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Die Benediktiner
Hier Biergarten-Idylle, dort Obdachlosenhilfe

"Ora et labora- bete und arbeite". Dieser Grundsatz stammt von dem Gründer des Benediktinerordens, Benedikt von Nursia. Auslegen kann man diesen Satz auf unterschiedliche Art und Weise. In München versuchen sich die Benediktiner in Langsamkeit.

Von Burkhard Schäfers | 11.08.2015
    Ein Gang der Ottobeuren Benediktiner Abtei, in dem sich ein Mönch und ein Mann unterhalten.
    In der Benediktinerabtei Ottobeuren (Deutschlandradio / Rudi und Rita Schneider)
    Mittwoch, 18 Uhr: Die Benediktinerinnen der Abtei Venio in München haben sich in ihrer schlichten Kapelle zur Vesper versammelt, dem klassischen Stundengebet der Orden. Sie tragen lange, schwarze Chormäntel und Schleier. Nichts deutet darauf hin, dass die Frauen tagsüber als Lehrerinnen oder in der Verwaltung, im Krankenhaus tätig sind. Oder wie Schwester Mirjam als Sozialarbeiterin in einem ambulanten Pflegedienst. Dann sind sie ganz normal gekleidet.
    "Die Herausforderung ist schon, dass man so ein bisschen das Gefühl hat, das sind zwei Welten. Gerade in der sozialen Arbeit, in meinem Schwerpunkt, was ja Case Management, also Krisenbewältigungsarbeit ist, da weiß man oft morgens nicht, wie der Tag genau ausschaut. Und im Kloster ist das durch die klare Einteilung der Gebetszeiten, der Mahlzeiten von vornherein sehr deutlich strukturiert."
    Eigentlich sind die Benediktiner ein kontemplativer Orden, geprägt durch Ruhe, Rückzug und eine gewisse Innerlichkeit. Aber Benedikt von Nursia hat keine Vorgaben gemacht, wie dieses Leben genau auszusehen hat. Denn eigentlich wollte er gar keinen Orden gründen, sondern lediglich Regeln aufstellen für das von ihm gegründete Kloster im italienischen Montecassino. Und so gibt es heute einerseits sehr zurückgezogene Benediktiner – andererseits recht weltzugewandte Ordensleute in der Mission, in Pfarreien und in Internaten. Die Benediktinerinnen der Münchner Abtei Venio arbeiten überwiegend in völlig weltlichen Kontexten.
    Weniger ist mehr
    Mirjam Ullmann sieht ihren Auftrag darin, möglichst nah an den Menschen dran zu sein, die in München leben. Durch ihren Arbeitsalltag ist sie unmittelbar mit jenen Problemen konfrontiert, die die Großstadt mit sich bringt: mit hohen Mieten, Leistungsdruck, dem Zwang, etwas darstellen zu müssen.
    "Gerade Menschen, die jetzt nicht in der Weise mit diesem ständigen Wettbewerb mit rennen können – ältere Menschen, Menschen mit Behinderung, Flüchtlinge in unserer Stadt – für die ist es ja auch schlimm, dass sie in diesem Wettbewerb nie die Gewinner sein können."
    Die Benediktiner versprechen Gehorsam, sie binden sich fest an eine Gemeinschaft – das ist die sogenannte Stabilitas – und sie geloben einen klösterlichen Lebenswandel. Wer in den Orden eintritt, verzichtet auf persönlichen Besitz. Dieses Thema – "Weniger ist mehr" – stehe weit oben auf der gesellschaftlichen Agenda, sagt Religionssoziologe Gert Pickel. Er ist Professor in Leipzig.
    "Vor Kurzem gab es gerade eine Debatte, ob man sich nicht trennen sollte von zu viel Besitz, das belastet ja auch. Das ist für den einen oder anderen attraktiv, für die Meisten aber nicht. Das hängt damit zusammen, dass Besitz, den man erworben hat, auch so etwas wie eine Darstellung ist dessen, was man erreicht hat. Und das ist für das Selbstbewusstsein vieler Menschen extrem wichtig."
    Mut zur Langsamkeit
    Schwester Mirjam versucht, die Blickrichtung der Menschen zu verändern. Luxusurlaub, ein PS-starkes Auto in der Garage – alles verzichtbar, meint die Benediktinerin, denn nichts davon sei beständig:
    "Wenn man heute krank wird, wenn man heute alt wird, kann man ganz schnell seine Arbeit verlieren und damit diese ganzen Statussymbole. Dass ich mir für Vergänglichkeit so dermaßen einen Stress mache, das muss man infrage stellen. Da sehe ich schon die Aufgabe zu sagen: Mut zum Ausatmen, Mut zu einer gewissen Langsamkeit. Mit ein bisschen weniger lässt sich auch gut leben."
    Ortswechsel: Die Benediktiner-Mönche der Münchner Abtei Sankt Bonifaz sind vor allem durch das dazugehörige Kloster Andechs bekannt. Der Heilige Berg, hoch über dem Ostufer des Ammersees, ist der älteste Wallfahrtsort Bayerns. Vor allem aber ist Andechs ein blühender Wirtschaftsbetrieb der Benediktiner – mit Brauerei, großem Biergarten und eigener Metzgerei. Die Abtei bekommt keine Kirchensteuermittel, erklärt Abt Johannes Eckert.
    "Ich glaube, das Wirtschaftlich-Tätig-Sein, Arbeitgeber sein für über 200 Personen, ein sicherer Arbeitgeber, ist eine hohe ethische Verantwortung, die wir als Kloster tragen. Das erdet aber auch unsere Spiritualität. Manchmal ist es ja auch gefährlich, wenn man auf einer Insel der Seligen lebt. Und wir müssen uns genau denselben Herausforderungen stellen wie andere Unternehmen auch. Trotzdem ist dann die Frage: Wie können wir da glaubwürdig Christsein?"
    Die Benediktiner und das Bier
    Vor einiger Zeit geriet Abt Johannes genau darüber in Streit mit dem früheren wirtschaftlichen Leiter von Andechs, Anselm Bilgri. Kritiker hatten diesem vorgeworfen, zu sehr auf den Gewinn zu schauen und dabei die Spiritualität zu vergessen. Bilgri verließ daraufhin den Orden. Bis heute aber verkaufen die Benediktiner ihr Bier bis in die USA. Und sie stritten jahrelang vor Gericht um Markenrechte am Namen Andechs. Einen Prozess, den sie schlussendlich verloren haben. Die Benediktiner und das Geschäft - eine Gratwanderung, sagt Religionssoziologe Pickel.
    "Wenn ich Bier verkaufe, muss ich mich natürlich am Markt orientieren. Man hat ein Produkt entwickelt, das würden Sie in jeder anderen Brauerei auch so haben. Das ist ein Bezug zur Ökonomisierung, der eine gewisse Offenheit erzwingt, und der natürlich manchmal in Schwierigkeiten mit dem spirituellen Element kommt. Wo gesagt wird: Das ist eigentlich kein Orden mehr, das ist ja schon fast ein Wirtschaftsunternehmen geworden."
    Der frühere Papst Benedikt XVI. forderte, die Kirche müsse sich entweltlichen, um glaubwürdig zu sein. Dieser Begriff und die richtige Interpretation wurden viel diskutiert. Die Benediktiner hätten sich dafür entschieden, die Moderne als positive Herausforderung zu betrachten, sagt der Religionssoziologe.
    "Man ist offen, man hinterlässt eben nicht das Bild: Die ziehen sich zurück, die schotten sich von uns ab und denken, sie sind was Besseres. Wenn man das Spirituelle nicht verliert, kann man sich nach außen auch öffnen. Wir haben einen Kontakt von Orden mit der Welt, wenn sie im sozialen Bereich, in der Erziehung, in der Mission tätig sind, kommen sie auch mit der Welt in Berührung. Das funktioniert nur, wenn ich mit dem sozialen Wandel, der mich umgibt, aktiv umgehe."
    Sankt Bonifaz sei ein Kloster mit Brauerei – und keine Brauerei, die sich aus PR-Gründen ein Kloster hält, betont der Benediktiner Johannes Eckert. Das zeige sich auch an der Lage: Direkt gegenüber der Abtei am Rande der Münchner Innenstadt erhebt sich ein mächtiger Komplex mit Luxuswohnungen. Aber auch der Hauptbahnhof ist nicht weit, hier sind Arme, Illegale und Obdachlose unterwegs. Für sie hat das Kloster jeden Vormittag geöffnet.
    "München ist eine reiche Stadt. Und da freut's mich, dass wir ein Anlaufpunkt sind für Obdachlose. Es kommen täglich 200 bis 250 Personen in unser Haus zum Essen, Arztpraxis, Kleiderausgabe, Duschen."
    Bonifaz und Andechs vereinen Spannungsfelder: Obdachlosenhilfe und Biergarten-Idylle, Kloster und Wirtschaftsgut, Gottesdienst und Genuss. Das Mönchtum habe eben auch einen kulturellen Wert, so der Abt.
    "Ich glaube es braucht auch das Spiel, das äußerst sinnvoll ist aber zweckfrei. Wir leben ja in einer Gesellschaft, wo alles verzweckt wird, alles wird unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet. Und das Spiel ist nicht sinnlos, weil es freisetzt für was anderes. Dass das spürbar ist in unseren Klöstern oder Ordensgemeinschaften: Dass es noch einen ganz anderen Zielpunkt gibt in unserem Leben, das finde ich ganz wichtig."