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Der Hafen von Rotterdam (5/5)
Die Stille am Containerterminal

Ob Pingpong-Bälle oder Pianos - per Container kann alles befördert werden. Die Stahlkisten haben einst die Schifffahrt und das Transportwesen auf See radikal verändert. Das Laden und Löschen im Containersektor des Rotterdamer Hafens geschieht inzwischen vollautomatisiert.

Von Kerstin Schweighöfer | 19.01.2018
    Der Container-Terminal des Rotterdamer Hafens
    Der Container-Terminal des Rotterdamer Hafens (imago images / Hollandse Hoogte)
    Die Nordsee peitscht hohe Wellen gegen den Deich. Er besteht aus riesigen Betonklötzen, ein jeder 20 mal 20 Meter groß. Sie schützen das Festland vor Stürmen aus Nordwest. Die sind zwar selten, aber umso gefährlicher, erklärt Hans Volkers vom Informationszentrum des Rotterdamer Hafens auf einer Sonderfahrt im Bus, dem "Futureland-Express".
    Futureland. Land der Zukunft. Weit draußen am westlichsten Zipfel des Rotterdamer Hafens hat sie bereits begonnen. Denn hier wurden dem Meer neue Hafengebiete abgerungen – insgesamt 2.000 Hektar groß. Vor zehn Jahren noch war hier nur Wasser.
    "Tweede Maasvlakte", zweite Maasebene heißt das neue Hafengebiet in der Nähe der Maasmündung. Es wurde speziell für die größten Containerschiffe der Welt gebaut. Weil es für die nicht mehr genug Platz gab, berichtet Hans Nagtegaal. Der 51-Jährige ist Direktor des Containersektors des Rotterdamer Hafens:
    "Als ich hier zum ersten Mal mit dem Auto einen Termin hatte, war mein Navi noch nicht auf dieses Neuland eingestellt: Auf dem Navi-Bildschirm fuhr ich in die Nordsee hinein!"
    Hans Nagtegaal, Direktor des Containersektors des Rotterdamer Hafens, und Kapitän Cees de Keijzer
    Hans Nagtegaal, Direktor des Containersektors des Rotterdamer Hafens, und Kapitän Cees de Keijzer (Deutschlandradio/ Kerstin Schweighöfer)
    Fachsimpeln über Containerschiffe
    Als Containerdirektor ist er verantwortlich für einen reibungslosen Ablauf beim Laden und Löschen der Container. Deswegen steht er ständig in Kontakt mit Reedereien, Depots und Terminals, erzählt er, als sich der Futureland-Express dem Prinses-Amalia-Hafen nähert, einem von drei neuen Hafenbecken, benannt nach den drei Töchtern des niederländischen Königspaares.
    Je näher der Bus kommt, desto deutlicher zeichnen sich die Konturen eines riesigen Containerschiffes ab, das dort angelegt hat. Der pensionierte Kapitän Cees de Keijzer, vernarrt in Schiffe wie er ist, wird ganz aufgeregt:
    "Siehst du, wie groß es ist! Das ist die Mette Maersk, eines der allergrößten der Welt! 400 Meter lang und 60 Meter breit!"
    Wie immer kann der alte Kapitän die Maße auch dieses Schiffes in Nullkommanichts aus dem Ärmel schütteln. Er weiß auch, woher sie kommt: aus Asien. Aber was hat sie an Bord? Das kann alles sein, angefangen bei Pingpongbällen bis hin zu Pianos, meint er und beginnt mit Nagtegaal zu fachsimpeln.
    De Keijzer weiß auch, wieviel Container auf ein Schiff dieser Größenordnung passen: 18.250 TEU. Ein TEU, entspricht einem 20-Fuß-Container: rund sechs Meter lang, zweieinhalb Meter hoch und zwei Meter breit. Da passen gut und gerne 6.000 Sportschuhe rein. Mit anderen Worten: 18.250 TEU bedeuten, dass dieses Schiff sage und schreibe fast 20.000 solcher 20-Fuß-Container an Bord hat. Auf Deck gestapelt, bis zu neun Lagen hoch. Plus ebenso viele Containerlagen nach unten, im Bauch, erklärt Volkers vom Hafeninfo-Zentrum:
    "Auf das allergrößte Containerschiff der Welt passen inzwischen mehr als 24.413 Container, ein jeder sechs Meter lang. Würde man die alle entlang der Autobahn aneinanderreihen, entstünde eine Strecke von 130 Kilometern. Bei uns in den Niederlanden gilt Höchsttempo 130. Es würde also bei Tempo 130 eine Stunde dauern, um die Ladung eines einzigen Schiffes zu passieren!"
    Merkwürdig leer, merkwürdig still
    Wie ein regelrechtes Schiffsgebirge aus roten, blauen und weißen Containern türmt sich die Mette Maersk auf. Über ihr hängen noch höhere Kräne, die sie entladen - zwei, drei, vier… sechs sind es an der Zahl. Sie setzen die Container auf Transportfahrzeugen ab, die wie von Geisterhand bewegt über das Terminal flitzen und sie für den Weitertransport zu Zügen und LKW bringen. Kein Mensch zu sehen. Es ist merkwürdig leer. Und merkwürdig still. Lediglich ein leises Surren und Sirren liegt in der Luft.
    Früher herrschte hier ein ohrenbetäubender Lärm, inzwischen ist das Laden und Löschen vollautomatisiert, erklärt Containerdirektor Nagtegaal:
    Die Kräne werden längst vom Bürohauptgebäude des Terminals aus bedient, also ein paar Hundert Meter entfernt. Und bei den Transportfahrzeugen handelt es sich um sogenannte AGVs - Automated Guided Vehicles .
    Zukunft der Container?
    Die klassischen Hafenarbeiter – gibt es die überhaupt noch? Oder sind sie zu Büromenschen geworden, die hinterm Laptop sitzen?
    "Nicht alle", stellt Kapitän de Keijzer klar – und erinnert an die Lascher, jene Männer, die die Verankerungen der Container kurz nach dem Ein- und kurz vor dem Auslaufen los- bzw. festmachen. Dazu muss man an Bord, denn das geschieht nach wie vor manuell.
    Und was ist mit dem Container selbst, der vor 51 Jahren die Transportwelt revolutioniert hat? Gehört der vielleicht auch schon bald der Vergangenheit an? Interessante Frage, findet Containerdirektor Nagtegaal:
    "Vielleicht ist es in der Tat bald so, dass wir ein paar Sportschuhe bestellen und die dann bei uns vor Ort mit einem 3D-Drucker gedruckt werden, also nicht mehr verschifft werden müssen. Vielleicht wird es dadurch weniger Container geben. Aber dass sie ganz verdrängt werden, kann ich mir nicht vorstellen, dazu hat sich die gesamte Transportwelt zu sehr auf sie eingestellt – Unternehmen, Schiffe, Häfen."
    Das gilt auch für ihn selbst: "Ich bin ein echter Containermann!", sagt er.