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Der reiche Norden und die Stunde der Wahrheit

20 Prozent der Italiener wollten die Führung ihres Landes wieder Silvio Berlusconi anvertrauen. In der Vergangenheit hatte der seine Stimmen vor allem aus dem reichen Norden bekommen - von den Kleinunternehmern der Lombardei und Venetiens. Die stehen teilweise noch immer zu ihm, wählten aber auch Beppe Grillo.

Von Kirstin Hausen | 26.02.2013
    "Ich bin Ingenieur von der Ausbildung her und habe vor circa zehn Jahren mein eigenes Unternehmen gegründet. Damals haben wir zu dritt gearbeitet, heute habe ich um die 40 Angestellte."

    David D'Ambrosio ist im Bausektor tätig. Er berät andere Firmen in Sachen Umweltschutz und Sicherheit.

    "Was die Auftragslage angeht, so haben wir hier am Comer See gute Voraussetzungen, wegen der reichen Ausländer. Vor kurzem hat sich eine 20-jährige Russin ein sehr schönes Anwesen für 39 Millionen Euro gekauft."

    Ohne die wohlhabenden Villenbesitzer mit ausländischem Pass läge seine Firma längst in der Verlustzone. So wie zehntausende Unternehmen im Einzugsgebiet der Wirtschaftsmetropole Mailand. Hier im Norden schlägt das ökonomische Herz Italiens, doch es schlägt unregelmässig. Die Steuererhöhungen der Regierung Monti haben dem Wirtschaftsprofessor hier keine Sympathien eingebracht. Sein konservativ-wirtschaftsliberales Wahlbündnis hat an der Urne enttäuscht, über zehn Prozent ist es nicht hinaus gekommen. Linke Parteien wählen die Unternehmer in Mailand, Brescia, Bergamo und der Brianza aber auch nicht. Denn die erfüllen aus Sicht der Arbeitgeber die Wünsche der Gewerkschaften und damit der Arbeitnehmer. Für Davide D`Ambrosio ist der Sieg des linken Bündnisses in der Abgeordnetenkammer kein Grund zur Freude. Von den Linken erwartet er höhere Steuern für den Mittelstand.

    "Die Steuern müssen aber gesenkt werden, und wenn alle Steuern zahlen, ist das auch möglich."

    Doch noch zahlen in Italien nicht alle ihre Steuern. Wer kann, versteckt seine Gewinne vor dem Fiskus. Und die generelle Unsicherheit darüber, wie es mit Italien weitergeht, bremst die Investitionsfreude. Manche Unternehmer stecken ihr Geld nicht wieder in die Firma, sondern kaufen sich im Ausland eine Immobilie. So wird immer mehr Geld dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Der einzige, der sofortige Steuersenkungen und sogar eine Rückzahlung der Immobiliensteuer 2012 versprochen hat, ist Silvio Berlusconi. Doch Softwareunternehmer Gianluca Brambilla glaubt ihm das nicht mehr.

    "Ich war früher ein Unterstützer von Silvio Berlusconi. Ein richtiger Fan! Ich habe nur Gutes über ihn gesagt und ihm viel verziehen. Mit meinen Geschäftsfreunden im Ausland habe ich sogar gestritten, weil ich Silvio Berlusconi immer wieder verteidigt habe."

    Heute tut Brambilla das nicht mehr. Er hat wie mehr als sechs Millionen Italiener den früheren Komiker Beppe Grillo gewählt. Dessen Hochburg ist Sizilien, wo er bis zu 39 Prozent der Stimmen erhielt. Aber auch im Norden hat er sehr gut abgeschnitten. In der Lombardei hat Grillo 20 Prozent der Wähler für sich eingenommen. Im traditionell konservativen Venetien, wo Berlusconis Bündnis die meisten Stimmen bekam, wählten sogar 25 Prozent Beppe Grillo. Brambilla hat ihn nicht wegen seines Programms gewählt, sondern aus Protest gegen die etablierten Parteien und weil er einen radikalen Wandel will.

    "Die Zukunft wird anders aussehen als alles, was wir bisher gekannt haben. Und ich will verstehen, wie diese Zukunft aussieht, will lernen, wie die neuen Spielregeln lauten."

    Beppe Grillos Bewegung hat in mehreren Regionen die meisten Stimmen erhalten, es ist die stärkste Einzelpartei, aber ohne Verbündete. Im Wahlkampf hatte Grillo immer wieder seine Unabhängigkeit betont.

    Gianluca Brambilla seufzt. Ein Großteil seiner Geschäftsfreunde habe Berlusconi gewählt, wieder Berlusconi, sagt er und er weiss auch, warum. Nicht aus Überzeugung, sondern aufgrund einer einfachen Rechnung. Mit Berlusconi wird das Steuerhinterziehen wieder leichter gemacht und solange die Steuern nicht gesenkt werden, sehen sich die Unternehmer nicht in der Pflicht, sie auf Euro und Cent zu zahlen.