel Dementi, Nebelkerzen, und am Ende des Tages eine Verfestigung des Systems", so Geipel. Doch auch der Westen sei unglaubwürdig in seiner Argumentationslinie: "Der Westen selbst ist Teil des Problems. Im Westen wird heftig gedopt." In einem freien System würde man jedoch nur von Betrug sprechen, sagte die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins. Dabei gebe es einen Unterschied zu einem Staatsdopingsystem, wie es in Russland geschehe: "Da sprechen wir von Verbrechen und Betrug."
    "Keine andere Möglichkeit als die komplette Sanktionierung"
    In diesem System werde es wieder sehr viele Opfer geben. Deshalb sollte der Westen versuchen, "die Codes und die Präambeln, die es gibt, den Russen nahe zu bringen". Im Hinblick auf die Weltmeisterschaften in Russland 2018 sagte Geipel: "Wenn es keine glaubwürdige Anti-Dopingarbeit in Russland gibt, gibt es im Grunde gar keine andere Möglichkeit als die Sanktionierung, komplett."
    Die Chefin der russischen Anti-Doping-Agentur, Anna Antseljowitsch, hatte ihre kritischen Äußerungen zu Staatsdoping in Russland in der "New York Times" relativiert. Selbstverständlich seien ihre Worte aus dem Kontext gerissen worden, hieß es in einer Erklärung. Zuvor hatte bereits ihre Behörde selbst Stellung genommen. Die Zitate von Antseljowitsch seien verfälscht worden.
    Das US-Blatt hatte die Frau mit einem Eingeständnis systematischen Dopings bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi zitiert. Ranghohe Mitarbeiter hätten Urinproben vertauscht und Athleten mit leistungsteigernden Substanzen versorgt. Auch der russische Geheimdienst habe dabei geholfen.

    Das Interview in voller Länge:
    Reinhard Bieck: Hat die "New York Times" womöglich was falsch verstanden?
    Ines Geipel: Kaum anzunehmen. Ich nehme an, wir sehen hier einen absoluten Klassiker, Fassadenpolitik der Russen. Es ist natürlich nicht schön, dieses Desaster jetzt tatsächlich vorbuchstabiert zu bekommen. Aber, ja, ein Teileingeständnis, dann viel Dementi, Nebelkerzen, und, wenn man es genau anschaut, am Ende des Tages eine Verfestigung des Systems.
    Bieck: Würden Sie so weit gehen, zu sagen, Anna Anzeliowisch ist zurückgepfiffen worden?
    Geipel: Ja, oder eben Teil des Ganzen. Ich würde sagen, das ist hier ein ganz klassisches Szenario.
    "Also wir sind hier im absoluten Absurdistan"
    Bieck: Moskau gibt ja zu, dass in Russland gedopt wird. Da befindet man sich in internationaler Gesellschaft. Wogegen man sich aber mit Klauen und Zehen wehrt, ist der Begriff Staatsdoping. Glauben Sie, dass der Kreml von nichts gewusst hat?
    Geipel: Es ist ja nun der Begriff ziemlich deutlich, Putins Sportkrieg, er hat ihn tatsächlich verloren in diesem Jahr. Und dass er jetzt wegmoderiert und viel Strategie einsetzt – man muss sich mal vor Augen halten, wen er einsetzt, welches Personal er einsetzt, um nun gerade diesen Begriff Staatsdoping wegzubekommen.
    Witali Smirnow, ein alter, 81-jähriger KGBler – wenn wir das mal in deutsche Verhältnisse übersetzen: Das wäre, wenn es um eine Sportreform geht, so, als würde man den alten DDR-Sportchef Manfred Ewald heute einsetzen, also den Kopf des Staatsdopings zu DDR-Zeiten heute einsetzen, um das Sportsystem zu reformieren. Also wir sind hier im absoluten Absurdistan.
    "Der Westen selbst ist Teil des Problems"
    Bieck: Ja, Witali Smirnow, von Putin extra eingesetzt, um den russischen Sport sauber zu machen. Es gibt nun aber, das wollen wir nicht verschweigen, Kritiker, und zwar nicht nur in Moskau, die sagen, die Welt stürzt sich geradezu mit Wonne auf Doping in Russland, anderen werde nicht so genau auf die Finger geschaut. Ist da was dran?
    Geipel: Natürlich ist da was dran. Wir sitzen hier mit stumpfen Argumenten. Der Westen selbst ist Teil des Problems. Im Westen wird heftig gedopt. Wir sind unglaubwürdig in dieser ganzen Argumentationslinie. Ich bin Chefin der Dopingopferhilfe im Land – wir haben auch in Deutschland in den letzten 25 Jahren – wir sind nicht sehr glaubwürdig mit dem Staatsdoping DDR umgegangen. Wir haben viele alte Belastungen, und insofern, es gibt eine klare Differenz zwischen einem Staatsdopingsystem, das, was wir jetzt in Russland anschauen, da sprechen wir von Verbrechen und Betrug.
    Aber wenn wir Doping anschauen, sprechen wir im freien System von Betrug. Und insofern bin ich natürlich auch sehr angehalten zu sagen, in diesem russischen System wird es wieder und aktuell sehr viele Opfer geben. Und da wäre es gut, wenn wir genau hinschauen und ganz bei den Fakten bleiben.
    "Wir sollten als Westen nicht mit Naivität unterwegs sein"
    Bieck: Man hat dieses angebliche Geständnis der Rusada-Chefin als Versuch gewertet, etwas Glaubwürdigkeit und damit auch internationales Vertrauen wiederzugewinnen. Ist denn nach dem Dementi die Tür jetzt wieder vollkommen zu?
    Geipel: Na ja, es wird natürlich viel geschoben im Moment, und es ist klar, dass es hier um viele Geschäftsinteressen auch geht. Wir sollten aber als Westen tatsächlich nicht mit Naivität unterwegs sein, sondern die Codes und die Präambeln, die es gibt, versuchen, den Russen nahe zu bringen und zu sagen, macht es doch für eure Athleten, macht es zum Schutz eurer Athleten, macht dieses System sauber.
    Bieck: Russland hat wegen Dopings wichtige Wettbewerbe verloren, und, das ist noch nicht erwähnt worden, die russischen Sportler sind ja von den Paralympics in Rio komplett ausgeschlossen worden. Was ist jetzt mit der Fußballweltmeisterschaft 2018?
    Geipel: Diese ganze Eierei, die wir jetzt sehen, hat natürlich diese Zeitlinie. Es geht um die Winterspiele in Südkorea, und es geht natürlich um die Weltmeisterschaften in Russland 2018.
    Bieck: Soll man die den Russen entziehen?
    Geipel: Wenn es keine glaubwürdige Anti-Dopingarbeit in Russland gibt, gibt es im Grunde gar keine andere Möglichkeit als die Sanktionierung, komplett.
    Bieck: Hat die Chefin der russischen Anti-Doping-Agentur, wie von der "New York Times" berichtet, Staatsdoping gestanden, oder stimmt das in Moskau veröffentlichte Dementi? Darüber sprach ich mit der Schriftstellerin und früheren DDR-Weltklasseläuferin Ines Geipel. Danke nach Berlin!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.