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Der Vorschlag der Weizsäcker-Kommission zur Reform der Bundeswehr

08.05.2000
    Wagener : Im vergangenen Jahr setzte Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping eine Kommission ein, die die Zukunft der Bundeswehr planen sollte. Unter Leitung des Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker ist die Arbeit offensichtlich schneller abgeschlossen worden als erwartet. Schon an diesem Wochenende sind Einzelheiten nach draußen gedrungen. Die Bundeswehr soll eine internationale Profi-Truppe werden, in der die Wehrpflichtigen nur noch unter ferner liefen dabei sein sollen. Am Telefon ist nun Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der Bündnis-Grünen. Schönen guten Morgen!

    Beer : Schönen guten Morgen.

    Wagener : Frau Beer, das ist ja wohl eine mittlere Revolution, wenn jetzt eine Profi-Truppe die Wehrpflichtarmee ablösen soll oder nicht?

    Beer : Man muß sich schon darüber im klaren sein, dass die Reform der Bundeswehr, die wirklich auf der Tagesordnung steht, für die nächsten Jahre einmalig ist. Wenn man wirklich von Reform spricht, dann muß man eine grundlegende Reform ins Auge nehmen. Ich denke, dass der Vorschlag der Weizsäcker-Kommission, so weit wir ihn heute kennen, der einzige ist, der gemessen an den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen, also Streichung der Landesverteidigung, und auch den haushaltspolitischen Bedingungen tatsächlich diskussionswert ist, wenn er aus grüner Sicht auch nicht ganz das ist, was wir eigentlich wollen.

    Wagener : Ist denn die Landesverteidigung tatsächlich kein Thema mehr, dafür aber um so mehr die "out of area"-Einsätze?

    Beer : Da werden jetzt zu krasse Gegenbeispiele aufgesetzt. Fakt ist - und das ist die Analyse der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen -, dass wir in Deutschland zum Glück von Freunden umgeben sind, wie man sagen kann. Das beweist die Ost-Erweiterung und vieles anderes mehr. Auf der anderen Seite haben wir tatsächlich durch Zusagen gegenüber den Vereinten Nationen, aber auch anderen Einsätzen, wie wir sie jetzt im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina machen - beide sind von den Vereinten Nationen mandatiert - nicht genügend Leute, die ausgebildet sind, die adäquat eingesetzt werden können. Insofern denke ich, dass der Vorwurf der Interventionsarmee gegen dieses Reformkonzept von Weizsäcker vollkommen falsch gegriffen ist, weil die 140.000 Soldaten, die zukünftig solche Einsätze leisten können und sollen, insgesamt jene sind, die dieses für einen Zeitraum von zwei, drei Jahren sicherstellen können, weil sie ja wissen, dass es nicht mit ein paar Monaten getan ist.

    Wagener : Das ist aber eine Verdreifachung des Kontingents statt 50.000 wie bisher?

    Beer : Es sind 50.000, die real im Einsatz sind, und es ist die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr für solche internationalen Einsätze, weil was man als Zuschauer immer mitbekommt ist die Zahl derer, die letztendlich im Einsatz sind. Die Menschen müssen aber auch ausgebildet und ausgerüstet werden. Insofern sind die 140.000 übrigens eine Stärke von ungefähr zwei Brigaden und das entspricht auch dem internationalen Anteil der Franzosen und Engländer. Das ist eine reale Größe, die auch vernünftig ist. Lassen Sie es mich einfach sagen: die Politik ist verantwortlich für die Einsätze der Bundeswehr. Das heißt, der Primat der Politik steht immer im Vordergrund. Es gibt keinen Automatismus. Die Politik in Berlin, also rot/grün, tut gut daran, die Einsatzkriterien und die Ausschlußkriterien für Einsätze der Bundeswehr zu definieren und nicht einfach zu sagen humanitärer Einsatz. Das reicht nicht!

    Wagener : Wie sieht es denn mit der Wehrgerechtigkeit aus? Bei nur noch 30.000 Wehrpflichtigen müßte dann nur noch der kleinste Teil eines Jahrgangs zum Bund. Wer soll denn dann hingehen?

    Beer : Das habe ich mich auch gefragt, nachdem ich die Eckdaten gehört habe. Aus grüner Sicht ist es ja so, dass wir sagen, es gibt aufgrund der sicherheitspolitischen Lage, also der Sicherheit Deutschlands, keine Rechtfertigung mehr, in das Leben der Jugendlichen einzugreifen und zu sagen Zwangsdienst, Wehrpflicht oder Zivildienst. Dann haben wir ja auch noch dieses Urteil vom Europäischen Gerichtshof, der gesagt hat, Frauen müssen das Recht haben, freien Zugang zu allen Bereichen der Bundeswehr zu bekommen. Dann stehen nach diesem Modell der Kommission die 30.000 natürlich nur für Männer. Ich finde das halbherzig. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, weil man wird das nicht aufrecht erhalten können, also in die Richtung der Abschaffung der Wehrpflicht insgesamt. Ich würde es aber verantwortlicher finden zu sagen, wir wissen, dass man nicht von heute auf morgen aussteigen kann, insbesondere nicht aus dem Zivildienst, aber wenn es dann so ist, dann machen wir ein Konzept, dann machen wir einen Plan, dass wir innerhalb der nächsten zwei, drei, vier Jahre vielleicht sagen, okay, dann ist das gewesen mit der Wehrpflicht und mit dem Zivildienst. Insofern bin ich mit dem Vorschlag nicht ganz zufrieden, aber es ist doch ein Schritt in die richtige Richtung, weil über viele Jahre nur Wehrungerechtigkeit, die ja bei 30.000 Menschen tatsächlich vorhanden ist, das wird keiner aufrecht erhalten.

    Wagener : Das war Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der Bündnis-Grünen, und mitgehört hat Bernhard Gertz, Sprecher des Bundeswehrverbandes, sozusagen die Gewerkschaft der Soldaten. Schönen guten Morgen!

    Gertz : Guten Morgen Herr Wagener.

    Wagener : Herr Gertz, Anpassung an eine veränderte Welt, Verkleinerung der Armee, technische Modernisierung gleichzeitig und Gleichberechtigung der Frau auch an der Waffe, das klingt ja alles doch sehr progressiv oder?

    Gertz : Damit habe ich auch überhaupt nicht die geringsten Probleme. Das sind sicherlich die Aufgaben, die zu lösen sind. Der Weg allerdings, auf dem die Kommission dies mit ihren Empfehlungen versucht, ist kein Schritt in die richtige Richtung, sondern leider ein ziemlich großer in eine völlig falsche.

    Wagener : Warum?

    Gertz : Das Konzept ist insgesamt völlig unzureichend, weil man Armeen vorhält als Risikovorsorge, und dann darf man nicht zu kurz greifen, auch in der sicherheitspolitischen Analyse und in den Konsequenzen aus ihrer Bewertung. Wer die Aufwuchsfähigkeit aufgeben will, der kann sich nicht ernsthaft einreden wollen, dass es dann möglich sei, an der Wehrpflicht festzuhalten. Diese Empfehlungen zur Wehrpflicht sind verfassungsrechtlich nicht haltbar und sie sind auch politisch praktisch nicht umsetzbar.

    Wagener : Was ist denn falsch an einer Bundeswehrreform, eine Armee so zu konzipieren, wie sie andere Bündnispartner schon längst haben?

    Gertz : Dass die Armee umstrukturiert werden muß, darüber besteht kein Zweifel, und dass wir das Dispositiv der für den Einsatz verfügbaren Kräfte vergrößern müssen, dem stimme ich ohne jeden Vorbehalt zu. Man muß dabei aber sehr sorgfältig aufpassen, dass man die Truppe, die "Profi-Truppe", die dann entstehen soll, nicht im Ergebnis zum Spielball oder zum Spielbein einer völlig unzureichenden Sicherheitspolitik macht, die sich immer mit Konfliktregulierung und Krisenbewältigung beschäftigt statt mit Krisenprävention und dem Versuch, politisch Entwicklungen vorzubeugen, die zu Konflikten wie dem auf dem Balkan führen.

    Wagener : Was erfordert denn eine Bündnisfähigkeit der Bundeswehr? Davon wird ja immer wieder gesprochen. Was heißt das denn dann?

    Gertz : Das erfordert zunächst einmal eine grundlegende Renovierung unserer gesamten Kommunikationssysteme, unserer Führungssysteme. Wir müssen mit unseren Verbündeten in jeder Gefechtssituation optimal kommunizieren können und es darf nicht mehr passieren wie jetzt, dass ein Nato-Verband im Atlantik deshalb nicht von einem deutschen Schiff befehligt werden kann, weil die Deutschen nicht über die entsprechende Kommunikationstechnologie verfügen. Das ist eine der Voraussetzungen. Andere Voraussetzungen knüpfen eben an an gewisse Fähigkeiten im Bereich der Waffentechnik, die notwendig sind, aber über die wir nicht verfügen.

    Wagener : Ist denn die Wehrpflicht ein Wert an und für sich, also etwas unbedingt Erhaltenswertes?

    Gertz : Die Wehrpflicht ist keine von Gott gegebene Wehrform und sie ist sicher auch nicht die einzig mögliche, sondern sie muß nach unserer Verfassung sicherheitspolitisch legitimiert werden. Wenn die sicherheitspolitische Legitimation der Wehrpflicht wegfällt, dann ist sie verfassungsrechtlich nicht mehr haltbar. Ich bin der Meinung, dass nach wie vor Risikovorsorge alle denkbaren Optionen der künftigen sicherheitspolitischen Risikostruktur erkennen und beantworten muß. Das bedeutet auch, dass solange nicht Stabilität auf dem Gebiet der russischen Föderation und der Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion eintritt, solange nicht das Potential an strategischen und taktischen Ressourcen, das dort vorhanden ist, in sicheren, das heißt demokratischen Händen ist, solange kann man Risikovorsorge auch für den Fall einer möglichen massiven militärischen Bedrohung nicht völlig abschalten.

    Wagener : Zur Reform der Bundeswehr war das Bernhard Gertz, Sprecher des Bundeswehrverbandes. Haben Sie recht herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio