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Der Fetteffekt

Ernährung. Fettleibigkeit ist ein Problem, dass trotz zahlreicher Aufklärungsversuche von Jahr zu Jahr zunimmt. Wir machen zu wenig Sport und essen zu viel. Doch warum kann man nicht einfach aufhören, wenn man einmal in die Chipstüte gegriffen hat? Das wollten jetzt Forscher der University of California wissen.

Von Martina Preiner | 05.07.2011
    "In unserer modernen Gesellschaft mangelt es uns bestimmt nicht an Fett. Was wir aber oft vergessen, ist, dass vor der Erfindung von Fastfoodrestaurants und Kühlschränken – als Jäger und Sammler – die Suche nach Fett sich sehr viel schwerer gestaltete. Obwohl sehr rar, war und ist es lebenswichtig. Deshalb erscheint es einem logisch, dass der Körper versucht, so viel Fett wie möglich abzubekommen."

    Daniele Piomelli, Wissenschaftler an der Universität von Kalifornien Irvine und dem Italian Institute of Technology, beschäftigt sich seit über 16 Jahren damit, warum der Mensch mehr isst, als er eigentlich braucht. Im Mittelpunkt seiner Forschung steht das Endocannabinoid-System, das sich vor allem um den Energiehaushalt des Menschen kümmert. Die zugehörigen Rezeptoren finden sich überall im Körper. In Gehirn und Rückenmark, in der Leber und in den Muskeln. Im Magen-Darm-Bereich ist das Endocannabinoid-System unter anderem für das Sättigungsgefühl verantwortlich. Doch Piomelli konnte jetzt nachweisen, dass es bei der Aufnahme von fettiger Nahrung ein Hungergefühl auslöst.

    "Die Zunge schmeckt den fettigen Anteil der Nahrung und sendet ein Signal an das Hirn. Das Signal wird dann Richtung Bauchraum weitergeleitet und fordert die Verdauungsorgane dazu auf, mehr Endocannabinoide zu produzieren. Diese wiederum sorgen dafür, dass eine Art Hungersignal vom Bauch zum Gehirn gegeben wird. Dadurch entsteht eine sich selbstverstärkende Rückkopplung."

    Wie dieses durch Fett ausgelöste Hungersignal von Bauch zu Gehirn aussieht, wissen Piomelli und seine Mitarbeiter allerdings noch nicht.

    Ihre Versuchstiere sind Ratten, denen in Wasser angerührte Proteine, Zucker und Fette vorgesetzt werden. Wichtig dabei ist eine spezielle Konstruktion, durch die die Flüssigkeit so gepumpt wird, dass die Ratten nur schmecken, nicht schlucken können. Proteine können nicht begeistern, Zucker schon etwas mehr, doch bei Fett ...

    "Die Ratten sind verrückt nach dem Zeug, sie mögen es wirklich."

    Die Wissenschaftler in Piomellis Labor konnten nachweisen, dass schon der bloße Geschmack von Fett zu einer Ausschüttung von Endocannabinoiden im Verdauungstrakt führt.

    "Das passiert bei Zucker oder Proteinen nicht. Es scheint also eine spezifische Reaktion auf Fett zu sein."

    In einem weiteren Schritt musste aber noch nachgewiesen werden, dass die Ausschüttung der Endocannabinoide und die Begeisterung der Ratten für die Fettemulsion unmittelbar zusammenhängen. Den Tieren wurden Substanzen, die Endocannabinoid-Rezeptoren blockieren, direkt in den Magen-Darm-Trakt verabreicht. Das Ergebnis war eindeutig. (0'15)

    "Die Ratten haben aufgehört das Fett zu essen."

    Dass die Antwort auf Fettgeschmack in den Eingeweiden und nicht im Gehirn stattfindet, damit hatten die Forscher zuvor nicht gerechnet.

    "Fast jeder, der in diesem Bereich arbeitet, hat das Antwortzentrum im Gehirn vermutet – schließlich ist es das Organ, das unser Verhalten steuert. Auf der anderen Seite ist es nicht ganz so seltsam, weil Verdauungstrakt und Gehirn durch Nerven sehr stark miteinander verbunden sind. Es ist nur überraschend, dass das alles im Bauch stattfindet."

    Aufbauend auf dieser Erkenntnis, könnten Endocannabinoid-Blocker übergewichtigen Menschen helfen, ihren Appetit auf Fett zu reduzieren. Bisher haben solche Blocker aber noch den Nachteil, dass sie keinen Halt vor der Blut-Hirn-Schranke machen und so im Gehirn Schaden anrichten könnten. Doch Piomelli sieht das optimistisch.

    "Es ist absolut denkbar, solche Medikamente herzustellen, die die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können und nur an Endocannabinoid-Rezeptoren außerhalb des Gehirns wirken."