Freitag, 19. April 2024

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Der amtierende und der emeritierte Papst
Franziskus und sein Vorgänger

Die katholische Kirche ist ohne Päpste nicht denkbar. "Ich prophezeie dem Papsttum, gerade auch als hierarchische Institution, eine große Zukunft", sagte der Historiker Volker Reinhardt im Dlf. Er beobachte bei "allen Demokratisierungstendenzen der Gegenwart" zugleich eine "tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Aufgehoben-Sein in festen Strukturen".

Volker Reinhardt im Gespräch mit Andreas Main | 17.11.2017
    Papst Franziskus und sein emiritierter Vorgänger Benedikt XVI. bei der Feier des 65. Priesterjubiläums von Benedikt im Apostolischen Palast des Vatikans am 28.06.2016.
    Ein amtierender und ein "emeritierter" Papst: Franziskus I. und Benedikt XVI. (imago / epd)
    Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg in der Schweiz. Geboren 1954 in Rendsburg in Schleswig-Holstein, studierte er Geschichte und Romanische Philologie an den Universitäten Kiel, Freiburg im Breisgau und Rom. Von 1977 bis 1984 forschte er in Rom. Sein Verlag sagt über ihn: "Reinhardt gehört weltweit zu den besten Kennern der Papstgeschichte."
    Andreas Main: Herr Reinhardt, Papst Benedikt XVI. und Franziskus I., die beiden sind in Ihrem Buch zu finden unter der Überschrift "Disziplin und Fürsorge". Beginnen wir mit dem Mann der Disziplin, dem Deutschen, dem Joseph Ratzinger. Was war am wichtigsten im Pontifikat von Papst Benedikt?
    Volker Reinhardt: Ich glaube, es ist der Versuch, wieder anzuknüpfen an ältere Traditionen, auch Dogmen, also verbindliche Lehren und Lehrmeinungen wieder verpflichtender zu machen, also eine neue Position gegenüber dem Zeitgeist einzunehmen, eine distanziertere, kritischere. Also die katholische Religion aus dem Ruch der allzu großen Anpassung an das späte 20. und dann 21. Jahrhundert wieder herauszunehmen, wieder stärker zu disziplinieren, wieder stärker auch durchaus im Sinne eines Gregors VII. im 11. Jahrhundert wieder die Gewissen, die Glaubenswelten zu beherrschen, zu kontrollieren.
    Der Papst als "Global Player"
    Main: Zumindest war dies eine Phase der Kirchengeschichte, in der ein Theologe auf dem Papststuhl es schaffte, dass sich die klügsten Denker seiner Zeit mit seinem Denken beschäftigten.
    Reinhardt: Ja, das ist ohnehin selten. Die meisten Päpste waren nicht Theologen - auch wenn das jetzt vielleicht erstaunlich klingt - sie waren Juristen. Es gibt nicht sehr viele ausgebildete Theologen unter den Päpsten der letzten Jahrhunderte. Ja, auch dieser Versuch ist, glaube ich, in diesem Pontifikat sehr deutlich zu sehen, an eine andere, grandiose Tradition des Papsttums wieder anzuknüpfen, nämlich an die Rolle als kultureller Stimulus, als kulturelles Zentrum. Eine Rolle, die Päpste, gerade in der Renaissance ja gespielt haben, als sich führende Geister und die größten Künstler - nicht nur der damaligen Zeit - in Rom einfanden, also das Papsttum wieder zu straffen, wieder auf seine historischen Wurzeln zurückzuführen, wieder zu einer verbindlichen Instanz und zu einem kulturellen Global Player zu machen. Ich glaube, so ließe sich der Pontifikat zusammenfassen.
    Main: Medial hingegen war Benedikt im Vergleich zu seinem Vorgänger und seinem Nachfolger eher ein Ausfall.
    Reinhardt: Gewollt glaube ich. Ich glaube, das gehört zu dieser sehr neuen Bestimmung, wie weit man dem Zeitgeist entgegenkommen kann, das muss jeder Papst tun. Päpste sehen sich über der Geschichte und als Teil der Geschichte, aber letztlich über der Geschichte. Wie weit darf man einer potentiell irrenden Welt entgegenkommen, und ich glaube, eine allzu intensive mediale Vermarktung fiel für Benedikt XVI. unter diese zu starke Anpassung an den Zeitgeist.
    "Es kann keine zwei Päpste geben"
    Main: Womit er sicher Geschichte geschrieben hat, das ist sein Abgang. Wir haben nämlich jetzt sozusagen zwei Päpste.
    Reinhardt: Ja. Es ist nicht der erste Papstrücktritt. Es gab 1294 schon einen, im Wesentlichen wohl freien Rücktritt, 1415 dann einen erzwungenen. Man hat über die Gründe für diesen Rücktritt viel spekuliert. Es kann ein Versuch gewesen sein, das Seelenheil, das individuelle Seelenheil zu retten. Das war es 1294 beim damaligen Papst Coelestin V., der glaubte, dass er sein Seelenheil an diesem, kurialen Apparat verlieren würde. Es kann eine Vermenschlichung des Papstamtes sein: 'Seht her, auch ich bin ein hinfälliger Mensch, ich bin den Anforderungen des Amtes nicht mehr gewachsen!'.
    Es kann eine Distanzierung von Entwicklungen sein, die auch ein Papst nicht beeinflussen kann. Wir wissen es letztlich nicht. Aber zwei Päpste kann es nicht geben, das widerspricht den Begründungswurzeln des Papsttums. Der Papst wird nach päpstlichem Selbstverständnis vom heiligen Geist als Individuum gewählt, eine Art Aufsichtsrat aus Päpsten kann es nicht geben, auch schlummern Gefahren darin. Es hat ja Kirchenspaltungen aus zwei oder drei Päpsten gegeben und in einer Doppelspitze liegt sicherlich auch ein Keim für ein neues Schisma, eine neue Kirchenspaltung.
    "Franziskus als Papst zum Anfassen"
    Main: Der Historiker Volker Reinhardt im Deutschlandfunk, in der Sendung 'Tag für Tag', im Gespräch über zentrale Etappen der Papstgeschichte. Potenzielle Spaltungen sagten Sie eben - was ist das Besondere, das sehr gegensätzliche an Papst Franziskus?
    Reinhardt: Er kommt der Welt sehr viel weiter entgegen und bestimmt damit dieses ewig neu auszutarierende Verhältnis des Papstes zur Geschichte, zu den Zeittendenzen neu. Er hat ein offenbar unbefangenes Verhältnis zur Gegenwart, die sein Vorgänger sicher kritischer als eine Auflösung von verbindlichen Normen gesehen hat. Dieser Papst setzt gewissermaßen die 'rote Linie', über die das Papsttum gehen kann, offenbar weiter. Er kommt - wie gesagt - bestimmten Bedürfnissen, bestimmten Hoffnungen, Wünschen der Gegenwart sehr viel stärker entgegen.
    Papst Franziskus in einer Gruppe von Obdachlosen, die er zu einer Audienz im Vatikan empfangen hat. 
    "Ein Papst zum Anfassen": Franziskus bei einer Audienz im Vatikan mit Obdachlosen aus 20 Ländern. (dpa / picture alliance / Alessandro Di Meo)
    Vor allem hat er sicherlich eine ganz andere Atmosphäre geschaffen, das begann schon mit dem lockeren guten Abend, buona sera, nach der Wahl auf dem Balkon der Peterskirche. Benedikt XVI. betonte das hierarchische Element der Kirche, Franziskus das horizontale, also er ist eher ein Papst zum Anfassen, ein Papst, der den Leuten auf der Straße entgegenkommt. Das ist auch ein Rollenmuster, das seit Jahrhunderten im Papsttum angelegt ist. Es hat immer Päpste gegeben, die die Distanz betonten und Päpste, die die Nähe zum menschlich, allzu menschlichen betont haben.
    Main: Er wird auch zum Medienliebling, zum Popstar. 'Reformer', 'moderner Papst', 'fortschrittlich' - Päpsten wird alles Mögliche angedichtet, oder womöglich auch auf sie projiziert. An welchem Punkt ist dies bei Franziskus berechtigt und wo Augenwischerei?
    Reinhardt: Im Bereich Kommunikation, Selbstdarstellung, im Atmosphärischen, gewissermaßen Klimatischen ist es sicherlich berechtigt. Dieser Papst tritt anders auf, er kommuniziert anders, und das ist sehr wichtig. Das Papsttum musste immer kommunizieren, weil seine Macht letztlich auf schwer zu interpretierende Worte gestützt ist, es musste immer verständlich kommunizieren, es musste visualisieren, veranschaulichen, das macht dieser Papst sehr geschickt. Er erweckt den Eindruck, dass das Papsttum eine Institution an der Seite des Menschen mit dem Verständnis für die Nöte und Bedürfnisse der Menschen ist.
    Ich würde diesen Wandel vor allem auf das Atmosphärische beschränken. In der Lehre, in den Kernpunkten des katholischen Selbstverständnisses sehe ich diesen Wandel nicht, und auch die großen Reformen, verstanden als päpstliche Dekrete, als neue Bestimmung, wie sie für die ganze Kirche verbindlich sind, gibt es ja so nicht.
    "Papsttum und katholische Kirche hängen zusammen"
    Main: Ich zitiere mal die letzten Worte Ihres Buches, um das Ganze zusammenzufassen: "Die Papstgeschichte ist auch im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts weiterhin lebendig", schreiben Sie. Sie sind kein Zukunftsforscher, dennoch: Welches Szenario halten Sie für Denkbar, dass es mal kein Papsttum mehr gibt?
    Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg.
    Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. (Volker Reinhardt / privat)
    Reinhardt: Ich glaube, dann gibt es auch keine katholische Kirche mehr, beides hängt zusammen. Also da haben Damasus und Gregor VII. letztlich für die Ewigkeit gearbeitet, das ist nicht voneinander trennbar. Und ich glaube, dass sich bei allen Demokratisierungstendenzen der Gegenwart doch wieder tiefe Sehnsucht, nach Geborgenheit, nach Aufgehobensein in festen Strukturen ausbildet. Insofern würde ich dem Papsttum, gerade auch als hierarchische Institution, eine große Zukunft prophezeien.
    Volker Reinhard: "Pontifex - Die Geschichte der Päpste"
    Verlag C. H.Beck, München 2017. 928 Seiten, 38,00 Euro.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.