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Der Irak-Krieg und das Völkerrecht

Durak: Heute Morgen sind die amerikanischen Luftangriffe auf Bagdad fortgesetzt worden. CNN zufolge sind 30 schwere Explosionen gemeldet worden. Außerdem sei ein Luftwaffenstützpunkt außerhalb der Stadt angegriffen worden, und auch aus Basra gab es ähnliche Berichte. Wie viel Blut verträgt denn das Völkerrecht noch? Die Zahl der zivilen Opfer nimmt zu. Gestern gab es 15 Tote auf einem Markt. Es werden nicht die einzigen bleiben wie die Morgenmeldungen zeigen. Wird dadurch erneut das Völkerrecht gebrochen, wenn man diesen Krieg für völkerrechtswidrig hält? Wenn das so ist, wer kann wen zur Verantwortung ziehen und wer hätte den Mut und die Kraft dazu und auch die Kompetenz? Diese Fragen gehen an Professor Dieter Blumenwitz. Er ist Völkerrechtler an der Universität in Würzburg. Schönen guten Morgen, Herr Blumenwitz.

27.03.2003
    Blumenwitz: Guten Morgen, Frau Durak!

    Durak: Wir wollen einmal der Reihe nach gehen. Wir wollen und dürfen auch den USA nicht unterstellen, zivile Opfer in diesem Krieg bewusst einzuplanen und als Teil ihrer militärischen Taktik zu nutzen. Das wäre verbrecherisch. Sind die getöteten Zivilisten ein erneutes Vergehen gegen das Völkerrecht im Kriegszustand?

    Blumenwitz: Das Völkerrecht beschränkt die Anwendung militärischer Gewalt bei der Kriegsführung. Zu den geschützten Personen des humanitären Kriegsvölkerrechts zählen natürlich auch die Zivilpersonen. Objekt militärischer Maßnahmen sind eigentlich nur die Kombattanten oder militärische Objekte. Ein Markplatz zum Beispiel mitten im Zentrum einer belebten Stadt ist kein kriegerisches Objekt. Das Problem liegt in den bekannten Kolateralschäden. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob es sich um ein unvermeidbares Mitbetroffensein der Zivilbevölkerung handelt. Da muss man natürlich sagen, dass die Hightechwaffen versagen können. Wir müssen berücksichtigen, dass möglicherweise Sandstürme oder Rauchentwicklung die Sicht einschränken. Das alles muss der Kriegsführende natürlich kalkulieren. Wenn er seine Waffen nicht gezielt auf militärische Objekte einsetzen kann, dann muss er auf den Waffeneinsatz verzichten. Das nächste Problem ist, wer die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts garantiert, wenn die Zivilbevölkerung mit in das kriegerische Geschehen einbezogen wird. Das könnte dann durchaus ein Kriegsverbrechen sein. Kriegsverbrechen können heute bestraft werden. Es gibt den International Criminal Court. Aber wir alle wissen, dass die Vereinigten Staaten mit diesem Gericht nicht zusammenarbeiten und dass sie andere Staaten, die mit dem Gericht möglicherweise zusammenarbeiten, daran hindern wollen, amerikanische Kriegsverbrecher an das Gericht auszuliefern.

    Durak: Herr Blumenwitz, nun müsste aber zunächst einmal Saddam Hussein vor dieses Gericht. Denn er hat ja militärische Anlagen direkt in Wohngebieten stationiert und damit die eigene Bevölkerung zu Kriegszielen gemacht. Jetzt haben wir aber noch eine andere Frage. Die internationale Vereinigung 'Der Journalistenverband' meint, es müsse eine Untersuchung geben, weil der Angriff auf das irakische Fernsehen unter Umständen gegen die Genfer Konvention verstößt. Aber da erinnern wir uns vielleicht an die geschichtlichen Erfahrungen. Spätestens seit der Pariser Commune war klar 'Besetzt die Telegrafenämter', hieß es früher.

    Blumenwitz: Die Frage ist, ob ein Fernsehsender ein ziviles oder ein militärisches Objekt ist? Da gibt es Propagandasendungen, da wird Kriegspropaganda gemacht. Deswegen ist der freie Fluss von Informationen und Meinungen, der natürlich auch vom humanitären Kriegsvölkerrecht geschützt ist, unterbrochen.

    Durak: Ich komme noch einmal auf das Gericht zu sprechen, vor dem solche Dinge behandelt werden könnten und müssten. Müssen die USA jetzt eigentlich schon zur Verantwortung gezogen werden?

    Blumenwitz: Keine Macht der Welt kann die Vereinigten Staaten vor ein Gericht ziehen. Das könnten eigentlich nur Gerichte in den Vereinigten Staaten selber tun. Die Vereinigten Staaten werden weder mit dem Internationalen Gerichtshof noch mit dem International Criminal Court noch mit irgendeinem anderen Gericht auf dieser Welt in dieser Angelegenheit verhandeln.

    Durak: Ein Wort noch zur UNO. Wir hörten es ja auch diese Nacht wieder. Washington hat wenig Interesse daran, die UNO an der Nachkriegsordnung, am Wiederaufbau zu beteiligen. Welche Zukunft hat die UNO aus Ihrer Sicht unter diesen Prämissen?

    Blumenwitz: Die UNO hat in dem Bereich der Nachkriegsregelung eine Aufgabe. Da sollten wir uns lieber an Tony Blair und weniger an Bush orientieren. Bush will ja das Nachkriegsgeschehen in eigener Regie handhaben. Das wird ihm wohl nicht gelingen. Das wird viel zu teuer werden. Die Vereinigten Staaten sind nicht in der Lage, diese Billionen-Beträge - das sind keine Milliardenbeträge - die der Aufbau letztlich kosten wird, zu erbringen. Es ist eine Milchmädchenrechnung zu glauben, dass der Wiederaufbau aus den Ölerträgen finanziert werden kann. Da stimmen die Verhältnisse nicht.

    Durak: Die USA sind aber sehr wohl in der Lage, über die UNO hinweg zu gehen. Das haben wir ja gerade eben gemerkt.

    Blumenwitz: Sie können eine Friedensordnung nur aufbauen, wenn Sie weltweit Anerkennung finden. Ich kann als einzelner Staat Krieg führen. Ich brauche jedoch die Weltgemeinschaft, um Frieden zu schließen.

    Durak: Der Irak und seine Ölquellen befinden sich ja nun in einer anderen Lage als Afghanistan. Afghanistan ist ja ein ganz armes Land. Beim Irak verhält es sich ja doch ein bisschen anders. Sollten nicht die Ressourcen mit verwendet werden?

    Blumenwitz: Selbstverständlich müssen diese Ressourcen mit verwendet werden. Aber die Einkünfte aus den Ölquellen betragen jährlich vielleicht 5 bis 8 Milliarden. Die Schulden, die der Irak aus der Vorkriegszeit hat, betragen über 80 Milliarden. Wenn dieses Schuldenproblem nicht gelöst wird, dann wird kein Dollar Kredit in dieses Land fließen können. Schon allein bei der Schuldenproblematik sehen wir, dass andere Staaten mitwirken müssen. Für den Wiederaufbau des Landes bedarf es dreistelliger Milliardenbeträge.

    Durak: Vielen Dank, Herr Blumenwitz!

    Link: Interview als RealAudio