Mittwoch, 15. Mai 2024

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Die Einführung des 'Euro' zum 1.1.99

DLF: Zweimal werden wir noch wach, dann ist es so weit: Vor allem die Bänker in Europa hatten dieses Jahr wohl nicht so sehr den Weihnachtsabend im Visier, sondern den 1. Januar, den Beginn der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die Mark und der Pfennig - sie werden noch für einige Zeit in unser aller Geldbeutel klimpern, doch wer möchte, kann in wenigen Tagen sein Bankkonto in EURO führen lassen. Der EURO steht für das wohl ehrgeizigste wirtschafts- und finanzpolitische Projekt der letzten Jahrzehnte. Vor der Sendung habe ich mit Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer über den Start der Währungsunion gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob sich bei ihm denn nun - nach so vielen Jahren - ein "Jetzt-geht's-los-Gefühl" einstellt.

29.12.1998
    Tietmeyer: In gewisser Weise schon, zumal ich selbst ja nun mit der Währungsunion seit 1970 verbunden bin, denn in 1970 habe ich in der Werner-Gruppe den ersten Plan mit erarbeitet und habe natürlich auch viele Umwege, Probleme, Schwierigkeiten erlebt. Und inzwischen haben wir - glaube ich jedenfalls - eine Ausgangslage, auf der man diesen neün Schritt wagen kann.

    DLF: Für den Durchschnitts-Sparer ist dieses Gefühl ja nicht so recht nachzuvollziehen, denn für ihn ändert sich am 1. Januar wohl weniger?

    Tietmeyer: Das ist richtig. Er hat die Freiheit, seine Konten in D-Mark zu halten oder seine Konten in EURO umgestalten zu lassen. Das ist seine freie Entscheidung. Für ihn ändert sich verbindlich erst etwas im Jahre 2002. Aber richtig ist, daß ab 1. Januar die teilnehmenden Währungen unauflöslich miteinander verbunden werden. Es wird keinen Wechselkurs mehr geben, sondern nur noch einen Umtauschkurs. Dieser Kurs wird absolut fest sein. Und insofern werden die Währungen ökonomisch aneinander gebunden sein. Die D-Mark ist sozusagen dann nur noch ein Ausdruck der gemeinsamen Währung EURO.

    DLF: Über lange Zeit, Herr Tietmeyer, wurde die Informationspolitik beklagt. Der Mann, die Frau auf der Straße wisse schlichtweg nicht genug über die Änderungen, die nun auf ihn zukommen. Dann haben viele - vor allem im vergangenen Jahr - daran mitgewirkt, daß sich das ändert: Die Bundesregierung, die Banken, die Medien. Glauben Sie, wir in Deutschland - und ich meine jetzt die Bevölkerung - wir sind reif für den Euro?

    Tietmeyer: Das hängt sicher nicht vom Informationsstand ab. Der Informationsstand ist wichtig. Alle Beteiligten und alle Betroffenen müssen wissen, worum es geht, das ist richtig. Entscheidend ist, ob die Politik, ob die Ökonomie in den beteiligten Ländern tatsächlich in der Lage und willens ist, sich sozusagen in den dauerhaften Verbund hinein zu begeben. Denn eine Währungsunion ist eine Risikogemeinschaft, in der die Risiken aber auch die Erfolge im Bereich der Währungspolitik gemeinsam getragen werden.

    DLF: Sie haben eben gesagt, die Währungen werden unauflöslich miteinander verbunden. Heißt das: Die Währungsunion ist unumkehrbar?

    Tietmeyer: Nach meiner Meinung ja, denn wer in eine Währungsunion hineingeht und schon daran denkt, eventuell wieder auszusteigen, der unterminiert das gesamte Vertrauen in diese Währungsunion. Nein, das ist eine Vertrag ohne Umkehr, das ist ein Weg ohne Umkehr. Und es kommt darauf an, daß man diesen Weg richtig weitergeht und daß ihn alle Länder mitgehen, denn: Einen eigenständigen Weg für einzelne Länder gibt es - jedenfalls im Bereich der Währungspolitik - in Zukunft nicht mehr.

    DLF: Sie haben die kritischen Stimmen erwähnt. Lord Dahrendorf ist so eine kritische Stimme, die noch immer vor der Währungsunion warnt. Hier im Deutschlandfunk wies er am Wochenende noch einmal darauf hin, daß die EZB vor allem auf die Stabilität der eigenen Währung achten müsse und deshalb nicht - wie etwa die amerikanische Zentralbank - in der Lage sei, einen Beitrag zur Belebung des Wirtschaftswachstums zu leisten. Ist da was dran?

    Tietmeyer: Also, diesen Widerspruch sehe ich nicht. Ich denke in der Tat, eine gute Stabilitätspolitik ist immer auch ein Beitrag zu einer Wachstums- und Beschäftigungspolitik, das ist die Voraussetzung sozusagen für Wachstums- und Beschäftigungspolitik. Insofern sehe ich diesen Widerspruch nicht. Richtig ist aber, daß die Europäische Zentralbank zunächst noch mal das Vertrauenspotential aufbauen muß, das heute die CAT in den Vereinigten Staaten schon hat und das die Bundesbank heute in Deutschland hat. Insofern hat sie sicher keinen Spielraum, sich Fehler zu leisten, wenn sie nicht in den internationalen Finanzmärkten an Vertrauen verlieren wird. Ich bin also überzeugt, daß das geschieht, denn erstens ist die personelle Besetzung gut, zweitens ist die Rechtslage in Ordnung, und drittens sind - glaube ich - auch die bisherigen Entscheidungen richtig angelegt, so daß ich glaube, daß wir dort hinkommen. Aber lassen Sie mich hinzufügen: Dies hängt nicht entscheidend von der Geldpolitik der Zentralbank allein ab, sondern das hängt davon ab, ob die Länder in ihrer Politik den gemeinsamen Weg mitgehen, und zwar auf Dauer. Und damit bin ich bei einem Punkt, den ich für wichtig halte: Auf Dauer braucht diese Währungsunion eine politische Flankierung im Sinne einer weitergehenden politischen Integration.

    DLF: Im Januar übernimmt Deutschland ja die EU-Ratspräsidentschaft. Bis dahin sind es nur noch wenige Tage, und Sie haben das Wort flankierend erwähnt, das möchte ich aufnehmen: Was muß sich denn in diesen 6 Monaten ändern? Was muß geschehen, um diesen ruhigen Start der Währungsunion zu begleiten?

    Tietmeyer: Es kommt - glaube ich - sehr entscheidend darauf an, daß einerseits die Fiskalpolitik weiterhin den Kurs der Stabilitätsorientierung der letzten Jahre verfolgt und jetzt nicht etwa zurückfällt in alte Sünden, die in der Vergangenheit in den verschiedenen Ländern begangen wurden.

    DLF: Sehen Sie Indizien dafür?

    Tietmeyer: Es gibt in einigen Ländern eine Diskussion darüber, ob man nicht jetzt statt der stabilitätsorientierten Fiskalpolitik eine expansivere Fiskalpolitik betreiben sollte. Ich hoffe, daß das sich nicht - jedenfalls nicht in der Grundlinie - durchsetzt. Das ist das eine. Das zweite ist, daß wir in den Ländern, und zwar in allen europäischen Ländern, aber insbesondere in den großen kontinental-europäischen Ländern, mehr Flexibilität in die Arbeitsmärkte und in die Märkte generell hinein bekommen. Warum: Wir müssen wettbewerbsfähiger - auch innerhalb Europas - sein. In Zukunft ist es so, daß wir nicht mehr die Möglichkeit haben, über Wechselkursveränderungen sozusagen Wettbewerbsdefizite auszugleichen. Drittens brauchen wir nach meiner festen Überzeugung auch bei der Lohnpolitik die notwendige Flexibilität, um die Wettbewerbsfähigkeit in allen Bereichen zu sichern und vor allem, um mehr Beschäftigung zu schaffen. Denn in der Tat: Stabilität ist die Voraussetzung für Beschäftigung, aber allein kann Geldwertstabilität mehr Beschäftigung nicht schaffen. Und der EURO ist keine generelle Lösung für die Probleme, die wir in Deutschland haben, sondern er ist die Voraussetzung dafür. Aber die Antworten müssen schon in den Ländern selbst gegeben werden.

    DLF: Das, was Sie eben zur Lohnpolitik sagten, das klingt so, als würden Sie die Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Müller, um die es zur Zeit eine Kontroverse gibt, unterstützen, nämlich sehr Maß zu halten?

    Tietmeyer: Ich habe nicht die Bemerkungen des Bundeswirtschaftsministers zu kommentieren, das ist nicht meine Sache. Nur: Richtig ist, daß auch in der Lohnpolitik ein moderater Kurs sich eher beschäftigungsfördernd auswirkt als ein anderer Kurs. Und ich denke, darüber sind sich die Beteiligten alle klar. Und was ich aus Gewerkschaftsmündern bisher gehört habe, geht auch zu einem erheblichen Teil in diese Richtung.

    DLF: Stichwort "Europäischer Wettbewerb": Die Briten stehen im Moment noch am Spielrand. Ist das mehr als ein Schönheitsfehler?

    Tietmeyer: Sicher wäre es schön, wenn wir nicht nur die Briten, sondern auch die anderen europäischen Länder in der Währungsunion hätten. Aber ich füge hinzu: Das hängt natürlich auch davon ab, oder vielmehr der Erfolg dieser Mitgliedschaft hängt davon ab, ob die Länder bereit sind, die Konsequenzen auf Dauer zu ziehen. Wenn ein Land der Meinung ist, daß es seine Souveränität nicht in bestimmten Bereichen aufgeben will, zum Beispiel in der Geldpolitik, aber auch in der Einordnung der Fiskalpolitik usw., dann - in der Tat - ist es gefährlich. Insofern kann ich nur hoffen, daß die Briten eines Tages den Weg finden in die Währungsunion. Aber das ist ihre freie Entscheidung.

    DLF: Die Europäische Zentralbank - sie ist in wenigen Tagen als Notenbank in der Geldpolitik die bestimmende Kraft, somit auch nicht ohne Einfluß auf Wachstum und Beschäftigung. Und den Streit um ein gewisses Maß an Einflußnahme seitens der Politik, den haben wir ja in den vergangenen Monaten mitbekommen. Sehen Sie diese Unabhängigkeit, die Sie ja für die Bundesbank immer verteidigt haben, in bezug auf die EZB gefährdet?

    Tietmeyer: Im Augenblick sehe ich die nicht gefährdet. Die Rechtslage ist in Ordnung, die personelle Besetzung ist in Ordnung, und wenn da mal von der einen oder anderen Seite aus der Politik her Forderungen erhoben werden, dann muß man sich mit denen auseinandersetzen. Jedenfalls: Ich sehe nicht, daß es im Augenblick einen ernsten Ansatz gibt, institutionell etwas zu ändern, daß die Souveränität und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank einengen wollte. Aber man muß hier immer aufmerksam bleiben und man muß hier immer aufpassen, denn in der Tat: Es ist so, daß nicht in allen Ländern die Unabhängigkeit der Notenbank schon so - ich sage es einmal - in der Öffentlichkeit und in der politischen Öffentlichkeit verankert ist, wie das in Deutschland jedenfalls in der Vergangenheit der Fall war. Ich hoffe, daß das auch in der Zukunft der Fall sein wird.

    DLF: Eine letzte persönliche Frage, Sie haben sie fast schon beantwortet: Die Währungsunion sicherlich der Höhepunkt Ihrer beruflichen Laufbahn?

    Tietmeyer: Also, ein wichtiger Punkt. Das ist ein wichtiger Schritt in Europa, und wenn ich ein kleines bißchen dazu beigetragen habe, daß dieser Schritt auf einer relativ soliden stabilitätspolitischen Grundlage jetzt sich vollziehen kann, dann ist das für mich ein Stück Genugtuung. Aber ich füge gleich hinzu: Man soll nicht unterschätzen, daß noch erhebliche Herausforderungen vor uns liegen werden. Die Währungsunion ist kein einmaliger Schritt, die Währungsunion ist eine dauerhafte Herausforderung, die nach meiner Meinung auch ein Mehr an politischer Gemeinsamkeit erfordert.