Friedbert Meurer: Es war 1994, da beschloss die Regierung Helmut Kohl eine vierte Sozialversicherung in Deutschland einzuführen. Neben Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung wurde die gesetzliche Pflegeversicherung geschaffen - gegen den erbitterten Widerstand des Koalitionspartners FDP damals. Die Liberalen warnten vor den Kosten. Tatsächlich, der Bundestag beschließt auch heute: die Beiträge sollen leicht angehoben werden, weil dafür notwendige Leistungen verbessert werden oder eingeführt werden sollen. Kritiker rügen auf der anderen Seite, das sei nicht der große Wurf. Die grundsätzlichen Probleme der Pflegeversicherung würden für die Zukunft noch nicht gelöst. Wenn Menschen alt und gebrechlich werden, dann versuchen die Angehörigen in der Regel Vater oder Schwiegermutter beispielsweise möglichst lange zu Hause zu pflegen. Nur wenn es gar nicht mehr anders geht oder nicht mehr zumutbar ist, dann wird ein Umzug in der Regel ins Altenheim erwogen. Für alle, die zu Hause gepflegt werden oder einen Angehörigen pflegen, will die Bundesregierung in ihrer Reform jetzt zusätzliche so genannte Pflegestützpunkte schaffen. Sie sollen mit Rat und Tat die ambulante Pflege unterstützen. Einige Organisationen sagen, so etwas gäbe es bereits, so etwas würde bereits angeboten - zum Beispiel im Saarland. Am Telefon begrüße ich nun Werner Hesse. Er ist Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Guten Tag Herr Hesse!
Werner Hesse: Guten Tag Herr Meurer!
Meurer: Wenn wir über die Pflegestützpunkte reden, die jetzt kommen sollen, was versprechen Sie sich davon?
Hesse: Der letzte Beitrag hat das schon deutlich gemacht. Es ist sehr sinnvoll, Pflegestützpunkte einzurichten. Die hat es in früheren Jahren auch vermehrt gegeben und mit Schaffung der Pflegeversicherung sind die zum Teil dann auch erst mal wieder aufgegeben worden, weil man gedacht hat, die Pflegeversicherung kann das alles selber leisten. Und es zeigt sich: Sie kann es nicht leisten. In ganz vielen Fällen entsteht Pflegebedürftigkeit akut durch Schlaganfall, durch einen schweren Sturz oder so etwas und dann sind die Angehörigen in aller Regel nicht darauf vorbereitet, mit der Pflegebedürftigkeit umzugehen. Sie wissen nicht, welche Möglichkeiten es gibt, welche Anbieter es gibt.
Meurer: Und an wen wenden sich die Angehörigen im Moment, wenn so etwas passiert?
Hesse: Im Moment wenden sie sich zum Teil an die Pflegekassen, zum Teil an die Sozialämter, sicherlich auch an Pflegedienste. Die meisten kennen aber immer nur einen Ausschnitt des Gesamtsystems. Nur die wenigsten haben einen Gesamtüberblick, zum Beispiel auch über Nachbarschaftshilfen, ehrenamtliche Begleitung und dergleichen mehr. Und das ist sinnvoll, das in einem Pflegestützpunkt zu bündeln.
Meurer: Pflegestützpunkte sind also keine ambulanten Stationen, sondern die sollen Rat geben. Wie gut wird dieser Rat wohl sein, der dort erteilt wird?
Hesse: Ich hoffe mal, dass er gut ist, denn entscheidend ist, dass man eine gewisse finanzielle Ausstattung hat, damit dort Leute sitzen können, die sich um nichts anderes kümmern müssen. Jemand der einen Pflegedienst organisiert und nur nebenbei mal berät, der kann sich ja gar nicht so intensiv kümmern. Mit der finanziellen Ausstattung denke ich wird es möglich sein, dass sich dort Leute ausschließlich um die Frage der Infrastruktur kümmern können, wirklich auf die Bedürfnisse der Anfragenden eingehen können.
Meurer: Es hatte ja ein bisschen politischen Streit um diese Pflegestützpunkte gegeben. Einige Organisationen haben gesagt, so etwas bieten wir doch auch schon an. Spielt da auch Konkurrenz eine Rolle?
Hesse: Ja, sicherlich, und das ist jetzt im Gesetz auch festgehalten. Ein Pflegestützpunkt darf durchaus auch in Kombination mit einer Pflegeeinrichtung eingerichtet werden. Es ist aber strikt darauf zu achten, dass dann die Beratung nicht dahin geht zu sagen bitte schön, mein Heim ist das beste oder mein Pflegedienst ist der beste, sondern die Beratung muss wettbewerbsneutral erfolgen.
Meurer: Wie kann man das garantieren?
Hesse: Das kann man am besten garantieren, indem man diese Pflegestützpunkte wirklich unabhängig an Beratungsstellen angliedert. Sobald sie an einer Pflegeeinrichtung angegliedert sind, ist es immer etwas heikel - zumindest vom äußeren Anschein.
Meurer: Ein anderer Punkt - lassen Sie uns über den reden - in dem Reformpaket der Bundesregierung: auch Demenzkranke sollen zukünftig Geld bekommen, 100 bis 200 Euro im Monat. Das klingt nicht übermäßig viel. Was meinen Sie?
Hesse: Es ist nach wie vor ein Mangel der Pflegeversicherung, dass sie den Bereich der psychischen Erkrankung, geistigen Behinderung und auch der Demenz nicht hinreichend abbildet, sondern in erster Linie darauf guckt: Kann der Mensch sich körperlich noch selber bewegen? Kann er sich anziehen, kann er Nahrung aufnehmen und dergleichen mehr? Viele Demenzkranke können das, aber sie wissen nicht, dass sie das jetzt tun sollten, und sie müssen auch geschützt werden vor gefährlichen Dingen wie den Herd anmachen oder weglaufen und dergleichen mehr. Das ist nicht unmittelbare Pflege am Menschen, aber es ist ganz wichtig, um noch ein lebenswertes Umfeld für die Menschen zu schaffen. Das bildet sich bisher im Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht ab und nun versucht man, durch gewisse Zusatzzahlungen von 100 bis 200 Euro im Monat ein bisschen Linderung zu bieten. Das reicht aber im Grunde nicht aus.
Meurer: Pflegebedürftigkeitsbegriff - ein ziemlich langes Wort. Wie wahrscheinlich ist es, dass da noch weitere Gruppen hineingepackt werden?
Hesse: Man spricht allgemein von Demenz, aber es geht bei diesem Thema eigentlich um diejenigen, die sich nur eingeschränkt wahrnehmen oder steuern können. Das heißt es werden auch geistig behinderte und psychisch erkrankte Menschen in dieser Diskussion mitgedacht. Man verkürzt das in der Diskussion eigentlich auf Demenz.
Meurer: Das ganze muss auch bezahlt werden. Im Moment wird es dadurch bezahlt, dass die Beiträge um einen Viertel Prozentpunkt angehoben werden. Wenn noch weitere Gruppen dazu kommen, wenn auch Leistungen angehoben werden, bis zu welchem Beitragsniveau werden wir kommen in 10 oder 15 Jahren?
Hesse: Wenn Sie sich die Gesetzgebungsmaterialien von 1994 anschauen, da stand bereits drin, dass kurz nach der Jahrtausendwende der Beitrag auf zwei Prozent angehoben werden müsste und dass er 2020 etwa bei drei Prozent liegen würde. Man ging damals schon davon aus, dass man angesichts der demographischen Entwicklung mit Beitragssatzsteigerungen rechnen muss.
Meurer: Sie meinen drei Prozent, mehr wird es nicht werden?
Hesse: Na ja, wir haben immer die Bremse drin, dass die Leistungen nicht bedarfsdeckend sind. Die Pflegeversicherung war von Vornherein eine Teilkasko-Versicherung; sie ist weiterhin eine Teilkasko-Versicherung und die Leistungssteigerungen, die jetzt stattfinden, sind nicht in dem Maße, dass sie den Inflationsverlust der letzten 13 Jahre auffangen würden. Die Leistungen sind jetzt 13 Jahre unverändert geblieben und das ist ein Wertverlust von mindestens 20 Prozent. In dem Maße werden sie nicht angehoben.
Meurer: Werner Hesse, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, bei uns im Deutschlandfunk. Danke Herr Hesse und auf Wiederhören!
Werner Hesse: Guten Tag Herr Meurer!
Meurer: Wenn wir über die Pflegestützpunkte reden, die jetzt kommen sollen, was versprechen Sie sich davon?
Hesse: Der letzte Beitrag hat das schon deutlich gemacht. Es ist sehr sinnvoll, Pflegestützpunkte einzurichten. Die hat es in früheren Jahren auch vermehrt gegeben und mit Schaffung der Pflegeversicherung sind die zum Teil dann auch erst mal wieder aufgegeben worden, weil man gedacht hat, die Pflegeversicherung kann das alles selber leisten. Und es zeigt sich: Sie kann es nicht leisten. In ganz vielen Fällen entsteht Pflegebedürftigkeit akut durch Schlaganfall, durch einen schweren Sturz oder so etwas und dann sind die Angehörigen in aller Regel nicht darauf vorbereitet, mit der Pflegebedürftigkeit umzugehen. Sie wissen nicht, welche Möglichkeiten es gibt, welche Anbieter es gibt.
Meurer: Und an wen wenden sich die Angehörigen im Moment, wenn so etwas passiert?
Hesse: Im Moment wenden sie sich zum Teil an die Pflegekassen, zum Teil an die Sozialämter, sicherlich auch an Pflegedienste. Die meisten kennen aber immer nur einen Ausschnitt des Gesamtsystems. Nur die wenigsten haben einen Gesamtüberblick, zum Beispiel auch über Nachbarschaftshilfen, ehrenamtliche Begleitung und dergleichen mehr. Und das ist sinnvoll, das in einem Pflegestützpunkt zu bündeln.
Meurer: Pflegestützpunkte sind also keine ambulanten Stationen, sondern die sollen Rat geben. Wie gut wird dieser Rat wohl sein, der dort erteilt wird?
Hesse: Ich hoffe mal, dass er gut ist, denn entscheidend ist, dass man eine gewisse finanzielle Ausstattung hat, damit dort Leute sitzen können, die sich um nichts anderes kümmern müssen. Jemand der einen Pflegedienst organisiert und nur nebenbei mal berät, der kann sich ja gar nicht so intensiv kümmern. Mit der finanziellen Ausstattung denke ich wird es möglich sein, dass sich dort Leute ausschließlich um die Frage der Infrastruktur kümmern können, wirklich auf die Bedürfnisse der Anfragenden eingehen können.
Meurer: Es hatte ja ein bisschen politischen Streit um diese Pflegestützpunkte gegeben. Einige Organisationen haben gesagt, so etwas bieten wir doch auch schon an. Spielt da auch Konkurrenz eine Rolle?
Hesse: Ja, sicherlich, und das ist jetzt im Gesetz auch festgehalten. Ein Pflegestützpunkt darf durchaus auch in Kombination mit einer Pflegeeinrichtung eingerichtet werden. Es ist aber strikt darauf zu achten, dass dann die Beratung nicht dahin geht zu sagen bitte schön, mein Heim ist das beste oder mein Pflegedienst ist der beste, sondern die Beratung muss wettbewerbsneutral erfolgen.
Meurer: Wie kann man das garantieren?
Hesse: Das kann man am besten garantieren, indem man diese Pflegestützpunkte wirklich unabhängig an Beratungsstellen angliedert. Sobald sie an einer Pflegeeinrichtung angegliedert sind, ist es immer etwas heikel - zumindest vom äußeren Anschein.
Meurer: Ein anderer Punkt - lassen Sie uns über den reden - in dem Reformpaket der Bundesregierung: auch Demenzkranke sollen zukünftig Geld bekommen, 100 bis 200 Euro im Monat. Das klingt nicht übermäßig viel. Was meinen Sie?
Hesse: Es ist nach wie vor ein Mangel der Pflegeversicherung, dass sie den Bereich der psychischen Erkrankung, geistigen Behinderung und auch der Demenz nicht hinreichend abbildet, sondern in erster Linie darauf guckt: Kann der Mensch sich körperlich noch selber bewegen? Kann er sich anziehen, kann er Nahrung aufnehmen und dergleichen mehr? Viele Demenzkranke können das, aber sie wissen nicht, dass sie das jetzt tun sollten, und sie müssen auch geschützt werden vor gefährlichen Dingen wie den Herd anmachen oder weglaufen und dergleichen mehr. Das ist nicht unmittelbare Pflege am Menschen, aber es ist ganz wichtig, um noch ein lebenswertes Umfeld für die Menschen zu schaffen. Das bildet sich bisher im Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht ab und nun versucht man, durch gewisse Zusatzzahlungen von 100 bis 200 Euro im Monat ein bisschen Linderung zu bieten. Das reicht aber im Grunde nicht aus.
Meurer: Pflegebedürftigkeitsbegriff - ein ziemlich langes Wort. Wie wahrscheinlich ist es, dass da noch weitere Gruppen hineingepackt werden?
Hesse: Man spricht allgemein von Demenz, aber es geht bei diesem Thema eigentlich um diejenigen, die sich nur eingeschränkt wahrnehmen oder steuern können. Das heißt es werden auch geistig behinderte und psychisch erkrankte Menschen in dieser Diskussion mitgedacht. Man verkürzt das in der Diskussion eigentlich auf Demenz.
Meurer: Das ganze muss auch bezahlt werden. Im Moment wird es dadurch bezahlt, dass die Beiträge um einen Viertel Prozentpunkt angehoben werden. Wenn noch weitere Gruppen dazu kommen, wenn auch Leistungen angehoben werden, bis zu welchem Beitragsniveau werden wir kommen in 10 oder 15 Jahren?
Hesse: Wenn Sie sich die Gesetzgebungsmaterialien von 1994 anschauen, da stand bereits drin, dass kurz nach der Jahrtausendwende der Beitrag auf zwei Prozent angehoben werden müsste und dass er 2020 etwa bei drei Prozent liegen würde. Man ging damals schon davon aus, dass man angesichts der demographischen Entwicklung mit Beitragssatzsteigerungen rechnen muss.
Meurer: Sie meinen drei Prozent, mehr wird es nicht werden?
Hesse: Na ja, wir haben immer die Bremse drin, dass die Leistungen nicht bedarfsdeckend sind. Die Pflegeversicherung war von Vornherein eine Teilkasko-Versicherung; sie ist weiterhin eine Teilkasko-Versicherung und die Leistungssteigerungen, die jetzt stattfinden, sind nicht in dem Maße, dass sie den Inflationsverlust der letzten 13 Jahre auffangen würden. Die Leistungen sind jetzt 13 Jahre unverändert geblieben und das ist ein Wertverlust von mindestens 20 Prozent. In dem Maße werden sie nicht angehoben.
Meurer: Werner Hesse, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, bei uns im Deutschlandfunk. Danke Herr Hesse und auf Wiederhören!