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Deutsche Umwelthilfe zum Diesel-Urteil
Politik muss sich aus "Würgegriff der Autoindustrie befreien"

Der Chef der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, sieht derzeit keinen politischen Willen in Deutschland, die Autoindustrie beim Thema Feinstaubbelastung in die Pflicht zu nehmen. Es sei "eine irre Situation", dass ein Umweltverband den Staat vor Gericht zwingen müsse, damit der die eigenen Gesetze einhalte, sagte Resch im Dlf.

Jürgen Resch im Gespräch mit Philipp May | 28.02.2018
    Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, spricht am 11.01.2018 in Stuttgart (Baden-Württemberg) während einer Pressekonferenz.
    Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Philipp May: Eigentlich haben wir Matthias Wissmann vom Verband der Deutschen Automobilindustrie zum Interview mit uns angefragt, weil wir tatsächlich gerne von ihm gehört hätten, warum die Autoindustrie sich diesem Wunsch der meisten Bürger und Akteure verweigert, Hardware-Nachrüstungen durchzuführen. Der hat uns aber abgesagt. Dann bekommt die Gegenseite das Wort:
    Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe, der mit seiner Klage alles ins Rollen gebracht hat. Guten Morgen, Herr Resch.
    Jürgen Resch: Einen schönen guten Morgen.
    May: Herr Resch, geht jetzt die große Klagewelle los, Stadt für Stadt, bis alle Grenzwerte eingehalten sind?
    Resch: Wir haben jetzt erst mal nach 13 Jahren ein wirkliches Grundsatzurteil erreicht, dass nämlich die saubere Luft prioritär ist. Die Menschen, die an diesen Straßen wohnen, das sind viele hunderttausend, und krank werden oder in 12.000 Fällen pro Jahr sterben, die haben erst mal einen Anspruch darauf, dass die Luftqualität, die unerträglich ist in ungefähr 70 Großstädten, sich entsprechend soweit bessert, dass zumindest die europäischen, sehr laxen Grenzwerte eingehalten werden. Da muss sich jetzt alles unterordnen. Wir müssen in einem Stufenplan, das ist richtig gesagt worden, sofort beginnen. Aber innerhalb von 18 Monaten müssen im Grunde genommen 70 Prozent der Dieselfahrzeuge ausgesperrt werden beziehungsweise, und das ist tatsächlich der Königsweg, dass man die Automobilindustrie zwingt, die über Jahre hinweg Milliarden-Gewinne durch organisierten Betrug – das ist ja die Selbstanzeige aus letztem Sommer -, dass diese Industrie ihre mangelhafte Ware so nachbessert, dass die Stickstoff-Dioxid- und die Stickoxid-Grenzwerte nicht nur im Labor, sondern auf der Straße und gerade jetzt auch bei winterlichen Temperaturen eingehalten werden, wo praktisch sämtliche Dieselfahrzeuge heimlich ihre Abgasreinigung abschalten, um den Kat zu schonen, und die Arbeit wird dann den Lungen von Kindern, Alten und Kranken überlassen.
    "Natürlich muss die Automobilindustrie die Kosten übernehmen"
    May: Herr Resch, das fordern ja praktisch alle. Sogar Christian Lindner von der FDP fordert das. Aber machen sie nicht, die Autoindustrie, haben sie auch gesagt. Was jetzt?
    Resch: Sie sehen ja, wie mächtig die Autoindustrie in Deutschland ist. Die Franzosen haben gegenüber Peugeot, Renault und FCA, Fiat Chrysler, 18,3 Milliarden Euro Strafe verfügt über die Anti-Betrugs-Behörde. In Deutschland null Euro Strafe. – Wir haben ein Vertragsverletzungsverfahren am Hals seit 14 Monaten, weil Deutschland von der Autoindustrie keine Strafe fordert. Würden wir die von der EU vorgeschriebenen Strafzahlungen einfordern, kämen ungefähr 20 bis 25 Milliarden Euro zusammen, die man einsetzen könnte, um die Verkehrsinfrastruktur-Maßnahmen für die Verkehrswende auch zu finanzieren.
    Und das andere: Natürlich muss die Automobilindustrie die Kosten übernehmen. Aber hier bedarf es einer Politik, die sich aus dem Würgegriff der Autoindustrie befreit und einfach mal selbstständig handelt. Das sehe ich nicht. Und in der Tat: Ich befürchte, dass wir an vielen Stellen weiterhin mit Klagen Bundesländer oder auch Unternehmen zwingen müssen, Recht und Gesetz zu beachten. Darum haben wir den Erfolg gehabt.
    "Wir müssen als Umweltverband den Staat zwingen, seine Gesetze zu beachten"
    May: Herr Resch, wenn ich ganz kurz mal einhaken darf. Sie haben es schon gesagt: Auch die Politik bewegt sich nicht. Die blaue Plakette ist angesprochen worden, mit der man ja Fahrverbote im Prinzip als einziges Mittel sinnvoll durchsetzen kann. Auch das möchte die Politik nicht. Welche Mittel haben Sie denn? Sie müssen es ja irgendwie durchsetzen? Das heißt, Klagen werden auf jeden Fall kommen?
    Resch: Die Klagen werden auf jeden Fall kommen. Wir sind ja in Bayern in der Zwangsvollstreckung und ich finde es eine irre Situation, darauf wollte ich noch kurz hinaus, dass wir als Umweltverband den Staat vor Gericht zwingen müssen, seine Gesetze zu beachten. Wir sind jetzt auch in Leipzig, ich bin mit meinem Anwalt dort aufgetreten. Die Gegenseite hat 40 Prozessbevollmächtigte dabei gehabt. Was ist das für eine irre Situation? Wir klagen darauf, dass der Staat seine Hausaufgaben macht. Deswegen gewinnen wir natürlich auch, weil die Gesetze sind eindeutig, im Zweifelsfall die europäischen Gesetze. Deswegen: Diese Diskussion, dass man jetzt eigentlich weitere Klagen braucht, um noch mal den Bundesländern oder auch der Bundesregierung zu sagen, dass einfach Gesundheitsschutzgesetze umzusetzen sind, finde ich gefährlich für eine Demokratie, denn in anderen Bereichen erwarten wir von den Bürgern ja auch, dass die Gesetze einfach eingehalten werden, und der Staat nimmt für sich heraus, wenn es um die Interessen, um die Profitinteressen der Autoindustrie geht, zum Beispiel neun Millionen Dieselfahrer im Dunst stehen zu lassen und ihnen nicht zu helfen, dass sie eine funktionierende Abgasreinigung bekommen. Das kann natürlich die Politik. Sie könnte es zumindest jetzt auch mal durch einen politischen Druck. Ich möchte mal auf Gerhard Schröder verweisen, der im Jahr 2004/2005 mit Jürgen Trittin zusammen und auf Initiative von Herrn Trittin die Autoindustrie zusammenholte und sagte, das geht mit dem Partikelfilter so nicht weiter, ich will, dass ihr die vorzeitig einführt. Und es ist nach ein paar Stunden Gespräch gelungen, die Autoindustrie zu mehreren Jahren früherer Einführung des Partikelfilters zu bewegen. Ich sehe nicht einmal so eine Initiative von Frau Merkel und die würde ich mir wünschen.
    May: Mit Schröder wäre das nicht passiert?
    Resch: Weiß ich nicht. Schröder war auch ein Autokanzler. Was ich beobachte ist, dass in den letzten Jahren die Autoindustrie immer mächtiger wurde, immer ungenierter sich verzahnt mit der Politik. Vor 20 Jahren wäre das nicht normal gewesen, dass ein Kanzleramtsminister direkt herüberwechselt zum Cheflobbyisten von Daimler. Dieses Zusammenspiel auch in Niedersachsen ist im Ausland – ich bekam einen Anruf vor einigen Monaten eines konservativen Umweltpolitikers aus den USA, der mich fragte: Kann es sein, dass bei euch ein Gouverneur gleichzeitig im Board von Volkswagen sitzt.
    "Für ungefähr 50 Prozent der Fahrzeuge gibt es fertig entwickelte System"
    May: Sie sprechen auf die Niedersachsen-Regelung an mit VW. – Ja, haben wir schon öfter thematisiert. Lassen Sie mich trotzdem mit dem Blick auf die Zeit noch mal eine andere Frage stellen. Die Autoindustrie sagt ja, die jetzt Hardware-Nachrüstungen machen soll, das dauert inklusive Genehmigungsverfahren alles viel zu lang, bis alle Diesel mit entsprechenden Katalysatoren nachgerüstet werden, über zwei Jahre. Bis dahin habe sich das Problem durch die ja generell sinkenden Stickstoff-Ausstoßwerte aber von selbst gelöst, und das ist ja ein Punkt. Die Stickstoff-Werte, die gehen ja kontinuierlich zurück.
    Resch: Ja. In München sagt der Luftreinhalteplan, im Jahr 2030 werden wir die Stickstoff-Dioxid-Werte einhalten. Das ist wirklich nicht wahr: Die gehen nicht automatisch zurück. Und es dauert auch nicht zwei Jahre. Sie haben für ungefähr 50 Prozent der Modelle fertig entwickelte Systeme, die ja bei der Markteinführung als aufpreispflichtiges Zubehör angeboten wurden. Das heißt, die sind entwickelt, die sind auch schon zugelassen, und gemeinsam an der Stelle mit dem ADAC fordern wir jetzt, dass die sofort damit beginnen, die nachzurüsten. Ich kann mich daran erinnern, wie vor 25 Jahren bei der Einführung des Katalysators es auch hieß, wir brauchen zwei bis drei Jahre, bis wir die Wölbung im Bodenblech und ein paar andere Sachen gemacht haben. Als dann der erste kam, war innerhalb von wenigen Monaten der gesamte Kleinwagenbereich mit Katalysator ausgestattet. Hier vertraue ich auf die Innovationskraft der Ingenieure, in 18 Monaten das hinzubekommen.
    May: Eine Frage haben wir noch. Sie müssten doch auch gut finden, wenn die Autoindustrie alle technischen Ressourcen in alternative, klimafreundliche Antriebe der Zukunft steckt statt in die Umrüstung alter Stinker, zumal die Reduzierung von CO2 doch auch für Sie die wichtigere Aufgabe sein muss?
    Resch: Nein. Sorry! Die Fahrzeuge, die ausgeliefert wurden, die nicht funktionieren, die müssen repariert werden. Und für die Zukunft brauchen wir keine hochgezüchteten Luxus-SUV mit Dieselmotoren. Wir brauchen Sprit sparende kleinere Fahrzeuge, sicherlich auch mit alternativen Antrieben. Nur die Deutschen sind ja im Moment auch im Bereich der Elektromobilität ziemlich ins Hintertreffen geraten. Ich sehe nur, dass viel davon gesprochen wird. Die Fahrzeuge auf der Straße oder im Verkaufsraum, die vermisse ich.
    May: Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe, war das. Vielen Dank für das Gespräch.
    Resch: Einen schönen Tag noch!
    May: Ebenso.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.