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Deutscher Lehrertag 2018
"Das Thema Lehrermangel überlagert momentan alles"

Für die vielen Herausforderungen, die auf die Schulen zukämen, fehle das qualifizierte Personal, so Udo Beckmann, Vorsitzender des Lehrerverbandes. Quereinsteiger seien eine Lösung, bräuchten aber bessere pädagogische Vorbereitung. Auch müssten mehr Studienplätze für Lehrer geschaffen werden.

Udo Beckmann im Gespräch mit Markus Dichmann | 15.11.2018
    Eine leere Schultafel und eine Schultasche.
    Die Schulen sind mit Aufgaben überlastet - Lehrer, die sie erfüllen könnten, fehlen (imago / Ute Grabowsky)
    Markus Dichmann: Claudia Euen war das über eine Gruppe von Pädagogen aus Leipzig, die sich selbst über ein Lehrermeldeportal der AfD angezeigt haben. Reden wir darüber noch mit Udo Beckmann. Er ist Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, der ab morgen den Deutschen Lehrertag 2018 in den Dortmunder Westfalenhallen organisiert. Hallo, Herr Beckmann!
    Udo Beckmann: Hallo, ich grüße Sie!
    Dichmann: Solche Portale gibt es jetzt nicht nur in Sachsen, sondern eben auch in Hamburg, Berlin, Baden-Württemberg oder in Sachsen-Anhalt. Was halten Sie von diesen Plattformen, Herr Beckmann?
    Beckmann: Ich halte von diesen Plattformen gar nichts. Auch wenn die AfD versucht, das zu beschönigen, ist es meiner Auffassung nach eine Aufforderung an Schülerinnen und Schüler und an die Eltern, zu denunzieren. Ich glaube, es gibt geregelte Wege im Schulgesetz, im Schulverfahren, wo Eltern die Möglichkeit haben, sich mit den Lehrern auseinanderzusetzen, beziehungsweise auch Möglichkeiten haben, sich über Dinge zu beschweren, von denen sie der Auffassung sind, dass es nicht richtig gelaufen ist.
    "Das qualifizierte Personal fehlt"
    Dichmann: Dann schauen wir mal, was auf dem Deutschen Lehrertag ab morgen in Dortmund so Thema sein wird. Ganz sicher, denke ich ja, müsste auf der Tagesordnung das Thema Lehrermangel stehen. Es gibt zu wenige Lehrer in Deutschland, so gut wie jedes Bundesland klagt darüber. Auch der bayrische Kultusminister, der diese Woche erst vereidigt wurde, winkt mit einigen Tausend Lehrerstellen. Jetzt sind Sie, Herr Beckmann, obwohl in den großen Westfallenhallen, da werden eben viele Lehrer morgen in Dortmund aus ganz Deutschland auftauchen, als Lehrerschaft insgesamt in Deutschland wohl zu dünn besetzt.
    Beckmann: Ja, das Problem ist, dass das Thema Lehrermangel momentan alles überlagert. Alle Herausforderungen, die wir haben und die ja auf die Schule zukommen oder die Schule lösen soll, sind natürlich zum Teil gar nicht machbar, weil uns dafür das qualifizierte Personal fehlt. Es wird versucht, mit, sag ich mal, fast Notplänen die Aufgaben zu lösen, die aufzulösen sind, und Lehrerinnen und Lehrer bringen sich da mit einem großen Engagement ein. Nichtsdestotrotz haben Lehrerinnen und Lehrer immer das Bedürfnis, sich fortzubilden, sich weiterzuqualifizieren, um mit den Herausforderungen von Schule umgehen zu können.
    Dichmann: Die Notlösungen, von denen Sie sprechen, sind ja eben auch die Quereinsteiger, die jetzt plötzlich überall in Deutschland in den Klassenzimmern zu sehen sind. Wird man auch auf dem Lehrertag da jetzt plötzlich viele neue Gesichter sehen?
    Beckmann: Ich denke, ja, dass gerade die Kolleginnen und Kollegen, die als Seiteneinsteiger in die Schulen kommen, händeringend nach Möglichkeiten suchen, sich fortzubilden, sich weiterzuqualifizieren, weil sie oft vor der Situation stehen, dass sie vor die Klassen gestellt werden, ohne dass sie entsprechend pädagogisch darauf vorbereitet sind.
    Dichmann: Wie werden die vom Rest der Lehrerschaft begrüßt – mit offenen Armen oder vielleicht mit etwas Skepsis, weil sie eben fachfremd sind letzten Endes.
    Beckmann: Man muss erst mal sagen, dass die einzelne Schule sicherlich froh ist, wenn sie die Stelle besetzen kann, aber man sieht natürlich auch, dass das eine zusätzliche Herausforderung für diejenigen ist, die bereits im System sind, weil sie die neuen Kolleginnen und Kollegen ja begleiten und coachen müssen. Das kommt noch als Herausforderung obendrauf. Das heißt, die Politik macht es sich eigentlich zu einfach, dass sie die Aufgaben vielfach an die einzelne Schule verlagert. Unsere Auffassung, die Auffassung des VBE ist eigentlich zu sagen, diejenigen, die als Seiteneinsteiger in die Schulen kommen, müssen ein halbes Jahr vorher pädagogisch qualifiziert werden und dann berufsbegleitend weiterqualifiziert werden, damit sie die Aufgaben, die auf sie zukommen, überhaupt stemmen können.
    Heterogenität, Inklusion, digitales Lernen
    Dichmann: Wenn wir schon von neuen Gesichtern sprechen: Der Lehrertag steht dieses Jahr unter dem Motto "Neue Wege gehen", und in dicken Lettern steht auch oben drüber, dass es dieses Mal eigens Veranstaltungen für junge Lehrerinnen und Lehrer geben wird. Sind die jungen Lehrer in den letzten Jahren ein bisschen vernachlässigt worden, oder woher weht der Wind?
    Beckmann: Nein, das kommt aus unserer Jugendorganisation Junger VBE, dass sie gerne zusätzliche Angebote für die junge Lehrerschaft machen möchte. Diesen Ball haben wir aufgegriffen und haben ihnen die Möglichkeit gegeben, Themen zu benennen, die vielleicht gerade junge Kolleginnen und Kollegen besonders interessieren. Aber wir stellen fest, dass auch die Angebote, die wir vielleicht für junge Kolleginnen und Kollegen vorsehen, von den älteren genauso gut nachgefragt werden, also es da gar keine große Differenzierung gibt.
    Dichmann: Welche Themen sind das so?
    Beckmann: Es ist vor allen Dingen immer wieder das Thema Umgang mit Heterogenität, das Thema Inklusion und vor allen Dingen auch das Thema Lernen in der digitalen Welt.
    "Zahl der Studienplätze erhöhen"
    Dichmann: Wenn wir schon über Junglehrer reden, lassen Sie uns eben auch noch über Lehrerbildung sprechen, denn viele fordern, dass die beschleunigt werden muss eben wegen der aktuellen Lehrernot. Hört man sich aber an, was Referendare so erzählen, dann sind die sich eigentlich sehr einig, dass auf jeden Fall das Ref. nicht noch kürzer werden darf, eher sollte es wieder länger werden – es ist ja schon mal verkürzt worden –, und auch das Studium ist ja durch Bachelor und Master schon sehr gestrafft worden. Geht das wirklich noch schneller?
    Beckmann: Ich finde nicht. Wir brauchen eine grundständige qualifizierte Lehrerausbildung, insbesondere weil die Herausforderungen an Schule ja ständig wachsen und ständig neue Themen übertragen werden. Ich bin ganz auf der Seite der Referendarinnen und Referendare, das Ref. darf auf keinen Fall weiter gekürzt werden, weil dies ein ganz wesentlicher Einstieg und Vorbereitung auf die Praxis ist.
    Dichmann: Aber wie kommen wir denn dann schneller an Lehrer und Lehrerinnen, die wir eben brauchen? Ist ja so.
    Beckmann: Ein Punkt ist ganz klar, wir müssen die Zahl der Studienplätze, die Studienkapazitäten deutlich erhöhen, wohl wissend, dass dieser Effekt erst in sieben oder acht Jahren eintritt, aber wir dürfen es trotzdem nicht lassen, sonst sind wir in acht Jahren an der gleichen Stelle wie heute. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um diejenigen, die wir über den Seiteneinstieg bekommen, vernünftig zu qualifizieren, um sie dann in die Lerngruppen zu schicken. Man muss also beide Dinge tun, das heißt, den Seiteneinstieg, um den wir nicht umhinkommen, vernünftig, qualitativ vorbereiten und durchführen und gleichzeitig auf Zukunft hin gucken, dass wir genügend Studienkapazitäten zur Verfügung stellen, um dann genügend originär ausgebildete Lehrkräfte zu haben.
    Dichmann: Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, in "Campus & Karriere". Danke Ihnen, Herr Beckmann!
    Beckmann: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.