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"Der Haushalt ist unsolide"

Der SPD-Vorsitzende Gabriel kündigt für die Etatdebatte scharfe Kritik am Haushalt an. Er erkenne eine "schwere soziale Schieflage", da Konzerne der Atomwirtschaft Milliarden zugeschustert bekommen. Familien, Arbeitslose und Alleinerziehende würden jedoch zur Kasse gebeten.

Von Silvia Engels |
    Silvia Engels: In der einwöchigen Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag wird heute der Etat des Bundeskanzleramtes behandelt, und das ist traditionell der Zeitpunkt, an dem Regierungschef und Oppositionsführer in ein Rededuell eintreten. Da geht es dann um das große Ganze der Regierungsarbeit. Die zentralen Redner heute werden Bundeskanzlerin Angela Merkel von der CDU sein und der SPD-Vorsitzende. Letzterer ist nun schon mal am Telefon. Guten Morgen, Herr Gabriel!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen! Ich grüße Sie.

    Engels: Verraten Sie uns schon den Schwerpunkt Ihrer Rede?

    Gabriel: Das wäre ja nicht fair. Dann würde ich ja jetzt schon was sagen, was ins Parlament gehört. Aber na klar geht es im Schwerpunkt um den Haushalt, den Bundeshaushalt der Kanzlerin und ihre Art, Regierung zu machen, und es ist ja nicht schwer, die Kanzlerin dafür zu kritisieren, weil das aus ihren eigenen Reihen kommt. Man muss eigentlich nur die eigenen Leute von CDU/CSU und FDP zitieren und die weit überwiegende Mehrzahl der Zeitungskommentatoren, denn der Haushalt ist unsolide, das ist so, und er hat eine schwere soziale Schieflage, denn vier große Konzerne in der Atomwirtschaft kriegen 100 Milliarden zugeschustert und Arbeitslose, Familien und Alleinerziehende werden zur Kasse gebeten. Das ist der Schwerpunkt der Politik der Kanzlerin.

    Engels: Das heißt, Atomlaufzeit, Haushaltsentwurf unsozial und es reicht am Ende sowieso nicht, um die Schuldenberge abzubauen. So sieht es aus von Ihrer Kritik?

    Gabriel: Ja. Vor allen Dingen: es gibt Alternativen! Wir könnten natürlich so unsinnige Steuergeschenke wie das Hoteliersgesetz zurücknehmen. Wir haben die Möglichkeit, ökologisch unsinnige Steuersubventionen zu kürzen. Und wir brauchen auch das Geld, das wir aus der Konjunktur bekommen, zum Abbau der Schuldenlast. Gleichzeitig muss Deutschland mehr Geld im Bildungsbereich ausgeben. Das, finde ich, ist eigentlich der Kompass, den man braucht. Wir haben massiven Fachkräftemangel in den nächsten Jahren, wir haben große Integrationsprobleme, wie wir wissen, und die Antwort auf all diese Fragen ist Bildung, Bildung und noch mal Bildung.

    Engels: Der Etat ist ja einer der wenigen, der eigentlich anwachsen soll. Sie bemängeln ja, haben es gerade angesprochen, die soziale Schieflage. Da hat Finanzminister Schäuble vor einer Stunde hier im Deutschlandfunk schon gegengehalten. Er fragt zum Beispiel, warum etwa den Langzeitarbeitslosen Elterngeld gezahlt werden sollte, denn dies sei schließlich eine Leistung als Kompensation für diejenigen, die im Job stehen. Die, die gerade Arbeit suchen, würden ja andere Leistungen erhalten.

    Gabriel: Na ja, aber diejenigen, die Arbeit suchen, brauchen das Elterngeld natürlich genauso, um sich zum Beispiel zu qualifizieren in der Zeit. Das Elterngeld dient ja nicht nur dazu, diejenigen zu entlasten, die Arbeit haben, sondern auch die, die in der Fortbildung sind, die sich qualifizieren, die auf der Arbeitssuche sind. Und wenn das schon der Fall ist, dann hätte Herr Schäuble sich mal fragen müssen, ob es eigentlich notwendig ist, den Besserverdienenden dieses Elterngeld zu zahlen. Da lässt er sie alle ungeschoren. Die, die schon wenig Geld haben, die kriegen noch was abgezogen.

    Engels: Aber fürs Elterngeld waren Sie doch eigentlich auch, auch für die Besserverdienenden, damals in Ihrer Regierungszeit?

    Gabriel: Ja, aber wir haben es auch nicht gestrichen für Arbeitslose und für Leute mit wenig Geld.

    Engels: Dann gibt es zum Beispiel auch Kritik daran, dass eben der Heizkostenzuschuss wegfallen soll. Jetzt sagt Herr Schäuble, da sind sowieso die Heizkosten nicht mehr so hoch. Das heißt, diese Vorwürfe würden im einzelnen gar nicht so sehr ins Gewicht fallen, sagt er.

    Gabriel: Na ja, also das ist schon eine putzige Argumentation. Warten Sie mal ab, wie im Winter sich die Heizkosten entwickeln werden. Das Anziehen der Konjunktur treibt auch die Rohstoffpreise nach oben. Aber das sind ja eher sozusagen Details aus dem Haushalt. Wo es um die richtig großen Brocken geht, da zum Beispiel sorgen die dafür, dass zwei Milliarden Euro für Qualifizierungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose gestrichen werden. Das bedeutet doch nichts anderes, als dass wir die Leute länger in Arbeitslosigkeit lassen, übrigens auch länger in Hartz IV, und das ist ein bisschen linke Tasche, rechte Tasche. Das, was wir in der Arbeitsmarktpolitik einsparen, das muss der Staat dann an längerem Sozialhilfebezug an anderer Stelle wieder ausgeben. Das sind eigentlich die großen Brocken, die im Haushalt falsch laufen.
    Das gleiche gilt beispielsweise dafür, dass wir 2,8 Milliarden Euro den Städten und Gemeinden wegnehmen. Das ist Geld, was die brauchen für ihre Kindergärten, für die Ausstattung der Schulen, für Theater, für Freibäder, für die Volkshochschule. Das nimmt der Finanzminister mal so im Vorbeigehen mit, weil er auf der anderen Seite Steuergeschenke macht und Ausgaben macht, die ich nun gar nicht begreife. Wie kann man eigentlich 150 Euro jeder Familie zahlen wollen, dass sie ihre Kinder nicht in den Kindergarten bringen? Wer wird denn das Geld nehmen? Doch zuerst die, deren Kinder es vielleicht am meisten nötig hätten, Sprachförderung zum Beispiel im Kindergarten zu bekommen. Über 1,4 Milliarden Euro schmeißen wir zum Fenster raus an der Stelle, anstelle es den Ländern zu geben für eine bessere Ausstattung der Kindergärten und der Ganztagsschulen.

    Engels: Schauen wir noch mal auf den Haushalt generell. Da kann ja Finanzminister Schäuble wo möglich auf Steuermehreinnahmen durch eben die bessere Konjunkturlage setzen. So ein Glück hatte die SPD zu ihrer Regierungszeit selten. Sind Sie neidisch?

    Gabriel: Nein! Wir sind froh darüber, dass die Konjunktur anspringt, denn Peer Steinbrück, Olaf Scholz und Frank Steinmeier haben ja in der Großen Koalition erst mal dafür gesorgt, dass wir Konjunkturprogramme bekommen haben, dass wir die Abwrackprämie hatten, dass die Kurzarbeiterregelung gekommen ist, um durch die Krise durch zu kommen. Das einzige, was ich ein bisschen putzig finde, ist, dass der, der gegen all das gestimmt hat, dass der sich heute zum sozusagen Schöpfer des Aufschwungs macht. Das ist Herr Brüderle, der Wirtschaftsminister. Der hat nun wirklich gar nichts damit zu tun. Aber ansonsten ist es doch gut, dass wir Aufschwung haben und dass wir jetzt nicht den Fehler machen, das Geld wieder für Steuersenkungen auszugeben, sondern dass wir Schulden senken. Aber was man auch braucht ist einen Aufschwung für alle. Das bedeutet, wir müssen endlich was dagegen tun, dass 1,3 Millionen Leute arbeiten gehen und trotzdem noch hinterher zum Sozialamt müssen, weil sie sonst die Miete nicht bezahlen können. Das bedeutet Mindestlöhne. Wir müssen was dagegen machen, dass der Niedriglohnsektor immer weiter auswuchert. Schauen Sie, als ich fertig war mit der Ausbildung, für uns war das unvorstellbar, dass die Hälfte aller jungen Menschen jetzt in prekären Beschäftigungsverhältnissen landet, obwohl sie gut ausgebildet sind, mit schlechten Löhnen, mit befristeten Jobs. Das sind die gleichen Leute, denen wir sagen, seht doch mal zu, dass ihr Familien gründet, dass ihr Kinder kriegt, dass ihr was fürs Alter zurücklegt. Die müssen uns doch für absurde Typen halten, wenn wir ihnen solche Empfehlungen geben, aber nichts dagegen tun, dass sie in all diesen Jobs landen. Also Aufschwung für alle ist doch das, was jetzt angesagt ist, und nicht nur sozusagen für ein paar Leute im Management von Banken und Börsen.

    Engels: Aufschwung für alle, fordern Sie. Nun haben Sie in Zeiten der Großen Koalition ja auch diese wirtschaftsschonenden Beschlüsse, die ja jetzt vielleicht auch zur Konjunkturbelebung beitragen, mitgetragen. Wieso sind Sie jetzt dagegen, wenn Herr Schäuble diesen Kurs fortsetzen will, denn insgesamt kommt es ja dann allen zugute, wenn auch nicht so verteilt, wie Sie sich das wünschen?

    Gabriel: Die Antwort haben Sie ja selber gegeben eben, dass wir das gemacht haben in Zeiten der Krise, und die Arbeitnehmer haben auf Weihnachtsgeld verzichtet, auf Urlaubsgeld, sie haben auf viel Geld verzichtet, um ihre Unternehmen auch sicher durch die Krise zu kriegen, und gut mit Unternehmen zusammengearbeitet. Wenn es jetzt zum Aufschwung kommt, dann ist es doch nur fair, denen auch wieder faire Löhne zu zahlen und diese Wahnsinnsentwicklung im Bereich des Niedriglohnsektors zurückzufahren. Wir sind inzwischen das Land mit dem zweitgrößten Sektor dort, was natürlich dazu führt, dass wir auch weniger Einnahmen in der Rentenkasse haben, weniger Steuereinnahmen. Deswegen sage ich, was richtig war in der Krise, muss doch jetzt umgekehrt auch gelten, dass dann auch alle fair am Aufschwung beteiligt werden und nicht nur wenige.

    Engels: Schauen wir noch mal auf den Zustand der SPD. Eigentlich können Sie ja der Bundeskanzlerin und ihrem Vize Guido Westerwelle dankbar sein, denn auch den Pannen der Regierung der vergangenen Monate ist es wohl geschuldet, dass die SPD in Umfragen wieder besser dasteht. Brauchen Sie da überhaupt heute die Debatte?

    Gabriel: Also erstens ist es so, das ist natürlich immer so, das stimmt schon, dass wenn es der Regierung schlecht geht es der Opposition besser geht. Ich glaube, das hat auch viel damit zu tun, dass sich Menschen daran erinnern, wie sicher das Schiff eigentlich gesteuert wurde, als eben Menschen wie Peer Steinbrück, Frank Steinmeier und Olaf Scholz da am Ruder waren. Aber es reicht natürlich nicht aus, sich darüber zu freuen, dass es der Regierung schlecht geht, sondern man muss auch die eigenen Konzepte darstellen und man muss auch erläutern, was in der Substanz falsch ist, weil sonst haben ja die Menschen den Eindruck, es liegt nur daran, dass die das handwerklich nicht können. Ich glaube, das eigentliche Problem der Regierung ist, dass sie gar keinen gemeinsamen Kompass haben, sondern sozusagen auf Zuruf regieren, und insofern ist die Debatte schon wichtig.

    Engels: Bleiben wir noch kurz bei Umfragen. Gerade ist die wöchentliche forsa-Wahltrendumfrage herausgekommen und da liegen die Grünen mit 22 Prozent nur noch 2 Punkte hinter der SPD. Müssen Sie langsam schauen, auch mal eine Gegenrede an die Grünen zu halten?

    Gabriel: Ich kenne die Umfragen von Forsa. Sie haben am letzten Wochenende die des ZDF-Politbarometers gesehen, da sieht es völlig anders aus. Ich persönlich halte nichts von dieser Umfragendebatte. Beim ZDF liegen wir bei 31 Prozent, bei Herrn Güllner, glaube ich, wieder bei 24 oder 25 Prozent. Also das ist ziemlicher Unsinn, solche Geschichten zu machen, sondern lassen sie uns mal anständige Politik machen, dann gibt es alle paar Jahre eine Wahl und dann weiß man, wie die ausgeht. Dazwischen gibt es viel Geld für Umfragen, die nicht immer ganz aussagekräftig sind.

    Engels: Herr Gabriel, wie froh sind Sie denn, dass Sie in der Rede heute mal nicht über Thilo Sarrazin reden müssen?

    Gabriel: Woher wissen Sie denn, dass ich das nicht tue?

    Engels: Ach! Haben Sie es vor?

    Gabriel: Warten Sie es doch einfach ab.

    Engels: Das warte ich gerne ab. – Wie steht es denn auf der anderen Seite um Ihren Plan, wie lang wird denn dieses Parteiausschlussverfahren dauern?

    Gabriel: Das ist ja sozusagen geregelt im Gesetz und auch in den Statuten der SPD. Jedenfalls ist das nichts, was wir uns leicht machen.

    Engels: Das heißt, das Thema wird die SPD noch lange beschäftigen?

    Gabriel: Ich weiß nicht. Wir sind 150 Jahre alt. Gemessen an dem Alter wird das nicht so ganz lange sein.

    Engels: Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende, heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, und wir sind gespannt auf die Rede und ob Thilo Sarrazin möglicherweise doch darin vorkommt. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Gabriel: Alles Gute. Tschüß!