
Silvia Engels: Der französische Ministerpräsident Manuel Valls ist seit gestern in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte die Reformzusagen aus Paris, mahnte aber, den europäischen Sparkurs einzuhalten. Wirtschaftsminister Gabriel warnte dagegen davor, Frankreich zu mehr Einsparungen zu drängen. Gestern sprach meine Kollegin Bettina Klein mit der stellvertretenden Vorsitzenden der deutsch-französischen Parlamentariergruppe, Elvira Drobinski-Weiß von der SPD. Weshalb, so die Frage, könne die SPD nicht auch klar und deutlich aussprechen, dass Frankreich zu lang mit Reformen gewartet habe?
Elvira Drobinski-Weiß: Na ja, ich meine, das Problem ist immer, jemandem gute Ratschläge zu geben, und da verstehe ich dann auch, dass Herr Valls da schon etwas pikiert darauf reagiert.
Bettina Klein: Was ist daran falsch?
Drobinski-Weiß: Wer möchte sich denn von seinem Nachbarn sagen lassen, dass er Fehler gemacht hat? Ich denke, das ist ihm selbst klar. Und ich glaube auch, dass gerade er auch in seiner Person hier natürlich relativ kurze Zeit ja erst tatsächlich der Premierminister ist und hier auch einfach Zeit braucht, das, was jetzt angekündigt worden ist, auch umzusetzen. Wir haben seinerzeit die Reformen, die auf den Weg gebracht worden sind, die haben ja, bitte schön, auch nicht in einem Jahr zum Erfolg geführt, sondern erst etliche Zeit, um nicht zu sagen Jahre danach haben die dann gegriffen, und wir glauben nun, dass wir unserem Nachbarn hier ein Stück weit bevormunden müssen.
"Das müssen wir den Franzosen nicht auch noch vorhalten"
Klein: Nun muss man vielleicht auch dazu sagen, dass das ja nicht der Geschmack der Deutschen allein ist, sondern dass Frankreich gegen bestimmte Kriterien verstößt, die Frankreich sich gemeinsam mit der Europäischen Union gegeben hat. Gegen die Neuverschuldung soll weiter verstoßen werden bis 2017, der Schuldenberg ist deutlich höher, als eigentlich von der Europäischen Union genehmigt. Weshalb kann man das nicht klar aussprechen und weshalb soll das verstanden werden als ein quengelndes Insistieren eines Nachbarn, wenn es doch eigentlich um europäische Richtlinien geht?
Drobinski-Weiß: Gut, das wissen die Franzosen selbst, dass sie hier gegen die entsprechenden Prozentsätze verstoßen mit ihrer Verschuldung. Das müssen wir nicht auch wieder extra vorhalten, sondern tatsächlich durchaus auch überlegen, wie kann Deutschland denn hier ein Stück weit dem Nachbarn helfen, oder gar dem Freund helfen. So sehen wir uns ja immer. Wir sprechen ja immer ständig von der deutsch-französischen Freundschaft. Es ist klar, die Franzosen wissen es selbst, dass sie hier tatsächlich im Moment dann auch den Kriterien der EU zuwider laufen mit ihrer Verschuldung. Natürlich ist das auch zurückzuführen auf den Wahlkampf. Da hat man einfach Dinge versprochen, wo eigentlich klar gewesen ist, das kann man nicht halten, etwa die Rückkehr zu der Rente mit 60 für etliche oder für Millionen von Franzosen, oder dass man das Sozialhilfe-Minimum erhöht hat und solche Dinge. Das kann man nicht finanzieren. Und während wir eher bereit sind zu sagen, gut wir sehen die Notwendigkeit ein, durchaus jetzt auch solche Einschnitte hinzunehmen, glaube ich, ist es schon auch ein Unterschied, ich sage jetzt mal, in der Kultur unseres Nachbarlandes.
Klein: Aber im Ergebnis, Frau Drobinski-Weiß, spricht doch die deutsche Bundesregierung in gewisser Weise mit gespaltener Zunge. Die eine sagt Hü, die andere Hott. Wie überzeugend ist denn das?
Drobinski-Weiß: Gar nicht, da haben Sie schon Recht. Es gibt natürlich Politiker, gerade die Konservativen, die hier Frankreich auffordern, einfach kräftiger zu sparen. Nur es gibt natürlich auch die Gefahr, dass man sich zu Tode spart. Das ist das eine Problem. Dann glaube ich schon auch, dass man hier das richtige Maß finden muss, und ich glaube auch, dass man jemandem wie Valls auch hier die Möglichkeit einräumen muss, tatsächlich mit seinen Reformen, die ja immerhin dann doch ein Volumen von 50 Milliarden in drei Jahren umfassen, dem einfach die Chance geben muss, das umzusetzen, und das hat er nicht.
Dann möchte ich auch noch auf ein anderes Problem hinweisen, das da auch noch vorhanden ist. Wir haben da eine starke rechte Szene, um das noch mal freundlich zu formulieren, und ich finde es schon sehr problematisch, dann auch hier zu sagen, wir sparen, wir sparen, und Frau Le Pen dann dort mit entsprechenden Versprechen, die sie auch nicht wird einhalten können, versucht, tatsächlich eine Mehrheit für sich zu gewinnen, oder hier die jetzige Regierung zu destabilisieren.
Erstarken der Rechtspopulisten als Problem
Klein: Wenn Sie vom Stärken der Rechtspopulisten in Frankreich oder auch in Europa sprechen - auf der anderen Seite geht es um die Glaubwürdigkeit europäischer Entscheidungen, die auf dem Spiel steht, und das ist genau das, was andererseits hierzulande zum Beispiel Wasser auf die Mühlen einer neuen Partei wie der Alternative für Deutschland bedeutet.
Drobinski-Weiß: Da haben Sie Recht. Das ist auch die Krux, in der wir uns befinden. In Frankreich ist das natürlich momentan ganz extrem. Aber das, was da jahrelang falsch gemacht worden ist, auch unter einer konservativen Regierung, finde ich, kann auch eine sozialistische, die jetzt gerade mal zwei Jahre an der Regierung ist, nicht einfach so verhindern, und ich plädiere dafür, tatsächlich hier dieser Regierung die Möglichkeit, eine echte Chance einzuräumen, hier wieder auf einen einigermaßen grünen Zweig zu kommen.
Klein: Wenn wir über die unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Großen Koalition in Berlin an der Stelle sprechen - wir haben es ja schon angedeutet -, was heißt denn das in Zahlen ausgedrückt? Wie viel mehr Zeit hat denn jetzt der französische Regierungschef zugesagt bekommen von der CDU-Kanzlerin? Was im Gegensatz würde denn Herr Gabriel ihm lieber gewähren?
Drobinski-Weiß: Das weiß ich jetzt nicht, was mein Parteichef ihm da möglicherweise einräumen würde. Ich glaube auch, eher gar nicht; das halte ich auch für kontraproduktiv. Aber natürlich ist ja auch hier in Frankreich dann das nächste Ziel oder die nächste Zahl, die man vor Augen hat, die nächste Wahl in Frankreich, die nächste Parlamentswahl, und bis dahin muss Herr Valls natürlich schon sehen, dass er hier deutlich machen kann, dass er seine Reformen auch umsetzt. Das, finde ich, ist schon ein Spagat, den er hier vollbringen muss.
Engels: Elvira Drobinski-Weiß, sie ist die stellvertretende Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe und gehört der SPD an. Mit ihr sprach meine Kollegin Bettina Klein.
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