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"Der ukrainischen Führung deutlich zeigen, wo die Grenzen sind"

Von einem Boykott der EM in der Ukraine hält die SPD-Außenpolitikerin Bärbel Kofler nichts: Die EU sollte der Ukraine zeigen, dass ihre Türen offen stehen, die Einhaltung von Rechtsstandards aber nicht verhandelbar sei. Darüber müsse nach dem Turnier ein kritischer Dialog geführt werden, fordert Kofler.

Bärbel Kofler im Gespräch Friedbert Meurer | 08.06.2012
    Friedbert Meurer: Noch knapp sechs Stunden, dann wird um 18 Uhr im Warschauer Nationalstadion das Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft angepfiffen – Polen gegen Griechenland. Dann geht es um Punkte und Tore, ums Weiterkommen und Ausscheiden. Gleichzeitig aber wird die Europameisterschaft wie nie zuvor von der Politik diesmal überlagert. Die UEFA hat die Europameisterschaft zwei Austragungsländern zugesprochen. In Polen läuft vieles nach Plan, in der Ukraine nicht.

    Heute Abend also wird die Fußball-Europameisterschaft eröffnet. Die Ukraine wollte sich mit dieser Europameisterschaft international als ein aufstrebendes Land präsentieren. Jetzt droht, die EM eher zum Fiasko zu werden. Viele Regierungen wollen die EM boykottieren. Innen- und Sportminister Hans-Peter Friedrich will erst zum Endspiel nach Kiew fliegen, falls dann die DFB-Elf noch im Turnier ist. Dabei soll selbst die inhaftierte Politikerin Julia Timoschenko appelliert haben, die Regierungen, die Politiker des Westens sollten die EM nicht boykottieren. – Bärbel Kofler (SPD) ist Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Guten Tag, Frau Kofler!

    Bärbel Kofler: Guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Fahren Sie denn hin zur Europameisterschaft in die Ukraine?

    Kofler: Nein, ich werde nicht hinfahren. Das hat allerdings nichts mit einem Boykott zu tun, sondern war von mir per se nicht geplant.

    Meurer: Wieso war es nicht geplant?

    Kofler: Ja es gibt so viele Termine und so vieles im Wahlkreis auch zu tun und ich glaube, das ist wichtig, dass man das auch dann mal in den Mittelpunkt stellt.

    Meurer: War vielleicht auch ein bisschen die Sorge im Spiel, dass es dann wieder in bestimmten Medien heißt, das ist eine Luxusreise von Politikern?

    Kofler: Nein, das nicht. Aber ich glaube auch wirklich, dass es nicht nötig ist, jetzt als normaler Abgeordneter in die Ukraine zur Fußball-EM zu reisen, auch nicht als Vorsitzende der entsprechenden Parlamentariergruppe. Ich glaube, es gibt viele wichtige Dinge, die ich zuhause wahrnehmen muss an der Stelle, und das möchte ich einfach auch tun.

    Meurer: Frau Kofler, finden Sie es insgesamt richtig, dass deutsche Politiker der Europameisterschaft in der Ukraine fern bleiben?

    Kofler: Ich kann prinzipiell verstehen, wenn man für sich persönlich entscheidet, ich möchte nicht hinfahren als Regierungsmitglied, weil ich schon glaube, dass man auch deutlich Zeichen setzen sollte den ukrainischen Partnern. Allerdings würde ich einen generellen Boykottaufruf einfach nicht begrüßen. Ich glaube, es ist wichtig, dass man miteinander ins Gespräch kommt und im Gespräch bleibt, und nur so kann man auch auf die Menschenrechtssituation hinweisen. Ich glaube, dass das dringend nötig ist, auf Menschenrechtsverletzungen, auf politische Justiz und solche Fragestellungen hinzuweisen. Aber das geht am besten im Gespräch mit den anderen und nicht im Fernbleiben.

    Meurer: Genau das hätten doch die Politiker tun können, wenn sie in die Ukraine, nach Lemberg, Kiew, Charkiw gefahren wären, das Gespräch mit der Gegenseite dort zu suchen.

    Kofler: Ich würde das für wichtig erachten. Ich glaube allerdings, vielleicht ist auch eine Fußball-EM nicht der Rahmen für diese Gespräche. Ich hoffe, dass diese Gespräche nach der EM stattfinden und dass man den Dialog mit der Ukraine aufnimmt, einen durchaus kritischen Dialog. Es ist sehr, sehr nötig, der derzeitigen ukrainischen Führung auch deutlich zu zeigen, wo die Grenzen sind, was man in Europa auch unter Justiz versteht, unter Trennung von Justiz und Politik versteht, unter Menschenrechtswahrung versteht. Das ist sehr, sehr nötig. Aber ich glaube, nach der Europameisterschaft, und ich hoffe, nach der Europameisterschaft werden diese Gespräche wieder aufgenommen.

    Meurer: Gegenüber einem EU-Parlamentarier aus Polen soll Julia Timoschenko, die Oppositionsführerin, die zu sieben Jahren Haft verurteilt ist, gesagt haben, die EM zu boykottieren, sei eine schlechte Idee, sie bitte, das nicht zu tun. Glauben Sie, dass sie das gesagt hat, und warum hat sie es gesagt?

    Kofler: Ich weiß nicht, ob sie es gesagt hat. Wenn sie es gesagt hat, kann ich mir vorstellen, dass eine Motivation ist, es ist einfach für das Land, die Ukraine, und für die Menschen in der Ukraine sehr, sehr wichtig, dass Menschen nach Kiew, nach Charkiw, nach Lemberg fahren und Gespräche und Austausch mit den Menschen anderer Länder stattfinden kann. Es ist eine einmalige Gelegenheit auch für die Ukraine, sich als Land – es ist auch ein wunderschönes Land – zu präsentieren und seine Menschen in Kontakt mit anderen Menschen zu bringen. Das würde ich für wichtig erachten. Ich finde, Amnesty International hat einen richtigen Aufruf gestartet, hinzufahren, aber dort vor Ort als Sportler, als Fans auch wirklich deutlich zu machen, dass man die Achtung der Menschenrechte einfordert, und das auch in die Gespräche einfließen zu lassen, das halte ich für sehr wichtig.

    Meurer: Also die Fans sollen hinfahren, aber die Politiker nicht?

    Kofler: Ach würde ich so nicht sagen. Wenn ich als Politiker hinfahre, würde ich schon sagen, dann muss man auch das Gespräch suchen, dann reicht es nicht, im Stadion zu sein.

    Meurer: Wäre ja eine Möglichkeit, das genau so zu tun.

    Kofler: Das könnte ich mir gut vorstellen.

    Meurer: Wie sollen sich denn deutsche Fans verhalten in der Ukraine?

    Kofler: Ich hoffe so, wie bei allen Fußballspielen. Ich hoffe, dass sie sich friedlich verhalten, dass es ein gutes Miteinander gibt, dass sie auf die Menschen zugehen und mit den Menschen in der Ukraine ins Gespräch kommen können. Das hätten die Menschen verdient und ich glaube, das wäre auch ein wichtiger Beitrag, dass die Menschen Kontakt mit anderen europäischen Ländern und Menschen gewinnen können - auf die Leute zugehen, positiv zugehen.

    Meurer: Sollen die Fans das Thema ansprechen, Unterdrückung der Menschenrechte, Stand der Demokratie in der Ukraine?

    Kofler: Ich denke, das wird sich im Gespräch mit den Menschen sicher ergeben. Wenn sich diese Möglichkeit ergibt, würde ich es ansprechen.

    Meurer: Der Generalsekretär der UEFA, die die Europameisterschaft organisiert, Michel Platini, sagt, ich mache keine Politik, ich mache Fußball. Macht er es sich zu einfach?

    Kofler: Ja, damit macht er es sich zu einfach, das glaube ich schon. Denn wenn man ein so großes sportliches Ereignis in Länder vergibt, die durchaus problematische Menschenrechtssituationen beinhalten, dann kann man sich nicht einfach wegducken und danach sagen, das interessiert mich nicht. Natürlich macht er es sich damit zu einfach.

    Meurer: Hätten Sie sich ein paar offene Worte gewünscht von ihm oder von anderen UEFA-Funktionären?

    Kofler: Das hätte ich mir durchaus gewünscht, denn ich denke, das ist auch Teil, Sport ist Teil des gesellschaftlichen Lebens, und dazugehört es auch, dass die Menschen sich frei artikulieren können und man nicht alle Themen ausklammert, die für die Menschen vielleicht auch manchmal schwieriger sind.

    Meurer: Platini wehrt sich und sagt, er wirft den EU-Regierungen vor, 'Ihr seid die gleichen, die vor vier Jahren gesagt haben, wie toll es ist, dass wir uns Polen und der Ukraine öffnen.' Was antworten Sie?

    Kofler: Man muss ja auch eine politische Entwicklung sehen. Auch die Ukraine hat in den letzten Jahren eine politische Entwicklung durchlaufen, die leider nicht zum besseren sich entwickelt hat, wenn es um die Fragen geht, eben zum Beispiel der politischen Justiz. Das ist ja auch das, was symbolisch mit dem Fall Timoschenko diskutiert wird, die Frage der Pressefreiheit, wenn es Fragen der Demonstrationsrechte anbelangt. Da, denke ich, hat die Ukraine noch einen weiten Weg vor sich und hat sich in den letzten Jahren leider nicht zum positiven entwickelt, und diese Entwicklung muss man doch ansprechen dürfen.

    Meurer: Die Europameisterschaft, Frau Kofler, sollte beweisen, dass die Ukraine mit zu Europa gehört. Ist die Ukraine weiter weg denn je von Europa?

    Kofler: Die Ukraine ist ein europäisches Land und wir sollten das jetzt auch nicht wegdiskutieren. Ich glaube allerdings, dass in den letzten Monaten sich eines deutlich gezeigt hat: Es ist richtig und gut, auch klar zu sagen als Europäer, als Europäische Union, unsere Türen sind offen für euch, aber diese Standards wie zum Beispiel ein ordentliches Strafgesetzbuch, die Trennung von Politik und Justiz, die Wahrung der Menschenrechte, die Wahrung der Pressefreiheit, all diese Standards sind nicht verhandelbar, da gibt es keine Kompromisse, und das auch deutlich zu machen, denke ich, ist schon sehr, sehr wichtig.

    Meurer: Bärbel Kofler, die Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören, Frau Kofler.


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