Dienstag, 19. März 2024

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Die Cigaretten aus Hamburg
Pillen, Strand und stabile Hatesongs

Seriosität gehört nicht zu den obersten Prämissen der Hamburger Band Die Cigaretten, vielmehr pflegen sie ihr skurril-geheimnisvolles Image. Ihre energiereiche Musik betreiben sie dennoch mit Nachdruck und Ernsthaftigkeit. Und diesem speziellen Humor.

Von Anja Buchmann | 26.01.2020
    Zwei Männer stehen vor einem Schaufenster. In dem Schaufenster spiegelt sich die gegenüberliegende Häuserzeile.
    Proberaum der Cigaretten war der berühmte Otzenbunker auf St. Pauli (Conrad Pohlmann)
    Musik: "Pillen"
    Die Cigaretten, das sind Micha und Michi aus Hamburg. Ein Bandname, wie Die Türen, Die Nerven, Die Sterne. Laut Micha und Michi eine Spontaneingebung, die für gut befunden wurde und mit der inhaltlichen Begründung "wir sind gegen Lobbyismus" versehen. Freiheit und Unabhängigkeit könne man auch ohne Glimmstängel erreichen. Zum Beispiel mit dem Hören ihrer Musik, so Sänger und Gitarrist Micha. Eine Musik, die schnörkellos geradeaus geht, punkige Energie in sich trägt, die aber auch keine Angst vor schönen Melodien hat.
    "Wir sind kleine Pop Mäuse."
    … und die angeblich auch die Freiheit des Jazz in sich birgt…
    "…aber die hört man vielleicht nur als geübter Hörer tatsächlich."
    Aber eigentlich sind die beiden:
    "Äh… Rockstar. Da schließe ich mich an."
    Musik: "Neue Perspektiven / Lorelei"
    Alles begann vor gut zwei Jahren in einer Wohngemeinschaft in Hamburg, wo sich Micha und Micha trafen. Obwohl es eigentlich von den Instrumenten gar nicht passte, denn, so Michi:
    "Ich habe damals auch Gitarre gespielt und Micha war auch Musiker. Ich meinte, lass doch mal irgendwas machen und er meinte, ja gerne, aber ich brauche einen Schlagzeuger und keinen Gitarristen. Und dann habe ich damals umgeschult."
    So schnell kann es gehen. Und manchmal bleiben solche "lass doch mal zusammen Musik machen" Aussagen nicht nur im Ungefähren, sondern führen zu konkreten Ergebnissen. Michi lernte also Schlagzeug und sie jammten zusammen. Anfangs, in Ermangelung eines schwer zu findenden Proberaums in Hamburg, hin und wieder draußen, auf einer Verkehrsinsel.
    "Du willst ja Nachbarn auch nicht nerven. Wir sind ja jetzt auch keine riesengroßen Blödmänner. Und dann dachten wir, wo sollen wir hingehen. Manchmal waren wir in Parks und in Hamburg an der Elbe auf einem kleinen Strand. Aber da spielt das Wetter halt meistens nicht so mit, und vor Michis Wohnung ist genau so eine Insel und da sind wir da drauf weil wir dachten Das stören wir keinen. Ganz im Gegenteil, Autos haben an der Ampel auch angehalten, Fenster runter gemacht und fanden es dann eher schön als abschreckend."
    Proberaum in einem Bunker
    Irgendwann fanden sie doch einen Proberaum, und zwar im berühmten Otzenbunker, in der Otzenstraße in St. Pauli, wo um die 100 Bands ihre musikalische Heimat hatten.
    "Wer einmal im Bunker war, der weiß das vielleicht, da sind so kleine Löcher drin, wo einfach Sauerstoff durchkommt und die mussten von den Bands in den Räumen zu gestopft werden, damit kein Lärm nach außen dringt. Aber du hast dann keinen Sauerstoff mehr gehabt und ich weiß ja auch nicht, ob wir deswegen jetzt nächste Woche umkippen aus den Ohren blutend oder so was, weil wir Jahre in solchen Räumen verbracht haben. Aber die Musiker die mit Herz und Seele Musik machen, die stört natürlich gar nichts, die sagen es mir egal Hauptsache ich hab einen Raum wo ich das machen kann. Dann hieß es aber: Nee, die Löcher müssen zu sein und wenn die Löcher zu sind, ist das aber gesundheitsgefährdend nach zehn Minuten."
    Und dann wurde der Bunker vom Bauamt geschlossen, Ende 2018 war das. Zumal sich auch Anwohner wegen Lärmbelästigung beschwert hatten.
    "Weil inzwischen ein Haus direkt an den Bunker angebaut wurde, ohne entsprechenden Lärmschutz anscheinend. Und natürlich auch um zehn Uhr, wenn da Musiker rauskommen und mal draußen stehen und kurz noch schnacken. Und aber auch direkt ein Kinderzimmer drauf gezeigt hat weil das Haus da neu ist und das war alles irgendwie nicht so geil geplant, ohne irgendwelchen Architekten zu nahe treten zu wollen. Dann hat das das Bauamt dicht gemacht aus den Gründen und dann fing sich irgendwie der Besitzer des Proberaums mit neuem Besitzer, der wurde zwischenzeitlich verkauft, an zu streiten und die Stadt auch, wer das denn nun bezahlt. Das ging jetzt ein paar Monate und die Stadt hat sich eigentlich schöner Weise bereiterklärt denn da ein bisschen mitzufinanzieren und jetzt soll das bis nächstes Jahr Herbst behoben sein und ich hoffe wir können vielleicht wieder zurückziehen."
    Zur Zeit proben Die Cigaretten, die glücklicherweise nicht auf die Verkehrsinsel zurück mussten, in einem anderen Raum in Hamburg-Hamm. Aber, wie Micha meinte, sie würden gern zurückkehren in den Otzenbunker.
    Zwei Männer stehen vor einer weißen Wand und blicken in die Kamera
    Die Cigaretten trafen sich vor zwei Jahren in einer Wohngemeinschaft (la pochette surprise records)
    "Nicht zuletzt ist das eigentlich auch ein geschichtsträchtiger Ort, weil da Tocotronic drin waren, Sterne drin waren, Trümmer war da drin, wer die noch kennt und das ja immer so blöd gesagt die Elbphilharmonie für die Hamburger Indie-Szene und DIY-Szene und Garage-Szene war. Gerade auch ein Stadtteil wie Sankt Pauli, der ja eigentlich für eine lebendige Kultur steht und eine unterschiedliche Kultur steht, der braucht so ein Ort definitiv. Hamburgs Musikszene kann nicht nur Reeperbahn Festival und Elbphilharmonie sein, wo viele Bands von außen kommen und große klassische Künstler von außen kommen, sondern ich finde da muss ja auch was für die lokale Szene getan werden."
    Musik: "Yo, Future"
    Die Cigaretten und "Yo, Future". Erschienen auf ihrer ersten EP "Sonic Juz", und auch auf dem neuen Album "Vibe Ride".
    "Der erste Song, den wir herausgebracht haben, war "Yo, Future" und ich kann mich noch erinnern, dass ich einmal auf meinem Handy alte Videos geguckt habe und ich hatte ein Video wo Micha in der Küche saß und "Yo, Future" auf der Akustikgitarre spielte. Das war einfach ein Jam an diesem Abend in der Küche und ich dachte nur, wir müssen diesen Song machen und bin damit wieder zu Micha zurück und meinte: Lass mal diesen Song hier bitte umsetzen lassen wir versuchen dass wir hinkriegen. Der ist auch zu uns gekommen. Ja, genau, der war total vergessen auf dem Handy."
    "Der Song ist zu uns gekommen", sagt Michi und meint das, was sein Freund und Kollege als ein Charakteristikum ihrer Band ausmacht.
    "Ich möchte jetzt nicht für dich sprechen, Michi, aber was unsere Band sehr viel ausmacht, dass wir uns eher spielen lassen als dass wir spielen."
    Reduzierter Text mit Aussage
    Ein klares Konzept haben Die Cigaretten nicht entworfen, als sie begannen, gemeinsam Musik zu machen. Bis heute lassen sie es laufen, schauen was entsteht, haben viele Ideen an Melodien, Grooves, Riffs, die sie oft gleich mit Texten oder zumindest mit einigen Zeilen versehen. Manchmal bleibt es auch bei wenigen Wörtern, wie zum Beispiel bei "Typen mit Girls". Ein Song, der trotz des eher reduzierten Textes (zu ebenfalls reduzierten drei Akkorden), eine gewisse Aussage hat, so Micha:
    "Das ist eigentlich ein Song mit seiner Einfachheit, der aber sehr viel Tiefe hat, weil er gegen gesellschaftliche Gleichmacherei ist und so eigentlich auch dafür ist, dass man sich auch offen miteinander unterhalten kann, ohne dass man in seiner Blase lebt."
    Musik: "Typen mit Girls"
    Als Privatpersonen sind sie durchaus politisch, die beiden Musiker von Die Cigaretten. Übrigens sind bei Konzerten wechselnde Bassisten mit auf der Bühne, das Grundgerüst der Cigaretten besteht aber nur aus Micha und Michi. Jedenfalls: Die Politik. In ihren Texten findet man nur hin und wieder einen kleinen gesellschaftspolitischen Verweis, meist halten sie sich diesbezüglich eher zurück.
    "Ich würde schon sagen, dass Die Cigaretten in dem Sinne ultra-politisch sind, dass sie komplett unpolitisch sind. Uns ist eigentlich wichtig, in unserer Musik und unseren Konzerten möglichst nicht politisch zu sein, um auch mal Raum zu geben, sich von so was zu erholen sozusagen und einfach auch mal Musik genießen zu können und vielleicht auch mal fünf Minuten nicht an so was zu denken. Ich finde gerade heutzutage wird in der Politik sehr viel vielleicht falsch gemacht, weil man eben emotional überreagiert in solchen Sachen und sich mit sehr viel Hass und mit sehr viel Gegensätzlichkeit begegnet. Und wir sind vielleicht dahingehend politisch, dass wir sagen: Okay, hier passiert auch mal keine Politik. Damit wollen wir nicht sagen, dass so etwas nicht wichtig ist und dass momentan auch sehr viel nicht richtig läuft, mit dem Erstarken von AfD und so was vielleicht. Generell sehen wir da aber eher mit unserem Anspruch, dass sich bitte nicht mit Hass begegnet werden soll im gesellschaftlichen Leben. Es ist weniger politisch und mehr gesellschaftlich würde ich sagen."
    Aber hin und wieder haben die Texte dann doch einen politischen Bezug. Im weiteren Sinne. So beim Song "Bombe", dem ersten Titel ihres aktuellen Albums.
    "Ich glaube da sind wir Bob Dylan nicht unähnlich: Wir sind eher eine Band, die, wenn sie so was äußert, eher beschreibend ist, also nicht unbedingt Stimme ergreifend, sondern eher ablehnend. Aber auch eine gewisse Möglichkeit des Hinterfragens schafft."
    Musik: "Bombe / Egal"
    "Stabiler Hate-Song" heißt tatsächlich eines ihrer Stücke, zu dem es auch ein Video gibt. Ein Video, in dem der Sänger der befreundeten Band Swutscher, deren Gitarrist wiederum das gemeinsame Plattenlabel gehört … , in dem der Sänger Sascha von Swutcher also den Hauptdarsteller spielt, einen Mann voller Hass.
    Botschaft gegen Hass
    "Als diese Otzenbunker-Problematik aufkam und wir wussten, dass wir da die Segel streichen müssen, war das der letzte Song der im Bunker aufgenommen worden ist. Es war quasi auch ein Abgesang auf unseren Proberaum, der uns durch diesen Nachbarn, den man im Video auch sieht, aus den Händen gerissen wurde. Ganz genau, muss man dazu gestehen, es geht jetzt nicht darum, dass wir den krass hassen, sondern das ist ein Aufruf zu mehr Empathie in der Welt, weil wir eigentlich versucht haben die Hassgefühle des Nachbarn zu verstehen. So ist der Song entstanden und ist dann aber tatsächlich ein bisschen größer geworden. Um eine allgemeine Botschaft gegen Hass in den falschen Situationen zu sein.
    Musik: "Stabiler Hate-Song / Ein Song called Stuckrath-Barre"
    "‘Ein Song called Stuckrath-Barre" von Die Cigaretten, schrammeliger Garage-Punk mit zwischendurch bewusst verstimmter Gitarre. Und warum Stuckrath-Barre? Ein Feindbild? Vorbild? Sinnbild?
    "Ich finde seine Bücher cool, muss ich sagen, und es ist auch ein Sinnbild. Sich mal was zu trauen und der ist ja inzwischen ja auch im Moment in Kalifornien und ist eigentlich ein Sinnbild dafür, dass man tun kann was man möchte. Und wenn man das nämlich gut tut, dann kann man das auch machen. Dafür ist uns das ein Sinnbild und außerdem klingt sein Name cool in der Melodie."
    Auch eine Erklärung. Ihre Songs haben Die Cigaretten übrigens in ihren bisherigen zwei Proberäumen aufgenommen, gemastert wurde das Ganze von Chris von Rautenkranz. Einer Hamburger Größe, Musikproduzent und Tontechniker, der in den 1990ern mit Bands wie Die Sterne, Die Regierung, oder Blumfeld zusammen gearbeitet hat. Und veröffentlicht wurde ihr Album "Vibe Ride" bei La Pochette Surprise, einem 2012 von Velvet Bein (Gitarrist bei Swutscher) gegründeten Independent-Label. Über das Micha richtig in Begeisterung gerät.
    "Das ist ein großartiges Hamburger Label, wo es auch eine Menge tolle Bands gibt und was so ein bisschen geschafft hat, in Hamburg mal wieder so eine Szene zu formen, wie das vielleicht ganz ganz früher da war. Da waren wir glaube ich noch nicht mal geplant so ungefähr, wie das bei den Sternen, Tocotronic usw. war. Wir können das ja nur vermuten, dass hier in Hamburg Anfang der Neunziger, Ende der 80er, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs und solche Bands hier… eigentlich eine tolle Szene unterwegs war in Hamburg. Und da kann man nur diesem Label zusprechen, weil die das geschafft haben, Musiker zusammenzubringen und auch so eine Art Familie zu gründen. Von Menschen, die Bock auf "Machen" haben und die sich gegenseitig Kabel leihen und gegenseitig Ideen geben und zusammen rumhängen wenn andere Bands auftreten und so. Und das ist wirklich ganz toll, dass da wieder eine Szene entstanden ist."
    Musik: "Taxieren / London Pizza Manöver"
    Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir nun eine Band aus einer Großstadt sind oder eine aus einer Generation sind, wo man viel im Internet abhängt...
    Sänger, Gitarrist und Haupt-Texteschreiber Mischa über den Song "Zu viel".
    Musik ohne Schnörkel
    "Das ist einfach aus einem Gefühl der Überforderung entstanden und möchte aber dem auch ein bisschen entgegenwirken. Wer so ein bisschen Zeitungen verfolgt, da kommt ja auch immer wieder heutzutage: Burn-Out Zahlen steigen, Leute sind überfordert, Leute fangen an sich in Kommentarspalten zu hassen, einfach weil sie sich vielleicht keine Ruhe gönnen. Und daraus ist es eigentlich entstanden dem entgegenzutreten, das heißt wenn man das Gefühl hat, kann man den Song hören und kann diese negativen Emotionen in positive verwandeln und kann einfach zu einem Stück gute Musik abgehen."
    Musik: "Zu viel"
    Abtanzen, Pogen, Hüpfen, Mitsingen, all das kann man bei der Hamburger Band Die Cigaretten. Ab und zu mal über eine Textzeile nachdenken, muss aber auch nicht. Wieder mit dem Kopf nicken. Im Takt natürlich. Und genießen, dass es noch schräbbelige, geradlinige Musik ohne Schnörkel gibt. Mit schönen Melodien, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Gesang. Und ganz viel Power.
    Musik: "Serotonin"
    "Es gibt einfach eine geile Energie, wenn ein Publikum da ist und Bock drauf hat. Das klingt auch ein bisschen blöd, aber das ganze Projekt macht einfach Spaß, es macht Spaß zu spielen, das macht Spaß Songs zu machen, es macht Spaß sich Videos auszudenken, es macht Spaß, irgendwas in die Welt raus zu pusten, was man selbst gut findet. Es ist einfach ein sehr gutes Gefühl.
    Musik: "Am Strand"