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Idylle in weiten Wiesen

In weiten Wiesenlandschaften, geprägt von den Wasserläufen der Wümme, etwa 20 Kilometer östlich von Bremen gelegen, findet man den das Künstlerdorf Fischerhude. Ein kleines Paradies, in dem noch Platt "gesnackt" wird.

Von Claudia Kalusky | 23.01.2011
    Ein Besuch in Fischerhude gleicht mitunter einer Reise in vergangene Zeiten: Romantisch gelassen geht es hier zu, nicht immer, aber meistens; die Hektik des Alltags erscheint verschwindend gering. Mächtige Eichen säumen kleine Straßen mit altem Kopfsteinpflaster; vereinzelte bewirtschaftete Bauernhöfe, Häuser aus rotem Klinkerstein, dutzende Fachwerkensembles wie das des Heimathauses Irmintraud, mit angeschlossenem Heimatmuseum, gibt es in dem Dorf mit seinen rund 3.200 Einwohnern.

    "Es gibt sehr viele interessante Menschen und auch Künstler und Selbstständige, auch Landwirte, ich glaube das gesellschaftliche Leben ist wie in allen anderen Orten genauso gemischt."

    Antje Modersohn leitet das Otto-Modersohn-Museum in Fischerhude. Sie ist die Enkelin des Malers Otto Modersohn, einem der damals maßgeblichen Mitbegründer der Worpsweder Künstlerkolonie. 1908 zog Modersohn, nach dem Tod seiner zweiten Frau, der Malerin Paula Modersohn-Becker, nach Fischerhude. Sein Sohn aus dritter Ehe, Christian Modersohn, wuchs dort auf, zog später ins Allgäu und kehrte zurück, um Mitte der 70er-Jahre das Museum zu gründen.

    "In Fischerhude sollte eine alte Scheune abgerissen werden und mein Vater ergrifff die Chance dieses alte Fachwerk hier wieder neu aufzubauen."

    Bis heute ist das Museum ein magischer Anziehungspunkt für Kunst interessierte Besucher. Christian Modersohn schilderte allzu gerne, unter anderem in zahlreichen Interviews, die er bis zuletzt - vor seinem Tod im Dezember 2009 - gegeben hatte, seine Liebe zu dem Dorf und seiner unmittelbaren Umgebung.

    "Der Vater hat Fischerhude entdeckt und ist Fischerhude treu geblieben und so ist Fischerhude immer ein Anker gewesen, das man sich hier wieder fand. Und wenn man hier war, dann muss man sagen, dass Fischerhude eine ganz merkwürdige Eigenart hatte und wir haben immer darum gekämpft, diese Eigenart zu bewahren. Es ging ihm immer um Erhaltung. Sein Vater war schon nach Fischerhude gekommen, weil er Fischerhude so ursprünglich fand, so besonders gelegen an diesen Wümme-Armen, die Flussläufe; das Wasser bringt soviel Leben hinein, hat er selbst formuliert. Er ist an der Wümme spazieren gegangen und hat seine Inspiration für sein gesamtes Spätwerk in Fischerhude erworben."

    Auch Christian Modersohn, der sich der Aquarellmalerei widmete, ließ sich in seiner Kunst von der Natur inspirieren.

    "Man muss den Menschen nicht nur die Sprache der Natur vorsprechen, man muss ihnen auch das Wörterbuch mitgeben. Dass sie diese Sprache wieder verstehen lernen. Aus dem Weltlärm zurück in die Stille und das bleibt immer mein Thema: und das ist die Morgendämmerung und der Abendhimmel. Aquarell hat den großen Vorzug: ich brauch kein Licht mischen, sondern es ist genau wie in der Natur transparent, das Licht ist hinten und ich leg die Farben drüber. Wie hat es Rilke gesagt: Das Mensch und Landschaft wie Gestalt und Welt sich begegnen und finden, ist nicht der letzte, aber vielleicht eigenartigste Wert der Kunst geblieben. Und der künstlerisch wichtige Moment: das beide Waagschalen sich das Gleichgewicht halten. Die Bilder meines Vaters leben von der Spiegelung.Es ist im Grunde egal, was er gemalt hat, es kam ihm nur darauf an, dieses Licht darzustellen."

    Dieses ganz besondere Licht: Viel gemalt und viel zitiert. Je nach Betrachter hat es etwas Romantisch-Verträumtes, Bizarres oder beinahe Mystisches, zum Beispiel dann, wenn der Nebel sich über die Wiesen legt; wenn die Birken und Eichen nur noch vage zu erkennen sind, wenn die Spiegelungen des Wassers in andere Welten verführen. Zahlreiche Künstler schätzten und schätzen diese wechselnden Naturschauspiele.

    Einer der ersten war Heinrich Breling. 1849 geboren, verbrachte er seine Kindheit in dem Dorf an der Wümme und machte Karriere: er wurde Maler am Hofe König Ludwigs des zweiten von Bayern und kehrte zurück nach Fischerhude. Ebenso ein Rückkehrer ist der 58-jährige Sohn des Malers Hans Meyboden, der 1965 verstarb, Lorenz Meyboden, der sich -wie sollte es fast anders sein- der Kunst verschrieben hat.

    "Also wenn wir die Bilder angucken, die die Maler gemalt haben, die das Dorf entdeckt haben, hat sich vieles erhalten. Es gebraucht viel Liebe, es gebraucht viel Einsatz von der Dorfbevölkerung, ihre Gebäude zu erhalten."

    Einen weiteren Blickfang stellt die Dorfkirche mit ihrem Glockenturm aus rotem Klinker dar. Sie ist umgeben von einer Mauer, in die alte Grabsteine eingelassen sind.
    Ein kleiner Stichweg, der Cato-Bontjes van Beek Weg, führt an der Kirche vorbei:
    Cato Bontjes van Beek wuchs in einer Künstlerfamilie in Fischerhude auf; ihre Geschwister leben heute noch hier. 1943 wurde sie als aktive Widerstandskämpferin von den Nazis zum Tode verurteilt.

    Auch Clara Rilke-Westhoff, Bildhauerin und Frau des Dichters Rainer-Maria-Rilke
    lebte in Fischerhude. Heute befindet sich in ihrem einstigen Wohn- und Atelierhaus ein Café mit einem Sommergarten, von dem aus die Gäste einen bezaubernden Blick auf den alten Nordarm der Wümme genießen. Ebenso reizvoll mutet die alte Fischerhuder Wassermühle aus dem 19. Jahrhundert an: Ein Teil des Fachwerkensembles ist liebevoll restauriert worden und beherbergt ein Restaurant. Wer das Glück hat und jemanden kennt, der ein Stakboot besitzt, kann einen Teil des Ortes vom Flusslauf der Wümme aus betrachten.

    Die hölzernen Kähne waren Transportmittel für die Bauern, die mit ihnen ihr Heu, Torf oder Massen von Aalen transportierten. Jeder Hof war mit dem Wassernetz des Flusses verbunden.Damals gab es noch sehr viel mehr Streeks, wie sich die Flussläufe und Kanäle nennen.

    "Das ist aufregend und das ist selten, dass ein Dorf mitten zwischen vielen Flussläufen liegt. Das ist so, dass der Fluss sich teilt, einige Kilometer vor dem Dorf, bildet verschiedene Flussläufe und breitet sich sozusagen aus wie in einem Delta durch die Wiesen und kommt am Ende hinter Fischerhude wieder zusammen zu einem Fluss."

    "Da gab's einen Bauern, der wollte auch mal Boot fahren und als er das Boot bestieg, vergaß er wie das Ding heißt, mit dem man das Boot fortbewegt, nämlich den Staken. Und weil es ihm nicht einfiel, sagte er zu irgend jemanden: Och gib mi mol dat Schipperdings. Und seitdem nannte man ihn im Dorf 'Schipperdings'."

    In Fischerhude wird heute noch Platt "gesnackt". Für Fremde mag das exotisch klingen, für die Einheimischen ist es ein vertrauenswürdiges Miteinander.

    "Natürlich ist hier auch kein Paradies auf Erden, und trotzdem funktioniert hier noch eine Nachbarschaft. Es gibt diese Struktur noch, dass man sich gegenseitig hilft, dass man sich kennt, dass man sich grüßt, dass man sich aushilft bei Hochzeiten, bei Trauerfällen:
    Wer trägt den Sarg, wer bereitet das Fest."

    Mitten im Ortskern liegt die große Dorfweide, auf der von Frühjahr bis zum Herbst Pferde weiden. In den 60er-Jahren sollte sie einem Kaufhaus zum Opfer fallen. Zum Glück fand sich ein wohlhabender Mann, der das Grundstück erwarb und es somit vor der Bebauung rettete. Doch Fischerhude bleibt nicht gänzlich vor Neuerungen verschont. In den letzten Jahren wurde am Ortsrand ein kleines Einkaufszentrum errichtet, wenige Kilometer weiter entsteht ein Neubaugebiet. Es gibt einen Verein, der sich für den Erhalt der Dorfstruktur einsetzt.

    "Das Verständnis für diesen Ort muss immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden."

    Fischerhude soll das bleiben, was es für viele bedeutet: Für die einen ist es die Rückkehr in einen vertrauten Ort, für die anderen ist es ein immerwährendes Ankommen, eine andauernde Liebe, noch lange nach dem ersten Blick.