Jochen Spengler: Mitgehört hat Rainder Steenblock, für die Grünen Mitglied im Europaausschuss des Deutschen Bundestages. Herr Steenblock, das Bundesverfassungsgericht hat gestern geurteilt, dass Bundesrat und Bundestag bei der EU-Gesetzgebung sich zu sehr selbst kastriert haben und auf einen größeren eigenen Kompetenzraum bestehen müssen. Wie weh tut einem Bundestagsabgeordneten diese Ohrfeige?
Rainder Steenblock: Das tut mir nicht sonderlich weh, weil wir seit fünf Jahren in diesem Prozess sehr aktiv engagiert sind und in diesen Debatten dieses gerade von grüner Seite immer sehr intensiv gefordert haben. Deshalb ist dieser Prozess, den wir ab dem Jahre 2004 eigentlich angefangen haben, die Europakompetenzen des Bundestages zu erweitern, durch das Bundesverfassungsgericht jetzt an einem Punkt, wo wir sehr froh über diese Entscheidung sind und auch uns bestärkt in unseren Wünschen fühlen, dass der Bundestag wirklich die Macht, die er als Volksvertretung haben kann, auch nutzt.
Spengler: Dieses beanstandete Begleitungsgesetz, das haben ja nicht die Abgeordneten selbst formuliert, sondern sie haben quasi die Formulierungshilfe der Regierung dankbar übernommen. Das hat sich nun gerächt. Waren Sie dagegen, oder haben Sie das mitgemacht?
Steenblock: Dieses Begleitgesetz fußt im Grunde auf der Zusammenarbeitserklärung, die auch vom Bundesverfassungsgericht aufgrund der rechtlichen schwierigen Situation, weil das Bundesverfassungsgericht so eine Konstruktion nicht kennt - der Hintergrund ist natürlich der ewige Kampf zwischen Parlament und Regierung um die Deutungshoheit und das Engagement in Politik, und da haben wir einen Erfolg errungen und das Bundesverfassungsgericht hat uns gestärkt dabei. Das ist für das Parlament sicherlich das Positive, weil es die Demokratie in Deutschland stärkt. Das was wir häufig haben, dass die Regierung das Parlament nicht immer ernst nimmt und auch nicht immer ausreichend beteiligt, das wird von Parlamentariern beklagt. Häufig hat die Mehrheit der Parlamentarier aber eben eine Regierungszugehörigkeit zu den Regierungsfraktionen und da gibt es Interessensgegensätze. Das ist aber gut, dass wir hier jetzt wieder gezwungen sind – ja, das ist ein Zwang auch, aber ein positiver -, unsere Rechte wahrzunehmen.
Spengler: Wie groß ist denn der Zeitdruck, unter dem sie jetzt ein verfassungskonformes Begleitgesetz formulieren müssen?
Steenblock: Der Zeitdruck ist relativ groß. Wir müssen im Grunde bis zum 8. September oder 9. September dieses Gesetz in zweiter Lesung beraten haben.
Spengler: Warum?
Steenblock: Weil dann bis Ende Oktober, weil diese Legislaturperiode natürlich auch mit Blick auf das irische Referendum sozusagen abgeschlossen wird, und wir hätten natürlich schon gerne eine Entscheidung, die zum Oktober, also vor dem irischen Referendum, in Kraft treten kann, so dass vor diesem Hintergrund Deutschland auch schon entschieden hat.
Spengler: Darf ich noch mal ganz kurz zwischenfragen. Das irische Referendum ist am 4. Oktober. Wieso müssen sie unbedingt vor dem irischen Referendum dieses Gesetz haben?
Steenblock: Wir müssen nicht unbedingt, aber es wäre natürlich auch in diesem Referendum hilfreich, wenn Deutschland eine eindeutige Position bis dahin beziehen könnte und nicht noch in einem Arbeitsprozess wäre. Von daher ist dieses ehrgeizige Ziel, was wir uns selber setzen, und ich glaube auch, weil alle auch die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts ja sehr eindeutig und klar sind, wie so ein Begleitgesetz auszusehen hat, dass es bis dahin auch zu schaffen ist. Das heißt, dass wir in der sitzungsfreien Zeit jetzt eben doch sehr viel mehr Sitzungen haben werden über den Sommer. Wir werden im Juli sicherlich anfangen, unter den Fachleuten die Eckpunkte für dieses Gesetz zu machen. Wir werden dann im August eine erste Lesung im Bundestag haben und dazwischen die Ausschüsse beteiligen. Also wir werden in der sitzungsfreien Zeit im Sommer eben nicht sitzungsfrei sein. Das ist die Konsequenz, aber ich halte das auch für notwendig.
Spengler: Herr Steenblock, das Gesetz muss wahrscheinlich ganz neu formuliert werden. Was muss inhaltlich im Kern anders werden?
Steenblock: Im Kern müssen im Grunde die Zustimmungspflichten, die Informationspflichten der Bundesregierung, also die Zustimmungspflichten des Parlamentes, die Weisungsgebung des Parlamentes an die Regierung, dass das Parlament sagen soll, wie die Bundesregierung sich im europäischen Rat verhält, ausgeweitet werden, die Informationspflichten der Bundesregierung, so dass sie den Bundestag über all das, was sie in Brüssel in den Räten treibt, ausreichend informiert, so dass der Bundestag auch rechtzeitig Einfluss nehmen kann.
Spengler: Nun hat der Bundesinnenminister Schäuble heute Morgen hier im Deutschlandfunk gesagt, das Urteil werde für die praktische Alltagsarbeit für den Bundestag eigentlich gar nichts ändern. Stimmt das?
Steenblock: Nein, das stimmt nicht. Das ist vielleicht eine Regierungssicht in der Hoffnung, dass es so weitergeht. Ich bin sehr sicher, es wird nicht so weitergehen. Aber dieses nicht mehr so weiter, das heißt also neue Rechte für den Bundestag, neue Kompetenzen, verlangt auch, dass wir dort kompetenter werden. Der Bundestag muss sich europapolitisch mehr Kompetenzen aneignen, um diese neuen Rechte, die er hat, auch tatsächlich verantwortungsvoll wahrzunehmen.
Spengler: Heißt das denn nun im Umkehrschluss, dass es für die EU in Brüssel immer schwerer wird, handlungsfähiger zu werden?
Steenblock: Nein, das glaube ich nicht, sondern es gibt eine stärkere nationale demokratische Legitimation für die Entscheidung. Die Parlamente, die gewählten Volksvertreter mischen sich mehr ein. Das ist aber auch das, was gewollt ist. Das ist in anderen Ländern, in Dänemark zum Beispiel so. Da muss die Regierung im Grunde mit jeder Entscheidung vorher in den Ausschuss, in den Europaausschuss.
Spengler: Und so ähnlich wird es bei uns auch? Um es mal ganz praktisch zu machen: die Bundesregierung sitzt in Brüssel, ein Minister sitzt in Brüssel, er will was abstimmen und er muss aber Rücksprache halten, wie sieht das im Parlament aus und habe ich dafür eine Mehrheit im Parlament?
Steenblock: Nicht in jedem Einzelfall, also nicht bei jedem Knopf, über den verhandelt wird, aber natürlich all die grundsätzlichen Entscheidungen, die anstehen, dafür sollte er sich vorher schon und nicht während der Verhandlungen, sondern vorher schon einen Beschluss des Bundestages holen, der sagt wie die Bundesregierung in diesen Fällen verhandeln soll. Das ist die Konsequenz daraus.
Spengler: Rainder Steenblock, für die Grünen Mitglied im Europaausschuss des Deutschen Bundestages. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Steenblock.
Steenblock: Ja, gerne.
Rainder Steenblock: Das tut mir nicht sonderlich weh, weil wir seit fünf Jahren in diesem Prozess sehr aktiv engagiert sind und in diesen Debatten dieses gerade von grüner Seite immer sehr intensiv gefordert haben. Deshalb ist dieser Prozess, den wir ab dem Jahre 2004 eigentlich angefangen haben, die Europakompetenzen des Bundestages zu erweitern, durch das Bundesverfassungsgericht jetzt an einem Punkt, wo wir sehr froh über diese Entscheidung sind und auch uns bestärkt in unseren Wünschen fühlen, dass der Bundestag wirklich die Macht, die er als Volksvertretung haben kann, auch nutzt.
Spengler: Dieses beanstandete Begleitungsgesetz, das haben ja nicht die Abgeordneten selbst formuliert, sondern sie haben quasi die Formulierungshilfe der Regierung dankbar übernommen. Das hat sich nun gerächt. Waren Sie dagegen, oder haben Sie das mitgemacht?
Steenblock: Dieses Begleitgesetz fußt im Grunde auf der Zusammenarbeitserklärung, die auch vom Bundesverfassungsgericht aufgrund der rechtlichen schwierigen Situation, weil das Bundesverfassungsgericht so eine Konstruktion nicht kennt - der Hintergrund ist natürlich der ewige Kampf zwischen Parlament und Regierung um die Deutungshoheit und das Engagement in Politik, und da haben wir einen Erfolg errungen und das Bundesverfassungsgericht hat uns gestärkt dabei. Das ist für das Parlament sicherlich das Positive, weil es die Demokratie in Deutschland stärkt. Das was wir häufig haben, dass die Regierung das Parlament nicht immer ernst nimmt und auch nicht immer ausreichend beteiligt, das wird von Parlamentariern beklagt. Häufig hat die Mehrheit der Parlamentarier aber eben eine Regierungszugehörigkeit zu den Regierungsfraktionen und da gibt es Interessensgegensätze. Das ist aber gut, dass wir hier jetzt wieder gezwungen sind – ja, das ist ein Zwang auch, aber ein positiver -, unsere Rechte wahrzunehmen.
Spengler: Wie groß ist denn der Zeitdruck, unter dem sie jetzt ein verfassungskonformes Begleitgesetz formulieren müssen?
Steenblock: Der Zeitdruck ist relativ groß. Wir müssen im Grunde bis zum 8. September oder 9. September dieses Gesetz in zweiter Lesung beraten haben.
Spengler: Warum?
Steenblock: Weil dann bis Ende Oktober, weil diese Legislaturperiode natürlich auch mit Blick auf das irische Referendum sozusagen abgeschlossen wird, und wir hätten natürlich schon gerne eine Entscheidung, die zum Oktober, also vor dem irischen Referendum, in Kraft treten kann, so dass vor diesem Hintergrund Deutschland auch schon entschieden hat.
Spengler: Darf ich noch mal ganz kurz zwischenfragen. Das irische Referendum ist am 4. Oktober. Wieso müssen sie unbedingt vor dem irischen Referendum dieses Gesetz haben?
Steenblock: Wir müssen nicht unbedingt, aber es wäre natürlich auch in diesem Referendum hilfreich, wenn Deutschland eine eindeutige Position bis dahin beziehen könnte und nicht noch in einem Arbeitsprozess wäre. Von daher ist dieses ehrgeizige Ziel, was wir uns selber setzen, und ich glaube auch, weil alle auch die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts ja sehr eindeutig und klar sind, wie so ein Begleitgesetz auszusehen hat, dass es bis dahin auch zu schaffen ist. Das heißt, dass wir in der sitzungsfreien Zeit jetzt eben doch sehr viel mehr Sitzungen haben werden über den Sommer. Wir werden im Juli sicherlich anfangen, unter den Fachleuten die Eckpunkte für dieses Gesetz zu machen. Wir werden dann im August eine erste Lesung im Bundestag haben und dazwischen die Ausschüsse beteiligen. Also wir werden in der sitzungsfreien Zeit im Sommer eben nicht sitzungsfrei sein. Das ist die Konsequenz, aber ich halte das auch für notwendig.
Spengler: Herr Steenblock, das Gesetz muss wahrscheinlich ganz neu formuliert werden. Was muss inhaltlich im Kern anders werden?
Steenblock: Im Kern müssen im Grunde die Zustimmungspflichten, die Informationspflichten der Bundesregierung, also die Zustimmungspflichten des Parlamentes, die Weisungsgebung des Parlamentes an die Regierung, dass das Parlament sagen soll, wie die Bundesregierung sich im europäischen Rat verhält, ausgeweitet werden, die Informationspflichten der Bundesregierung, so dass sie den Bundestag über all das, was sie in Brüssel in den Räten treibt, ausreichend informiert, so dass der Bundestag auch rechtzeitig Einfluss nehmen kann.
Spengler: Nun hat der Bundesinnenminister Schäuble heute Morgen hier im Deutschlandfunk gesagt, das Urteil werde für die praktische Alltagsarbeit für den Bundestag eigentlich gar nichts ändern. Stimmt das?
Steenblock: Nein, das stimmt nicht. Das ist vielleicht eine Regierungssicht in der Hoffnung, dass es so weitergeht. Ich bin sehr sicher, es wird nicht so weitergehen. Aber dieses nicht mehr so weiter, das heißt also neue Rechte für den Bundestag, neue Kompetenzen, verlangt auch, dass wir dort kompetenter werden. Der Bundestag muss sich europapolitisch mehr Kompetenzen aneignen, um diese neuen Rechte, die er hat, auch tatsächlich verantwortungsvoll wahrzunehmen.
Spengler: Heißt das denn nun im Umkehrschluss, dass es für die EU in Brüssel immer schwerer wird, handlungsfähiger zu werden?
Steenblock: Nein, das glaube ich nicht, sondern es gibt eine stärkere nationale demokratische Legitimation für die Entscheidung. Die Parlamente, die gewählten Volksvertreter mischen sich mehr ein. Das ist aber auch das, was gewollt ist. Das ist in anderen Ländern, in Dänemark zum Beispiel so. Da muss die Regierung im Grunde mit jeder Entscheidung vorher in den Ausschuss, in den Europaausschuss.
Spengler: Und so ähnlich wird es bei uns auch? Um es mal ganz praktisch zu machen: die Bundesregierung sitzt in Brüssel, ein Minister sitzt in Brüssel, er will was abstimmen und er muss aber Rücksprache halten, wie sieht das im Parlament aus und habe ich dafür eine Mehrheit im Parlament?
Steenblock: Nicht in jedem Einzelfall, also nicht bei jedem Knopf, über den verhandelt wird, aber natürlich all die grundsätzlichen Entscheidungen, die anstehen, dafür sollte er sich vorher schon und nicht während der Verhandlungen, sondern vorher schon einen Beschluss des Bundestages holen, der sagt wie die Bundesregierung in diesen Fällen verhandeln soll. Das ist die Konsequenz daraus.
Spengler: Rainder Steenblock, für die Grünen Mitglied im Europaausschuss des Deutschen Bundestages. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Steenblock.
Steenblock: Ja, gerne.