
Rund 350 deutsche Firmen sind in Taicang aktiv: vom Autozulieferer Schaeffler über den Finanzdienstleister Rödl und Partner bis zum Werkzeugmaschinenbauer Trumpf. Das German Centre in Taicang versteht sich als Plattform für deutsche Unternehmen in der Region und dient als Anlaufstelle, vermietet Büroflächen und berät die Firmen, sagt Leiterin Marieke Bossek.
"Also ich würde nicht sagen zu abhängig. Abhängig: Ja. Aber ich würde dies aber nicht als Negativum sehen, sondern eine Abhängigkeit bedeutet ja auch, man kann nicht weg, und zwar gegenseitig. Und diese Gegenseitigkeit kann man jetzt bezeichnen als Abhängigkeit oder als Notwendigkeit im Sinne des Positiven, nämlich Mehrwert zu schaffen. Und tatsächlich, das gebe ich zu, ja, da bin ich eher der positiv Denkende und sage: Wir schaffen Mehrwert als Abhängigkeiten."
Corona-Pandemie befördert Handel zwischen Deutschland und China

So wie hier in einem Bericht des staatlichen Fernsehsenders CCTV von Ende März. Zu sehen ist, wie Xi in olivgrünem Militärdress einen Truppenübungsplatz im Landesteil Fujian besucht. Soldaten stehen stramm und salutieren ihrem Oberbefehlshaber. Der ruft die Soldaten auf, sich bereit zu halten für einen möglichen Krieg: "Nur mit einer verstärkten militärischen Ausbildung und Vorbereitung kann man moderner Kriegsführung gewachsen sein. Sie, die Soldaten, leisten gute Arbeit! Das ist genau der Geist, den eine starke militärische Kraft braucht."

Unterdrückung von Uiguren und anderen Minderheiten
"Ich kann mit meinen Studenten keine offenen Diskussionen mehr führen. Man kann Dinge nur begrenzt in Frage stellen. Und dann ist es immer so die Frage, wie schnell übertritt man da jetzt die rote Linie. Ich ertappe mich auch immer wieder dabei, wenn ich Chinesen unterrichte, immer drüber nachzudenken "Hätte ich das jetzt sagen sollen oder nicht?". Es gab ja auch immer wieder Berichte darüber, dass Professoren von der Uni geschmissen wurden, weil sie eben öffentlich etwas gesagt haben, das nicht auf Parteilinie war. Und das ist einfach extrem bedenklich."
Auch von Wirtschaftspartnern duldet China keine Kritik
"Es wird viel darüber geredet, dass Kritik an Politbüro-Funktionären in China zu Wirtschaftssanktionen führen kann oder dazu, dass deutsche Firmen aus China rausgeschmissen werden. Was man aber vom Beispiel Australiens ableiten kann, ist: Deutsche Produkte, die wirklich gebraucht werden, werden auch weiterhin von China gekauft werden."

Friedolin Strack spricht für den Bundesverband der Deutschen Industrie, den wichtigsten Wirtschaftsverband. Von seinem Büro im Herzen Berlins aus, nur einen Steinwurf entfernt vom Regierungsviertel, leitet er die Abteilung Internationale Märkte beim BDI. Zugleich ist er Sprecher der Geschäftsführung des APA, des einflussreichen Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. Stracks Worte haben also Gewicht.
Deutschland genießt Sonderstatus in Peking
Die Folge: Deutschland genießt bis heute einen Sonderstatus in Peking. Der immense Nachholbedarf in China, die ungebrochene Nachfrage nach Qualitätsprodukten Made in Germany, vor allem Autos, Maschinen und Spezialbauteile, zahlt sich für die deutsche Wirtschaft aus. Doch der Wandel blieb aus. Die deutsche Politik müsse sich daher gegenüber China jetzt neu aufstellen, fordern Vertreter von Merkels Koalitionspartner SPD. Nils Schmid, ihr außenpolitischer Sprecher im Bundestag, spricht von einer deutlichen Ernüchterung im Verhältnis zu China.
"Also diese Konvergenzthese Wandel durch Handel ist zumindest vorläufig widerlegt, ich würde sie nicht als endgültig gescheitert betrachten, aber die chinesische Führung hat den Spielraum für eine solche Annäherung deutlich eingeengt. Das heißt nicht, dass man nicht weiter Handel betreiben sollte, aber die China-Politik Deutschlands muss erstens deutlich europäischer werden und muss zweitens eben weg von der reinen Fixierung auf Handels- und Wirtschaftsthemen deutlich breiter werden."
Solche Forderungen kommen nicht nur von der SPD, sondern auch aus Teilen der Union und von den Grünen. Zum Beispiel von Reinhard Bütikofer von den Grünen. Der Leiter der China-Delegation im europäischen Parlament, neuerdings von Peking mit Einreiseverbot sanktioniert, warnt Politik und Wirtschaft, sich zu sehr auf China und seinen großen Markt zu verlassen.
"Nun gibt es ein paar deutsche Konzerne, die das weiter gemacht haben. VW zum Beispiel hat so viele Eier in diesen einen chinesischen Korb gepackt, dass wenn den jetzt jemand fallen lässt, ist es für das Unternehmen wirklich nicht sehr angenehm. Nur sind wir längst, glaube ich, über eine Zeit hinweg, in der man behaupten konnte, was für VW oder andere Großkonzerne gut ist, ist deswegen auch für Deutschland gut."
Zwischen Wirtschaftspartner und -konkurrent
Investitionen in Schlüsselindustrien in Europa sollen zudem für China technisches Know-how sichern. Die Übernahme 2016 von Kuka in Augsburg, ein weltweit führender Hersteller von Industrie-Robotern, durch den chinesischen Mischkonzern Medea, war für viele ein Weckruf: Der Abfluss deutscher Hochtechnologie – so hatte man sich die Zusammenarbeit nicht vorgestellt.

"Dann wird eben nicht so einfach billiges Huawei-Equipment in die 5G-Netze in Europa und Deutschland verbaut, dann muss man auch genau überlegen, ob chinesische Staatsunternehmen vermeintlich billiger Infrastrukturprojekte finanzieren und realisieren. Ich finde, dass wir da als Europäer deutlich strengere Regeln brauchen und mehr Prüfungen vornehmen müssen und auch im einen oder anderen Fall, wenn es zu Wettbewerbsverfälschungen kommt, auch chinesische Investoren, aber auch Investitionen aus anderen Drittstaaten ablehnen müssen."
Künftig auf das eine oder andere Geschäft verzichten, das ist auch für den Bundverband der Deutschen Industrie kein Tabu mehr, zumal das geplante Lieferkettengesetz deutsche Unternehmen unter Zugzwang setzen dürfte. Aber es gehe auch um Werte und Unternehmensleitlinien, sagt Friedolin Strack vom BDI – etwa mit Blick auf die Vorwürfe von Zwangsarbeit in der Uiguren-Region Xinjiang.
"Wir werden in Situationen reinkommen, wo ein Sorgfaltspflichtengesetz - deutsch oder europäisch - klare gesetzliche Widersprüche schafft zu den Sourcing-Bedingungen in China. Und dann müssen sich die Firmen entscheiden, müssen sagen, wenn ich nicht mehr in der Lage bin, Gesetze zu erfüllen in Deutschland und der EU, oder wenn ich nicht mehr in der Lage bin, meine Unternehmens-Code-of Conduct zu erfüllen in einem Markt, dann muss ich Konsequenzen ziehen."
Gerade die Situation ethnischer Minderheiten in der Region Xinjiang belastet zunehmend die Beziehungen. Die EU hat im März Sanktionen gegen vier chinesische Funktionäre verhängt, die als Verantwortliche für das Unterdrückungssystem dort gelten. China antwortete mit breiten Gegensanktionen gegen europäische Parlamentarier und Wissenschaftler. Schlechte Voraussetzungen für ein Herzensprojekt von Kanzlerin Merkel: das Investitionsabkommen mit China. Auf Druck der Bundesregierung war eine Grundsatzeinigung noch im Dezember, kurz vor Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, durchgepeitscht worden. Jetzt aber sieht es schlecht aus für das Abkommen, das nur mit Zustimmung des Europaparlaments vorankommen kann, sagt SPD-Politiker Schmid.
"Wer das Herz der europäischen Demokratie so willkürlich angreift wie das die Chinesen mit ihren Sanktionen getan haben, kann nicht erwarten, dass dieses Investitionsabkommen jetzt durchkommt."
Doch in Deutschland gibt es weiterhin eine starke Fraktion, die von systemischer Rivalität – Autokratie gegen Demokratie – nichts wissen will. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Friedrich von der CSU winkt ab:
"Nein, China ist keine Diktatur, China ist ein Staat, in dem im Wesentlichen eine Partei, nämlich die Kommunistische Partei herrscht. Wir haben das einfach so zur Kenntnis zu nehmen. Also man muss Menschenrechtsverletzungen natürlich nicht hinnehmen, aber ich glaube, dass es wenig zielführend ist, permanent lautsprecherisch durch die Gegend zu laufen und besserwisserisch zu sagen, was andere zu machen haben."
Friedrich ist Vizepräsident des Bundestages, außerdem Vorsitzender der "China-Brücke". Der Verein hat sich – nach dem Vorbild der "Atlantik-Brücke" - den Dialog mit China auf die Fahnen geschrieben. Die Mitgliederliste ist geheim, aber im Vorstand sitzen auch Vertreter chinesischer Großkonzerne – darunter von Huawei und Alibaba.
In der SPD sind es frühere Parteichefs wie Gerhard Schröder und Siegmar Gabriel, die weiter für eine enge Zusammenarbeit mit China werben. Aber dass sich die deutsche China-Politik nach der Ära Merkel ändern wird, steht wohl außer Frage. Aus der Wirtschaft kommen bereits klare Wünsche. Weniger Alleingänge der Bundesregierung, mehr europäische Geschlossenheit. Dabei müssten deutsche Interessen auch mal zurückstehen, sagt Friedolin Strack vom BDI:
"Ich würde mir schon von der zukünftigen Bundesregierung mit Blick auf China mehr Klarheit wünschen. Wenn der BDI ein politisches Vorgehen der chinesischen Zentralregierung in Hongkong in der Lage ist, klar zu verurteilen, dann wünsche ich mir, dass das das Bundeskanzleramt auch tut."
Auch in China weiß man, dass nach der Bundestagswahl im Herbst höchstwahrscheinlich eine neue Regierungskoalition das Sagen haben wird.
Die Volksrepublik bleibt wichtig für Deutschland
"Falls die Grünen an die Macht kommen und eine neue Regierung anführen, wird es schwieriger für die Beziehungen als unter Schwarz-Rot – aber letztlich würde auch eine grün geführte Regierung zurückkehren zur Normalität, um das Beste fürs nationale Interesse Deutschlands zu tun."
Die Vertreter der deutschen Wirtschaft in China rechnen nicht damit, dass sich – trotz der kontroversen Diskussion in Deutschland - unter einer neuen Bundesregierung groß etwas ändern wird. Marieke Bossek vom German Centre Taicang.
"Nach unserer Erfahrung ist es natürlich oft so. Es wird viel über China geschimpft, es wird viel über Regulierung geschimpft. Die Firmen wollen aber trotzdem alle hier sein und die Firmen möchten auch alle an dem Markt teilhaben, weil sie das Riesenpotenzial für sich und ihr Unternehmen am chinesischen Markt auch sehen. Somit kommen die Firmen trotzdem nach China und sie investieren in China.
Einig ist man sich in Deutschland und China: Die Volksrepublik bleibt wichtig und bleibt weiterhin für viele Unternehmen der wichtigste Markt. Klar ist aber auch: An der Tatsache, dass China eine knallharte Diktatur ist, kommt Deutschland nicht mehr vorbei. Und die Probleme, die das mit sich bringt, werden das zukünftige Verhältnis zwischen beiden Ländern entscheidend mitbestimmen.