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Der Kampf gegen rituelle und sexuelle Gewalt
Zwischen Angst und Aufarbeitung

Rituelle und organisierte sexuelle Gewalt gerät immer mehr ins Blickfeld der Politik. Aber der Kampf dagegen ist schwierig: Den Betroffenen wird oft nicht geglaubt und die Ermittlungserfolge der Polizei sind bescheiden.

Von Isabel Fannrich | 27.05.2018
    Ein junges Mädchen steht am Ende eines dunklen Flures.
    Betroffene sind von frühester Kindheit an extremer psychischer, physischer und sexueller Gewalt ausgesetzt (dpa / Nicolas Armer)
    "Ich wurde in einen Kult hinein geboren - egal ob man das jetzt Kult nennt oder ob man das Gruppe nennt, der Hintergrund ist immer eine Ideologie, und dort wurde ich hinein geboren. Das heißt dass meine Eltern auch schon in diesem Kult waren und auch wahrscheinlich über ihre Eltern dort hinein kamen. Das geht ja oftmals über Generationen hinweg."
    Sabine Weber sitzt an diesem Frühlingstag in einem Berliner Straßencafé.
    Die 50-Jährige erzählt, was in Deutschland viele nicht für möglich halten: In einem satanistischen Kult war sie von frühester Kindheit an extremer psychischer, physischer und sexueller Gewalt ausgesetzt - bis ins hohe Erwachsenenalter.
    "Das fängt an, dass man als Kind auf einen Altar gelegt wird und man erst sozusagen vom Hohepriester vergewaltigt wird und anschließend dürfen alle anderen Männer, die drum herum stehen, über einen herfallen. Die singen sich auch in Ekstasen hinein. Das fängt an, dass man in kleine Kisten eingesperrt wird, die viel zu klein sind für so einen kleinen Kinderkörper und erst im letzten Augenblick raus geholt wird kurz vor dem Ersticken. Das fängt an bei Leichenschändungen etc., aber viel mehr will ich da jetzt nicht drauf eingehen."
    Viele Therapien liegen hinter Sabine Weber, den Kontakt zu ihrer Familie hat sie abgebrochen, sie ist mehrfach umgezogen. Heute, nachdem sie ihren Schulabschluss nachgeholt hat, studiert sie Soziale Arbeit und hilft im Traumahilfe-Zentrum München anderen Betroffenen ritueller Gewalt beim Ausstieg.
    Sabine Weber ist kein Einzelfall. Und damit gerät ein lange tabuisiertes Thema in den Fokus der Politik: Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen geht in Deutschland weit hinaus über einzelne Vergehen in Familien, im Bekannten- und Freundeskreis, in Sportvereinen oder an Schulen. Organisierte Formen von Gewalt wie ritualisierter Missbrauch aber auch Kinderpornografie oder -prostitution geraten in den Blick.
    Das Thema gewinnt öffentlich an Bedeutung
    Im April hat der Fachkreis "Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen" beim Bundesfamilienministerium "Empfehlungen an Politik und Gesellschaft" vorgelegt. Experten und Betroffene wie Sabine Weber haben diese hinter verschlossenen Türen diskutiert. Die Sozialwissenschaftlerin und Mitverfasserin Claudia Igney spricht von einem Meilenstein:
    "Diese Expertise, die dort entstanden ist, enthält Empfehlungen gerade für den Bereich Prävention, Intervention, Schutz und Hilfe und Unterstützung für Betroffene, der Bereich Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung, Aufklärung und Sensibilisierung, Fortbildung. Und wir haben lange darüber diskutiert, überhaupt auch eine Definition für diesen Bereich zu finden. Weil auch das ist ein missliches Problem, dass es international keine einheitlich gebräuchliche Definition für diesen Bereich gibt."
    Diese lautet jetzt:
    "In organisierten und rituellen Gewaltstrukturen wird die systematische Anwendung schwerer sexualisierter Gewalt (in Verbindung mit körperlicher und psychischer Gewalt) an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen durch die Zusammenarbeit mehrerer TäterInnen bzw. TäterInnennetzwerke ermöglicht und ist häufig verbunden mit kommerzieller sexueller Ausbeutung (Zwangsprostitution, Handel mit Kindern, Kinder-/Gewaltpornografie). Dient eine Ideologie zur Begründung oder Rechtfertigung der Gewalt, wird dies als rituelle Gewaltstruktur bezeichnet."
    Seit 30 Jahren behandelt die Psychotherapeutin Ursula Gast Menschen, die Gewalt in rituell-ideologischen Gruppierungen erlebt haben oder als Kinder zu Pornografie oder Prostitution gezwungen wurden. Auch sie nimmt wahr, dass das Thema öffentlich an Bedeutung gewonnen hat.
    "Als ich angefangen habe, war das ein derartiges Tabu, dass ich mich sehr sehr alleine damit gefühlt habe. Inzwischen gibt es sehr viel mehr Kolleginnen und Kollegen, die sich damit befasst haben, es gibt ein Netzwerk in Traumafachgesellschaften und in Beratungsinitiativen, die eine unglaubliche Lobbyarbeit gemacht haben, auch Betroffene, die Lobbyarbeit gemacht haben, damit das auch in der Politik bekannter wird über diese Aufarbeitungskommission, das ist ein sehr wichtiger Erfolg."
    Betroffene, Psychotherapeuten und Beratungsstellen berichten von Dutzenden oder gar Hunderten Fällen ritueller sexueller Gewalt. Diese findet in christlich-fundamentalistischen, rechtsextremen und satanistischen Gruppierungen statt. Dabei wird auf bekannte Fälle von Folter und Missbrauch verwiesen, etwa in der chilenischen Sekte Colonia Dignidad oder durch den belgischen Sexualstraftäter Marc Dutroux.
    Trotzdem gibt es ein großes Problem: Die Ermittlungserfolge der Polizei sind sehr bescheiden. Dagmar Bethke ist Beauftragte für Kriminalitätsopfer im bayerischen Polizeipräsidium Schwaben Süd/West, auch sie gehört zu den Fachleuten, die über die Präventions-Empfehlungen im Bundesfamilienministerium beraten haben. Bethke meint, die Polizei tue sich leichter, bei Kinderpornoringen oder Menschenhandel zu ermitteln als bei ritueller Gewalt.
    "Ich weiß, dass es in Bayern schon Verfahren gab, wegen Verdacht des rituellen sexuellen Missbrauchs, und keines dieser Ermittlungsverfahren, die mit einem immens hohen Ermittlungsaufwand geführt wurden, konnten das so beweisen. Es wurden Einzeltaten wie sexueller Missbrauch schon verurteilt, aber bisher konnte strafrechtlich nie dieser organisierte Hintergrund, dieser ritualisierte Hintergrund nachgewiesen werden."
    Anders sieht es beim sogenannten Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung aus. Zwar liegen dem Bundeskriminalamt zum "organisierten sexuellen Missbrauch von Kindern keine ausreichenden Informationen" vor, heißt es auf Nachfrage. Allerdings berücksichtigt das BKA im jüngsten "Bundeslagebild Menschenhandel" von 2016 erstmals auch die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen. Darin heißt es:
    "Ein Großteil der minderjährigen Opfer wurde sexuell missbraucht und ausgebeutet, von 214 minderjährigen Opfern betraf dies 102. Insgesamt 74 Opfer wurden in der Wohnungs- und Hotelprostitution angetroffen. 17 Opfer wurden im Zusammenhang mit der Herstellung von Kinder- und Jugendpornografie missbraucht."
    Erstmals größeres Forschungsprojekt
    In Freiburg zum Beispiel war die Polizei erfolgreich. Nach einem anonymen Hinweis konnte sie dort im vergangenen Winter nicht nur eine Mutter und ihren vorbestraften Lebensgefährten überführen, die den neunjährigen Sohn der Frau missbraucht haben. Auch wurden Männer aus Frankreich, Spanien und der Schweiz ermittelt, an die der Junge zeitweise verkauft worden sein soll.
    Diese Männer wiederum hatten die Bilder des Missbrauchs ins Internet gestellt, waren aber nicht untereinander vernetzt, betont Jörg Biehler, bei der Freiburger Polizei für Kapitalverbrechen zuständig. Trotzdem handelt es sich um organisierte Kriminalität, da die Mutter und der Lebensgefährte den Missbrauch organisierten, um Einkünfte zu erzielen, räumt der Kommissar ein.
    "Ein Täter war auch dabei, der relativ viel auch freiwillig bezahlt hat. Diese Filme, die diese Täter gefertigt haben mit Videokameras und Handys, das ist letztendlich ein Nebenprodukt. Hier ging es ursprünglich hauptsächlich um Vergewaltigung, um schwere Vergewaltigung, hier geht es um schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, es geht um Zwangsprostitution, Menschenhandel, Körperverletzung, Beleidigung."
    Experten sprechen von einem günstigen Zeitpunkt, das Thema "ritueller und organisierter sexueller Kindesmissbrauch" wieder auf die politische Agenda zu setzen. Bereits 1998 hatte die Enquete-Kommission des Bundestags Experten zu ritueller Gewalt befragt und stellte einen Widerspruch fest: Die Psychotherapeuten berichteten von Fällen, während die Polizei Verdachtsmomente nicht bestätigte.
    Erst nach den im Jahr 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsfällen an der Odenwaldschule und anderen reformpädagogischen Einrichtungen fand die erste unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs klare Worte. Christine Bergmann schrieb 2011 in ihrem Abschlussbericht an die Bundesregierung zur Existenz ritueller Gewalt:
    "Sowohl Praxiserfahrungen als auch Betroffenenbefragungen zeigen ein komplexes Problemgeflecht aus massiver sexueller und körperlicher Gewalt, schweren Straftaten, ideologischen Indoktrinierungen u. a. mit Mind-Control-Techniken und dem Zwang zur Geheimhaltung."
    Auch Johannes-Wilhelm Rörig, Nachfolger im Amt der Missbrauchsbeauftragten, verlangt von der Politik, rituelle und organisierte kriminelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche intensiver zu bekämpfen. Er fordert, schon in der Schule darüber aufzuklären und mehr finanzielle Mittel in die Hilfen für Betroffene und die Prävention zu investieren.
    "Dass man nicht versucht, das Thema, nur weil es dazu keine Strafverfahren und keine Strafurteile gibt, einfach vom Tisch zu wischen. Es ist so, dass es rituelle sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gibt. Es gibt auch organisierte Ringe, die sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche organisieren. Da glaube ich den Vorbringen der Betroffenen und auch den Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die mit Opfern sexueller Gewalt im rituellen Kontext zusammenarbeiten."
    Um belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, wird das Thema aktuell erstmals in einem größeren Forschungsprojekt untersucht. Mit Hilfe der Aufarbeitungs-Kommission haben Wissenschaftler am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bislang 165 Betroffene und 174 professionelle Helfer online befragt.
    "Der Beginn war immer im Kindesalter"
    Ausgangspunkt war die Annahme, dass sexualisierte Gewalt nicht nur durch einzelne, sondern auch durch miteinander kooperierende und organisierte Täter erfolgt – und davon mehrere Opfer betroffen sind, sagt Susanne Nick vom Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des Klinikums:
    "Das Ziel der Studie ist, überhaupt erst mal Zahlen zu erheben zu Menschen, die organisierte und/oder rituelle Gewalt erlebt haben in Deutschland und in psychotherapeutischer Versorgung sind oder in Beratungskontexten sich befindet. Wen gibt es da eigentlich? Was haben die bisher in Anspruch genommen? Wer waren die Professionellen, die sie begleitet haben? War das hilfreich oder nicht? Was waren die Gewalterfahrungen von den Betroffenen, die sich melden? Was sind möglichen psychischen Erkrankungen infolge dessen?"
    Für die Psychologin bestätigen die ersten Ergebnisse, dass die Übergänge fließend sind zwischen Täternetzwerken, die Menschen kommerziell sexuell ausbeuten, etwa für Prostitution, und solchen, die zusätzlich Ideologien zur Rechtfertigung nutzen.
    "Der Beginn war immer im Kindesalter, bei einem sehr großen Teil im frühen Kindesalter, das heißt um die drei Jahre. Und die Dauer der Gewalt war lange, also oft bis ins Erwachsenenalter hinein, was sich auch mit der klinischen Erfahrung deckt – also Betroffene haben sehr viel Mühe, aus diesen Kontexten rauszukommen. Oft hält die Gewalt noch an, auch wenn sie Behandlung aufsuchen oder sich in Beratung begeben, sind sie oft noch nicht raus."
    Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten hat nach eigenen Angaben den Ausstieg geschafft. Die Betroffenen sind durchschnittlich 40 Jahre alt und zu mehr als 90 Prozent weiblich. Meist haben sie wegen gesundheitlichen und psychischen Einschränkungen eine Therapie begonnen. Sie stellen Erinnerungslücken fest, ihr Leben wird von inneren Konflikten, panischen Ängsten oder Essstörungen geprägt.
    Bei einem hohen Prozentsatz verbirgt sich dahinter eine Dissoziative Identitätsstörung, die Aufspaltung in mehrere Persönlichkeiten. Die Psychotherapeutin Ursula Gast bestätigt diesen Befund:
    "Menschen mit dieser Störung erleben und verhalten sich so, als würden sie aus verschiedenen Persönlichkeiten bestehen, als würden in einem Körper verschiedene Menschen leben. Und diese psychische Konstellation, die haben sie praktisch entwickeln müssen, weil sie als Kind so grausame Dinge erlebt haben und ständig in Angst gewesen sind. Also wenn sie nachts erlebt haben, dass der Vater zu ihnen ans Bett kam und sie sexuell missbraucht hat und sie sitzen am nächsten Morgen mit ihm am Küchentisch, dann ist das besser, das zu vergessen, das radikal auszublenden, weil das sofort Stress macht."

    Ein Teil der Täter scheint diese Spaltung gezielt herbei zu führen, sagt Claudia Igney, die den Expertenbericht an das Familienministerium mitverfasst hat:
    "Nehmen wir an, das Kind hat eine Persönlichkeit A, die darauf abgerichtet ist, schwerste Schmerzen, sadistische Praktiken auszuhalten, wo andere Kinder vielleicht sehr schnell kollabieren würden. Und dann gibt es vielleicht einen anderen Teil, der gelernt hat, in einer bestimmten Inszenierung bestimmte Schritte genau einzuhalten, bestimmte Abfolgen. Und es gibt noch einen dritten Anteil, der darauf konditioniert wurde, bei extremer Gewalt Lust zu empfinden oder sie vorzutäuschen. Und auch dafür gib es tatsächlich einen Markt."
    Nur die unfertige Persönlichkeit von Kindern lässt sich so gezielt spalten, berichten die Experten. Ältere Menschen sind davon weniger betroffen. Ohne Therapie bleibt die Spaltung bis ins Erwachsenenalter bestehen. Diese garantiert den Tätern zumeist auch, dass nach außen nichts bekannt wird.
    Die Taten sind häufig verjährt
    Ellen Engel kennt das Phänomen. Die Rechtsanwältin hat bislang rund 20 Menschen unterschiedlichen Alters vertreten, die in ihrer Kindheit von sexueller Gewalt betroffen waren – und es teilweise noch sind. Sie vermutet, dass die Kinder gezielt verwirrt und auf nicht nachvollziehbaren Wegen zu den Tatorten in Wäldern, Höhlen und Kellern gebracht wurden, um später nicht darüber aussagen zu können.
    "Da wird gearbeitet tatsächlich mit Mitteln, dass die Zeugen unglaubwürdig sind. Kinder schildern, dass sie missbraucht wurden von Personen, die aussehen wie Drachen beispielsweise. Wenn man das einem Polizeibeamten irgendwo in Deutschland sagt, dann schüttelt der den Kopf und denkt: Meine Güte, welchen Film hat das Kind denn da gesehen, dass es solche Dinge schildert. Und das ist auch bei den Gutachtern weit verbreitet, dass sie solche Dinge aufgreifen und sagen, das kann ja nicht real sein diese Erinnerung."
    Auch Sabine Weber, die in einer satanistischen Sekte groß geworden ist, kam deshalb mit ihrer Anzeige bei der Polizei nicht weiter:
    "Mir wurde gesagt, das hätte man mir eingeredet. Das war so die Aussage. Es ist auch nicht so, dass die Polizei nicht ermittelt. Die haben ermittelt. Aber die haben tatsächlich nichts mehr ausreichend gefunden, um wirklich die Täter dingfest zu machen oder um Strafanzeige zu erheben."
    Die Taten sind häufig verjährt. Die Opfer können keine Beweise vorlegen, sich nicht mehr genau an die Tatorte erinnern – und fallen beim gerichtlich geforderten Glaubwürdigkeitsgutachten durch. Kein Wunder also, dass selbst die Experten im Polizeiapparat daran zweifeln, dass es rituelle, organisierte sexuelle Gewalt gibt.
    Traumafachleute gehen dennoch davon aus, dass die Erinnerung an lebensbedrohliche Gewalt mit der Realität übereinstimmt. Allerdings können gerade einige der Details, die für die Polizei interessant sind, im Gedächtnis ungenau oder - nach bewusster Täuschung - verfälscht abgespeichert sein. Ursula Gast versucht, in ihrer therapeutischen Arbeit konstruktiv damit umzugehen:
    "Das heißt, meine Haltung als Traumatherapeutin ist, skeptisch zu glauben und empathisch zu zweifeln. Ich höre mir das an und wenn ich selber denke, upps, da habe ich Zweifel an der Glaubwürdigkeit, dass ich dann auch schaue, wie kann ich die Patientin ermutigen, sich auf die Wahrheitssuche zu machen."
    Obwohl die Opfer ritueller, organisierter Gewalt mittlerweile mehr Gehör finden, bleibt ein Dilemma: Durch Drohung oder Manipulation verhindern die Täter, die zu allen Teilen der Gesellschaft gehören, dass die Betroffenen zur Polizei gehen. Und damit werden auch keine Namen bekannt.
    Noch habe sie keine Frau kennengelernt, die es geschafft hat, aus rituellen Gruppierungen auszusteigen, sagt Rechtsanwältin Ellen Engel, und nach der Therapie mutig ein Strafverfahren durchzuziehen.
    "Ich würde mir wünschen, dass auch Menschen mit Traumatisierungen und Dissoziationen geglaubt wird. Es müssten Mechanismen entwickelt werden, festzustellen, ob diese Menschen die Wahrheit sagen. Und man könnte möglicherweise Gutachter besonders schulen, man müsste Polizeibeamte schulen, Staatsanwälte und Richter. Ganz oft erlebe ich bei Gerichten, dass die den Begriff Trauma überhaupt nicht kennen oder absolut ablehnen."
    Um die Strukturen besser zu erkennen, sollten die bekannten Fälle in einem zentralen Register zusammengeführt werden, fordert die Juristin.
    Das könnte sich lohnen: Sabine Weber erzählt, dass sie allein im vergangenen Jahr mit 70 Betroffenen ritueller Gewalt gesprochen hat – und sie zeigt sich optimistisch angesichts der zunehmenden Aufklärung. Noch vor drei Jahrzehnten habe zum Beispiel niemand öffentlich über Kindesmissbrauch gesprochen.
    "Heute macht man das, und das ist so meine Hoffnung. Ich hoffe nicht, dass wir noch 30 Jahre brauchen, dass man über rituelle Gewalt sprechen kann. Nur wenn es öffentlich ist, dann wird es auch handhabbar."