
Dietmar Bartsch: Ich glaube nicht, dass das die primäre Diskussion sein sollte. Ich finde, wir alle müssen vor allen Dingen mal an diejenigen denken, die dann Ergebnisse ausbaden, ich sage das mal so, also an die Pfleger, an die Schwestern, an die Ärzte. Wer dann einmal gesehen hat, wie es dann mit einem Erkrankten in einem Krankenhaus so zugeht, der weiß, was die leisten, teilweise riesige Schichten und so weiter. Das bitte ich doch alle, die den ja wirklich lästigen Mundschutz nicht mögen, zu beachten. Wir haben eine Verantwortung, aber das heißt nicht, dass damit unser Grundgesetz und alles andere ausgehebelt werden kann. Das sollte nicht sein. Die Demonstrationsfreiheit ist ein ganz, ganz hohes Gut, was es zu verteidigen gilt, aber genauso muss es auch ein Beachten der Regeln geben, und wenn dort dann gerufen wird, wir sind die zweite Welle, dann hat das auch was Menschenverachtendes, und das kann man dann nicht zulassen. Deswegen ist es auch richtig, dass man die Regeln durchsetzt. Das ist Verantwortung des Staates.
Büüsker: Aber hätte die Polizei das nicht am Samstag schon tun können, wenn gegen Auflagen verstoßen wird? Dann kann man ja eine Demonstration schlichtweg auflösen und auch die Verantwortlichen dafür zur Verantwortung ziehen.
Bartsch: Ich finde, dass die Verantwortlichen verantwortlich sind, aber dort sofort zur Auflösung zu schreiten, das hätte ich unangemessen gefunden, weil, wissen Sie, dann kommen wir in eine Situation, dass wir wirklich über Verbote von Demonstrationen reden, und ich finde, das ist unangemessen. Das müssen wir dann auch aushalten. Ich weiß, also auch ich finde, da sind, aus meiner Sicht, ein paar Wahnsinnige dabei, aber doch viele Menschen, wo sich Unmut angestaut hat, wo dann plötzlich Unvernunft regiert. Trotzdem, ja, es gibt Verantwortliche, es gibt Anmelder, Recht und Gesetz müssen durchgesetzt werden, aber da vielleicht nach fünf Minuten in eine Demonstration reinzugehen als Polizei, das wäre auch unangemessen.
Bartsch: Das teile ich, deswegen gibt es Menschen, die anmelden, deswegen gibt es Genehmigungsverfahren, und dann muss das auch durchgesetzt werden nach Aufforderung, aber noch mal: Das ist eine Sache, wo ich nicht in der Haut der Verantwortlichen stecken möchte, derjenige dann auch in der Polizei, der das entscheiden muss. Dieses Durchsetzen ist ja in der Regel nicht so, dass man ansagt, und dann wird aufgelöst. Der hat eine hohe Verantwortung, und da wünsche ich mir ein hohes Maß an Sensibilität, aber noch mal: Diejenigen, die dort demonstrieren, haben nicht das Recht, andere zu gefährden, die Gesundheit anderer Menschen, und vielleicht eine nächste Welle zu erzeugen, aber ich würde dann gerne auch mal schauen, führen denn diese Demonstrationen zu mehr Infektionen, gibt es dann diese Wirkung.

Büüsker: Stichwort Sensibilität, das Wort haben Sie eben benutzt. Ist es tatsächlich hilfreich, Menschen, die demonstrieren, die vielleicht auch einfach eine andere Meinung haben, als Wahnsinnige oder Idioten abzustempeln?
Bartsch: Das ist nicht meine Wortwahl.
Bartsch: Es sind Wahnsinnige dabei, das habe ich gesagt, und das ist ja anhand der Bilder auch sichtbar. Trotzdem, ich nehme Ihre Kritik dann sofort an und diszipliniere mich auch. Ja, wenn man das denn sieht, wenn man sieht, welches Risiko diese Menschen für andere erzeugen … und ich will noch mal an die Ärzte, Schwestern und Pfleger erinnern, die das dann – in Anführungsstriche – auszubaden haben. Trotzdem, es hilft nicht, wenn wir hier in dieser Weise polarisieren. Deswegen, okay, Sie haben mit Ihrer Kritik recht, ich ziehe dann den Begriff Wahnsinnige für die Demonstration insgesamt zurück und sage, ja, es gab da einige, die doch zu nahe an der Schaukel gewesen sind.
Büüsker: Wie sehr schmerzt es Sie, dass auch Anhängerinnen und Anhänger Ihrer Partei am Samstag dabei waren?
Bartsch: Also, ehrlich gesagt, ich kenne jetzt persönlich niemanden, der Mitglied in meiner Partei ist, der dort anwesend war.
Büüsker: Es gab die eine oder andere "Aufstehen"-Flagge im Demonstrationsmeer zu begutachten.
Bartsch: Ja, aber da muss ich doch schon drauf Wert legen, dass "Aufstehen" nicht Die Linke ist. Das ist eine Bewegung gewesen, die …
Bartsch: Na ja, "Aufstehen" war eine Sammlungsbewegung, die sich ausdrücklich nicht unbedingt links definiert hat. Also da will ich jetzt nicht die Verantwortung für auch übernehmen. Ich übernehme ja viel Verantwortung für Geschichte seit dem Bauernkrieg, aber das ist dann wirklich etwas übertrieben. Wissen Sie, diese Konflikte durchziehen die Gesellschaft, und ich kann nur sagen, als Linker geht man nicht auf eine Demonstration, wo auch Rechtsradikale dabei sind. Dann ist das in jedem Fall beendet. Man achtet auf die Regeln, die vorgegeben sind, aber wenn Rechtsradikale an Demonstrationen teilnehmen, dann hat ein Linker dort nichts zu suchen, oder man sorgt dafür, dass Rechtsradikale aus den Demonstrationen verschwinden.
Bartsch: Das ist eine riesige Herausforderung. Wissen Sie, wenn ich die Antwort hätte, würde ich das sofort darlegen, und Die Linke würde in Umfragen bei 20 Prozent sein. Es ist eine Heraus…
Büüsker: Wäre jetzt eine Chance dafür.
Bartsch: Wie bitte?
Büüsker: Wäre jetzt die Chance.
Bartsch: Ich sehe im Übrigen wirklich in dieser Krise eine Chance, weil die Frage, ob es nach der Krise dann mehr Ellbogen oder mehr Herz gibt, ist eine offene Frage. Ja, ich werbe dafür, dass wir die Auseinandersetzung, was passiert in der Krise, was passiert danach, dass wir diese, auch zwischen den politischen Parteien, so führen, dass es nicht den Eindruck gibt, die sind dort alle gleich. Nein, wir haben grundsätzlich andere Vorstellungen. Ich kann ja den Unmut von Gastronomen, von Reisebüros, von Schaustellern, von freischaffenden Künstlern wirklich verstehen.
Bartsch: So ist das. Es gibt keine andere Chance. Sie abzustempeln und auszugrenzen hilft nicht. Das ist so. Man muss bei denen, die wirklich... Es ist ja immer so, dass bei solchen Demonstrationen dann Trittbrettfahrer dabei sind und häufig auch aus dem rechtsextremen Milieu, da muss es die klare Abgrenzung geben ohne Wenn und Aber, aber ansonsten ist Dialog notwendig. Wir müssen eine offene Debatte zulassen, und wir müssen vor allen Dingen Kritik an dem, was die Bundesregierung gemacht hat, zulassen, denn es gibt natürlich auch für bestimmte Dinge Verantwortlichkeiten, die wir nicht unter den Tisch fallen lassen dürfen, denn so zu tun, ach, wir haben die Krise schon ganz gut hingekriegt, das ist nicht zu allererst ein Verdienst der Bundesregierung – ja, die hat richtige Entscheidungen getroffen –, aber vor allen Dingen waren viele Bürgerinnen und Bürger, und sind es bis heute, sehr diszipliniert.
Büüsker: Herr Bartsch, ist ein komplexes Thema. Ich würde jetzt mal den Versuch wagen, Ihre Position ein bisschen zusammenzufassen. Also wenn ich Sie richtig verstanden habe, fordern Sie bei solchen Demonstrationen schon eine ganz klare Abgrenzung von den Rechtsextremisten, die unter Umständen mitdemonstrieren, so wie wir das am Samstag gesehen haben. Sie sind aber schon dafür, dass man den Menschen, die da demonstrieren, auch ein bisschen zuhören muss und ihre Sorgen und Ängste ein bisschen sehen und ernstnehmen muss.
Bartsch: Sie haben meine Position hervorragend zusammengefasst. Man hätte das vermutlich dann doch kürzer machen können.
Büüsker: Nein, es ist ja ein komplexes Thema, das man ausführlich diskutieren muss.
Bartsch: Sie merken, meine Sommerironie, wenn man –
Büüsker: Lass ich gelten.
Bartsch: – wenn man noch ein bisschen im Urlaubsmodus ist, dann darf man das mal.
Bartsch: Na ja, offensichtlich muss ja da was dran sein, wenn so viele demonstrieren. Wie gesagt, ich ziehe jetzt mal die Trittbrettfahrer ab. Es ist unsere Aufgabe, hier immer wieder den Dialog zu suchen, und es ist vor allen Dingen unsere Aufgabe, zum Beispiel - Sie haben ja mit Wolfgang Kubicki jemanden, der ganz andere Maßnahmen fordert als zum Beispiel wir als Linke - was die Bewältigung dieser Krise betrifft, und ich finde, darüber muss geredet werden. Wenn wir das deutlich machen, es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Menschen können sich entscheiden, Menschen können sich engagieren, dann tun wir, glaube ich, viel mehr für die Demokratie, als wenn wir denen nur vorwerfen, dass sie Vollidioten sind.
Bartsch: Da stimme ich Ihnen zu. Es ist ausgesprochen ungünstig, dass jetzt in der Union neben der Herausforderung der Pandemie ein Wettlauf um die Kanzlerkandidatur im Gange ist. Das ist nicht gut, weil dann auch die Neigung besonders schnell … Wir haben ja die Situation, Herr Söder ist verbal ganz weit vorne, ist immer der Schnellste in Forderungen. Real hat Bayern mit Abstand die schlechtesten Werte und die höchsten Infektionszahlen, die höchsten Todesraten und so weiter. Ja, da stimme ich Ihnen zu. Es ist ein Problem, dass die Bundesregierung viel zu früh dann bestimmte Dinge in Länderhoheit gegeben hat.
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