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Deutscher Fluchthelfer: Nordkorea erpresst die Welt

Nach Ansicht des deutschen Arztes und Fluchthelfers Norbert Vollertsen benutzt Nordkorea die Lebensmittelknappheit im eigenen Land, um die Weltgemeinschaft zur Hungerhilfe zu erpressen. Daher habe Pjöngjang erstmals gegenüber Vertretern des UN-Ernährungsprogramms offiziell eine drohende Hungersnot eingestanden. Vollertsen bezeichnete dies als eine "makabere Strategie".

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Nach einer Reise nach Südkorea schlägt der Asien-Direktor des Welternährungsprogramms Tony Banbury Alarm. Er warnt vor einer Hungersnot. Erinnerungen werden wach an die 90er Jahre, als Schätzungen zufolge rund zwei Millionen Menschen in Nordkorea verhungert sind. Ich habe vor der Sendung mit Norbert Vollertsen gesprochen, einem Arzt, der Ende der 90er in Nordkorea selbst arbeiten konnte und dort Hilfe geleistet hat, wegen kritischer Äußerungen am Regime dann ausgewiesen wurde und seitdem als Fluchthelfer arbeitet, Menschen in teilweise spektakulären Aktionen aus dem Land hilft. Ich habe ihn vor der Sendung in Seoul erreicht und ihn gefragt, wie es den Menschen in Nordkorea geht. Er kommt im Moment aus Kambodscha zurück, wo er Flüchtlinge medizinisch versorgt hat.

    Norbert Vollertsen: Die Flüchtlinge fliehen vor allem aus Nordkorea, weil es dort nichts zu Essen gibt - ganz einfach -, weil sie hungern, weil sie Not leiden, weil es im Winter sehr kalt ist und ohne Nahrung man manchmal die Nacht nicht überleben kann. Das ist eben der Unterschied zu Afrika und anderen Hungerländern. In Nordkorea sind die Menschen am Ende und sie wollen raus, nur raus. Ich habe in Kambodscha Flüchtlinge betreut, die den weiten Weg über China, die Mandschurei bis runter nach Vietnam und dann eben nach Kambodscha genommen haben, um aus diesem Land rauszukommen. Vorher sind die meistens geflüchtet über Laos und dann nach Thailand. Im letzten Jahr war ich in Thailand an der Grenze zu Laos und dort sind viele Nordkoreaner festgenommen worden, weil sie diesen Weg genommen haben in der fälschlichen Annahme, dort in ein sicheres Land zu kommen. Die thailändischen Autoritäten haben aber inzwischen das dicke Geschäft hier erkannt. Sie nehmen immer mehr nordkoreanische Flüchtlinge fest und machen damit Geld, indem sie wissen, dass Aktivisten dann kommen und ihnen helfen und die raushauen.

    Remme: Nach Ihrer humanitären Arbeit in Nordkorea arbeiten Sie ja jetzt quasi als Fluchthelfer. Akzeptieren Sie dieses Etikett?

    Vollertsen: Als Fluchthelfer würde ich mich gerne bezeichnen lassen, wenn ich denn an die ehemaligen ostdeutschen Flüchtlinge denke, die auch aus Not, nicht aus Hungersnot geflohen sind, sondern wegen Menschenrechtsverletzungen, wegen Menschenrechtsverletzungen, die die Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und die Reisefreiheit angehen. Das beklagen auch die Nordkoreaner, aber zudem hungern sie eben. Was jetzt in der Presse veröffentlicht wird über die neue Hungersnot, das ist ganz klar, dass das kommen wird. Wenn man alle Gelder wie Nordkorea für militärische Zwecke ausgibt, für den nächsten Atombombentest, für den nächsten Raketentest, dann bleibt eben kein Geld mehr für Nahrungsmittelhilfe.

    Remme: Kann es sein, dass diejenigen, die geflohen sind, ein Interesse daran haben, die Situation dort möglichst dramatisch und schlecht zu schildern?

    Vollertsen: Das ist auf jeden Fall so. Wenn japanische Medien, wenn südkoreanische Medien Nordkoreanern Geld für Interviews bieten, dann übertreiben natürlich auch nordkoreanische Flüchtlinge. Dann machen die manches schlimmer. Wenn von Gaskammern in Nordkorea die Rede ist bei ihren Erzählungen, dann glaube ich das einfach nicht. Dann halte ich das für übertrieben, weil diese armen Nordkoreaner auch in die Medienmaschine geraten. Die brauchen sich nicht wie eine Domina in irgendwelchen Magazinen darzustellen; die brauchen einfach von irgendwelchen Folterungen und Gaskammern zu erzählen, um Sensation zu machen. Wenn aber ein siebenjähriger Junge mir schildert, welchen Hunger er in Nordkorea hatte, wenn eine 70-jährige Großmutter mir das gleiche schildert, dann glaube ich nicht, dass die schon so mediengeil sind, dass die da weiter übertreiben, sondern ich glaube schon, dass die Realität darstellen.

    Remme: Sind denn diese Berichte für Sie die einzige Informationsquelle aus dem Land?

    Vollertsen: Nein. Ich bin nach wie vor in Kontakt - nicht immer offiziell - zu ehemaligen UN-Arbeitern, die noch in Pjöngjang sind. Ich bin in Kontakt mit Journalisten, die öfter nach Pjöngjang fahren. Ich bin in Kontakt mit Geschäftsleuten, die immer mal wieder nach Pjöngjang fahren, und auch hier mit südkoreanischen Regierungsbeamten, die vor kurzem noch, letzte, vorletzte Woche in Pjöngjang waren und die mir sagen, was dort die Menschen auf der Straße denken. Diese Menschen auf der Straße sind nicht unbedingt von Kim Jong-Il begeistert, sind natürlich nicht vom Hungerwinter begeistert und sind nicht vom Raketentest begeistert. Die wollen einfach was zu Essen haben und darum wollen sie raus aus dem Land.

    Remme: Pjöngjang hat jetzt die Lebensmittelknappheit gegenüber Vertretern des UN-Ernährungsprogramms erstmals offiziell eingestanden. Ist das für Sie ein Indiz für die besonders dramatische Lage?

    Nordkoreas Regierung "wie ein Mafia-Clan"

    Vollertsen: Ja. Das war schon damals, als ich 1999 in Pjöngjang war, der Fall, dass man dort zugegeben hat, dass man eine Nahrungsmittelknappheit hat, und erwartet dann natürlich von der internationalen Gemeinschaft, dass gleich Nahrung geliefert wird und vor allem Geld geliefert wird. Ich denke mal das ist eine Strategie von Nordkorea: auf der einen Seite mit Waffen, mit Atomtests zu drohen, auf der anderen Seite füttert mich, füttert mich oder ich gebrauche meine Atombomben. Das ist eine makabere Strategie und Nordkorea erscheint mir immer mehr so wie ein Mafia-Clan, der die ganze Welt erpresst mit seinen atomaren Waffen und sein eigenes Volk nicht versorgen kann.

    Remme: Aber die Regierung hat doch jetzt überraschend eingelenkt und will nach eigenem Bekunden seinen größten Atomreaktor bis Mitte April schließen. Halten Sie das für einen echten Kurswechsel?

    Vollertsen: Nein! Das ist ja genau die Strategie. Die wollen den Atomreaktor schließen, wollen aber in den Sechsergesprächen die Atomwaffen ausklammern. Christopher Hill, den ich ein paar Mal getroffen habe, den Chefunterhändler der Amerikaner, hat bei einem Interview in Peking zugegeben, dass die Nordkoreaner ihn gebeten haben, ihren Staat doch bitte wie Indien zu behandeln, das heißt atomare Waffen zu respektieren, zu tolerieren und nichts dagegen zu machen. Ich halte ganz klar nordkoreanische Verhandlungsgespräche hier wieder für eine Strategie, zu einer Atommacht zu werden und von der internationalen Gemeinschaft auch noch toleriert zu werden.

    Remme: Halten Sie denn deshalb das Junktim zwischen einem Erfolg der Gespräche und internationaler Wirtschafts- und Lebensmittelhilfe für sinnvoll?

    Vollertsen: Ja! Ich glaube, dass man Nordkorea gar nicht genug unter Druck setzen kann. Diese Regierung habe ich eineinhalb Jahre erlebt, als ich dort gearbeitet habe, dass die eben leider Gottes nur ein sehr taffes Wort verstehen, weil das deren eigene Sprache ist. Nur wenn sie unter Druck gehalten werden. Das ist ungefähr so wie die Verhandlung mit Geiselnehmern, denen sie zwar ein Fluchtauto garantieren können, aber danach müssen sie auch gucken, dass sie die festnehmen. Das ist die einzige Sprache, die die Nordkoreaner verstehen. Das ist leider Gottes so. Ich bin sonst als humanitärer Helfer, als Arzt auch andere Sprache gewohnt. Ich bin es eigentlich gewohnt, sanft und nett mit den Menschen umzugehen, aber mit den nordkoreanischen Regierungsbeamten habe ich gelernt, dass nur diese Sprache verstanden wird.

    Remme: Wenn die internationale Gemeinschaft in der Beziehung also hart bleibt, dann fördert sie ja die Lebensmittelkrise im Land. Hoffen Sie, dass dadurch dieses Regime wankt und stürzt?

    Vollertsen: Das Regime hat ja leider Gottes noch nie gewankt. Auch unter einer Hungersnot wie 1995, als angeblich eine oder zwei Millionen Menschen verhungert sind, hat das Regime weiter bestanden. Kim Jong-Il nimmt einfach keine Rücksicht auf Menschen, die verhungern. Also kann man ihn damit leider nicht erpressen. Wir haben jetzt eine andere Strategie vor. Wir wollen Nahrungsmittelhilfe koppeln mit Menschenrechtsfragen.

    Remme: Wenn Sie sagen "wir", wer ist das?

    Vollertsen: Das sind in der Regel südkoreanische Aktivisten, die hier in Seoul leben, internationale Aktivisten, die auf der ganzen Welt, auch in Belgien, in Amerika leben, und japanische Aktivisten, Menschenrechtsaktivisten, manchmal ehemalige Regierungsbeamte, christliche Missionare und meine Wenigkeit, die mal in Nordkorea gearbeitet haben. Wir versuchen jetzt eine neue Strategie. In Abkehr von dieser Sonnenscheinpolitik der südkoreanischen Regierung, aber auch in Abkehr von der Hardliner-Politik der Amerikaner versuchen wir, so etwas wie eine Regenbogenpolitik, den Mittelweg, Nahrungsmittelhilfe für Krankenhäuser, für Flüchtlinge, aber eben auch Engagement und das Pochen auf Menschenrechtsverletzungen. Wir hoffen immer noch, so etwas wie ein Helsinki-Abkommen mit Nordkorea hinzubekommen, wo neben Nuklearfragen und Abrüstungsfragen eben auch Menschenrechtsfragen eingeschlossen werden, aber das ist mit Nordkorea sehr schwierig. Darum müssen wir wahrscheinlich wieder Medienaktionen benutzen.

    Remme: Es fehlen eine Million Tonnen Lebensmittel, heißt es in den Agenturen. Ich kann mit der Zahl nicht viel anfangen. Können Sie die Größe einordnen?

    Vollertsen: Ja. Damit würden ungefähr eine Million Menschen auch wieder verhungern, wenn die wirklich übers ganze Jahr fehlen. Im Frühjahr vor der nächsten Ernte ist die Hungersnot in Nordkorea immer am schlimmsten. Und was ich vorhin meinte: Im Gegensatz zu einem warmen Afrika, wo Menschen zumindest die Nacht noch überleben können, wenn sie nichts zu Essen haben, sterben die in Nordkorea, weil es auch im Frühjahr noch bitterlich kalt in den Bergen ist. Da liegt manchmal noch Schnee und das überleben die Menschen dort einfach nicht. Darum ist es so schlimm mit dieser Hungersnot in Nordkorea. In den ländlichen Provinzen, wo ich damals eingesetzt war, sind mir die Menschen wirklich unter den Händen weggestorben: Ältere, Kinder, schwache, ausgemergelte, tuberkulosekranke Patienten auf jeden Fall.

    Remme: Sie haben jetzt schon mehrfach die 90er Jahre angesprochen. Befürchten Sie ein erneutes Massensterben?

    Vollertsen: Ich befürchte, wenn diese Konfrontation weiter geht über die Sechsergespräche, über die Nukleargespräche und auch südkoreanische Nahrungsmittelhilfe nicht hinein kommt und die internationale Gemeinschaft immer weiter sich zurückhält mit Nahrungsmittelhilfen, auch das Welternährungsprogramm keine Hilfe bekommt, dann wird die Krise in Nordkorea schlimmer und dann wird der nächste Winter absolut tödlich.