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"Die Feindseligkeit richtet sich gegen das System"

In Spanien ist die konservative Volkspartei wegen eines Schwarzgeld-Skandals in der Wählergunst im freien Fall. Doch bei den Sozialisten sieht es nicht besser aus: Sie schaffen es nicht, sich als glaubwürdige Alternative zu positionieren.

Von Hans-Günter Kellner | 12.08.2013
    "Sie repräsentieren uns nicht”, rufen Demonstranten in der Madrider Innenstadt. Der Schlachtruf wirft den Politikern in den Parlamenten vor, die Interessen des Volkes nicht zu vertreten. Ein Grund: Die Korruption und der Umgang der Parteien mit ihr. So reagieren die Konservativen im Korruptionsfall um ihren ehemaligen Schatzmeister Luis Bárcenas mit Angriffen gegen den Ermittlungsrichter. Carlos Floriano ist ihr Vizegeneralsekretär:

    "Man könnte den Eindruck gewinnen, hier handelt es sich um eine Art Volksgerichtshof gegen die Volkspartei."

    Auch die Sozialisten haben ihren Skandal. Politiker und hohe Beamte in der Region Andalusien, wo die Sozialisten seit 1980 regieren, sollen sich jahrelang an einem Sonderfonds für Frühpensionierungen, Firmeninsolvenzen und Kurzarbeit bereichert haben. Der sozialistische Vizegeneralsekretär Mariano Giménez protestiert gegen die Ermittlungen der Justiz fast wortgleich wie sein konservatives Gegenüber:

    "Das besorgt uns sehr. Man hat den Eindruck, hier handelt es sich um eine Art Volksgerichtshof gegen die Regierungschefs Chaves und Griñán."

    Gemeint sind die beiden langjährigen Ministerpräsidenten Andalusiens. Angesichts so wenig Selbstkritik überrascht nicht, wenn in Umfragen 70 Prozent der Spanier die Arbeit der Konservativen zwar als "schlecht” oder "sehr schlecht” bewerten, die Sozialisten aber keine besseren Noten bekommen. So rumort es an der Basis der Oppositionspartei. Neue Foren und Strömungen bilden sich, etwa das "Ethische Forum”. Ihm gehört auch Ángel Martínez an:

    "Die Feindseligkeit richtet sich gegen das System. Das System, die repräsentative Demokratie, hat versagt. Das ist ganz offensichtlich angesichts von sechs Millionen Arbeitslosen. Dieses System, dem auch wir angehören, sorgt dafür, dass sich der Zugang zu Gesundheit und Bildung verschlechtert. Wir müssen uns ändern, damit wir nicht alle gleich erscheinen."

    Der 32-jährige Ingenieur ist einfaches Parteimitglied ohne Ambitionen auf eine politische Karriere. Er fordert auch einen kritischen Blick auf die Regierungszeit des Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero von 2004 bis 2011. In den Zeiten des Booms habe Zapatero den notwendigen Strukturwandel in der spanischen Wirtschaft vernachlässigt. Auf die Krise habe er mit Kürzungen im Sozialstaat und der in Spanien sehr unpopulären Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung reagiert, kritisiert Martinez:

    "Wir haben ein Problem bei der Erneuerung der Führungsstrukturen. Wenn die gleiche Personen, die Minister ehemaliger sozialistischer Regierung waren, an den Entscheidungen dieser Regierung im Kabinett beteiligt waren, heute einen anderen Kurs verteidigen, bekommen wir ein Glaubwürdigkeitsproblem. Da können die Absichten noch so gut sein."
    Die Kritik gilt Alfredo Pérez Rubalcaba, seit den 80er-Jahren einer der führenden sozialistischen Politiker und heute Parteichef. Das Ethische Forum will eine Schnittstelle der Partei zu den neuen sozialen Netzwerken und Bewegungen sein, aber auch zur eigenen Basis. Martinez wünscht sich mehr Debatten innerhalb seiner Partei, einen Hierarchiewandel. Die Basis müsse die Inhalte bestimmen:

    "Wir können keine Wahlen gewinnen, ohne uns tiefgreifend zu verändern. Politik ist kein Tennisspiel, in dem mal der eine und dann der andere aufschlägt. Politik ist Alternativen formulieren, Initiative zeigen. Wenn wir wissen, dass wir in unserer letzten Regierungszeit Fehler gemacht haben, dann müssen wir unser Programm so formulieren, dass uns ähnliche Fehler nicht mehr unterlaufen. Politik ist sicher eine Frage von Mehrheiten, sie ist aber auch eine Frage von Inhalten."

    Auch im Kampf gegen die Korruption will sich das Ethische Forum kompromisslos zeigen: Die Partei müsse ethisches Vorbild sein. Wer Ziel richterlicher Untersuchungen ist, dürfe nicht mehr auf die Wahllisten der sozialistischen Partei - auch wenn es noch nicht zur Gerichtsverhandlung gekommen ist. Trotzdem, die Verurteilung des Griffs einiger Parteimitglieder in die millionenschwere Arbeitslosenkasse in Andalusien fällt eher verhalten aus:

    "Die Sozialisten sind schon sehr lange in Andalusien an der Regierung. Natürlich gibt es da Fehler in der Auswahl des Personals. In einem solchen Fall muss man die Fehler eingestehen, dass einige Leute versucht haben, das auszunutzen. Und man muss den Laden sauber machen."