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"Der Euro zwingt uns, gemeinsam zu handeln"

Die Schuldenkrise sei "keine Krise des Euro, sondern eine Krise einzelner Länder", sagt der Europaparlamentarier Elmar Brok. Die gemeinsame Währung biete vielmehr die einzige Chance, die Griechenland-Krise zu meistern.

Elmar Brok im Gespräch mit Gerd Breker | 19.07.2011
    Gerd Breker: Für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel ist sein gestriges Hilfsangebot an die Bundesregierung in der Euro-Krise kein parteitaktischer Schachzug. Es sei ein inhaltlicher Schritt, sagte Gabriel heute in diversen Interviews, denn der Euro verliere an den Märkten bereits an Wert, die Menschen hätten Angst um ihr Erspartes, um ihre Rente. Auch sei es ihm nicht darum gegangen, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, den früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier und ihn als neue Führungstroika der Sozialdemokraten zu präsentieren. Nein, es gehe ausschließlich um den Euro. Europa im Zeichen der Euro-Krise, das große Projekt europäische Einheit verkommt im Gezänk um Euro und Cent. Die Schuldenkrise überlagert alles, und wenn nicht über Geld geredet wird, dann erleben wir rechtspopulistische Parteien, die sich als Europagegner profilieren und das Schengen-Abkommen über die Reisefreiheit einschränken. Die Idee Europa als friedenssicherndes Projekt versinkt im Klein-Klein. – Am Telefon begrüße ich nun den außenpolitischen Sprecher der EVP-Fraktion, Elmar Brok, ein Europäer durch und durch. Das kann man so sagen, Herr Brok?

    Elmar Brok: Nun, in der Tat sind wir in einer schwierigen Situation, wenn nicht in einer der schwierigsten der letzten Jahrzehnte. Der entscheidende Punkt ist die Finanzkrise, daraus folgt dann die Schuldenkrise, dies ist nicht nur eine europäische Krise, es ist auch eine amerikanische Krise, das heißt eine Krise des transatlantischen Raums der klassischen Industrieländer, und hier müssen wir sehen, wenn das nicht dramatische globale Effekte haben soll mit den eindeutigen Verlierern Europa und USA, müssen wir hier Anstrengungen unternehmen, das in Ordnung zu bringen, und hier brauchen wir nicht weniger Europa, sondern mehr Europa, weil Deutschland allein erst recht das nicht übernehmen kann.

    Breker: Aber, Herr Brok, wie sehr leidet denn ein überzeugter Europäer wie Sie darunter, dass Europa nur noch wahrgenommen wird als Krise des Euro?

    Brok: Also erstens ist das keine Krise des Euro, sondern eine Krise einzelner Länder. Zum Zweiten müssen wir feststellen, dass doch die Europäische Union nicht dargestellt wird mit ihrem Nutzen. Das, was an Großartigem in 60 Jahren erreicht worden ist, ist konsumiert und wird als selbstverständlich angenommen, und deswegen wird nur diskutiert über die Schwachpunkte und das hat auch damit zu tun, dass die heutigen politischen Führungen den Nutzen Europas nicht wirklich den Bürgern erklären.

    Breker: Diese Schuldenkrise, Herr Brok, sie währt ja schon länger. Immer wieder wird die Entschlossenheit zur Lösung betont, es werden Lösungsinstrumente präsentiert. Doch seit Wochen und Monaten schon fehlt es an einer klaren Entscheidung, an einer klaren Politik zur Lösung dieser Krise.

    Brok: Also erstens wird in dieser Frage zu viel geredet, dadurch wird es an den Märkten immer teurer und schwieriger, und zweitens warten wir schon zu lange auf eine Entscheidung. Jede Woche, die man länger wartet, wird teurer und ich glaube, dass hier klar die Entscheidung getroffen werden muss, dass man ein umfassendes Konzept macht, indem man den Bürgern deutlich macht, was nutzt dieses Europa, und dann mit einem Konzept dazu im Falle Griechenlands auch den Märkten deutlich macht, dass Europa solidarisch zusammensteht. Das wird billiger, als wenn wir uns in einen weiteren Strudel hineinreißen lassen.

    Breker: Nur, Herr Brok, Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in dieser Krise nicht gerade die Erste, die auf eine Lösung drängt. Das wird ihr vorgehalten, denn Helmut Kohl hätte das sicherlich anders gelöst.

    Brok: Nun kann ich solche Vergleiche und will ich jetzt nicht anstellen. Nur ist völlig klar, dass die Bundeskanzlerin sich verpflichtet hat, dass der Euro gehalten wird, und hier müssen wir jetzt, glaube ich, gerade mit dem Blick auf den Gipfel am kommenden Donnerstag deutlich machen, dass jetzt nicht wieder nach der Methode "zu wenig, zu spät" gemacht wird, sondern ein umfassendes Konzept, das hier Strukturveränderungen und die Sparmaßnahmen Griechenlands einbezieht, aber auch die Wachstumsnotwendigkeiten, die aus den Strukturveränderungen kommen, aber auch aus der europäischen Unterstützung kommen, etwa aus den Geldern, die ja zur Verfügung stehen. Griechenland könnte 16 Milliarden Euro, einen Marshall-Plan, sofort abrufen, das Geld, was zur Verfügung stünde, wo sie aber nicht in der Lage sind, das administrativ ordentlich zu verwalten. Hier müssen wir Lösungen finden. Und wenn dann bei den Beziehungen und anderen Fragen etwas getan wird, dann könnte das insgesamt ein Konzept sein, das dauerhafte Glaubwürdigkeit an den Märkten herstellt.

    Breker: Diese Schuldenkrise, Herr Brok, hat offenbart, dass eine gemeinsame Währung ohne eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik ein Fehler war und ist. Das ist so und daran ändert sich ja im Moment auch gar nicht erkennbar irgendetwas.

    Brok: Ach doch. Ich meine, ein entscheidender Punkt ist gewesen, dass unter Schröder und Chirac der Stabilitätspakt aufgeweicht worden ist. Dieser wird jetzt erheblich verstärkt, da gibt es bereits die Beschlüsse des Rats des Europäischen Parlamentes, die präventiven Maßnahmen, es sind größere Möglichkeiten zur Wettbewerbsfähigkeit da, zur Koordinierung von Wirtschaftspolitik, sodass wir in der Lage sein sollten, in Zukunft solche Krisen zu vermeiden, soweit sie überhaupt zu vermeiden sind, weil das ja zum Teil auch international begründet ist. Da sind wir jetzt sehr viel besser aufgestellt durch natürlich den Druck der Situation.
    Der zweite Punkt ist, davon losgelöst, dass wir mit der gegenwärtigen Krise fertig werden, das ist insbesondere am Anfang eine Griechenland-Krise und dafür müssen wir dann auch die entsprechenden schnellen Beschlüsse fassen.

    Breker: Die Menschen fürchten um ihre Währung, sie fürchten um ihr Erspartes. Das könnte, Herr Brok, doch auch bei uns eine antieuropäische Stimmung erzeugen, es könnte antieuropäischen Populismus attraktiv machen?

    Brok: Das ist zweifellos so, weil damit der Euro allein verbunden wird, aber der Euro selbst erweist sich ja stark an den Märkten. Und wir müssen sehen: Wenn eine Pleite wie von Lehman Brothers uns in eine weltweite Krise hineinbringt, dann würde die Pleite von Staaten dieses wahrscheinlich erst recht bedeuten. Und deswegen hat das nicht unbedingt etwas mit dem Euro zu tun, sondern mit den internationalen Verflechtungen. Aber der Euro zwingt uns, gemeinsam zu handeln in Europa und hier vielleicht auch mit den Amerikanern zu handeln. Das ist die einzige Chance, damit fertig zu werden. Wenn die Peripherie fällt, wird auch bald das Zentrum fallen, und aus diesem Grunde ist Europa und der Euro die Chance, mit dem Problem fertig zu werden, und ich glaube, das sollte deutlicher gemacht werden. Und wir müssen ja sehen: Diese Krisen hat es auch früher gegeben. Finanzminister Waigel hat kürzlich einmal erzählt, dass man 1993 an einem Freitagnachmittag 90 Milliarden D-Mark durch die Entscheidung des Kanzlers, des Finanzministers und des Bundesbankpräsidenten nach Frankreich gegeben hat, um eine solche Krise in Frankreich zu vermeiden. Der entscheidende Unterschied ist wahrscheinlich, damals hat man nicht so viel darüber geredet, sondern gehandelt.

    Breker: Das Handeln in der Euro-Schuldenkrise fordert Elmar Brok, der außenpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, ein Europäer durch und durch, in dieser Euro-Schuldenkrise. Herr Brok, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Brok: Ich danke auch.

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