"Die Legende erzählt von dem weiblichen Berg Tunupa, der wunderschön war. Am See von Uyuni gab es zwei große Berge, die beide um die Liebe der Tunupa warben. Kusku wurde ihr Mann, aber er verließ sie, als sie gerade ein Kind geboren hatte. Tunupa weinte darüber, während sie ihr Kind stillte. Ihre Tränen und die Milch liefen auf den Boden und vermischten sich. So entstand der große See, der weiß und salzig ist."
Die Legende der Tunupa gibt es in vielen Variationen. Eines haben alle gemeinsam: Die Berge sind lebendig. Wie riesige Wächter stehen sie schweigend um den Salar de Uyuni herum.
Wie kann man einen Salzsee zum Klingen bringen? Einen See, der gar kein See ist, sondern eine knirschende, flirrende unendlich große Fläche unter einem königsblauen Himmel. Unter der sechs Meter dicken Salzschicht, auf der man laufen, fahren, und sogar bauen kann, liegen mineralische Ablagerungen, Vulkangestein, Salz und Wasser.
Leben gibt es auf dem Salar so gut wie keines, hier lebt vor allem die Stille. Kein Vogel zwitschert, kein Lama trappelt vorbei, wer würde hier schon Nahrung finden? Eine Spezies gibt es aber, die aus dem Salar Nahrung schöpft, und sie bringt auch den Lärm in die Salzwüste: Der Mensch.
"Es könnte wunderbar still sein, aber diese Salzwüste ist eben ein Ort für Touristen. Hier werden sie alle hingefahren, alle hingekarrt, alle müssen es sehen."
""Wir ja auch, muss man dazu sagen."
" Aber man muss auch sagen, es ist nicht so schlimm. Jetzt ist hier natürlich ein Punkt, da halten alle an, ansonsten verteilt es sich ja sehr auf den 12.000 Quadratkilometern.""
Unser Jeep hat erst eine kurze Strecke zurückgelegt von der kleinen, wenig attraktiven Stadt Uyuni bis zum Salar. Ronald, unser Fahrer und die Köchin Sylvia begleiten uns auf der dreitägigen Tour. Wir - das sind zwei Deutsche, zwei Spanierinnen und ein französisches Pärchen. Touristen sind in Bolivien meistens junge oder jung gebliebene Hippies, die das Land für wenig Geld erkunden und mangelnden Komfort in Kauf nehmen - auch auf dieser Tour.
"Es stimmt schon, man sitzt viele Stunden gequetscht im Auto, man sieht aber auch sehr viele verschiedene Dinge in kurzer Zeit. Manchmal würde man gerne länger stehen bleiben, und die Landschaft mehr genießen. Aber das ist mir eigentlich egal - ich will viel sehen, und wer weiß, wann ich hier nochmal hinkomme?"
Jeder Punkt, an dem der Jeep auf dem Salar hält, bietet ein ziemliches Geknubbel von Menschen, die sich die kleinen oder größere Attraktionen des Salars ansehen: Die Insel Incahuasi, eine kleine, mit 600 teilweise steinalten Säulenkakteen bewachsene Insel aus versteinerten Korallen und Vulkangestein. Ein ehemaliges Hotel, innen und außen vollständig aus Salz gebaut. Und Colchani, ein kleines Dorf, in dem wir etwas über den Abbau von Salz im Salar erfahren. Juan Carisai führt uns durch eine kleine Hütte mit Holzofen und Salzmühle.
"In dieser Region verarbeiten wir alles mit der Hand. Diese Öfen zum Beispiel, die Sie hier sehen, sind zum Trocknen des Salzes. Das Salz kommt feucht aus dem Boden. Gehen wir mal rein. Hier kommen ungefähr 100 bis 150 Kilogramm feuchtes Salz hinein, dann wird das Salz 15 bis 20 Minuten lang getrocknet."
"Dem getrockneten und abgekühlten Salz fügen wir etwas Jod zu, denn besonders in den heißen, tropischen Gebieten Boliviens haben viele Menschen Jodmangel. Das Jod importieren wir aus Chile - über La Paz und Uyuni kommt es hierher. Diese Maschine mischt das Jod unter und mahlt gleichzeitig das Salz ganz fein. Diese kleinen Beutel werden von den Frauen abgefüllt, die sind schneller und geschickter als die Männer. Sie füllen die Beutel - Schauen Sie, so - und dann wird mit der Flamme der Beutel zugeschweißt."
"Wir haben in Bolivien zwei Salares, zwei Salzsehen. Den Salar de Uyuni und den Salar de Coipassa in der nördlichen Region Oruro. Wir haben also genug davon, deshalb ist das Salz hier sehr billig."
Draußen vor der Tür werden Souvenirs verkauft: Kleine Tiere aus Salz, Dosen, Würfelbecher, aber auch die typisch bolivianischen bunten Tücher, Alpaca-Pullover oder Mützen. Vom Salz könnte Juan nicht leben. Er und Colchani brauchen die Touristen.
"Ich hab schon als Kind von zehn Jahren hier gearbeitet, ich kenne die Arbeit hier sehr gut, und seit fünf Jahren mache ich auch Touren mit Touristen - ich hab kein eigenes Reisebüro, aber man kann mich anrufen und dann fahr ich auch raus. Ich bin also recht vielseitig, ich arbeite hier mit dem Salz, dann als Touristenführer, dann bin ich wieder hier und erkläre - man kennt mich schon, vor allem viele Deutsche kennen mich, aber auch Japaner."
Nach einer halben Stunde Aufenthalt in Colchani geht es weiter im Jeep. Man nähert sich an, erzählt von zuhause, von Reiseerfahrungen in Bolivien und anderswo. Manchmal verstummt die ganze Truppe und starrt durchs Fenster auf den Salar. Immer wieder fällt das Auge herein auf Luftspiegelungen, die uns auf der weißen Fläche Bäume sehen lassen, die es nicht gibt. Und immer meint man, die Berge stünden nicht auf dem Boden sondern schwebten, mitsamt ihrer Spiegelung einen Fingerbreit über den Horizont.
Ein paar Stunden dauert diese Fahrt über den Salar, zwischendurch hält man an, macht ein paar surreal anmutende Fotos, dann geht es weiter - über den Rand des Salar hinaus - in die Ausläufer der Atacama-Wüste. Das Weiß wird immer schmutziger, bräunlich, grau, verschmiert - bis es endlich ganz verschwindet. Stattdessen beginnt jetzt ein ständig wechselndes Farbenspiel. In allen erdenklichen Erd- und Grautönen säumen marmorierte Berge und alte Vulkane den Weg, auf dem Boden wachsen kleine Zwergenmützen aus Grasbüscheln, Lamas und Vicunias rupfen an den Grashalmen. Und dann gibt es diese seltsamen harten Moosgebilde, die sich grasgrün an den Felsen schmiegen - mal klein wie ein zerknautschter Fußball, mal mehrere Meter hoch oder breit.
"Diese Pflanze hier heißt Llareta. Sie wächst nur ein paar Millimeter im Jahr. Früher hat man die Llareta zum Feuermachen benutzt - wie Kohle. Aber jetzt ist die Pflanze gefährdet und geschützt und es ist verboten, sie zu ernten und zu verbrennen."
Die Ilareta wächst nur in großer Höhe - wir befinden uns auf über 3000 m über dem Meeresspiegel - und sieht aus, hätte ein Riese seinen ausgekauten grünen Riesenkaugummi an den Felsen geklebt.
"Die Größe dieser Natur beeindruckt mich am meisten (...) diese riesigen, unbewohnten Flächen und drum herum die Berge, das ist eindrucksvoll."
"Mir geht es genauso - die Weite, das Leben von Moment zu Moment, auch wenn es natürlich immer wieder Anzeichen gibt, die uns daran erinnern, dass auch schon andere Menschen hier waren. Die Spuren der Jeeps zum Beispiel."
Während die Gruppe sich an den Schönheiten der Natur ergötzt, räumt Sylvia, die junge Köchen, im Kofferraum herum und zaubert auf einem kleinen Kocher eine erstaunlich frische, warme Mahlzeit.
"Heute gibt's mal wieder Pollo, Erbsen und Möhren mit Kartoffeln vermischt und Gurken und Tomaten."
"Das hier ist er das dritte Mal, dass ich mitfahre, also noch sehr selten. Zuhause koche ich auch, aber das ist natürlich was ganz anderes. Ich mache hier zwar auch Hühnchen und Reis und all das, aber zuhause ist das das leichter. Wir müssen alles mitnehmen auf die Fahrt. Der Veranstalter sagt mir was ich jeden Tag kochen soll und ich muss dann vorsorgen, dass alles da ist, alle Zutaten, ein Kocher - meistens gibt es Hühnchen, Fleisch... ja. So machen wir das."
Am Ende dieses ersten Tages landen wir mitten im wilden Westen. Das kleine Dorf San Juan liegt schweigend in der Abendsonne. Ein eisiger Wind pfeift durch die menschenleeren Gassen. Da und dort klappert eine Tür, manchmal huscht ein Mensch die Straße entlang. Fast erwartet man, dass die berühmten Geächteten Butch Cassidy und Sundance Kid, die hier im südlichsten Teil des Altiplano Anfang des 19. Jahrhunderts ihr Unwesen trieben, im nächsten Moment aus einem der Häuser treten könnten.
San Juan liegt auf 3660 m und bietet diverse Unterkünfte für die Reisenden, die vom Salar kommen. Schmutzig von Salz und Staub erhoffen wir eine Dusche. Aber Wasser ist Mangelware, und viele andere Gruppen teilen sich das äußerst einfache Quartier und also auch das bisschen Wasser, das zur Verfügung steht. Mahlzeiten werden ebenfalls nicht angeboten, da sind wieder die mitreisenden Köche und Köchinnen gefragt.
"Die Unterkünfte - naja, es wäre schon schön, wenn es Wasser gegeben hätte. Und es war eisig kalt. Auf der anderen Seite , wenn ich auf Reisen bin, dann ist es eben nicht so bequem wie zuhause, und man kann auf diese Weise auch etwas über die Lebensbedingungen der Leute lernen, die hier wohnen. Es wäre bisschen seltsam, hier in einem 5Sterne-Hotel zu übernachten, wenn die Leute hier im Elend leben. Deshalb finde ich das in Ordnung."
Während die Touristen über die fehlende warme Dusche stöhnen und dann doch recht fröhlich beim Abendessen beisammen sitzen, ist der Wassermangel für die Bevölkerung ein echtes Problem. Fernando Villarte, Biologe und Techniker der nationalen Naturschutzbehörde in La Paz, erzählt von den Auswirkungen.
"Die Leute haben uns gesagt, dass sie sehr beunruhigt sind über die Trockenheit. Wir planen gerade Regeln für den Gebrauch von Wasser, sowohl im kommunalen Bereich als auch besonders für die Unterkünfte der Touristen. Dafür wird es Normen geben. Denn die Lagunen, die in der Nähe liegen, haben ein ganz besonderes Ökosystem. Sie brauchen ein feuchtes Klima."
Die Lagunen sind die Haupt-Attraktion auf den Salar- und Wüstentouren. Mitten in der kargen Wüste liegen sie plötzlich da wie Juwelen. Im stillen, flachen Wasser stehen Flamingos. In aller Seelenruhe ziehen sie ihre siebartigen Schnäbel durch das Wasser und filtern durch sie die Nährstoffe heraus. Die Lagunen leuchten durch Mineralien oder Kleinstlebewesen in verschiedenen Farben. Laguna colorada - die farbige Lagune, Laguna verde - die grüne Lagune. Die Namen versprechen nicht zu viel, aber es könnte passieren, dass es irgendwann vorbei ist mit den schillernden Namen.
"Seit ungefähr zwei Jahren, seit Anfang 2008, haben wir beobachtet, dass die Trockenheit immer stärker wird in dieser Region. Zwei Jahre lang hat es fast keinen Regen gegeben. Und das beunruhigt uns natürlich, denn die Lagunen sind überhaupt nicht tief. Die Laguna Colorada hatte einen Wasserspiegel, der so farbig schimmerte, dass man ihn schon aus der Ferne sehen konnte. Heute dagegen überwiegt das Salz und das Mineral Borax, die Farbe ist viel weniger geworden. Wir stellen also fest, dass der Klimawechsel einen starken Einfluss auf diese Gegend hat."
Unsere Reisegruppe weiß von alledem nichts. Während Ronald und Sylvia im Auto sitzen bleiben, stehen und gehen wir um die Lagune herum, staunen und wünschen uns, länger verweilen zu dürfen.
"Hierbleiben und allein sein, die Erde, der Himmel, die Natur und nur wir. Das wäre schön."
Manche Touristen haben allerdings auch ihren eigenen Anteil an der Gefährdung dieser Schönheiten. Die Flamingos selbst werden nicht nur vom veränderten Klima in andere Gebiete vertrieben.
"Leider haben wir nicht genügend Wächter im Nationalpark, die ständig kontrollieren könnten. Wir haben beobachtet, dass manche Touristen sogar Flamingos einfangen und festhalten, oder auch nur aufscheuchen, was für die Flamingos einen unnötigen Stress bedeutet. Manche stehlen die Eier der Flamingos. Deshalb müssen wir auch die Fahrer sehr genau instruieren. Denn sie erlauben den Touristen manchmal, dass sie viel zu nah an die Lagunen herantreten."
Eigentlich ist es Aufgabe der Park-Ranger, Touristen von solchen Dummheiten abzuhalten. Aber es hapert an der Organisation. An den Lagunen ist kein Ranger zu sehen, wir treffen ihn erst am Ausgang des Nationalparks.
"Wir haben hier im Avaroa-Nationalpark drei Arten von Flamingos - Andinos, James, Chilenos. Man erkennt sie an den unterschiedlichen Farben der Beine und Federn. Alle drei Arten brüten hier in den Lagunen. Namen. Umgangssprachlich heißen sie Hututu, Tococo und Parin."
Solche Informationen sollen künftig allen Touristen im Schutzgebiet zugänglich sein. Fernande Villarte von der nationalen Naturschutzbehörde arbeitet daran, die Kontrollen zu verschärfen. Reisebüros sollen verpflichtet werden, einen ausgebildeten Ranger für ihre Touren zu engagieren. Interessierte und umweltbewusste Touristen werden es ihnen danken.
"Ich hätte gerne mehr Informationen gehabt. Hier, unser Ronald, der war kein Reiseführer, sondern Fahrer. Deshalb haben mir immer wieder Informationen gefehlt. Manchmal hatte ich Fragen, auf die er keine Antwort wusste, das ist schade. So blieben einige Teile der Reise unklar und schlecht erklärt. Das könnte weit besser gehen."
Wer sich auf dieser Reise nicht nur Kontemplation sucht sondern auch aktiv werden will, der kommt am Sol de Mañana auf seine Kosten. Dorthin steuert die Gruppe am nächsten Morgen um 4 Uhr bei völliger Dunkelheit. Wir befinden uns jetzt unmittelbar an der Grenze zu Chile, auf 4855 Metern Höhe. Es ist eiskalt und die Luft wird dünn. Was wir jetzt sehen und hören, lässt uns Müdigkeit und Kopfschmerzen aber sofort vergessen.
Wie eine blubbernde, fauchende, pfeifende Hexenküche tauchen die Geysire die unwirkliche Kraterlandschaft in dichten, schwefeligen Nebel.
"Das fand ich am besten von allem. Die Geysire. (...) Lagunen habe ich auch schon an anderen Orten gesehen - auch wenn es hier natürlich eine spezielle Fauna gibt - aber Geysire habe ich noch nie irgendwo gesehen. Und diese warmen Bäder - das hat mir gefallen, weil wir da auch mal selbst etwas tun konnten, das war einfach lustig, nicht nur zu schauen, sondern dort baden zu dürfen, selbst aktiv zu werden."
Nicht weit von den sprudelnden Geysiren befindet sich ein kleines Termalbassin, gleich neben einer Lagune. Hier tummeln sich schon die Frühaufsteher der anderen Reisegruppen und scheinen ihren Spaß zu haben.
"Ahh, es ist schön warm!"
"Du musst unbedingt reingehen, es ist herrlich (lacht). Ich bin zwar bisschen krank, aber vielleicht tut das ja sogar ganz gut."
Mein Neid hält sich in Grenzen. Bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt ist die Versuchung, sich erst einmal auszuziehen, um dann ins warme Wasser zu tauchen, nicht besonders groß. Meine Entschuldigung: Das Mikrofon darf nicht nass werden.
Aus dem Salar de Uyuni und der Wüste mit ihren Lagunen bringt der aufmerksam Reisende eine Fülle von Eindrücken nach Hause: Bäume aus Stein, vom Wind geformt. Eine natürliche Felsenlandschaft, die wie eine Ruinenstadt am Rand der Wüste steht. Und der Eisenbahnfriedhof mit seinen rostigen Skeletten aus alten Zügen und Lokomotiven, die in früheren Zeiten Minenerzeugnisse für den Export zu den chilenischen Häfen gebracht haben. Ein Zug neueren Datums bringt uns zurück in den Norden Boliviens. Mitten in der Nacht verlässt er - mit vier Stunden Verspätung - schnaufend den Bahnhof von Uyuni und rattert in die Dunkelheit.
Die Legende der Tunupa gibt es in vielen Variationen. Eines haben alle gemeinsam: Die Berge sind lebendig. Wie riesige Wächter stehen sie schweigend um den Salar de Uyuni herum.
Wie kann man einen Salzsee zum Klingen bringen? Einen See, der gar kein See ist, sondern eine knirschende, flirrende unendlich große Fläche unter einem königsblauen Himmel. Unter der sechs Meter dicken Salzschicht, auf der man laufen, fahren, und sogar bauen kann, liegen mineralische Ablagerungen, Vulkangestein, Salz und Wasser.
Leben gibt es auf dem Salar so gut wie keines, hier lebt vor allem die Stille. Kein Vogel zwitschert, kein Lama trappelt vorbei, wer würde hier schon Nahrung finden? Eine Spezies gibt es aber, die aus dem Salar Nahrung schöpft, und sie bringt auch den Lärm in die Salzwüste: Der Mensch.
"Es könnte wunderbar still sein, aber diese Salzwüste ist eben ein Ort für Touristen. Hier werden sie alle hingefahren, alle hingekarrt, alle müssen es sehen."
""Wir ja auch, muss man dazu sagen."
" Aber man muss auch sagen, es ist nicht so schlimm. Jetzt ist hier natürlich ein Punkt, da halten alle an, ansonsten verteilt es sich ja sehr auf den 12.000 Quadratkilometern.""
Unser Jeep hat erst eine kurze Strecke zurückgelegt von der kleinen, wenig attraktiven Stadt Uyuni bis zum Salar. Ronald, unser Fahrer und die Köchin Sylvia begleiten uns auf der dreitägigen Tour. Wir - das sind zwei Deutsche, zwei Spanierinnen und ein französisches Pärchen. Touristen sind in Bolivien meistens junge oder jung gebliebene Hippies, die das Land für wenig Geld erkunden und mangelnden Komfort in Kauf nehmen - auch auf dieser Tour.
"Es stimmt schon, man sitzt viele Stunden gequetscht im Auto, man sieht aber auch sehr viele verschiedene Dinge in kurzer Zeit. Manchmal würde man gerne länger stehen bleiben, und die Landschaft mehr genießen. Aber das ist mir eigentlich egal - ich will viel sehen, und wer weiß, wann ich hier nochmal hinkomme?"
Jeder Punkt, an dem der Jeep auf dem Salar hält, bietet ein ziemliches Geknubbel von Menschen, die sich die kleinen oder größere Attraktionen des Salars ansehen: Die Insel Incahuasi, eine kleine, mit 600 teilweise steinalten Säulenkakteen bewachsene Insel aus versteinerten Korallen und Vulkangestein. Ein ehemaliges Hotel, innen und außen vollständig aus Salz gebaut. Und Colchani, ein kleines Dorf, in dem wir etwas über den Abbau von Salz im Salar erfahren. Juan Carisai führt uns durch eine kleine Hütte mit Holzofen und Salzmühle.
"In dieser Region verarbeiten wir alles mit der Hand. Diese Öfen zum Beispiel, die Sie hier sehen, sind zum Trocknen des Salzes. Das Salz kommt feucht aus dem Boden. Gehen wir mal rein. Hier kommen ungefähr 100 bis 150 Kilogramm feuchtes Salz hinein, dann wird das Salz 15 bis 20 Minuten lang getrocknet."
"Dem getrockneten und abgekühlten Salz fügen wir etwas Jod zu, denn besonders in den heißen, tropischen Gebieten Boliviens haben viele Menschen Jodmangel. Das Jod importieren wir aus Chile - über La Paz und Uyuni kommt es hierher. Diese Maschine mischt das Jod unter und mahlt gleichzeitig das Salz ganz fein. Diese kleinen Beutel werden von den Frauen abgefüllt, die sind schneller und geschickter als die Männer. Sie füllen die Beutel - Schauen Sie, so - und dann wird mit der Flamme der Beutel zugeschweißt."
"Wir haben in Bolivien zwei Salares, zwei Salzsehen. Den Salar de Uyuni und den Salar de Coipassa in der nördlichen Region Oruro. Wir haben also genug davon, deshalb ist das Salz hier sehr billig."
Draußen vor der Tür werden Souvenirs verkauft: Kleine Tiere aus Salz, Dosen, Würfelbecher, aber auch die typisch bolivianischen bunten Tücher, Alpaca-Pullover oder Mützen. Vom Salz könnte Juan nicht leben. Er und Colchani brauchen die Touristen.
"Ich hab schon als Kind von zehn Jahren hier gearbeitet, ich kenne die Arbeit hier sehr gut, und seit fünf Jahren mache ich auch Touren mit Touristen - ich hab kein eigenes Reisebüro, aber man kann mich anrufen und dann fahr ich auch raus. Ich bin also recht vielseitig, ich arbeite hier mit dem Salz, dann als Touristenführer, dann bin ich wieder hier und erkläre - man kennt mich schon, vor allem viele Deutsche kennen mich, aber auch Japaner."
Nach einer halben Stunde Aufenthalt in Colchani geht es weiter im Jeep. Man nähert sich an, erzählt von zuhause, von Reiseerfahrungen in Bolivien und anderswo. Manchmal verstummt die ganze Truppe und starrt durchs Fenster auf den Salar. Immer wieder fällt das Auge herein auf Luftspiegelungen, die uns auf der weißen Fläche Bäume sehen lassen, die es nicht gibt. Und immer meint man, die Berge stünden nicht auf dem Boden sondern schwebten, mitsamt ihrer Spiegelung einen Fingerbreit über den Horizont.
Ein paar Stunden dauert diese Fahrt über den Salar, zwischendurch hält man an, macht ein paar surreal anmutende Fotos, dann geht es weiter - über den Rand des Salar hinaus - in die Ausläufer der Atacama-Wüste. Das Weiß wird immer schmutziger, bräunlich, grau, verschmiert - bis es endlich ganz verschwindet. Stattdessen beginnt jetzt ein ständig wechselndes Farbenspiel. In allen erdenklichen Erd- und Grautönen säumen marmorierte Berge und alte Vulkane den Weg, auf dem Boden wachsen kleine Zwergenmützen aus Grasbüscheln, Lamas und Vicunias rupfen an den Grashalmen. Und dann gibt es diese seltsamen harten Moosgebilde, die sich grasgrün an den Felsen schmiegen - mal klein wie ein zerknautschter Fußball, mal mehrere Meter hoch oder breit.
"Diese Pflanze hier heißt Llareta. Sie wächst nur ein paar Millimeter im Jahr. Früher hat man die Llareta zum Feuermachen benutzt - wie Kohle. Aber jetzt ist die Pflanze gefährdet und geschützt und es ist verboten, sie zu ernten und zu verbrennen."
Die Ilareta wächst nur in großer Höhe - wir befinden uns auf über 3000 m über dem Meeresspiegel - und sieht aus, hätte ein Riese seinen ausgekauten grünen Riesenkaugummi an den Felsen geklebt.
"Die Größe dieser Natur beeindruckt mich am meisten (...) diese riesigen, unbewohnten Flächen und drum herum die Berge, das ist eindrucksvoll."
"Mir geht es genauso - die Weite, das Leben von Moment zu Moment, auch wenn es natürlich immer wieder Anzeichen gibt, die uns daran erinnern, dass auch schon andere Menschen hier waren. Die Spuren der Jeeps zum Beispiel."
Während die Gruppe sich an den Schönheiten der Natur ergötzt, räumt Sylvia, die junge Köchen, im Kofferraum herum und zaubert auf einem kleinen Kocher eine erstaunlich frische, warme Mahlzeit.
"Heute gibt's mal wieder Pollo, Erbsen und Möhren mit Kartoffeln vermischt und Gurken und Tomaten."
"Das hier ist er das dritte Mal, dass ich mitfahre, also noch sehr selten. Zuhause koche ich auch, aber das ist natürlich was ganz anderes. Ich mache hier zwar auch Hühnchen und Reis und all das, aber zuhause ist das das leichter. Wir müssen alles mitnehmen auf die Fahrt. Der Veranstalter sagt mir was ich jeden Tag kochen soll und ich muss dann vorsorgen, dass alles da ist, alle Zutaten, ein Kocher - meistens gibt es Hühnchen, Fleisch... ja. So machen wir das."
Am Ende dieses ersten Tages landen wir mitten im wilden Westen. Das kleine Dorf San Juan liegt schweigend in der Abendsonne. Ein eisiger Wind pfeift durch die menschenleeren Gassen. Da und dort klappert eine Tür, manchmal huscht ein Mensch die Straße entlang. Fast erwartet man, dass die berühmten Geächteten Butch Cassidy und Sundance Kid, die hier im südlichsten Teil des Altiplano Anfang des 19. Jahrhunderts ihr Unwesen trieben, im nächsten Moment aus einem der Häuser treten könnten.
San Juan liegt auf 3660 m und bietet diverse Unterkünfte für die Reisenden, die vom Salar kommen. Schmutzig von Salz und Staub erhoffen wir eine Dusche. Aber Wasser ist Mangelware, und viele andere Gruppen teilen sich das äußerst einfache Quartier und also auch das bisschen Wasser, das zur Verfügung steht. Mahlzeiten werden ebenfalls nicht angeboten, da sind wieder die mitreisenden Köche und Köchinnen gefragt.
"Die Unterkünfte - naja, es wäre schon schön, wenn es Wasser gegeben hätte. Und es war eisig kalt. Auf der anderen Seite , wenn ich auf Reisen bin, dann ist es eben nicht so bequem wie zuhause, und man kann auf diese Weise auch etwas über die Lebensbedingungen der Leute lernen, die hier wohnen. Es wäre bisschen seltsam, hier in einem 5Sterne-Hotel zu übernachten, wenn die Leute hier im Elend leben. Deshalb finde ich das in Ordnung."
Während die Touristen über die fehlende warme Dusche stöhnen und dann doch recht fröhlich beim Abendessen beisammen sitzen, ist der Wassermangel für die Bevölkerung ein echtes Problem. Fernando Villarte, Biologe und Techniker der nationalen Naturschutzbehörde in La Paz, erzählt von den Auswirkungen.
"Die Leute haben uns gesagt, dass sie sehr beunruhigt sind über die Trockenheit. Wir planen gerade Regeln für den Gebrauch von Wasser, sowohl im kommunalen Bereich als auch besonders für die Unterkünfte der Touristen. Dafür wird es Normen geben. Denn die Lagunen, die in der Nähe liegen, haben ein ganz besonderes Ökosystem. Sie brauchen ein feuchtes Klima."
Die Lagunen sind die Haupt-Attraktion auf den Salar- und Wüstentouren. Mitten in der kargen Wüste liegen sie plötzlich da wie Juwelen. Im stillen, flachen Wasser stehen Flamingos. In aller Seelenruhe ziehen sie ihre siebartigen Schnäbel durch das Wasser und filtern durch sie die Nährstoffe heraus. Die Lagunen leuchten durch Mineralien oder Kleinstlebewesen in verschiedenen Farben. Laguna colorada - die farbige Lagune, Laguna verde - die grüne Lagune. Die Namen versprechen nicht zu viel, aber es könnte passieren, dass es irgendwann vorbei ist mit den schillernden Namen.
"Seit ungefähr zwei Jahren, seit Anfang 2008, haben wir beobachtet, dass die Trockenheit immer stärker wird in dieser Region. Zwei Jahre lang hat es fast keinen Regen gegeben. Und das beunruhigt uns natürlich, denn die Lagunen sind überhaupt nicht tief. Die Laguna Colorada hatte einen Wasserspiegel, der so farbig schimmerte, dass man ihn schon aus der Ferne sehen konnte. Heute dagegen überwiegt das Salz und das Mineral Borax, die Farbe ist viel weniger geworden. Wir stellen also fest, dass der Klimawechsel einen starken Einfluss auf diese Gegend hat."
Unsere Reisegruppe weiß von alledem nichts. Während Ronald und Sylvia im Auto sitzen bleiben, stehen und gehen wir um die Lagune herum, staunen und wünschen uns, länger verweilen zu dürfen.
"Hierbleiben und allein sein, die Erde, der Himmel, die Natur und nur wir. Das wäre schön."
Manche Touristen haben allerdings auch ihren eigenen Anteil an der Gefährdung dieser Schönheiten. Die Flamingos selbst werden nicht nur vom veränderten Klima in andere Gebiete vertrieben.
"Leider haben wir nicht genügend Wächter im Nationalpark, die ständig kontrollieren könnten. Wir haben beobachtet, dass manche Touristen sogar Flamingos einfangen und festhalten, oder auch nur aufscheuchen, was für die Flamingos einen unnötigen Stress bedeutet. Manche stehlen die Eier der Flamingos. Deshalb müssen wir auch die Fahrer sehr genau instruieren. Denn sie erlauben den Touristen manchmal, dass sie viel zu nah an die Lagunen herantreten."
Eigentlich ist es Aufgabe der Park-Ranger, Touristen von solchen Dummheiten abzuhalten. Aber es hapert an der Organisation. An den Lagunen ist kein Ranger zu sehen, wir treffen ihn erst am Ausgang des Nationalparks.
"Wir haben hier im Avaroa-Nationalpark drei Arten von Flamingos - Andinos, James, Chilenos. Man erkennt sie an den unterschiedlichen Farben der Beine und Federn. Alle drei Arten brüten hier in den Lagunen. Namen. Umgangssprachlich heißen sie Hututu, Tococo und Parin."
Solche Informationen sollen künftig allen Touristen im Schutzgebiet zugänglich sein. Fernande Villarte von der nationalen Naturschutzbehörde arbeitet daran, die Kontrollen zu verschärfen. Reisebüros sollen verpflichtet werden, einen ausgebildeten Ranger für ihre Touren zu engagieren. Interessierte und umweltbewusste Touristen werden es ihnen danken.
"Ich hätte gerne mehr Informationen gehabt. Hier, unser Ronald, der war kein Reiseführer, sondern Fahrer. Deshalb haben mir immer wieder Informationen gefehlt. Manchmal hatte ich Fragen, auf die er keine Antwort wusste, das ist schade. So blieben einige Teile der Reise unklar und schlecht erklärt. Das könnte weit besser gehen."
Wer sich auf dieser Reise nicht nur Kontemplation sucht sondern auch aktiv werden will, der kommt am Sol de Mañana auf seine Kosten. Dorthin steuert die Gruppe am nächsten Morgen um 4 Uhr bei völliger Dunkelheit. Wir befinden uns jetzt unmittelbar an der Grenze zu Chile, auf 4855 Metern Höhe. Es ist eiskalt und die Luft wird dünn. Was wir jetzt sehen und hören, lässt uns Müdigkeit und Kopfschmerzen aber sofort vergessen.
Wie eine blubbernde, fauchende, pfeifende Hexenküche tauchen die Geysire die unwirkliche Kraterlandschaft in dichten, schwefeligen Nebel.
"Das fand ich am besten von allem. Die Geysire. (...) Lagunen habe ich auch schon an anderen Orten gesehen - auch wenn es hier natürlich eine spezielle Fauna gibt - aber Geysire habe ich noch nie irgendwo gesehen. Und diese warmen Bäder - das hat mir gefallen, weil wir da auch mal selbst etwas tun konnten, das war einfach lustig, nicht nur zu schauen, sondern dort baden zu dürfen, selbst aktiv zu werden."
Nicht weit von den sprudelnden Geysiren befindet sich ein kleines Termalbassin, gleich neben einer Lagune. Hier tummeln sich schon die Frühaufsteher der anderen Reisegruppen und scheinen ihren Spaß zu haben.
"Ahh, es ist schön warm!"
"Du musst unbedingt reingehen, es ist herrlich (lacht). Ich bin zwar bisschen krank, aber vielleicht tut das ja sogar ganz gut."
Mein Neid hält sich in Grenzen. Bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt ist die Versuchung, sich erst einmal auszuziehen, um dann ins warme Wasser zu tauchen, nicht besonders groß. Meine Entschuldigung: Das Mikrofon darf nicht nass werden.
Aus dem Salar de Uyuni und der Wüste mit ihren Lagunen bringt der aufmerksam Reisende eine Fülle von Eindrücken nach Hause: Bäume aus Stein, vom Wind geformt. Eine natürliche Felsenlandschaft, die wie eine Ruinenstadt am Rand der Wüste steht. Und der Eisenbahnfriedhof mit seinen rostigen Skeletten aus alten Zügen und Lokomotiven, die in früheren Zeiten Minenerzeugnisse für den Export zu den chilenischen Häfen gebracht haben. Ein Zug neueren Datums bringt uns zurück in den Norden Boliviens. Mitten in der Nacht verlässt er - mit vier Stunden Verspätung - schnaufend den Bahnhof von Uyuni und rattert in die Dunkelheit.