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"Die Diskussion gehört zur Demokratie"

Der SPD-Oberbürgermeister von Hannover, Stefan Schostok, sieht die Koalitionsverhandlungen mit der Union positiv. Wenn man einen programmatischen Wechsel wolle, müsse man Wähler und Mitglieder überzeugen. Dass man der Parteibasis das letzte Wort über eine Große Koalition überlasse, sei dabei ein mutiger Schritt.

Stefan Schostok im Gespräch mit Thielko Grieß | 19.10.2013
    Thielko Grieß: Die Sozialdemokraten wollen den Weg in eine neue große Koalition nicht ohne ihre Basis entscheiden, und diese Basis ist – nicht nur, aber auch – in SPD-regierten Großstädten zu Hause. Am Telefon ist der Oberbürgermeister von Hannover, der Landeshauptstadt Niedersachsens, guten Morgen, Stefan Schostok!

    Stefan Schostok: Guten Morgen, Herr Grieß!

    Grieß: Wenn Sie morgen als Delegierter beim Kleinen Parteitag, beim Konvent in Berlin dabei wären, würden Sie für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen stimmen?

    Schostok: Also verabredet ist, dass morgen erst mal die Ergebnisse der Sondierung ausführlich dargestellt werden und dass dann nach einer gründlichen Diskussion drüber abgestimmt wird, ob man das begrüßt, den Eintritt in Koalitionsverhandlungen, oder nicht. Und das hängt also davon ab, wie die Mitglieder dieser Verhandlungskommission, die sich ja selber jetzt mit eindeutiger Mehrheit dafür ausgesprochen haben, in die Koalitionsgespräche zu gehen, wie die sich dort auch präsentieren. Das erwarten die Mitglieder, das ist ihnen auch zugesagt worden.

    Grieß: Was hören Sie denn, was erwarten Sie denn, was da vorgestellt wird?

    Schostok: Also es geht, glaube ich, mittlerweile wirklich sehr stark da drum um die thematischen Schwerpunktsetzungen. Ich glaube, dass die SPD akzeptiert hat, dass man in eine Sondierung hineingeht, also auch in ihrer Breite, das wird durch so ein Mitgliederkonvent ja auch gut abgedeckt. Die Diskussion gehört zur Demokratie, also dass die SPD sich nicht schon von Anfang an Gesprächen verweigert. Und jetzt hängt es davon ab, ob die Kernpunkte, die auch in den vergangenen Wochen diskutiert wurden, nämlich das Thema des gesetzlichen Mindestlohns, oder wie man zu einer gerechteren Ordnung überhaupt auf dem Arbeitsmarkt kommt, also wirklich Kernpunkte der sozialdemokratischen Programmatik, auch Fragen der Leih- und Zeitarbeit oder der Werkverträge oder auch Kampf gegen die Altersarmut und eben der Fragen von flexiblen Zugängen zur Rente, wie das thematisiert wird. Und dann wird, glaube ich, wenn das überzeugend dargelegt worden ist, auch eine breite Unterstützung für die Verhandlungskommission kommen.

    Grieß: Was da zum Beispiel beim Thema Mindestlohn bislang von der Union, ja, zugesagt kann man gar nicht sagen, aber zunächst einmal gesagt wird, das ist in meinen Ohren nicht besonders konkret. Wie klingt das in Ihren Ohren?

    Schostok: Ja, das ist noch nicht besonders konkret. Ich kann das aber durchaus verstehen, weil hinter allen Mitgliedern, sowohl der Verhandlungskommission der SPD als auch denen von CDU und CSU, stecken natürlich wirklich große Interessengruppen und auch Mitglieder, die da äußerst sensibel sind. Viele müssen erst mal das Wahlergebnis realisieren. Klar ist, dass es keine Fortsetzung der schwarz-gelben Regierung gibt, auch die schwarz-gelbe Politik scheint eindeutig gescheitert zu sein, und die SPD ist eben nicht mit so hinreichend Vertrauen ausgestattet, dass sie damit den Anspruch erheben könnte, auch wie mit 51 Prozent alle Themen zu diktieren. Und das muss auf beiden Seiten, glaube ich, erst mal klar werden, dass wir jetzt hier andere vier Jahre Regierung vor uns haben, und wie die aussieht, das wird sich an den Themen entscheiden. Hinter der SPD und ihrer Programmatik stecken ja auch große Interessen. Also niemand hat, glaube ich, dafür Verständnis, wenn es einen großen Konsens gäbe, zum Thema Mindestlohn 8,50 Euro und die SPD könnte es realisieren in einer schwarz-roten Koalition, wenn die SPD dann sagen würde: Wir machen da nicht mit. Aber das hängt eben noch von vielen anderen Themen und Punkten auch ab.

    Grieß: Herr Schostok, ich habe den Weg noch nicht ganz verstanden, den Gedankenweg, den die Sozialdemokraten in den vergangenen Wochen zurückgelegt haben. Kurz nach der Wahl hieß es, Große Koalition bedeute immer auch große Schmerzen, und eigentlich wolle man das lieber nicht. Und dann wurde sondiert mit der Union, jetzt gibt es keine Zusagen, sondern Ankündigungen, über etwas zu sprechen. Da ist nicht sehr viel Konkretes im Raum, aber nun heißt es, Große Koalition könnte vielleicht doch nicht mehr so große Schmerzen bereiten. Das müssen Sie mir noch mal erklären.

    Schostok: Also eine Überzeugungskraft dafür, dass man so einen Start wagt, kann man nur gewinnen in einer eigenen Partei, wenn man wirklich sagt: Wir schaffen es, auch ohne absolute Mehrheit. Wir haben ja nur eine relative Ausstattung mit Stimmen mit 26 Prozent als SPD, und wenn man das dann schaffen würde, an verschiedenen Stellen auch Pflöcke in so einer Koalitionsvereinbarung einzurammen, also wenn zum Beispiel ein sehr drängendes Problem der Bildungsfinanzierung gelöst werden könnte oder ein ganz dringendes Problem von Infrastruktur und Sanierung von Infrastruktur, gerade Straßen, oder ein sehr drängendes Problem des strukturellen Defizits auf der kommunalen Ebene mit Finanzen, also der Finanzausstattung, wenn man das beheben könnte, dann würde, glaube ich, in der SPD etwas passieren, dass die Gruppen, die hinter der SPD stehen, die Zielgruppen, dass die auch sagen sehr stark: Also dann wollen wir das auch realisieren. Und das wird dann in Abwägung eben von anderen Themen auch passieren. Ich glaube, dass einfach zur Demokratie auch diese Diskussion jetzt gehört, dass man die positiv annehmen muss, dass man zeigen muss, dass man kämpft für programmatische Fortschritte, dass man auch den Wechsel an verschiedenen Stellen, den programmatischen Wechsel möchte – und davon muss man jetzt Mitglieder und Bevölkerung auch überzeugen. Aber dafür ist jetzt dieser Prozess notwendig. Deswegen würde ich empfehlen, in solche Koalitionsverhandlungen hineinzugehen.

    Grieß: Und was muss aus Sicht des Oberbürgermeisters von Hannover für eine solche Kommune am Ende im Koalitionsvertrag drinstehen?

    Schostok: Ich möchte sichtbar, weil das in der letzten Legislaturperiode nicht nur zu kurz gekommen ist, sondern der Versuch sogar bei Schwarz-Gelb bestand, die kommunale Finanzausstattung zu verschlechtern, also gerade bei dem Thema Gewerbesteuer gab es ja von Herrn Schäuble immer wieder Angriffe auf die Gewerbesteuern, und man hatte den Kommunen angeboten, einen eigenen Einkommenssteuerhebesatz ...

    Grieß: Gut, das haben Sie ja gemeinsam erfolgreich abgewehrt.

    Schostok: Das ist verhindert worden, genau.

    Grieß: Das liegt ja jetzt nicht wieder auf dem Tisch.

    Schostok: Aber die Gemeindefinanzierung eben besser auszustatten, den Anteil am Steuerkuchen für die Kommunen strukturell zu verbessern – das wäre für mich ein ganz wichtiger Punkt. Und wo es uns wirklich richtig drängt in den Kommunen, das sind die Investitionen in Bildung, also die Beteiligung des Bundes an Bildungsfinanzierung, Ganztagsschulprogramm, Krippen, Kita-Programme, das ist für uns ganz drängend. Die Kommunen müssen da sehr viel mit eigenen Mitteln machen und können gar nicht so schnell vorangehen, wie die Eltern sich das wünschen. Also das wären für mich wirklich Essentials.

    Grieß: All das kostet Geld, und bei diesem Thema war die Union ja deutlich konkreter als beim Mindestlohn, nämlich: Steuererhöhungen seien mit ihr nicht zu machen.

    Schostok: Ja, da geht es darum dass, wenn sie das nicht machen, dann geht es darum eine Prioritätensetzung auch zu verschieben, und das muss dann in einer Koalitionsvereinbarung auch im Finanzierungsteil deutlich gemacht werden. Also wir sind strukturell unterfinanziert, was das Thema Bildung angeht, in ganz Deutschland, da klagen alle Länder, da klagen alle Kommunen, und die Bundesregierung hat da bisher nicht hingehört. Das muss sich ändern.

    Grieß: Nun geht die Parteiführung womöglich, wenn der Konvent das so entscheidet, morgen in Berlin, dann in diese Koalitionsverhandlungen. Aber mal ehrlich und im Ernst, Herr Schostok: Die SPD-Basis, die danach dann gefragt wird, ob sie so einen Koalitionsvertrag annimmt oder annehmen will, die wird doch nicht ernsthaft ihrer Parteiführung einen solchen Gesichtsverlust bescheren, indem sie diesen Koalitionsvertrag dann vom Tisch wischt?

    Schostok: Das ist ja das Spannende: Ich finde den Schritt der SPD mutig. Das ist wirklich mehr Demokratie wagen im 21. Jahrhundert. Das beteiligt letztendlich ja auch die Bevölkerung und die Zielgruppen. Also man wird ja auch an die SPD in den örtlichen Bereichen herangehen. Aber es hängt wirklich von der Diskussionsqualität und auch den Ergebnissen ab, ob sie zustimmt, und die Mitglieder bekommen dadurch eine ganz große Verantwortung. Und ich finde, das muss möglich sein, dass man diesen Schritt so geht. Ich hoffe, dass es sich wirklich um inhaltlich qualifizierte Diskussionen auch in den kommenden Wochen dann handelt.

    Grieß: Und Sie müssen sich dann darauf vorbereiten, dass Sie eine Politik, wie auch immer sie ausfällt in den nächsten Jahren, an der Basis verkaufen werden müssen, damit Sie in vier Jahren nicht eine neuerliche Niederlage einstecken müssen.

    Schostok: Richtig, so ist es. Ich glaube, dass es eine Situation eines Dilemmas ist. Also man kann mit beiden Schritten, sich zu enthalten und zu sagen, wir diskutieren nicht mit, wir gucken mal, was passiert, also eher die Theorie, mal gucken, wie die klarkommen dort bei der CDU, vielleicht nur als Minderheitenregierung, und dann soll die Regierung sich das fallweise suchen, ihre Mehrheiten, kann man genauso scheitern als SPD und auch im Zweifel sogar untergehen. Man kann das aber auch in einer großen Koalition. Also eben deswegen wünsche ich mir eine wirklich sehr abgewogene Pro- und Kontra-Diskussion und möglichst entlang der Themen. Ich glaube, dass der Weg über eine Koalitionsverhandlung und gute Ergebnisse, die dann zu realisieren, dass das ein geeigneter ist.

    Grieß: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Oberbürgermeister von Hannover, Stefan Schostok. Herr Schostok, danke für das Gespräch!


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