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"Die Amerikaner wollen, dass wir uns um die Probleme bei uns im Land kümmern"

Es gibt historische Originaltöne, die auch nach Jahrzehnten noch unter die Haut gehen. So auch dieser: 28. August 1963. Der Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King spricht in Washington vor dem Lincoln Memorial über seinen Traum eines Landes ohne Rassenschranken. Kurz zuvor sprach auch der Bürgerrechtler John Robert Lewis.

John Robert Lewis im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.09.2010
    Heute ist er Mitglied des US-Repräsentantenhauses, vertritt dort den Wahlkreis Atlanta-Georgia, für den er im November wieder kandidiert, und er hält sich zurzeit zusammen mit der Congressional Study Group on Germany in Deutschland auf.

    Im Deutschlandfunk-Interview spricht er über die bevorstehenden Kongresswahlen, die Frage, inwiefern die schwache US-Wirtschaft das Wahlergebnis beeinflussen wird und die aktuelle Tea Party-Bewegung in den USA.

    John Robert Lewis: Es ist ganz sicher so, dass das schleppende Wachstum der amerikanischen Wirtschaft großen Einfluss auf die Wahlen im November haben wird. Millionen von Amerikanern sind auf einmal ohne Job! Der Präsident, der Kongress, wir alle müssen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute wieder Arbeit haben, dass sie ihren Lebensstil aufrecht erhalten, dass sie ihre Autos und Häuser behalten, ihre Familien ernähren und ihre Kinder zur Schule schicken können.

    Heinemann: Und was macht Präsident Obama jetzt?

    Lewis: Zurzeit wird bei uns eine Menge diskutiert. Es könnte sein, dass der Präsident ein Infrastrukturprogramm auf den Weg bringt. Das würde heißen: Brücken und Straßen bauen und so Menschen einen Job verschaffen. Einige Politiker wollen, dass der Präsident Milliarden in die Wirtschaft pumpt.

    Heinemann: Die Gesundheitsreform, der Abzug aus dem Irak, der angekündigte Abzug aus Afghanistan – warum müssen die Demokraten trotz dieser Meilensteine um die Mehrheit im Kongress kämpfen, oder sind sogar im Begriff, diese zu verlieren?

    Lewis: Es ist tatsächlich schwierig, das zu verstehen - bei allem, was wir Demokraten erreicht haben. Wir haben eine Gesundheitsreform durchgesetzt, wir haben unsere jungen Leute aus dem Irak geholt, wir haben die Wall Street und den Bankensektor reformiert, und wir haben ein neues Energiegesetz durchs Parlament gebracht. Aber dem Präsidenten und uns Demokraten im Kongress wird das nicht hoch genug angerechnet. Wir waren nicht gut darin, den Leuten unsere Politik zu erklären. Vor allem haben wir den Amerikanern nicht klar gemacht, wie wir unser Wirtschaft ankurbeln.

    Heinemann: Herr Lewis, Sie sind ein überzeugter Gegner der Kriege im Irak und in Afghanistan – wie bewerten Sie Präsident Obamas Politik und seine Strategie?

    Lewis: Ich glaube, der Präsident hatte recht, unsere Streitkräfte aus dem Irak zu holen. Ich bin einfach der Meinung, dass Krieg kein Mittel der Außenpolitik mehr sein kann. Ich bin auch gegen den Einsatz in Afghanistan. Die Amerikaner haben den Krieg satt. Sie wollen, dass wir uns um die Probleme bei uns im Land kümmern.

    Heinemann: Informationen am Morgen im Deutschlandfunk, ein Interview mit John Robert Lewis, Abgeordneter des US-Repräsentantenhauses. Im August 1963 sprachen Sie bei der Veranstaltung, bei der Martin Luther King seine berühmte Rede "I have a dream" hielt – in der vergangenen Woche veranstaltete die konservative Tea Party-Bewegung am gleichen Tag, dem 28. August, am selben Ort, dem Lincoln Memorial, eine Demonstration – was denken Sie über diese Bewegung und ihre Anhänger?

    Lewis: Die Tea Party ist eine Episode. Ich glaube nicht, dass sie lange Bestand hat. Diese Bewegung hat keine Substanz. Sie stützt sich auf Frustration. Da versammeln sich Leute, die gegen Obamas Politik sind. Das sind die gleichen Leute, die sagen, "Obama ist keiner von uns". Sie sagen, er sei ein Sozialist und er sei noch nicht mal in den USA geboren. Diese Leute rufen, sie wollen Amerika zurückholen. Aber woher wollen sie Amerika zurück holen? Die Tea Party will das amerikanische Volk wieder teilen in Rassen und Klassen. Ich hoffe, dass die Mehrheit der amerikanischen Bürger sich davon nicht einfangen lässt.

    Heinemann: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie den konservativen Fernsehmoderator Glenn Beck sagen hören, er wolle Amerikas Ehre wiederherstellen?

    Lewis: Ich weiß nicht, was Leute wie Glenn Beck damit meinen. Wollen die uns zurückholen in eine Zeit, in der die Leute Schilder aufgestellt haben: "Hier nur Weiße" und "Hier nur Schwarze"?, zurück in eine Zeit, in der Menschen kein Recht hatten zu wählen, weil sie die falsche Hautfarbe hatten? Glenn Beck ist der gleiche Mann, der gesagt hat, "Obama ist ein Rassist", und es ist der gleiche Mann, der gesagt hat, Obama hasse die Weißen.

    Heinemann: Herr Lewis, halten Sie die Tea Party-Bewegung für rassistisch?

    Lewis: Ich weiß nicht, ob die Tea Party eine rassistische Bewegung ist. Aber sie erinnert mich an eine Ära, die schon lange vorbei ist.

    Heinemann: Ist Barack Obamas Präsidentschaft die Erfüllung von Martin Luther Kings Traum?

    Lewis: Das glaube ich nicht. Diese Präsidentschaft ist eher eine ziemlich große Anzahlung auf die Erfüllung dieses Traums. Wir müssen noch weit gehen, bis wir eine geeinte Gesellschaft haben, bis wir Hautfarbe und Herkunft eines Menschen nicht mehr beachten. Es wird einige Zeit vergehen, bis alle Menschen in Amerika Mitglieder der gleichen Familie sind – und Mitglieder des gleichen amerikanischen Hauses.

    Heinemann: Herr Lewis, Sie haben Barack Obama einst um eine Widmung für ein Foto gebeten, und er hat geschrieben: "because of you, John" – "Deinetwegen, John". Was haben Sie empfunden, als Sie das gelesen haben?

    Lewis: Als Obama das geschrieben hat, da sind mir die Tränen in die Augen geschossen, genau wie ihm. Wir wussten beide, welche dramatische Reise wir zurückgelegt hatten und was für einen Erfolg diese Wahl dargestellt hat. Ich hatte niemals zu träumen gewagt, dass ich noch erleben würde, wie ein farbiger Mann Präsident wird. Ich habe geweint, es waren Tränen der Freude. Ich habe aber auch an Präsident Kennedy gedacht, an Lyndon B. Johnson und an Martin Luther King - und an so viele andere, die hart gearbeitet haben für diesen gesellschaftlichen Wandel in den USA.


    Das Interview hören Sie hier auch in englischer Originalfassung.