Freitag, 29. März 2024

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Den Gottesdienst entrümpeln

Es war die Reform, die gleich zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die Tagesordnung kam – und sie sollte für die Gläubigen die spürbarsten Änderungen mit sich bringen: Mit der "Konstitution über die heilige Liturgie" reformierte das Konzil den katholischen Gottesdienst von Grund auf. Kritiker sehen die Messfeier dadurch ihrer Heiligkeit und Würde beraubt.

Hans Maier im Gespräch mit Matthias Gierth | 10.10.2012
    Matthias Gierth: Herr Professor Maier, wie kam es dazu, dass die Liturgiekonstitution zur Nummer eins der Tagesordnung wurde?

    Hans Maier: Nun, das hängt mit der Entstehung des Konzils zusammen. Die Kurie hatte ja wie immer in solchen Fällen eine Tagesordnung vorbereitet und eine ganze Reihe von Themen. Und dann gab es den Aufstand der Kardinäle, vor allem der deutschen und der französischen, die sagten, wir wollen die Tagesordnung selber machen. Aber nun war die Frage, was kommt da an erster Stelle. Und da dachte man, Liturgiebewegungen gibt es in allen Länder der katholischen Welt. Und wahrscheinlich kommt man mit der Gottesdienstreform, mit der Reform der liturgischen Bücher am schnellsten zu Rande. So wurde die Liturgiereform wirklich Punkt 1 des Zweiten Vatikanischen Konzils.

    Gierth: Was hat das Konzil mit seiner Liturgiereform insgesamt eigentlich gewollt?

    Maier: Wenn man es auf eine kurze Formel bringt, dann wollte das Konzil, dass die Gläubigen die Liturgie verstehen und dass sie sie mitfeiern, und zwar alle, also nicht nur ein auserwählter Kreis. Das Konzil hatte das Ziel, nun wirklich alle zu beteiligen. Die Formel hieß "die tätige Teilnahme", "participatio actuosa". Das sichtbare Zeichen war der freistehende Altar, der Geistliche kehrte nun sein Gesicht dem Volk zu, das Volk antwortete ihm, es kam ein Dialog zustande. Das war das Neue, dass die Gläubigen die Liturgie verstehen, dass sie sie mitfeiern, das war die Hauptaufgabe des Konzils.

    Gierth: Gab es noch weitere leitende Grundprinzipien dieser Reform? Sie haben gesagt, alle beteiligen. Worum ging es darüber hinaus?

    Maier: Der eigentliche Sinn der einzelnen Messteile und ihr Zusammenhang, der sollte deutlicher hervortreten, damit die Teilnahme der Gläubigen erleichtert wurde. Die Messe ist ja ein Kunstwerk, das in vielen Jahrhunderten entstanden ist und seine Form gewonnen hat. Aber natürlich wurde auch manches überformalisiert. Jetzt sollte die ganze Messe in der Substanz einfacher werden. Und vielleicht die wichtigste Neuerung: Ich zitiere: "auf dass den Gläubigen der Tisch des Gottes Wortes reicher bereitet werde, soll die Schatzkammer der Bibel weiter aufgetan werden, so dass innerhalb einer bestimmten Anzahl von Jahren die wichtigsten Teile der Heiligen Schrift dem Volk vorgetragen werden." Das ist eine außerordentlich einschneidende Neuerung gewesen. Die alttestamentlichen Texte wurden fast verzehnfacht, die neutestamentlichen verdreifacht, vervierfacht, so dass nun das Wort im katholischen Gottesdienst eine ganz andere Stellung erhielt.

    Gierth: Die Neuerungen des Zweiten Vatikanums, die Neuerungen, die auch die Liturgiereform mit sich brachte, haben an vielen Orten der Welt einen großen Erfolg gehabt. Wie lässt sich dieser Erfolg erklären?

    Maier: Die liturgische Bewegung geht ja weit zurück. Die hat ihre Ursprünge in Europa, sekundär auch in England und Amerika. Und dann im 20. Jahrhundert schlossen sich noch andere Erdteile an: Afrika und Asien. Die Liturgiereform war so erfolgreich, weil sie nicht etwas völlig Neues schuf, sondern anknüpfte an eine Entwicklung, die zumal in Deutschland bis in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg zurückging. Damals schrieb ja Romano Guardini sein berühmtes Buch vom "Geist der Liturgie".

    Gierth: Nun hat sich – Sie haben es angedeutet – die Liturgiereform nicht auf einen Schlag vollzogen. Welche einzelnen Phasen dieser Reform würden Sie noch herauskristallisieren?

    Maier: Zunächst einmal wurde die Liturgiekonstitution verabschiedet – vom Zweiten Vatikanischen Konzil. Das war das Fundament der Reform. Und wie wir schon feststellten, das erste Dokument überhaupt, das die Versammlung verabschiedet hat, übrigens mit großer Mehrheit und wenigen Gegenstimmen. Aber dann folgte die Zeit der Umsetzung auf der Ebene der Diözesen und der internationalen Bischofskonferenzen. Die waren ja wichtig, weil das unterschiedliche Traditionen, auch verschiedene Sprachen, verschiedene musikalische Begleitungen gab. Dabei zeichneten sich dann auch divergierende Entwicklungen ab. Es war eine Zeit der Experimente, Neues wurde erprobt, Altes verworfen. Und drittens kam dann die systematische, die zentralisierte Weiterführung der Liturgiereform durch den Papst und durch päpstliche Instanzen, konkret durch Papst Paul VI. und das von ihm 1964 durchgeführte Consilium ad exsequendam Constitutionem de Sacra Liturgia. Das ging dann '69 in der Gottesdienstkongregation auf. Ingesamt konzentrierte sich die Reformzeit auf die 60er und 70er Jahre, aber mit einer langen Vorgeschichte, die bis ins 19. Jahrhundert hineingeht. Und die Reformen der drei Piuspäpste des 20. Jahrhunderts sind gleichfalls eine Grundlage gewesen.

    Gierth: Man hat Paul VI. ja immer wieder vorgeworfen, mit dem neuen Messbuch über das Zeil hinaus geschossen zu sein. Würden Sie das teilen?

    Maier: Nein, das glaube ich nicht. Das Konzil hat ja in seiner Liturgiekonstitution dem Papst einen konkreten Auftrag gegeben. Es heißt im ersten Kapitel, Artikel 25: "Die liturgischen Bücher sollen baldigst redigiert werden. Also umfassend, und zwar nicht nur das Messformular auch die Sakramentare und das Pontifikale und anderes. Also der Auftrag war klar. Es ist ähnlich wie beim Trienter Konzil. Ein Konzil kann ja die neue Form im Einzelnen nicht durch Abstimmungen schaffen. Das muss die Exekutive tun, also in diesem Fall der Papst. Und der Auftrag war ganz eindeutig.

    Gierth: Nun gab es ja von Anfang an doch auch kräftige Gegenstimmen gegen die Liturgiereform. Ist der Kirche bei der Aneignung des Konzils Zentrales verloren gegangen?

    Maier: Ich glaube nicht. Aber natürlich sind viele alte Gewohnheiten manchmal sehr plötzlich und sehr schnell und abrupt durch neue Formen ersetzt worden. Und in der Tat, in den bewegten 60er Jahren ging bei der Aneignung des Konzils auch manches verloren, was als unentbehrliches Element der Eucharistiefeier betrachtet worden war. Wenn ich selber zurückdenke - man hat sich dann gefragt: ja, tätige Teilnahme aller, ein hohes Ziel, aber musste das einleitende Staffelgebet, das Krongut der Ministranten, fallen? Natürlich, das Konzil hat argumentiert, es müssen von Anfang an alle einbezogen werden, da darf nicht so ein Geheimgespräch am Altar zwischen Ministranten und Zelebranten stattfinden. Aber ich meine doch, das war eine alte gute Gewohnheit. Dann der Dialog zwischen Altarraum und Kirchenschiff, einverstanden. Aber musste deswegen die Kanzel zu einem Museumsstück werden? Oder die allgemein verständliche Volkssprache, auch das ein wichtiges Gut, plötzlich verstanden alle Menschen, was gesagt wurde. Aber musste man das Latein, übrigens entgegen der ausdrücklich Empfehlung des Konzils, jetzt gänzlich aus dem Kirchenraum verbannen? Also ich will nicht bestreiten, dass man in manchen Dingen auch über das Ziel hinausgeschossen ist. Aber die Grundaufgabe, die das Konzil formuliert hat, nämlich Verstehen der Liturgie und Beteiligung aller an der Liturgie, die möchte ich nicht in Frage stellen. Da war das Konzil erfolgreich und glücklich.