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Der Fall Skripal
"Offensichtlich haben die Briten stichhaltige Beweise"

Nach der Ausweisung russischer Geheimdienstlern aus 24 Ländern, geht der Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff davon aus, dass konkrete Hinweise auf ein rechtswidriges Verhalten Russlands vorliegen. "Alles andere wäre entgegen jeder staatlichen Praxis", so der FDP-Abgeordnete im Dlf.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Christine Heuer | 27.03.2018
    Der Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff (FDP)
    Alexander Graf Lambsdorff sieht die Ausweisung von russischen Geheimdienstlern als deutliche Maßnahme. Auf mittlere Sicht sei der Schritt aber nicht sehr produktiv. (dpa / picture-alliance / Roland Weihrauch)
    Christine Heuer: Diplomatische Nadelstiche von der einen und bald dann auch wieder von der anderen Seite - wegen des Giftanschlags auf den russischen Ex-Spion Skripal in Großbritannien haben inzwischen viele EU-Staaten, außerdem die USA, Kanada, Australien und die Ukraine beschlossen, russische Diplomaten auszuweisen. Russland hat harte Gegenmaßnahmen angekündigt. Der Streit droht weiter zu eskalieren. In Berlin sind wir verbunden mit Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Außen- und Europapolitiker, mittlerweile ja bekanntlich im Deutschen Bundestag. Die EU weist Diplomaten aus. Russland wird vermutlich dasselbe tun. Bringt uns das in irgendeiner Weise weiter?
    Alexander Graf Lambsdorff: Es ist eine Maßnahme, die im diplomatischen Instrumentarium üblich ist. Es ist eine Maßnahme, von der man keine großen langfristigen Wirkungen erwarten sollte auf der einen Seite. Auf der anderen Seite: Wenn 24 Länder auf Grundlage der Beweise, die Großbritannien präsentiert, sich zu diesem Schritt entschließen, dann, glaube ich, ist eines klar. Die Beweise müssen so stichhaltig sein, dass auch Länder, die sehr enge Beziehungen zu Russland unterhalten, wie Ungarn oder auch Italien, sich dieser Maßnahme anschließen, und dann sind diese Beweise aller Voraussicht nach wirklich dicht.
    Ausweisung der Diplomaten:"Deutliche Maßnahme, aber mittelfristig nicht produktiv"
    Heuer: Aber es sind ja auch viele EU-Staaten nicht bereit, da mitzugehen. Das heißt, die EU will Geschlossenheit demonstrieren, und sie demonstriert das genaue Gegenteil. Also können wir festhalten: Putin erreicht sein Ziel.
    Graf Lambsdorff: Die Staaten, die nicht mitgemacht haben - ich sehe dabei vor allem mit Sorge Griechenland und Zypern -, sind in der Tat ein Mangel dieser Maßnahme. Aber es sind andere Staaten dabei, die USA, Kanada, die Ukraine, die außerhalb der Europäischen Union sind. Also ganz offensichtlich haben die Briten sehr stichhaltige Beweise und einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union - Griechenland hat sich ja auch schon im Rat bei der Formulierung der Abschlusserklärung anders verhalten - wollen das nicht so sehen wie die Mehrheit der Staaten. Aber im Großen und Ganzen, glaube ich, ist diese Maßnahme ein deutlicher, wenn auch ein auf mittlere Sicht nicht sehr produktiver Schritt.
    Heuer: Produktiv sind Sanktionen selten. Aber wenn sie etwas bewirken sollen, dann müssen sie weh tun. Diese diplomatischen Nadelstiche mit Geheimdienstlern - das sind es ja in aller Regel, die hin und her ausgewiesen werden -, das tut den Russen vielleicht gar nicht so weh. Wie wäre es denn mit Wirtschaftssanktionen, schärferen Wirtschaftssanktionen?
    Graf Lambsdorff: Offensichtlich hat Großbritannien darum nicht gebeten. Auch die USA verhängen hier keine Wirtschaftssanktionen. Sondern es wurde darum gebeten, die Aktivitäten des russischen Auslands-Nachrichtendienstes im Westen einzuschränken. Und ich glaube, dass das vor dem Hintergrund des Vorfalls, auf den die Sanktionen zurückgehen, nämlich ein Giftgasanschlag auf dem Boden eines NATO-Mitglieds, eines noch EU-Mitgliedsstaates, vermutlich präziser, genauer gesteuert ist, als jetzt weitere Wirtschaftssanktionen zu verhängen. Die Wirtschaftssanktionen, die wir schon haben wegen der Krim und wegen der Ostukraine, sind ja sehr limitiert und sehr begrenzt. Die wären nach meinem Dafürhalten eine deutlich schärfere Maßnahme. Man hat sich dagegen entschieden und ich halte das eigentlich auch für maßvoll.
    "Sanktionen sind kein Lichtschalter"
    Heuer: Sie wären auch nicht dafür, da noch eine Schippe draufzulegen? Das verstehe ich irgendwie nicht. Wenn man den Fall Skripal so ernst nimmt, dass die ganze Welt sich in einen diplomatischen Schlagabtausch begibt, warum greift man dann nicht wenigstens zu Mitteln, die auch tatsächlich ein Einlenken Moskaus möglicherweise bewirken könnten?
    Graf Lambsdorff: Frau Heuer, Sanktionen sind nicht wie ein Lichtschalter. Sie knipsen nicht eine Sanktion an und dann geht irgendwo ein Verhalten eines anderen Landes aus. Sanktionen bestrafen ein Verhalten, das ein anderer Staat als widerrechtlich empfindet oder was er tatsächlich als widerrechtlich einordnen kann, aber das ändert nicht sofort das Verhalten des sanktionierten Staates. Denken Sie an die Sanktionen wegen des Apartheid-Regimes in Südafrika. Die waren 30 Jahre in Kraft, bis es endlich dazu gekommen ist, dass das Land sich von der Apartheid verabschiedet hat. Sanktionen wirken langfristig, sie sind keine schnell wirkenden Maßnahmen, aber sie sind in einem solchen Fall wie hier gezielt durchzuführen. Und gezielt heißt, hier hat es eine Geheimdienstoperation gegeben, aller Voraussicht nach. Die Sanktion richtet sich jetzt gegen den Geheimdienst. Insofern ist das eine Bestrafung derjenigen, die verantwortlich sind für das, was da in Salisbury passiert ist.
    Heuer: Sie glauben, die Ausweisung von Diplomaten verändert irgendetwas an dem Verhalten, das Sie an Moskau kritisieren?
    Graf Lambsdorff: Es wird jedenfalls dafür sorgen, wenn eine große Zahl von Diplomaten oder in dem Fall Nachrichtendienstmitarbeitern ausgewiesen wird, dass die Neuen sich erst mal einarbeiten müssen. Das heißt mit anderen Worten, die Arbeit derer, die dort nachgeschickt werden, neu entsandt werden, wird nicht auf demselben Niveau beginnen können, wie die Arbeit derer, die schon lange da sind. Die USA - vergessen wir das nicht - schließen zudem ein Generalkonsulat in Seattle, weisen insgesamt 60 russische Nachrichtendienstler aus. Das ist schon etwas, das Russland auch spürt.
    "Den Sport heraushalten"
    Heuer: Die Fußball-WM findet ja statt. Auch darüber wird immer wieder gesprochen. Sollte man die boykottieren? Das wird ja im Westen überhaupt nicht ernsthaft erwogen offenbar. Wäre das nicht ein Schritt, der ist symbolisch, der tut weder dem Westen, noch Russland wirtschaftlich wirklich weh, aber es wäre doch ein ganz klares Zeichen, das zeigen würde, der Westen ist überhaupt nicht einverstanden mit der Politik, die Russland betreibt.
    Graf Lambsdorff: Ja ich weiß, dass manche diesen Vorschlag machen. Ich bin persönlich sehr, sehr skeptisch, dass das irgendetwas bringt. Ich erinnere mich sehr gut an einen Boykott von einer großen Sportveranstaltung in Moskau. Das waren die Olympischen Spiele 1980, weil 1979 die damalige Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert ist. Das hat am sowjetischen Verhalten damals gar nichts geändert. Ich glaube, man sollte den Sport aus diesen Fragen heraushalten und die Fußballmannschaften ihr Turnier spielen lassen. Es ist eine ganz andere Frage, ob hochrangige Politiker, Regierungsmitglieder dort hinfahren sollten. Da haben sich einige Länder schon dagegen entschieden. Das ist eine Frage, die man in der Tat erwägen kann.
    Heuer: Wie sehen Sie das?
    Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass es falsch wäre, wenn die Bundeskanzlerin oder der Bundespräsident da ins Stadion führen. Ich glaube, dass die höchstrangigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in dieser Situation dort nicht hinfahren sollten.
    "Ich kann nur spekulieren, warum Großbritannien die Beweise nicht öffentlich macht"
    Heuer: Jetzt haben Sie in unserem Gespräch, Graf Lambsdorff, mehrfach gesagt, London habe offenbar stichhaltige Beweise für Moskaus Schuld an der Vergiftung von Herrn Skripal. Warum werden diese Beweise denn nicht vorgelegt?
    Graf Lambsdorff: Sie werden ja vorgelegt. Sie werden ja im Kreise der Verbündeten ganz offensichtlich vorgelegt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, …
    Heuer: Aber es kennt sie ja keiner genau.
    Graf Lambsdorff: Nein. Es handelt sich natürlich um nachrichtendienstliche Erkenntnisse. Die unterliegen strenger Geheimhaltung. Mit anderen Worten: Es wird mit den Nachrichtendiensten der anderen Länder geteilt und auf Grundlage dieser Informationen haben sich die Regierungen von 24 Staaten zu solch einer Maßnahme entschieden. Ich kann mir nicht vorstellen, das sage ich noch einmal. Ich kenne die Beweise persönlich nicht. Die Öffentlichkeit kennt sie nicht. Aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass 24 Staaten der Welt sich entscheiden, russische Nachrichtendienstler auszuweisen, wenn die Beweise, die Großbritannien dort vorlegt, nicht stichhaltig sind. Das wäre entgegen jeder staatlichen Praxis, denn warum sollte man die Beziehungen zu einem Land wie Russland weiter belasten, wenn man nicht wirklich konkrete Hinweise darauf hätte, dass hier ein rechtswidriges und völkerrechtswidriges Verhalten vorliegt.
    Heuer: Aber wieso, wenn die Beweise so eindeutig zu sein scheinen, wie Sie es vermuten, warum macht dann Großbritannien diese Beweise nicht öffentlich? Denn ohne das steht ja Aussage gegen Aussage und viele Putin-Versteher auch im Westen können sich ja immer auf diesen Punkt zurückziehen und sagen, es gibt keine Beweise für diese Verstrickung, und was der Westen da macht ist völlig übertrieben.
    Graf Lambsdorff: Frau Heuer, ich kenne die Beweise nicht. Das habe ich ja gerade gesagt. Wir kennen sie nicht in der Öffentlichkeit. Ich kann deswegen nur spekulieren darüber, warum Großbritannien sie nicht öffentlich macht. Vermutlich hat das etwas damit zu tun, dass die Offenlegung der Beweise eine Gefährdung bestimmter britischer Interessen nach sich zöge, und man zieht es deswegen vor, das Ganze vertraulich zu handhaben, also unter Geheimschutz. Das ist nicht unüblich zwischen Staaten, Geheimdienstinformationen auch so vertraulich zu behandeln. Warum das jetzt exakt gemacht wird, kann ich deswegen nicht sagen, weil ich die Beweise und damit auch die Natur der Gefährdung, die sich durch ihre Veröffentlichung ergeben würde, nicht kenne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.