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Deutsche werden zu Flexitariern

Die meisten Deutschen essen bis zu 80 Kilogramm Wurst und Fleisch im Jahr. Viele Menschen reduzieren aber wegen Gesundheitsrisiken und Umweltschutzaspekten ihren Konsum, wie eine Umfrage zeigt. Die sogenannten Flexitarier essen weniger Tiere und achten dabei auf Qualität.

Von Carolin Hoffrogge | 22.07.2013
    "Ich bin Fleischfresser. Ich gehe hin, sage, das will ich und weiß gar nicht, wie viel das ist. Jeden Tag und abends aufs Brot." – "Och, doch eine ganze Menge, vier bis fünf Mal die Woche. Alles Querbeet." – "Ein Stück Wurst, eine Eichsfelder Strake. Ich esse das, was mir schmeckt."

    Die drei Kunden in dem Frischmarkt im Göttinger Ostviertel gehören zu den unbekümmerten Fleischessern, sagt Agrarwissenschaftlerin Anette Cordts zu den Verbrauchern, die bis zu 80 Kilogramm Fleisch und Wurst im Jahr essen. Das waren mit 75 Prozent der größte Teil der Befragten, die die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen interviewt haben.

    "Ich denke, dass in dieser Gruppe noch kein Bewusstsein dafür da ist, welche Auswirkungen ein hoher Fleischkonsum hat, dass hier Potenzial zur Reduktion des Fleischkonsums besteht, wenn man durch entsprechende Kampagnen darauf hinwirkt und die Leute darüber informiert, dass ein sehr hoher Fleischkonsum die Gesundheit schädigen kann und sehr viele Ressourcen verbraucht, also umweltproblematisch ist."

    Mit Aufklärungskampagnen ließen sich bis zu 60 Prozent der Bundesbürger zu weniger Fleisch auf dem Teller überzeugen. Eine Gruppe, die jetzt schon seltener Fleisch, dafür aber höherwertiges isst - beispielsweise artgerecht erzeugt oder aus biologischer Landwirtschaft - wurde bisher in Deutschland nicht beachtet, sagt Wissenschaftlerin Cordts.

    "Das sind die Flexitarier oder auch Gelegenheitsvegetarier. Das sind Menschen, die nur sehr selten oder sehr wenig Fleisch essen. Es sind relativ viele, zwölf Prozent Flexitarier. Wir glauben, dass es schwierig ist bei vielen Personen, sie generell vom Fleischkonsum abzubringen, aber wir haben den Eindruck, dass viele Personen dem Fleischkonsum gegenüber skeptisch sind, aber es trotzdem schätzen. Dann denke ich, dass der Flexitarismus, also ein maßvoller, bewusster Fleischkonsum ein guter Weg ist."

    Diesen Weg schlägt die Göttingerin Sigrid Ohage schon ein. Rentnerin Ohage steht mit einem Korb voller Gemüse und Obst im Supermarkt an der Kasse und gehört damit zu den Flexitariern:

    "Einen Salat, Erdbeeren und Pfirsiche. Kein Fleisch. Das gibt es heute nicht bei uns. Zwei drei Mal in der Woche schon, aber in Maßen, also auch Schinken zählt zum Fleisch. Nicht nur was zum Braten oder Kochen. Das ist im Laufe der Jahre immer weniger geworden, der Konsum an Fleisch, sehr bewusst. Wir achten schon darauf, woher das Fleisch kommt."

    Regional und artgerecht: In Zukunft achten mehr und mehr Verbraucher darauf, woher ihr Schnitzel und ihre Bratwurst kommen. Anhand ihrer Ergebnisse empfehlen die Agrarwissenschaftler den Landwirten und Schlachtereien weniger, dafür aber qualitativ hochwertiges Fleisch zu produzieren, sagt Harald Grethe, Professor für Agrar- und Ernährungspolitik an der Universität Hohenheim.

    "Das ist ja auch eine Möglichkeit für die Landwirte nicht nur über die Menge zu verdienen, sondern auch über die Qualität. Zu sagen: Wir haben besonders tiergerechte Haltungssysteme und das kostet auch Geld und das vermarkten wir auch mit und Konsumenten müssen dann für besonders tiergerecht erzeugtes Fleisch etwas mehr bezahlen."

    Schränken sich die Verbraucher hier im Fleischkonsum ein, können weltweit die Agrarpreise sinken – ein Vorteil für Menschen in Entwicklungsländern, die 50 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Harald Grethe:

    "Wir sind davon ausgegangen, dass 60 Prozent der Bevölkerung ihren Fleischkonsum reduzieren und dass das dazu führt, dass unser Fleischkonsum insgesamt in Deutschland um 20 Prozent zurückgeht. Die Weltmarktpreiseffekte liegen da bei neun Prozent und bei Getreide liegen sie bei drei Prozent, die wir dadurch global hätten. Das ist was, wenn man 50 Prozent seines Einkommens für Nahrungsmittel ausgibt, dann sind Preisrückgänge von drei Prozent bei Grundnahrungsmitteln und neun Prozent bei Fleisch, dann ist das schon was."

    Fast zwei Drittel der Ackerflächen dienen hierzulande der Erzeugung von Futtermitteln, sagt Professor Grethe. So füttert ein Landwirt zwei Kilo Getreide, um ein Kilo Hühnerfleisch zu schlachten, beim Schwein sind es circa vier Kilo, beim Rind sogar bis zu neun Kilo Getreide. Deshalb appellieren die Göttinger und Hohenheimer Agrarwissenschaftler an die Politik, den übermäßigen Fleischkonsum hierzulande durch Aufklärungskampagnen einzuschränken.