Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Der neue Film von Lars von Trier
Kino als Provokation

Müssen wir uns wirklich in die Innenansicht eines Serienkillers begeben? Nein. Es sei denn, wir wollen den Blick werfen auf die Darstellung von Gewalt in der Kino- und Kulturgeschichte. Wie es Lars von Trier in seinem neuen Film „The House That Jack Built“ getan hat.

Von Hartwig Tegeler | 27.11.2018
    Lars von Trier posiert in Cannes
    Der Regisseur Lars von Trier 2018 in Cannes (picture alliance / MAXPPP / Frédéric Dugit)
    "Sie könnten ein Serienmörder sein! Na ja, so ein bisschen sehen Sie auch wie einer aus."
    Bedrückende Bedrohlichkeit ist vom ersten Bild an gegeben, trotz des absurd, morbiden Humors. Die elegante Frau am Straßenrand, Autopanne - steigt zu Jack in dessen Lieferwagen und fängt an zu plappern. "Na ja, ich würde einfach den Wagenheber nehmen und ihn einfach auf den Kopf schlagen." Am Ende dieses ersten von fünf Morden schlägt Jack der Frau tatsächlich den Wagenheber über den Kopf.
    Vier weitere Morde werden geschehen. "Wenn du das Bedürfnis hast zu schreien…."die wir in Lars von Triers Film "The House that Jack Built" sehen. "… solltest du das jetzt tun." All diese Morde, in all ihrer Gnadenlosigkeit und Brutalität erleben wir aus der Perspektive von Jack – gespielt von Matt Dillon.
    Mord als Kunstwerk
    Jack begreift jeden Mord als Kunstwerk; am Ende will er die perfekte Installation aus gefrorenen Leichen in dem Lagerhaus schaffen, in das er seine Opfer schleppt. So möchte er das titelgebende Haus schaffen, dessen Bau bisher immer gescheitert war. "The House that Jack Built". Und dann ist da noch die Stimme - die anfangs, die Jacks Taten reflektiert und kommentiert: "Ich weiß, Sie wollen etwas jemand Besonderer sein, Jack. Aber ganz ehrlich, dieses Leidensbild passt zur Leidensgeschichte jedes Suchtkranken. Der Alkoholiker leert die Flasche auch auf dem Zenit. Et cetera, et cetera."
    Also diese Stimme – von Bruno Ganz - die Jack auf diesem Weg zwölf Jahre lang begleitet, irgendwo in einem fiktiven Amerika irgendwann in den 1970ern. Dann wird die Stimme als Person sichtbar. Ihr Name "Verge". Was man sich als Verballhornung des Namens von Vergil, des römischen Dichters, vorstellen mag.
    Reise durch die Höllenkreise
    Womit sich wiederum – so, wie sich irgendwann die Wand des Lagerhauses öffnet – eine weitere Ebene in Lars von Triers Film "The House that Jack Built" auftut: Denn der, der in Dantes "Göttliche[r] Komödie" den Reisenden durch die Höllenkreise führt, ist der römische Dichter Vergil. Wie Verge Jack begleitet. Und in der Tat finden wir auch bei Lars von Trier - wie bei Dante - das Bild desjenigen, der verloren im Wald auf ein Licht zugeht. Dieses Licht ist nicht das des Himmels, sondern das der Hölle.
    "Ist es erlaubt, unterwegs zu reden. Da gibt es wahrscheinlich Regeln. - Ich will es mal so sagen, nur wenige schaffen es, auf dem ganzen Weg nicht zu reden."
    So ziehen sich durch den gesamten Film immer wieder Reflexionen über das Morden und die Gewalt und ihre Darstellung in der Kultur- und Kunstgeschichte. William Blakes Gedicht "Das Lamm" taucht auf. Dazu Bilder eines Tigers und eines Lamms. Goethe an der Eiche auf dem Ettersberg bei Weimar, späterer Standort des KZs Buchenwald. Glenn Gould spielt hechelnd und murmelnd, sabbelnd Bach. Das alles wird zum Begleitgesang zu der Höllenfahrt – am Ende sprichwörtlich - die Jack, der Serienmörder unternimmt. Ihr Ton ist der von einer düsteren Aussichtslosigkeit.
    Bilder über Mord und Totschlag
    Das Grauen solcher Geschichten, die das Mainstream-Kino bei gleichem oder höherem Blutzoll schenkelklopfend präsentiert, es wird hier wieder spürbar. Man könnte auch sagen, dass Lars von Trier uns - um nur ein paar ganz wenige sogenannte "Skandalfilme" zu nennen - dass der Däne uns, wie Michael Haneke in "Funny Games", wie Pier Paolo Pasolini in "Die 120 Tage von Sodom" oder Michael Powell in "Augen der Angst" die Lust an den mörderischen Kinobildern raubt. Und sie auf das zurückführt, was sie sind: Bilder über Mord und Totschlag. Also Bilder über das, was der Mensch tat und tut in seiner Geschichte, und was er in seinen Kunstwerken nachzeichnet. Von Anbeginn. Von der "Illias", den Bildern eines Hieronymus Bosch, Dantes "Göttliche[r] Komödie" bis zu einem Steven-King-Thriller.
    Darauf verweist Lars von Trier mit seiner klugen Konstruktion, ja, er "zelebriert" es in seinem Film. Voller Andeutungen und Anspielungen, Bezügen und Metaphern, obsessiv, besessen, durchgeknallt und ja - von mir aus - provokant. So wie es sich für Kino gehört, das ganz selbstbewusst eine grandiose Zumutung ist.