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"Die Aktie Grün ist derzeit sehr überhitzt"

Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner, Geschäftsführer des Emnid-Institutes, ordnet den grünen Höhenflug in die allgemeine politische Meinungsbildung ein und warnt, dass die Partei durch den schnellen Zuwachs ihre Homogenität eingebüßt habe und zudem ihr Kompetenzprofil nicht ausbauen konnte.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch mit Martin Zagatta | 20.11.2010
    Martin Zagatta: Ob das ein Trend ist, der sich verfestigt, oder eher ein Strohfeuer, darüber wollen wir jetzt mit Klaus-Peter Schöppner sprechen, dem Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Emnid. Guten Morgen, Herr Schöppner!

    Klaus-Peter Schöppner: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Schöppner, wie sehen Sie das, sind die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei?

    Schöppner: Na ja, die Aktie Grün ist derzeit sehr überhitzt, und wir kennen das ja, dass gerade in der Politik und natürlich auch im Börsengeschehen eine Aktie ganz schnell mal nach oben gehen kann, und dann ist die Frage, was passiert damit. Und es gibt schon Indikatoren, die zur Vorsicht warnen.

    Zagatta: Welche?

    Schöppner: Na ja, Sie müssen sich das mal so vorstellen, dass die Grünen vor einem Jahr bei der letzten Bundestagswahl noch gerade zehn Prozent der Wählerstimmen bekommen haben, jetzt liegen sie irgendwo bei 22 Prozent. Das heißt, der Urkern der Grünen beträgt jetzt vielleicht gerade noch mal ein Drittel. Die anderen, die über 50 Prozent Neuwähler, die müssen sich ja aus anderen Parteilagern rekrutiert haben. Und wir haben festgestellt, es sind vor allen Dingen die Nichtwähler, es sind aber auch viele CDU-Wähler, es sind viele FDP-Wähler, es sind viele SPD-Wähler, also ein ganzes großes Sammelsurium. Und das heißt, dass die Homogenität der Partei sozusagen verlustig gegangen ist. Das war mal früher eine in sich geschlossene Gruppe und jetzt mehrheitlich Wähler, die die Grünen gewählt oder nicht gewählt haben vor einem Jahr, das heißt, die damals noch andere Parteien mit anderen Zielsetzungen, mit anderen Kompetenzen gewählt haben. Und insofern ist das, was die Grünen lange auszeichnete, ein homogenes, in sich geschlossenes Bild, nicht mehr da. Aber es gibt auch noch weitere Warnsignale.

    Zagatta: Welche? Gleiche Frage noch mal.

    Schöppner: Na ja, ein zweites großes Warnsignal ist – und das ist demoskopisch ziemlich einmalig –, dass die Kompetenz mit diesem Wähleraufschwung nicht standgehalten hat. Also das Kompetenzprofil der Grünen befindet sich eigentlich noch auf dem Stand von vor einem Jahr. Sie sind, wir sagen in unserer Fachsprache sogenannte One-Issue-Partei, die können nur grün – die können Ökologie, die können Klimaschutz. Dann gibt es noch verhaltene Kompetenz in den Bereichen Verbraucherschutz, auch in puncto Wirtschaft, auch in puncto Energie, aber dann hört es schon auf. Wir sind ja in einer Zeit, wo 80 Prozent der Bundesbürger sich bedroht fühlen durch die Umstände, und dort im Arbeitsmarkt sozusagen kaum Kompetenz zu haben, in der Finanzpolitik, in der Sicherheitspolitik, in der Außenpolitik. Das sind zumindest ganz große Warnsignale, die auch die Grünen ernst nehmen sollten und die sie nicht so euphorisch werden lassen sollten.

    Zagatta: Wie sehen Sie das kurzfristig, wenn wir auf die Wahl in Baden-Württemberg blicken, weil dort sind ja die Umfrageergebnisse aufgrund der Proteste gegen den Bahnhof, gegen Stuttgart 21 noch höher, da werden ja die Grünen noch weit deutlich höher gehandelt als die 22 Prozent im Bundesdurchschnitt. Da macht man sich ja bei den Grünen Hoffnungen, den Ministerpräsidenten vielleicht sogar stellen zu können ...

    Schöppner: Richtig, aber ...

    Zagatta: Halten Sie das für realistisch?

    Schöppner: Es ist sicherlich realistisch, aber das zeigt natürlich das ganze Problem der aktuellen Politik. Wir haben derzeit keine Kompetenzpolitik mehr, keine ideologisch geprägte Politik, sondern mehr eine Spürpolitik und Agenda-Setting-Politik. Das heißt also, Wahlentscheidungen, die ja eigentlich die Politik der nächsten vier, fünf Jahre tragen sollen, basieren häufig auf Ereignissen, die ganz plötzlich auf uns niederkommen, also wie zum Beispiel das Thema Ausländerpolitik oder in Baden-Württemberg das Thema Stuttgart 21. Natürlich ein wichtiges Thema, ob das aber das Thema ist, was wahlentscheidend für die Zukunft der Baden-Württemberger sein sollte, das ist also sehr fraglich. Insofern ist das eine ganz große Gefahr, in der die Politik steckt, dass wir halt eben eine Spürdemokratie haben, eine Demokratie, die nach bestimmten Ereignissen urteilt und längerfristige Bewertungen eine immer geringere Rolle spielen.

    Zagatta: Haben die Meinungsforscher zu diesem Wirbel um die Grünen auch mit beigetragen? Das Ganze ist ja angeheizt worden im vergangenen Monat durch Meldungen – ich glaube, das war das Institut Forsa, das gemeldet hat, die Grünen hätten jetzt mit 25 oder 26 Prozent die SPD sogar überflügelt. War das für Sie auch ein Thema?

    Schöppner: Na, aber bitte keine Schelte an die Meinungsforschung. Die Meinungsforschung hat ja keine Verlage, hat keine Sender, sondern es sind ja in der Regel Medien, es sind ja Rundfunkanstalten, es sind Illustrierten, die dann das in Auftrag geben. Aber richtig ist, was Sie sagen, dass sich so ein Spiraleffekt natürlich mit den Erfolgsmeldungen stärkt. Das heißt, wenn erst mal dieses Thema sozusagen in der Welt ist, es thematisiert wird, und alle Medien noch einen draufsetzen und die Politiker einen draufsetzen, dann nimmt der Wähler schon wahr, als wenn dieses das einzig wichtige Thema wäre und alles andere verblasst dagegen. Also insofern ist es sicherlich richtig, dass die Medien und dieser Hype auch etwas damit zu tun haben, aber auch in der Demoskopie und in der Politik gilt der schöne alte Leitsatz: What goes up must come down. Also Vorsicht, die politische Welt kann in sechs Wochen schon völlig anders aussehen.

    Zagatta: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass der Wähler ja da ohnehin offenbar Widersprüche hinnimmt, also dass die Grünen jetzt beim Afghanistan oder wenn es um Castortransporte geht, ja ganz andere Positionen vertreten als zu ihren Regierungszeiten. Warum schadet das ihrer Glaubwürdigkeit nicht und warum schadet das ihren Umfragewerten nicht?

    Schöppner: Na, ich glaube, dass das schon zumindest langfristig ihrer Glaubwürdigkeit in dem Augenblick schaden würde, wo sie Regierungspartei wäre, und zwar nicht nur als kleinerer, als Juniorpartner, sondern als der Partner, der möglicherweise einen Ministerpräsidenten oder gar einen Kanzler stellt, also die Letztverantwortung hat. Den Grünen kommt aber eines zugute, und das muss man ihnen sicherlich zugutehalten, dass wir in einer Beunruhigungswelt leben und sie in gewisser Weise Sicherheit ausstrahlen. Wir wissen aus unseren Umfragen, dass die Grünen, oder sagen wir mal so, dass die Bürger sehr beunruhigt sind über das, was sich politisch, wirtschaftspolitisch in der Welt entwickelt, sie verstehen die Welt nicht mehr, es geht ihnen alles zu schnell. Und die Grünen sind insofern ein Korrektiv, als dass sie die Bürgerposition einnehmen und sagen: Jetzt mal langsam, muss das denn alles sein, wir wollen erst mal verstehen, was dahintersteckt. Und es gibt einen grundlegenden Wunsch unter den Bürgern wegen Akzeleration, der so in etwa heißt: Haltet die Welt an, uns geht das alles zu schnell, wir wollen da mitkommen. Und gerade diese grundsätzliche Sehnsucht bedienen die Grünen derzeit.

    Zagatta: Noch kurz vielleicht: Wenn Sie sagen Sicherheit ausstrahlen, nun ist ja das Thema der letzten Tage die Warnung vor Terroranschlägen in Deutschland, kann das das konservative Lager, das ja auf eine Ausweitung von Sicherheitsmaßnahmen setzt, kann das dem konservativen Lager jetzt wieder helfen und damit den Grünen schaden, oder wie sehen Sie das?

    Schöppner: Die Grünen haben in puncto innere Sicherheit gerade mal eine Kompetenz von zwei Prozentpunkten, die Union zum Beispiel von über 50 Prozent. Das Thema Terrorismus ist etwas, was eher von den Medien hochgespielt wird, solange in Deutschland nichts passiert. Also die Terrorismusgefahr unter den Deutschen ist relativ gering, weil die Bundesregierung und die Regierung auch der letzten Jahre hier eigentlich eine gute Politik gemacht haben. Wenn hier allerdings was passieren sollte, dann allerdings können grundsätzliche Mängel auch bei den Grünen deutlich werden.

    Zagatta: Klaus-Peter Schöppner, der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Emnid, Herr Schöppner, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Schöppner: In diesem Sinne, auf Wiedersehen, schönen Tag!

    Zagatta: Ihnen auch!