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Deutscher Dirigentenpreis in Köln
Taktstock-Allrounder gesucht und gefunden

80 Kandidaten aus 25 Ländern haben sich für den Deutschen Dirigentenpreis beworben. Einzigartig ist, dass der Wettbewerb mit gleich zwei hochkarätigen Orchestern ausgetragen wird: dem Gürzenich Orchester sowie dem WDR-Sinfonieorchester. Am Ende überzeugte Hossein Pishkar - nicht nur mit stilistischer Vielfalt.

Von Bjørn Woll |
    Ennio Morricone hält den Taktstock, neben ihm sitzt ein Cellist.
    "Als junger Dirigent kommt man nicht so einfach vor solche Orchester", erklärte Hossein Pishkar während des Wettbewerbs (Symbolfoto) (dpa/Britta Pedersen)
    Langsam wird es ernst beim Deutschen Dirigentenpreis: 80 Kandidaten und Kandidatinnen aus 25 Ländern haben sich dafür beworben, in der letzten Wertungsrunde sind davon noch drei übrig geblieben. Zu ihnen gehört auch Hossein Pishkar. Es ist die erste Teilnahme an einem Wettbewerb für den 29-jährigen Iraner, der an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf studiert hat. Doch das merkt man ihm nicht an: Souverän steht er vor dem Orchester und dirigiert mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit. Nach seinem Auftritt erklärt er, worauf es ihm dabei ankommt:
    "Ich glaube, man sollte als Dirigent eine extrem klare Vorstellung haben. Aber man sollte, glaube ich, nicht seine klare Vorstellung zwingen. Sondern durch Körpersprache, durch Worte, durch Vorstellung, durch alles Mögliche so zu überzeugen, dass sie es nicht anders können. Man muss die Menschen dazu bringen, ihr Bestes zu geben, in der Richtung, in die eigentlich der Dirigent will."
    Drei Wertungsrunden
    In drei Wertungsrunden müssen die Kandidaten in der Kölner Philharmonie gegeneinander antreten – und das mit zwei verschiedenen Klangkörpern: dem Gürzenich Orchester sowie dem WDR-Sinfonieorchester. Dass ein Wettbewerb mit gleich zwei hochkarätigen Orchestern ausgetragen wird, ist weltweit einzigartig. Und damit spielt der Deutsche Dirigentenpreis ganz vorne mit in der Liga der internationalen Wettbewerbe. Für den Juryvorsitzenden Lothar Zagrosek liegt hierin der Reiz aber auch die große Herausforderung:
    "Diese Institutionen tragen diesen Wettbewerb. Das inspiriert auch die Kandidaten, und das habe ich eigentlich während des gesamten Wettbewerbs feststellen können, dass die Kandidaten das als etwas sehr Herausforderndes natürlich empfunden haben. Und das finde ich, ist eine einmalige Geschichte. Dazu kommt, dass wir eine Opernstrecke bei diesem Wettbewerb haben, was es sonst bei anderen Wettbewerben nicht gibt. Und einen ganzen Tag nur Neue Musik gemacht haben, was auch wichtig ist. Sodass wir eine wirkliche Bandbreite von den Dirigenten einfordern."
    Den drei Finalisten wird viel abverlangt
    Die enorme Repertoirevielfalt fordert den Kandidaten alles ab, das ist den drei Finalisten deutlich anzumerken. Einen Tag vor dem Finalkonzert feilt Hossein Pishkar noch an Schumanns "Manfred"-Ouvertüre, am nächsten Morgen muss er sich dann mit dem Quartett aus Verdis "Rigoletto" beweisen. Für Lothar Zagrosek ist diese Verbindung aus sinfonischem und Opernrepertoire ein Alleinstellungsmerkmal des Wettbewerbs:
    "Und deshalb heißt das ja auch Deutscher Dirigentenpreis, weil er die Situation des Dirigenten in Deutschland reflektiert. Als junger Dirigent, der in Deutschland arbeitet, fängt man am Theater an, an der Oper an – das ist ganz normal. Und die Allermeisten bleiben dann auch in der Oper und die Wenigsten werden wirklich Konzertdirigenten. Und insofern ist es eigentlich absurd einen Wettbewerb auszurichten mit diesem Namen und das nicht zu berücksichtigen."
    Dass durch das vielfältige Repertoire ein großer Erwartungsdruck auf den Teilnehmern lastet, ist Lothar Zagrosek natürlich bewusst. Für den ehemaligen Chefdirigenten des Konzerthausorchesters Berlin war die Nachwuchsarbeit immer schon eine Herzensangelegenheit. Seit 1995 ist er zum Beispiel erster Gastdirigent der Jungen Deutschen Philharmonie. Als Juror muss er am Ende zwar ein Urteil fällen, aber er fühlt auch mit den jungen Kollegen. In einer Wettbewerbspause erklärt er, worauf es in einer solchen Situation besonders ankommt:
    "Also dass man sozusagen auf den Punkt, innerhalb kurzer Zeit ein bestimmtes Pensum optimal abliefern muss. Und das mit oder vor einem Orchester, das diese Stücke alle gut kennt. Das sozusagen von sich aus schon eine Basisinterpretation abliefert, die man dann aber verändern oder einfach akzeptieren kann."
    "Junge Dirigenten kommen nicht so einfach vor solche Orchester"
    Mittlerweile ist der letzte Wettbewerbstag angebrochen. Für Hossein Pishkar ist es die letzte Gelegenheit mit Sängern und Orchester an seiner Interpretation zu feilen, bevor am Abend im Finalkonzert der Sieger gekürt wird. Doch unabhängig vom Ausgang ist für den Iraner allein die Teilnahme am Deutschen Dirigentenpreis schon ein Gewinn:
    "Als junger Dirigent kommt man nicht so einfach vor solche Orchester. Das ist am meisten für mich wichtig gewesen. Das war am wichtigsten. Ich habe mich wirklich gefreut und gedacht: Egal, was da passiert. Selbst wenn ich erste Runde rausfliege, das ist zwar traurig oder schade. Aber ich habe 20 Minuten mit solchen Orchestern musiziert, das ist eine fantastische Erfahrung."
    Am Ende gab's für Hossein Pishkar keinen Grund zur Sorge: Er konnte den Wettbewerb für sich entscheiden. Womit genau er überzeugt hat, erklärt Jurymitglied Stephan Mösch, Professor für Ästhetik, Geschichte und künstlerische Praxis des Musiktheaters an der Musikhochschule in Karlsruhe:
    "Eine große Klangfantasie, eine Natürlichkeit, die sich in das Orchester hineinkommuniziert hat. Natürlich auch eine schlagtechnische Souveränität, aber auch eine stilistische Vielfalt. Der konnte wirklich von Haydn bis in die Moderne hinein gleichermaßen punkten. Und was ihn auch ausgezeichnet hat, das ist die Fähigkeit, Probenstrategien zu entwickeln."
    Bei der abschließenden Zugabe war Hossein Pishkar von der Anstrengung der letzten Tage dann nichts mehr anzumerken: In Rossinis "Wilhelm Tell"-Ouvertüre schlug er noch einmal mächtig Funken aus dem Orchester. Danach hatte er nur noch einen Wunsch: einfach nur schlafen. Es sei ihm gegönnt.