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Der besondere Fall
Rätselhafter Hüftschmerz

Künstliche Gelenke sind anfällig für Entzündungen. Auslöser können Bakterien sein, die sich während der OP eingeschlichen haben. Aber auch andere Organe können im Nachgang an den künstlichen Gelenken zu Infektionen führen.

Von Thomas Liesen |
    Ein Mediziner-Team operiert in einer Klinik in Baden-Württemberg eine Hüfte.
    Ein Mediziner-Team operiert in einer Klinik in Baden-Württemberg eine Hüfte. (dpa / picture alliance / Felix Kästle)
    Es ist vier Uhr morgens, ein erster silbriger Schimmer zeigt sich am Himmel. Elke Beiderwien ist schon seit einer Stunde unterwegs, sie trägt Zeitungen aus, wie immer zu Fuß. Rund drei Stunden braucht sie für ihre Runde durch Düsseldorfs Straßen. Doch vor einigen Jahren musste sie ihren Job fast aufgeben, Arthrose in der Hüfte. Zwei Operationen haben sie damals gerettet, wie sie sagt.
    "Also ich habe seit zehn Jahren eine rechte neue Hüfte und seit acht Jahren eine linke neue Hüfte. Und dann war das für mich erledigt. Für immer. "
    Auch an diesem sommerlichen Freitag macht sie zunächst ihre Tour.
    "Und um zwölf Uhr konnte ich nicht mehr laufen, nicht mehr auftreten vor Schmerzen."
    Es zieht in der rechten Hüfte, doch so stark, wie sie es noch nie erlebt hat.
    "Das war ein ganz ganz schlimmer Schmerz, ganz furchtbar. Und ich wusste auch, dass ich ins Krankenhaus muss. Und dann hat mich ein Bekannter ins Taxi getragen und dann bin ich hier hin."
    Sie lässt sich in das St. Vinzenz-Krankenhaus fahren, dort waren ihr auch die beiden künstlichen Hüftgelenke eingebaut worden.
    Künstliche Hüftgelenke können Infektionen nach sich ziehen
    Elke Beiderwien wird sofort geröntgt, denn der erste Verdacht bei solch plötzlichen Schmerzen lautet auf Knochenprobleme, vielleicht eine Lockerung der Prothese oder auch ein Ermüdungsbruch. Dr. Christoph Schnurr, Chefarzt der Orthopädie, begutachtet das Bild.
    "Man sieht, dass die Patientin künstliche Hüftgelenke auf beiden Seiten hat, man sieht auch, dass die Prothese gut eingewachsen ist, ist ja auch schon einige Jahre her, das heißt, es ist keine Lockerung da, das heißt, vom Röntgenbild her würde man sagen: Der Patientin geht es gut."
    Wenn da nicht diese grauenhaften Schmerzen wären. Elke Beiderwien weiß kaum noch, wie sie sich setzen oder legen kann, von Gehen oder Stehen ganz zu schweigen.
    "Und dann gehört es natürlich auch zur Routine, tiefer zu schauen. Nicht dem Patienten zu sagen: Nehmen sie ein Schmerzmedikament, warten sie ab."
    Eine weitere mögliche Schmerzursache: akute bakterielle Infektion. Doch auch die scheint zunächst geradezu abwegig.
    "Man hat ja immer im Hinterkopf, durch die Operation, durch das Krankenhaus ist vielleicht ein Keim in den Patienten gekommen. Bei Frau Beiderwien war das nun schon zehn Jahre her. Dementsprechend ist das dann nicht mehr sehr wahrscheinlich."
    Zur Sicherheit veranlasst er dennoch eine Blutuntersuchung. Und tatsächlich: Die Entzündungswerte sind überraschend hoch.
    Elke Beiderwien:
    "Und dann musste man eine spezielle Untersuchung machen, die nicht sehr angenehm war.
    Christoph Schnurr:
    "Das bedeutet letztendlich, dass mit einem dünnen Nädelchen von außen in das Gelenk reingeht und etwas von der Flüssigkeit abzieht. "
    Elke Beiderwien:
    "Und dann war klar, dass da was Schlimmes passiert ist.
    Christoph Schnurr:
    "Da ist Eiter im Gelenk dann gewesen. Und dann muss man schnell reagieren. Wir wissen, wenn wir dann tagelang zuwarten – die Bakterien setzen sich auf die Oberfläche des Kunstgelenkes – dann können die in den Knochen einwandern und eine Knochenvereiterung, eine sogenannte Osteitis machen, das ist ein chirurgischer Notfall, den man schnellstmöglich operieren muss."
    Not-OP nach Eiterfund
    Christoph Schnurr und sein Team setzen an Elke Beiderwiens Hüfte einen Schnitt, arbeiten sich durch Muskelschichten vor und sind schließlich an der Gelenkkapsel angelangt. Schon mit bloßem Auge erkennen sie das Desaster.
    Christoph Schnurr:
    In dem Fall stand wirklich der Eiter im Gelenk drin. Dann ist es halt Ziel der Operation, dass man zum einen die entzündete Gelenkinnenhaut entfernt, denn da sitzen Massen von Bakterien drin und zum anderen haben wir alle beweglichen Teile der Prothese getauscht.
    Schließlich spülen die Ärzte mit Flüssigkeit das Gelenk, um möglichst viele Bakterien wegzuschwemmen. Dann ist die Operation beendet.
    Elke Beiderwien:
    "Dann ging es mir besser. Ich habe dann ja auch Schmerzmittel bekommen."
    Doch das ist nur ein Etappensieg. Denn die entscheidende Frage lautet jetzt: Wo kommen die Bakterien her?
    Elke Beiderwien:
    "Man hat mich auch gefragt, ob ich irgendwelche Entzündungen hätte im Körper, aber ich wusste nichts davon."
    Bakterienherde müssen aufgespürt werden
    Gibt es im Körper eine bisher nicht erkannte Quelle? Klar ist: Die muss in jedem Fall gefunden werden, denn sonst droht innerhalb kürzester Zeit ein Rückfall.
    Christoph Schnurr:
    "Eine typische Stelle sind zum Beispiel die Herzklappen, eine Entzündung der Herzklappen, eine sogenannte Endokarditis."
    Mit einem speziellen Ultraschall nehmen die Ärzte Elke Beiderwiens Herz unter die Lupe. Nichts. Dann gibt es eigentlich nur noch eine bekannte Bakterienherberge im Körper.
    Christoph Schnurr:
    "Zum Beispiel ein vereiterter Zahn, Zahnfleischentzündungen."
    "Elke Beiderwien:
    "Nein, ich hatte keine Zahnschmerzen ..."
    Doch völlig problemlose Zähne habe sie auch nicht, gibt die 60-Jährige zu. Ein Zahn sei nämlich locker. Für die Ärzte ist sofort klar: Das muss es sein. Zumal aus dem Labor inzwischen die Nachricht vorliegt, dass Bakterien vom Typ Staphylokokkus die Übeltäter im Hüftgelenk sind. Und die haben unter anderem im Mund ihren natürlichen Lebensraum.
    Nur wenige Tage nach ihrer OP wird Elke Beiderwien praktisch noch liegend in die benachbarte Zahnklinik überwiesen. Die Kieferchirurgen dort entfernen drei Zähne, die ihnen verdächtig vorkommen, auch wenn kein einziger bisher Beschwerden verursacht hat. Dann geht es postwendend zurück in die orthopädische Klinik. Jetzt bleibt nur noch eines: hoffen, dass die Infektion jetzt endgültig aus dem Körper raus ist.
    Doch am Tag zwölf kommt der Rückschlag. Die Entzündungswerte im Blut steigen wieder bedrohlich an. Die Ärzte schlagen notgedrungen eine erneute OP vor.
    Elke Beiderwien:
    "Geplättet war ich sowieso. Ich muss doch laufen können, das war ganz wichtig."
    Wieder wird ihr Gelenk eröffnet und intensiv gespült. Die Entzündungswerte im Blut gehen wieder runter. Und von da ab bleiben sie auch unten.
    Ein Jahr ist es nun her, dass Elke Beiderwien notoperiert werden musste:
    "Ich kann wieder schön laufen."
    Nur etwa jede 150. Patient bekommt direkt nach einer OP eine Infektion. Extrem selten passiert das Jahre später. Aber es ist nie ganz ausgeschlossen, sagt Christoph Schnurr.
    "Von daher ist auch die Botschaft ganz wichtig für diejenigen, die ein Kunstgelenk haben: Wenn sie einen Infekt, eine Vereiterung im Körper haben, sprechen sie mit ihrem behandelnden Arzt, ob sie nicht ein Antibiotikum nehmen sollten. Natürlich nicht für eine Erkältung oder einen viralen Infekt oder so was, aber wenn eine bakterielle Infektion dahinter steckt, sollte man großzügig überlegen mit dem behandelnden Arzt auch, ob man nicht ein Antibiotikum gibt, um solche katastrophalen Verläufe letztendlich zu vermeiden. "
    Die auch nicht immer so gut ausgehen, wie bei Elke Beiderwien.
    "Ich stehe um eins auf und um drei gehe ich los, bis sechs, halb sieben."