Mittwoch, 24. April 2024

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Der Iran nach der Wahl
"Das ist eine Entradikalisierung des Regimes"

Es gebe gute Anzeichen dafür, dass der Iran nach dem Sieg der gemäßigten Kräfte bei den Wahlen jetzt eine konstruktivere und moderatere Politik ansteuere, sagte der Wiener Iran-Experte Walter Posch im DLF. Die Wahl habe weniger einen "Durchbruch zur Demokratie, aber eine wirkliche Stabilisierung und Entradikalisierung des Regimes" gebracht.

Walter Posch im Gespräch mit Doris Simon | 29.02.2016
    Irans Präsident Hassan Rohani
    Irans Präsident Hassan Rohani am Tag nach der Parlamentwahl - er kann zufrieden sein. (AFP / ATTA KENARE)
    Doris Simon: Vor dieser Sendung habe ich gesprochen mit Walter Posch. Er ist Iran-Experte und arbeitet an der Landes-Verteidigungsakademie in Wien. Guten Abend, Herr Posch.
    Walter Posch: Guten Abend!
    Simon: Die politischen Hardliner im Iran sind ja die großen Verlierer bei diesen Wahlen. Die Reformer und die moderaten Konservativen gewinnen deutlich hinzu. Was heißt das für den Iran und für die Politik der Westöffnung?
    Posch: Zunächst einmal heißt es ein positives Zeichen nach innen, dass die Islamische Republik Extremisten auf die Seite drückt und immer weniger politischen Spielraum diesen Gruppen gegenüber gestattet. Andererseits darf man auch nicht vergessen, dass ein Teil dieser Extremisten schon sehr betagte Leute sind, die eigentlich schon mehr aus Gewohnheit im politischen System standen denn aus eigenen Verdiensten. Hinsichtlich der Westöffnung ist anzumerken, dass nicht sofort alle Tore geöffnet werden. Da beginnt erst jetzt ein sehr heikler, sehr vorsichtiger und sehr illusionsloser Prozess, wie weit denn diese Öffnung gehen kann.
    Simon: Und das heißt was, der illusionslose Prozess?
    Posch: Illusionslos heißt, dass man nicht diese überzogenen Hoffnungen hat, weder auf der westlichen Seite. Man weiß, dass Iran sich nicht morgen zur Manchester-Demokratie entwickeln wird. Auf der iranischen Seite auch weiß man, dass die Investitionen und die Gelder nicht so fließen werden, wie man es jetzt dringend für den Arbeitsmarkt notwendig hätte. Aber man weiß eines und das ist der große Unterschied zu früheren Jahren, dass bei aller Ernüchterung, die sich schon eingestellt hat gerade auf der wirtschaftlichen Seite, beide Seiten eine Annäherung suchen und diese ernsthaft vorbereiten.
    Simon: Führen Sie, Herr Posch, das veränderte Wahlverhalten und jetzt auch den Erfolg der Reformer und der Moderaten direkt auf den Atomvertrag und das Ende der Sanktionen zurück?
    "Durch die Macht des Faktischen, sind mehr Reformkräfte zum Zuge gekommen"
    Posch: Nein, das kommt in einem Paket. Das ist ein langer Prozess, der 2010 begonnen hat, wo auch auf der obersten Führung die Einsicht gereift hat, dass man mit dieser Art von Konfrontation nicht nur nicht weiterkommt, sondern sich auch im eigenen Land der eigenen Bevölkerung gegenüber schadet. Das war dann der Versuch, moderatere Kräfte wieder in das Spiel zu bringen, nicht alle Reformkräfte auszuschalten, und dieser Versuch hat darin gemündet, dass jemand wie Rohani, der ja beides ist - er ist einerseits ein politisch moderater Konservativer und auf der anderen Seite ein Sicherheitsfachmann, der aus dem Herz des iranischen Sicherheitsapparates kommt. Mit seiner Wahl war es dann möglich, Schritt für Schritt in der Politik einen moderateren Kurs zu beginnen, und in diesem Zusammenhang ist der Atom-Deal zu sehen. Es stimmt allerdings: Ohne den Deal wäre die Energie der Moderation und die Kraft Rohanis verblasst.
    Simon: In der ganzen Entscheidung muss man ja auch auf den Wächterrat im Iran schauen. Der Wächterrat, bislang ja erzkonservativ, der hat die meisten Kandidaten der Reformer ja vorab schon von der Wahl ausgeschlossen. Weswegen haben es trotzdem so viele ins Parlament geschafft?
    Posch: Ich glaube, dass die Macht des Wächterrates auch vom Wächterrat ein bisschen übertrieben worden ist. Man hat nicht unbegrenzte Macht im Iran. Das gilt für alle Gruppen. Das mag man bei den Reformkräften beklagen, aber im jetzigen System muss man sagen, dass es auch gerade die radikalen Kräfte benachteiligt hat in dem Sinne, dass sie nicht jeden und jede ausschließen konnten, wie sie denn wollten. Dieser Druck, der auch in der Bevölkerung war, der war der politischen Führung schon klar, und dadurch, durch die Macht des Faktischen, sind auch mehr Reformkräfte zum Zuge gekommen.
    Simon: Die sind ja auch im Expertenrat mehr zum Zuge jetzt gekommen. Das ist ja ein Kleriker-Gremium. Wie erklären Sie sich da die Veränderung? Sind auch die Kleriker beeindruckt von den neuen Zeiten?
    "Die wichtigsten Reformpolitiker kommen aus den Tiefen des Klerus"
    Posch: Die wichtigsten Reformpolitiker wie Khatami und Rohani sind ja Kleriker. Die kommen ja aus den Tiefen des Klerus. Das Bild, das dort der Klerus dem Volk seine Entwicklung verweigern würde, stimmt ja so nicht ganz. Wichtiger ist, dass im Klerus dasselbe stattgefunden hat wie im offenen politischen Kandidatenbereich, nämlich dass die Extremisten neutralisiert worden sind. Denken Sie daran, dass Extremisten, die kein Blatt vor den Mund genommen haben, die sehr destruktiv waren, nun nicht mehr Mitglieder sind. Das sind schon Zeichen einer allgemeinen Richtung in Moderation. Weniger Durchbruch zur Demokratie, aber eine wirkliche Stabilisierung und Entradikalisierung des Regimes.
    Simon: Wenn Sie von Stabilisierung und Entradikalisierung des iranischen Regimes sprechen, was geht denn dann möglicherweise in der Zukunft, auch mit Blick auf uns im Westen, was bislang nicht ging?
    Posch: Der erste Punkt, der einmal funktionieren und anlaufen muss, ist, dass die Frage der Sanktionen geklärt wird, weil dafür war ja der Iran bereit, die Konzessionen zu machen. Das, glaube ich, geht einmal als erstes. Zweitens: Wenn einmal das genügende Vertrauen aufgekommen ist, dann kann man weitere Schritte überlegen und einmal schauen, wo überschneiden sich denn unsere strategischen Interessen mit den Iranern jenseits von Öl. Da kommt die leidige Frage des IS dazu, da kommt die Frage anderer extremistischer Bewegungen dazu, da kommt auch die Frage, wie bindet man einen Iran in einen hoffentlich bald stattfindenden Waffenstillstand in Syrien mit ein. Das ist dann alles möglich, aber eben nur dann möglich, wenn der Iran eine konstruktivere und eine moderate Politik ansteuert, wofür es jetzt gute Anzeichen gibt.
    Simon: Herr Posch, schauen wir noch mal auf die Wahlen. Nach den Wahlen hat ja kein Lager eine ganz eindeutige klare Mehrheit im Parlament. In Teheran, da dominieren die Reformer absolut, auf dem Land sind die Konservativen noch stark. Ist das ein ganz normaler üblicher Stadt-Land-Gegensatz, den wir auch woanders haben, oder geht da ein Spalt durch die iranische Gesellschaft?
    "Die Extremisten sind verschwunden, auf beiden Seiten"
    Posch: Na ja, alle Gesellschaften im Nahen Osten sind dramatisch gespalten in verschiedene Lager und Richtungen, die sich sozial oder gar ethnisch zuordnen lassen. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Stadt und Land oder zwischen Teheran und dem Rest vom Iran vergleichbar mit anderen Regionen, die riesige Metropolstädte haben und eine noch sehr traditionelle rurale Gesellschaft. Ich würde auch den Gegensatz nicht so dramatisch vor einem anderen Hintergrund sehen. Ja, es stimmt: Das Land ist konservativ. Das heißt aber nicht, dass das Land extrem wäre. Und der wichtige Punkt ist ja der, dass sowohl in der Stadt als auch auf dem Land Extremisten, also jene, die irreguläre Milizen gefördert haben, die vor dem Gebrauch der Waffe in der Hand nicht zurückgeschreckt haben, dass diese Gruppen verschwunden sind, und zwar auf beiden Seiten. Fragen des Lebensstils: Teheran wird immer liberaler sein als das Land und das Land immer konservativer als Teheran. Das würde ich sogar als eine potenzielle Chance für eine Weiterentwicklung der iranischen Demokratie sehen.
    Simon: Walter Posch ist Iran-Experte an der Landes-Verteidigungsakademie in Wien. Herr Posch, vielen Dank für dieses Interview.
    Posch: Danke! Schönen Abend!
    Simon: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.