Archiv


"Der lachende Dritte wird Deutschland sein"

Hans-Werner Sinn ist der Ansicht, dass Deutschland vom Handelsstreit zwischen China und den USA profitieren wird. Man dürfe die Exporterfolge nur nicht mit einer "überbordenden Lohnpolitik" wieder kaputt machen.

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Die Tagung des Internationalen Weltwährungsfonds und der Weltbank stand im Schatten eines sogenannten Währungskriegs. IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn gebrauchte selbst diesen Begriff. Fest steht, dass manche Länder, vor allem China, ihre Währungen als Waffe nutzen, um ihre Wettbewerbssituation zu verbessern. Gefährdet das die Erholung der Weltwirtschaft? Rutschen wir da in eine neue Phase von Protektionismus? – Zu diesen Fragen und Gefahren wollen wir nun mit dem Chef des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in München, Professor Hans-Werner Sinn, sprechen. Zunächst mal guten Morgen, Herr Sinn.

    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Sinn, wie es scheint, ist man in Washington bei der Herbsttagung von IWF und Weltbank nicht viel weiter gekommen. Droht uns nun ein Währungskonflikt beziehungsweise ein Wettlauf bei der Abwertung der größten Währungen und damit ein Inflationsschub?

    Sinn: Dieser Wettlauf bei der Abwertung, der findet offenbar statt, denn die Amerikaner versuchen, durch eine lockere Geldpolitik ihre Währung abzuwerten, um die Exporte zu stärken, die Japaner haben das gemacht, die Südkoreaner auch, die Brasilianer auch. Inflation? – Nun gut! Wenn Inflation, dann in den Ländern, die abwerten, und natürlich das Gegenteil in den anderen Ländern. Da geht es dann mehr in die deflationäre Richtung.

    Liminski: Was bedeutet das für die Weltwirtschaft? Droht hier eine neue Krise?

    Sinn: Diese Situation erinnert so ein bisschen an die Zeit nach der großen Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932, als die Wirtschaft dann auch nur so zögerlich wieder auf Trab kam, und da haben sich die einzelnen Länder versucht, durch Abwertung ihrer Währung einen Startvorteil zu schaffen. Man macht sich künstlich billiger, stimuliert dadurch die Exporte und den anderen Ländern fällt es schwer, selbst zu exportieren. Das ist insgesamt ein Nullsummenspiel. Was das eine Land da konjunkturell gewinnt, verliert das andere Land. Es ist nicht per se bereits eine Gefährdung der Weltwirtschaft, das würde ich nicht meinen, aber wenn dadurch Volatilität, also viel Unsicherheit bei den Wechselkursen entsteht, dann im zweiten Schritt kann es tatsächlich eine Gefährdung des Handels und eine Rückkehr zu früheren Zeiten bedeuten. Schlimm finde ich protektionistische Maßnahmen, wie sie jetzt die Vereinigten Staaten gegenüber China ergriffen haben, um eben die heimische Industrie gegenüber Billigimporten aus China zu schützen. Wenn das um sich greift bedeutet das ja, dass man den Welthandel wieder zurückdrängt, der die Quelle einer erheblichen Wohlstandsmehrung in allen Ländern war.

    Liminski: Aber wäre es nicht ehrlich auch für die Europäer, zum Beispiel Zölle auf chinesische Waren zu erheben? China hat ja einen enormen Wettbewerbsvorteil wegen der geringen Arbeitskosten, den wir gar nicht wettmachen können, schon weil unsere Sozialsysteme die Arbeitskosten hochhalten. Man könnte das ja nicht Strafzölle, sondern Kompensationszuschlag auf chinesische Waren nennen oder so.

    Sinn: Na ja, in dem Maße, wie man das tut und den Handel verringert, verringert man natürlich auch die eigenen Exporte, denn dann haben die Chinesen ja nicht das Geld, um bei uns die Waren zu kaufen. Also es ist ein Bumerang und dieser Bumerang kommt insbesondere auf Deutschland zurück, denn Deutschland ist ja Exporteur von Investitionsgütern. Das sind nun gerade nicht die Güter, die die Chinesen exportieren. Im Gegenteil: Die Chinesen spezialisieren sich auf Konsumgüter, Textilien, auch billige Elektronik und so weiter. Das haben wir ja alles nicht. Seien wir doch froh, dass wir diese billigen chinesischen Waren kaufen können. Das hilft unserem Lebensstandard und zweitens gibt es den Chinesen das Geld, um unsere Ausrüstungsgüter zu kaufen. Also haben beide was davon.

    Liminski: Das heißt, Sie sind auch gegen die Strafzölle, die die Amerikaner nun gegen die Chinesen erheben wollen?

    Sinn: Ja, ja. Das ist keine sinnvolle Entwicklung. Das muss man ja folgendermaßen verstehen: Die chinesische Währung war immer gering bewertet, und zwar durch politischen Einfluss. Das bedeutete, dass China einen riesigen Handelsüberschuss mit den USA hatte. Die hatten sehr viel Geld, sehr viele Dollars praktisch eingenommen in diesem Handelsüberschuss, aber das Geld hatten sie bislang wieder zurückgegeben nach Amerika, indem sie amerikanische Staatspapiere kauften, und das ist der Unterschied. Die Chinesen haben jetzt Angst gekriegt vor einem Verlust ihres Geldes, weil sie befürchten, dass Amerika eines Tages vielleicht doch auch in Finanznöte kommt, denn der Staat ist ja riesig verschuldet, die Schuldenquote geht auch gegen 100 Prozent, nächstes Jahr, spätestens übernächstes Jahr, und so sind sie also ausgestiegen aus dem Kauf dieser amerikanischen Staatspapiere. Jetzt werden die Amerikaner ärgerlich und sagen, also dann akzeptieren wir jetzt nicht mehr eure Außenhandelsüberschüsse, sondern jetzt machen wir was dagegen mit Importzöllen.

    Liminski: Wer wird denn nun die Zeche für diese Streitereien in Währung und Handel zahlen? Eigentlich haben autokratische Regime wie das in China ja doch einen Vorteil: Sie brauchen auf niemanden Rücksicht nehmen, tun es ja auch nicht.

    Sinn: Ich glaube, das wird sich in Grenzen halten. Ich glaube auch, dass China zum Schluss doch eine Aufwertung akzeptieren wird. Das ist aber letztlich schwierig für Amerika in jedem Fall. Amerika, wie man es auch dreht und wendet, wird Probleme haben, denn wenn die Chinesen den Überschuss im Außenhandel nicht mehr haben, dann gibt es auch keine Kapitalexporte aus China mehr, und der größte Kapitalimporteur der Welt ist Amerika. Amerika hat ja über seine Verhältnisse gelebt, indem man also wunderschöne Zertifikate erfunden hat, also Papier verkauft hat an die Welt, um dafür echte Güter einzutauschen, und dieses Geschäft, das macht der Rest der Welt jetzt nicht mehr mit, die Chinesen eben auch nicht, und es ist für die Amerikaner in jedem Fall eine schwierige Situation. Selbst wenn sie den Export, den eigenen Export beflügeln können, bleibt das Problem, dass der gesamte Binnenmarkt kollabiert ist über den Bausektor. Wir haben einen Rückgang der Neubautätigkeit für Einfamilienhäuser um 80 Prozent gehabt gegenüber der Spitze der letzten Jahre und es tut sich da immer noch nichts. Wir haben im Gegenteil das Double-Dip-Phänomen, das ist eingebrochen, ein bisschen angestiegen und bricht jetzt weiter ein. Also die Amerikaner wissen eigentlich nicht mehr ein und aus.

    Liminski: Könnte es einen lachenden Dritten dieser Streitereien geben, etwa die Schwellenländer Brasilien oder Indien?

    Sinn: Die werden weiter wachsen, die sind auf einem dynamischen Pfad, und der lachende Dritte wird Deutschland sein, denn Deutschland hat im Euro in den letzten 15 Jahren, auch schon in der Vorbereitungszeit, wo die Wechselkurse fix waren, wie man sagt, real abgewertet, dadurch, dass unsere Preise und Löhne nur langsamer gestiegen sind als die der anderen Euroländer. Die reale Abwertung, die damit verbunden war, betrug handelsgewichtet gegenüber den anderen Euroländern 18 Prozent. Das ist gigantisch. Wir sind also billiger geworden. Gut waren wir ja nun immer schon, aber wir waren früher ein bisschen teuer, und jetzt sind wir auch noch billig geworden und dadurch kamen unsere Exporterfolge, und die nimmt uns jetzt auch so schnell keiner, es sei denn, wir machen sie mit einer überbordenden Lohnpolitik wieder kaputt.

    Liminski: Der lachende Dritte sind die Deutschen. Das sagt hier im Deutschlandfunk Hans-Werner Sinn, Chef des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in München. Besten Dank für das Gespräch, Herr Sinn.

    Sinn: Gerne.