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"Der ESM ist nicht gestoppt, aber der ESM ist nicht in Kraft"

Er sei sehr gespannt, wie die die Bundesregierung die Auflagen des Verfassungsgerichts umsetzen werde, sagt Dietmar Bartsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken. In der jetzigen Form dürfe Bundespräsident Joachim Gauck das Gesetz zur Rettung des Euro jedenfalls nicht unterschreiben.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.09.2012
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Dietmar Bartsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag. Die Linke-Fraktion hatte unter anderem in Karlsruhe geklagt. Guten Tag, Herr Bartsch!

    Dietmar Bartsch: Guten Tag, ich grüße Sie.

    Kaess: Herr Bartsch, Deutschland darf den ESM-Rettungsschirm ratifizieren, aber die Politik muss nacharbeiten. Das Haftungsrisiko muss begrenzt bleiben und der deutsche Vertreter im Gouverneursrat muss über seine Entscheidungen den Bundestag umfassend informieren. Ihre erste Reaktion auf das Urteil?

    Bartsch: Das Bundesverfassungsgericht hat klare Maßgaben gegeben. Es darf im Moment nicht unterschrieben werden, sondern es gibt Auflagen, die gemacht worden sind, damit die Haftung wirklich begrenzt wird auf diese 190 Milliarden. Und ich bin sehr gespannt, wie das realisiert werden soll. Außerdem sind die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages gestärkt worden und nicht zuletzt, sage ich, wird es mit dem Hauptsacheurteil, was noch zu ergehen hat, weitere Maßgaben geben. Also insgesamt ein sehr differenziertes Urteil. Das, was gewollt war, dass jetzt sofort unterzeichnet werden kann, ist nicht gegeben.

    Kaess: Aber Sie sind gescheitert mit Ihrer Klage, denn der ESM ist nicht gestoppt?

    Bartsch: Der ESM ist nicht gestoppt, aber der ESM ist nicht in Kraft. Wie das sein wird, da werden wir wirklich mal schauen. Herr Gauck, der Bundespräsident, darf auf absehbare Zeit nicht unterzeichnen. Inwieweit das realisiert wird, das müssen wir abwarten. Und ich sage noch mal: Positiv ist, dass sämtliche Unterlagen, die es gibt, nicht mehr geheim gehalten werden können. Wir Parlamentarier können umfangreich unterrichtet werden, müssen umfangreich unterrichtet werden, also ein differenziertes Urteil. Ja, unseren einstweiligen Anordnungen ist in dieser Form nicht stattgegeben worden. Das allerdings konnte man nach dem Verlauf auch jetzt nicht mehr erwarten.

    Kaess: Was macht Sie denn so sicher, dass es tatsächlich bei den 190 Milliarden bleiben könnte, jetzt nach dem Urteil? Es geht ja jetzt um die technische Umsetzung.

    Bartsch: Es geht nicht nur um die technische Umsetzung; es ist in dem Urteil ganz klar diese Summe festgehalten worden. Auch diese ist ja durchaus mit kritischen Bemerkungen belegt worden. Es ist klar festgehalten, dass es darüber hinaus nicht mehr gehen kann, zumindest nicht im Rahmen des ESM.

    Kaess: Und diese 190 Milliarden Euro an Haftung im ESM, die sind durchaus tragbar, finden Sie, denn dazu kommen ja auch noch andere Milliarden, zum Beispiel aus dem EFSF?

    Bartsch: Da haben wir eine kritische Haltung. Wir haben diesen Dingen ja auch im Deutschen Bundestag nicht zugestimmt. Die Mehrheit hat das anders gesehen. Ich glaube weiterhin, dass wir damit einen Teil der Budgethoheit des Bundestages aufgegeben haben, das Verfassungsgericht hat das so nicht gesehen. Aber aus meiner Sicht klar und eindeutig: diese Dinge, die dort entschieden worden sind, entsprechen nicht der Meinung der Linken. Wir haben deshalb jedes Mal dagegen gestimmt. Wir glauben, dass Europa vor allen Dingen sozial gestaltet werden kann. Es muss, bevor es diese Maßnahmen gibt, andere Maßnahmen geben, weil es ein Europa für die Menschen sein muss und nicht ein Europa, was über Finanzpolitik realisiert wird.

    Kaess: Aber die Begründung Ihrer Klage, dass es in Deutschland zu Renten- und Lohnkürzungen kommen könnte, die ist ausgeräumt für Sie?

    Bartsch: Diese Begründung ist ja nicht an den ESM gebunden. Die hat es ja nun wirklich vorher schon gegeben. Schauen Sie sich die Politik der Agenda 2010 an, die hat dazu geführt, dass es in Deutschland diesen großen, diesen ausufernden Niedriglohnsektor gibt. Das war jetzt nicht an Europa gebunden, das hat deutsche Politik ohne Europa sehr zügig hinbekommen.

    Kaess: Aber im Rahmen des Urteils heute erwägen Sie weitere rechtliche Schritte?

    Bartsch: Wir werden jetzt erst mal die Begründung genau analysieren. Wir werden auch das Hauptsacheverfahren uns anschauen. Und noch mal: Ich bin sehr gespannt, wie die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts von der Bundesregierung umgesetzt werden.

    Kaess: Herr Bartsch, im Grunde hat ja das Gericht nur noch einmal Bestandteile hervorgehoben wie eben die Parlamentsbeteiligung und die Haftungsgrenze, die schon feststanden. Warum war die Klage überhaupt nötig?

    Bartsch: Die Klage war deshalb notwendig – ich will das noch mal deutlich sagen -, weil über das Bundesverfassungsgericht jetzt realisiert worden ist, dass völkerrechtlich Dinge festgehalten werden müssen. Sie müssen in Brüssel rechtlich und auch politisch verhandelt werden. Ich bin sehr gespannt, ob die anderen Länder ein faktisches Veto Deutschlands so mitmachen werden. Und es war notwendig, damit endlich wirklich diese Obergrenze für alle Beteiligten – es wurde ja schon wieder über neue Schirme und ähnliches gesprochen -, dass hier jetzt endlich mal ein Strich gezogen worden ist. Also das ist sehr wichtig, zumindest demokratiemäßig sind wir einen deutlichen Schritt vorangekommen. Ansonsten würde immer das Damokles-Schwert verfassungskonform oder ähnliches über uns schweben. Das ist jetzt weg und wir werden sehen, wie die Entwicklung auch mit der Hauptsache weitergeht.

    Kaess: Dietmar Bartsch war das, er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bartsch.


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