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Deutsche setzen sich "auf hohes moralisches Ross"

Edward Snowden sei ein Verräter, der seinen Treueeid wissentlich gebrochen habe, urteilt Frederick Forsyth, Autor von "Die Todesliste", einem Krimi über den "lautlosen" Krieg gegen den Terror. Jetzt würde Snowden noch als Held gehandelt. Das würde sich ändern, wenn 1000 Deutsche bei Terrorangriffen stürben.

Frederick Forsyth im Gespräch mit Friedbert Meurer | 14.10.2013
    Friedbert Meurer: US-Präsident Barack Obama ist Träger des Friedensnobelpreises. Viele Deutsche waren begeistert, als er 2008 zum Nachfolger von George W. Bush gewählt wurde. Aber die Leidenschaft ist ein wenig abgekühlt. Das Gefangenenlager Guantanamo ist nicht aufgelöst, der Krieg im Irak ist zwar beendet, demnächst der in Afghanistan auch, an diese Stelle aber tritt der Krieg der Drohnen, unbemannte Flugzeuge, die aus der Luft mutmaßliche Terroristen liquidieren, Topterroristen, die auf geheimen Todeslisten stehen, die der Präsident abgezeichnet hat.

    "Death List", "Die Todesliste", so heißt das neue Buch von Frederick Forsyth. Der britische Krimiautor war am Wochenende in Köln. Deutschland ist ihm vertraut, er hat hier in den 60er-Jahren als Journalist gearbeitet, und ich habe Frederick Forsyth zunächst gefragt: Wie sehr interessieren Sie sich noch für die deutsche Politik?

    Frederick Forsyth: Ja, mein Interesse für Deutschland ist immer stark gewesen. Zum ersten Mal kam ich im Jahr 1952 als Schüler nach Deutschland. In drei Jahren in aufeinanderfolgenden Sommerferien lernte ich Deutsch und sprach mit 16 Jahren fließend. Im Alter von 25 kehrte ich zurück, dann als Reuterkorrespondent für Ostdeutschland, für die Tschechoslowakei und Ungarn. Ich hatte also eine ziemlich große Gemeinde abzudecken. Und seit dieser Zeit habe ich mich immer stark für Deutschland und alles Deutsche interessiert.

    Meurer: Sie schreiben in Ihren Büchern über den internationalen Terrorismus. Es gibt hier in Deutschland die Kultur der militärischen Zurückhaltung. Das ist die Devise der Bundesregierung und viele Deutsche sagen, was haben wir mit dem internationalen Terrorismus zu tun. Was meinen Sie?

    Forsyth: Ja, ich glaube, sie geben sich da einem gewissermaßen germanozentrischen Denken hin, denn über die 43 Jahre des Kalten Krieges hatten sie ja auch nichts dagegen, dass sie gegebenenfalls von den westlichen Mächten verteidigt werden würden. Denn es war doch klar: Wenn die Russen angreifen würden, dann würde das über die norddeutsche Tiefebene geschehen, und da hätten sie sich ja gerne unter den Schutz der westlichen Mächte gestellt.

    Jetzt beim Terrorismus zu sagen, das geht uns nicht so viel an, das funktioniert so nicht. Nein, die Terroristen haben ihre Wahl getroffen. Hier sind wir doch alle im selben Boot. Mir scheint es also ratsam für die Deutschen, dies auch anzuerkennen und zu sagen, wir müssen uns gemeinsam verteidigen, auch wenn wir bisher noch nicht getroffen worden sind. Es könnte jederzeit geschehen, also sollten wir hilfreich mitmachen.

    Meurer: Wenn Sie jemanden in Deutschland fragen, vor was haben Sie Angst, dann wird der vermutlich sagen, Banker von der Wallstreet, Klimawandel und dann unter ferner liefen internationaler Terrorismus. Woher kommt das, was meinen Sie?

    Forsyth: Nun, ich würde sagen, wenn 1000 Deutsche in zehn unterschiedlichen Situationen in ganz Deutschland in die Luft gesprengt würden, ganz zu schweigen von 3000 Deutschen, die in zwei Hochhaustürmen in die Luft gejagt würden, aber schon 1000 Deutsche würden eine vollständige Änderung der Lage herbeiführen. Man müsste sich dann ein ganz anderes Deutschland überlegen.

    Meurer: Bundespräsident Joachim Gauck hat in einer Rede am 3. Oktober gesagt, Deutschland soll sich nicht klein machen, sondern sich seiner internationalen Verantwortung stellen. Glauben Sie, Deutschland macht sich in der internationalen Politik klein?

    Forsyth: Ja, so sehe ich das in der Tat, denn Sie haben als Deutschland die Größe, sowohl was die Bevölkerungszahl angeht wie auch die Wirtschaftskraft wie auch die Finanzmacht, um eine viel größere Rolle zu spielen, als Sie das jetzt tun. Es sieht so aus, als wollten Sie sich beiseite schleichen und sagen, ach, wir wollen nicht mitmachen, das bedeutet Anstrengung, das bedeutet auch Kosten. Sie sollten an all die Jahre zurückdenken, als Sie den Schutz der Briten, der Amerikaner, der Kanadier in Anspruch nahmen und auch damals nichts dagegen hatten.

    Meurer: David Cameron hat ja gerade eine Abstimmung im Unterhaus verloren. Das Unterhaus hat sich dagegen gestellt, dass Großbritannien Syrien angreift. War das ein Wendepunkt, ist das das Ende der britischen Großmannssucht, wie man hier in Deutschland sagt?

    Forsyth: Nein, das sehe ich nicht so. Sie haben da zweierlei schmerzhaft erfahren müssen. Zum ersten haben sie zu ihrem tiefen Entsetzen Demokratie in Aktion gesehen in Großbritannien, im Gegensatz zu den Sonntagspredigten, die wir sonst aus Brüssel hören, und zweitens haben wir ein totales Missmanagement seitens David Camerons gesehen, der einfach seine Truppen nicht gesammelt hatte, der nur die Hälfte seiner Unterstützer im Parlament hatte, weil die andere Hälfte eben in Urlaub war. Wenn er eine weitere Woche gewartet hätte, hätte er die Mehrheit bekommen.

    Meurer: Sie haben Ihren neuen Roman geschrieben mit dem Titel "Die Todesliste". Es gibt ja wirklich eine Todesliste der US-Amerikaner. Ist das nicht ein klarer Bruch internationalen Rechts, eine Liste mit Namen aufzuschreiben von Menschen, die dann exekutiert werden?

    Forsyth: Nun, darüber kann man trefflich streiten. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern: Als El Kaida den USA den Krieg erklärte, da gab es in der Tat Rechtsanwälte, die sagten, ein solcher nicht staatlicher Akteur könne einem Staat nicht den Krieg erklären. Nach einigem Zögern haben die Amerikaner erklärt, gut, wenn das so ist, wir akzeptieren das, dann sind wir eben im Kriegszustand mit euch, nur dass wir eben nicht die Einzigen sind, die da getötet werden, sondern es wird auch euch treffen, und das war eine klare Botschaft an El Kaida, und die USA haben diese Botschaft dann auch mit Taten unterlegt.

    Meurer: Die Deutschen sehen das ja schon etwas anders und sagen, nein, das internationale Völkerrecht gilt auch für die Vereinigten Staaten.

    Forsyth: Tja, ich erinnere mich da an eine Stadt namens Mogadischu, wo Ulli Wegner und einige Deutsche von der GSG9 einschritten, um einige entführte Luftpassagiere zu retten. Ich kann mich nicht erinnern, dass die damals eine Menschenrechtserklärung an die vier Terroristen zuerst vorgetragen hätten.

    Meurer: In Ihren Romanen gibt es Agenten, die Helden sind. In Wirklichkeit aber beobachten wir ja heute, es gibt den Krieg der Drohnen irgendwo in der Ferne, in Washington werden Drohnen gesteuert, um einen Krieg auszuführen. Ist dieser Drohnenkrieg nicht sehr brutal und ein verfehlter, ein falscher Krieg?

    Forsyth: Nein, ich sehe das nicht so. Hier wird sehr viel Aufregung erzeugt um dieses Instrument, und es handelt sich letztlich nur um ein Instrument der Luftraumüberwachung, etwas, was seit dem Ersten Weltkrieg geschieht. Die ersten Militärflugzeuge waren ja Überwachungsflugzeuge und nicht Kampfflugzeuge. Im Zweiten Weltkrieg hat sich das dann fortgesetzt.

    Heute sind keine Piloten mehr in diesen Flugzeugen. Weiterhin wird aber von oben her der Boden überwacht. Mögliche Ziele werden erkundet, und diese Informationen können weitergegeben werden an eine Zentrale. Statt umständlich einen Film zu entwickeln, kann sofort ein Befehl erteilt werden, hier Vergeltung auszuüben. Die gesamten Abläufe, die seit dem Zweiten Weltkrieg üblich sind, werden also verkürzt. Nichts anderes geschieht.

    Meurer: Ist das nicht zu riskant? Es gibt immer wieder die sogenannten Kollateralschäden mit Zivilisten, die getötet und verletzt werden.

    Forsyth: Ja, darüber gibt es endlose Debatten. Ich erinnere mich aber auch an die Tötung von Anwar al-Awlaki. Ich kann mich auch erinnern, dass die Amerikaner drei Tage lang im Nordjemen ein Dorf überwachten und in dieser Zeit nicht zuschlugen, weil sie wussten, da waren Kinder in der Nähe. Erst als Awlaki dann mit seinem schwarzen Toyota Land Cruiser zehn Meilen aus diesem Dorf entfernt war und die Amerikaner wussten, dass keine Kinder mehr in der Nähe waren, wurde er ausgeschaltet. Das heißt, sie versuchen wirklich, zivile Opfer nach Möglichkeit zu vermeiden.

    Meurer: Wenn wir über modernen Krieg reden – es gibt eine riesige Diskussion in Deutschland über die Überwachungspraktiken des US-Geheimdienstes, des britischen Geheimdienstes. Edward Snowden ist ein Held für manche Deutsche. Ist er ein Held, oder ist er ein Verräter?

    Forsyth: Auch hier meine ich, dass die Deutschen sich hier aufs hohe moralische Ross setzen. Für mich ist der Mann ein Verräter, denn er hat einen Treueeid geleistet. Er hat diesen Treueeid wissentlich gebrochen, weil er glaubte, sein Gewissen sei wichtiger als die Sicherheit seines Landes und der Menschen, die in ihm leben. Diese Gewissensbequemlichkeit mag für die Deutschen attraktiv erscheinen. Für mich ist das nicht so, denn dieser Mann hat den Feinden verraten, wie wir uns selbst verteidigen. Und auch hier bedenken Sie: Wenn nur 1000 Deutsche stürben, dann hätten wir sofort eine ganz andere Diskussionslage, während er jetzt noch als Held gehandelt wird.

    Meurer: Es gibt ja Gesetze, auch nationale Gesetze, die vorschreiben, was erlaubt ist, was nicht erlaubt ist bei dieser Cyberüberwachung. Darf da eine Regierung sich einfach darüber hinwegsetzen?

    Forsyth: Nun, ich glaube nicht, dass wir hier in Großbritannien unsere eigenen Gesetze brechen. Wir versuchen nur, potenzielle Feinde und echte Feinde dingfest zu machen. Manchmal wird eben zufällig auch ein vollkommen Unschuldiger abgehört, aber da wird ihm ja keinerlei Schaden zugefügt. Nur dann, wenn jemand anfängt, über das Bombenbasteln nachzudenken, wird er abgehört und wird er dann auch verhaftet werden. Aber all das ist kein Schaden für Unbeteiligte.

    Meurer: Stimmt es eigentlich, dass Sie Ihre Romane noch auf einer guten alten Schreibmaschine schreiben, sodass die Geheimdienste Sie also im Internet nicht überwachen können?

    Forsyth: Ja, das ist so, aber nicht aus Sicherheitsgründen, sondern weil ich es so gewohnt bin. Mit meinen 75 Jahren als Journalist, der 50 Jahre seiner Karriere verbracht hat, indem er seine Berichte auf einer Schreibmaschine tippte, ist es einfacher und zufällig ist es auch sicherer. Aus demselben Grund benutze ich kaum je ein Mobiltelefon und sende auch ganz selten E-Mails.

    Nein, ich setze mich lieber hin und schreibe auf die alte klassische Art Briefe, und Sie können mir jederzeit nachfolgen, wenn Sie das tun. Setzen Sie sich hin, schreiben Sie Briefe, stecken Sie sie in einen Umschlag und vertrauen Sie den Umschlag der Deutschen Bundespost an, und Sie haben beste Chancen, dass der Brief ungelesen den Empfänger erreicht.


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