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"Die Explosionsgefahr ist sehr sehr hoch"

Die Gasbohrinsel "Elgin" des Total-Konzerns in der Nordsee ist leckgeschlagen. Das in großen Mengen ausströmende kondesierte Gasgemisch sei hochexplosiv, sagt Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich. Das Bohrlochs zu verschließen könne Monate dauern.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Uli Blumenthal | 27.03.2012
    Uli Blumenthal: Beginnen wollen wir mit einem Ereignis, das fatal an die Explosion der Öl-Bohr-Plattform "Deep Water Horizon" am 20. April 2010 im Golf von Mexiko erinnert. Die Gabohrinsel" Elgin" des Total-Konzerns in der Nordsee ist leckgeschlagen, alle 238 Arbeiter der Plattform sind evakuiert worden Ereignet hatte sich all dies bereits am Sonntag. Inzwischen hat der Energiekonzern Shell hat große Teile seines Personals von zwei benachbarten Bohrstationen vor der schottischen Ostküste abgezogen. Um die leckgeschlagene Plattform ist außerdem eine Zwei-Meilen-Sperrzone für Schiffe und eine Drei-Meilen-Zone für Flugzeuge eingerichtet worden.
    Dagmar Röhrlich, die Informationen sind spärlich, was haben sie zur Ursache der Leckage recherchieren können?

    Dagmar Röhrlich: Also der Konzern sagt, dass das Leck sich auf der Förderplattform selbst befindet, also oberhalb des Wassers. Augenzeugen sagen jedoch, das Meer habe gekocht, das würde für ein Leck am Meeresboden sprechen. Was jetzt der Fall ist, das wird vielleicht ein ferngesteuerter Tauchroboter heute Abend um 23 Uhr Mitteleuropäischer Zeit zeigen. Dann soll der nämlich dort ankommen und untersuchen, wie sieht es am Meeresboden aus. Wir haben jedenfalls in elf Kilometer Höhe Sichtungen von einer Gaswolke, Leute auf der benachbarten Plattform haben das gesehen. Die werden wahrscheinlich Schlieren gesehen haben, denn die Lichtbrechung ist anders sodass man das wahrnehmen kann, das Gas ist ja unsichtbar. Und das spricht dafür, wenn eine Gaswolke aus so großer Entfernung noch wahrzunehmen ist, dass dort große Mengen aus Gas direkt aus der Lagerstätte hochkommen. Nur wo das jetzt passiert, das weiß man jetzt noch nichts.

    Blumenthal: Gibt es erste Indizien, Mutmaßungen, Spekulationen über Ursache für dieses Leck?

    Röhrlich: Dazu gibt es bislang nur Vermutungen. Es könnte beispielsweise sein, dass ein Sicherheitsventil in der Bohrung im Meeresboden defekt ist. Aber man weiß noch nicht mal, ob es dort ein Sicherheitsventil gibt, das muss nämlich nicht sein. Eine Expertengruppe in Aberdeen sitzt jetzt dort und berät, die können aber noch nicht mal Daten von der Plattform bekommen, weil die Plattform keinen Strom mehr hat. Man hat alles wegen der Explosionsgefahr abschalten müssen. Der Unfall soll sich bei einem Versuch ereignet haben, das Bohrloch zu verschließen. Es hat anscheinend Probleme gegeben. In den vergangenen Monaten hat es mehrfach kleinere Zwischenfälle gegeben. Vielleicht hat sich da was aufgeschaukelt, das weiß man jetzt noch nicht.

    Blumenthal: Deep Water Horizon war eine Ölbohrplattform. Jetzt ist es eine Gasplattform, was wird da genau gefördert?
    Röhrlich: Dort wird Gas gefördert. Erdgas, Methan, wie wir es kennen. Aber es wird dort auch Kondensat gefördert, also Kohlenwasserstoffe, die kurzkettig sind, noch kein Erdöl sind, Pentan, Hexan, und es kommt aus dem viel Kohlendioxid heraus, Schwefeldioxid, Schwefelwasserstoff, dieses ist sehr leicht entzündlich und das macht diese Rettungsarbeiten so schwierig.

    Blumenthal: Wie muss man sich das vorstellen? Es gibt ja zwei Sperrzonen für Flugzeuge und für Schiffe. Ist da jetzt eine große Blase über dieser Plattform? Sind da Blasen im Meer, steigen die auf? Gibt es da eine sehr große Explosionsgefahr? Hat man da irgendwelche Informationen?

    Röhrlich: Die Explosionsgefahr ist sehr sehr hoch. Vermutlich ist jetzt direkt an der Plattform so wenig Sauerstoff, dass unklar ist, ob da was passieren würde. Aber je mehr Sauerstoff da reinkommt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Explosion kommen könnte. Deshalb muss man einfach Abstand halten davon. Es kann niemand dahin, was Rettungsarbeiten natürlich auch sehr erschweren wird. Die Umweltfolgen sind noch nicht so richtig abzuschätzen. Es ist weniger schlimm als "Deep Water Horizon" mit dem Öl, aber es kommen extrem viele Treibhausgase in die Luft. Des weiteren sind manche Stoffe auch giftig. Dieser schimmernde Schleier, der auf dem Meer ist, der derzeit rund fünf Quadratkilometer bedecken soll, das sind 20 Tonnen Kondensat höchstens, sagt man, aber es kommt halt immer weiter hinzu. Da geht man unter Umständen mit Dispersionsmittel heran, das weiß man aber auch noch nicht. Der Unfall fängt eigentlich erst gerade an, sich zu entwickeln. Klar ist das die Lagerstätte unter einem extrem hohen Überdruck steht. Das sind 11.000 bar, also auf einem Daumennagel würde mehr als eine Tonne Gewicht ruhen, wenn der dort unten wäre. Und dieses Gemisch ist hochexplosiv, es strömt dort in großen Mengen heraus. Das Potenzial für einen großen Unfall ist also wirklich gegeben.

    Blumenthal: Und haben wir da eine Situation wie wir sie am Golf von Mexiko hatten, das man monatelang versucht, ein Bohrloch zu verschließen? Könnte man dazu schon was sagen?

    Röhrlich: Das fürchten Experten von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Es kann alles sehr langwierig sein. Eine Entlastungsbohrung müssten beispielsweise aus vielen Kilometern Abstand angegangen werden, weil man wegen der Explosionsgefahr nicht näher herankommt. das sind da große Distanzen zu überwinden, das dauert Monate. Der Konzern selbst hofft, dass es einfach von selbst aufhört oder das man Schlamm injizieren könnte, beispielsweise über solche Tauchroboter. Aber das ist noch unklar und viele Experten sind der Ansicht, das wird nur über eine Entlastungsbohrung zu stoppen sein und dann hat man wirklich mehrere Monate was davon.

    Blumenthal: Gasleck an einer Förderplattform des Energiekonzern TOTAL in der Nordsee. Erste Hintergründe & Erklärungen von meiner Kollegin Dagmar Röhrlich.