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Deutsch-Katarische Wirtschaftsbeziehungen
Wettbewerb um Milliarden

Katar steht wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Weniger im Fokus: westliche Konzerne, die von Milliarden-Aufträgen rund um die Fußball-WM profitieren. Auch die deutsch-katarischen Wirtschaftsbeziehungen sind besser, als viele glauben.

Von Ronny Blaschke |
Wolkenkratzer in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar
Katar gilt als wichtiger Wirtschaftspartner und Investor für viele europäische Unternehmen und Fußballklubs (picture alliance / augenklick/firo Sportphoto)
Rund zwei Milliarden Euro dürfte Katar in den vergangenen zehn Jahren in europäische Fußballklubs investiert haben. Gemessen an den Gesamt-Investitionen des Emirats: eine überschaubare Summe. Die staatliche „Qatar Investment Authority“ soll in Dutzenden Ländern mehr als 350 Milliarden Euro angelegt haben. Gut ein Viertel davon in Großbritannien, den USA und Frankreich.
Katar hält Anteile an Kapitalmärkten wie der Londoner Börse und an Banken wie Barclays und Credit Suisse, sagt Nahost-Experte Kristian Ulrichsen vom Baker Institute in Houston: „In Deutschland und Skandinavien bewerten Journalisten und Aktivisten die WM in Katar anders als ihre Regierungen. Für die Wirtschaft gilt Katar als wichtiger Partner und Investor. Es bestehen ökonomische und sicherheitspolitische Beziehungen, die lange vor der WM-Vergabe 2010 etabliert wurden und auch das Jahr 2022 überdauern werden.“

Auch Norwegen ist eng mit Katar verbandelt

In Norwegen haben Fußballfans und Spieler besonders intensiv über einen Boykott der WM in Katar diskutiert. Was wohl nur wenige von ihnen wissen: Zwischen Norwegen und Katar gibt es ein Freihandelsabkommen. Norwegische Unternehmen haben fast neun Milliarden Euro in Katar investiert, unter anderem in Landwirtschaft und Meerestechnik.
Die norwegischen Spieler tragen T-Shirts, auf denen die Menschenrechte eingefordert werden und zeigen die linke Hand als Symbol für die Menschenrechte.
Die norwegische Nationalmannschaft setzt sich für die Menschenrechte ein (Vegard Wivestad Grott / BILDBYRAN/imago)
Diese Unternehmen spielen in der Debatte um Menschenrechte in Katar kaum eine Rolle. Und sie dürften darüber durchaus erleichtert sein, sagt Dietmar Schäfers, Vizepräsident der Bau- und Holzarbeiter Internationale, eines Gewerkschaftsverbundes: „Für die Konzerne ist es oft schwer. Auf der einen Seite wollen sie Millionen schwere Aufträge bekommen. Und auf der anderen Seite haben sie aber auch eine Verantwortung für die Arbeitsverhältnisse und natürlich auch dafür, dass Arbeitsrechte und Menschenrechte auch beachtet werden. Auf der einen Seite will man öffentliche Aufträge haben. Und auf der anderen Seite will man aber auch nicht so laut kritisieren, auch von Seiten der Unternehmen, was alles so falsch läuft, gerade um öffentliche Aufträge herum.“
Franck Ribéry und Robert Lewandowski im Bayern-Trikots, auf deren Ärmel Hamad Airport Qatar steht.
Der FC Bayern München wirbt seit der Saison 2017/18 für das Emirat Katar. Die Geschäftsbeziehungen sind sehr eng. (imago sportfotodienst)

Katar investiert massiv in Deutschland

In Deutschland fokussiert sich die Kritik auf den FC Bayern. Der Rekordmeister erhält von der staatlichen Fluglinie Qatar Airways jährlich rund 20 Millionen Euro. Doch auch darüber hinaus ist der katarische Staatsfonds einer der größten Auslandsinvestoren in Deutschland, mit einem Volumen von rund 25 Milliarden Euro. Katar hält Anteile an Volkswagen, dem Träger des VfL Wolfsburg. An der Deutschen Bank, dem Namenspaten des Frankfurter Fußballstadions. Oder an Hapag-Lloyd, dem Hauptsponsor der Hamburger Bundesliga-Handballer.

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Zudem sind deutsche Konzerne an Großprojekten in Katar beteiligt: Die Deutsche Bahn und Siemens beim Aufbau der Nahverkehrsstrukturen, SAP an der Digitalisierung. Doch das seien nur die bekannteren Beispiele, sagt Kathrin Lemke, seit 2016 Leiterin des deutschen Außenhandelskammer-Büros in Doha:
„Traditionell ist es auf jeden Fall die Baubranche. Das hat sich in den letzten Jahren aber auch ein bisschen diversifiziert. Klassisch finden Sie immer noch Bauunternehmen hier und vor allem auch Zulieferer für die Bauindustrie. Deutsche Maschinen sind sehr gefragt und Ingenieursdienstleistungen. Aber über die letzten Jahre hat sich der Dienstleistungssektor auch vergrößert. Wir finden mehr kleine und mittelständische Unternehmen, die auch IT-Dienstleistungen, Servicedienstleistungen anbieten zum Beispiel.“

Kanzlerin Merkel empfing den Emir in Berlin

Inzwischen liegen deutsche Exporte nach Katar jährlich bei rund anderthalb Milliarden Euro. Immer wieder werben deutsche Unternehmer und Politiker vor Ort für einen Ausbau der Beziehungen. Zum Beispiel Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im Rahmen der Handball-WM 2015 in Katar. Kathrin Lemke sagt: „Seit der politischen Krise, seit der Isolation Katars durch die Nachbarländer im Juni 2017, gab es ein sehr großes Interesse des katarischen Staates, sowohl neue Beziehungen aufzubauen, als auch die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit Ländern zu vertiefen. Und da gab es eine große Initiative des katarischen Staates, mit den bestehenden Partnern Foren zu veranstalten.“
Bundeskanzlerin Merkel und der Emir von Katar, Scheich al-Thani, nehmen die Ehrenformation vor dem Bundeskanzleramt ab.
Bundeskanzlerin Merkel beim Empfang des Emirs von Katar, Scheich al-Thani, in Berlin (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
Im September 2018, mitten in der Blockade Katars durch Saudi-Arabien, empfing Bundeskanzlerin Merkel den katarischen Emir al-Thani zu einem Wirtschaftsgipfel. Merkel sagte unter anderem: „Deshalb freue ich mich natürlich, Hoheit, über das Interesse, das Katar an Deutschland zeigt und darüber, dass Katar seine Investitionen in Deutschland ausweiten möchte über das bestehende Maß.“ Beide Regierungen unterhalten auch eine gemeinsame Wirtschaftskommission. Zudem sollte der Bundespräsident vor wenigen Wochen nach Doha reisen, doch sein Besuch musste wegen der Pandemie abgesagt werden.

Austausch in gemeinsamen Ausschüssen

Ob Frank-Walter Steinmeier auch die schleppende Umsetzung der Arbeitsreformen angesprochen hätte? Und überhaupt: Wie können westliche Unternehmen für Menschenrechte eintreten, ohne auf Einnahmen zu verzichten? „Es ist sehr wichtig, dass sich Vereine und Verbände vor ihrem Engagement in Katar ausführlich mit arbeitsrechtlichen Fragen in Katar beschäftigen“, sagt Max Tuñón Leiter des Büros der International Labour Organization in Doha. „Ob Hotels, Sicherheitsdienste oder Transportwesen: Die Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht für ihre Arbeiter. Wir werben auch aktiv für gemeinsame Ausschüsse. Dort können sich dann Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig austauschen.“
Im Fußball müssen der FC Bayern, der DFB oder die FIFA weiterhin kritische Fragen zu Katar beantworten. In der Wirtschaft buhlen Unternehmen aus westlichen Demokratien im Stillen um katarische Milliarden. Und auch der deutsche Mittelstand, so heißt es, will in Katar demnächst eine eigene Repräsentanz eröffnen.