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"Die Königin fährt jetzt VW"

"Well done, Bayern Munich!": Die britische Boulevardpresse zeige durchaus Bewunderung für das bevorstehende deutsch-deutsche Champions-League-Finale in Wembley, berichtet der britische Politologe Anthony Glees. Wenn die Deutschen etwas gut machen, werde das auf der Insel anerkannt - die Eurokrisenpolitik zähle nicht dazu.

Anthony Glees im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Bayern München gegen Borussia Dortmund, so lautet also die Finalbegegnung in der Champions League. Zwei deutsche Mannschaften stehen also im Finale sich gegenüber, das gab es noch nie, und das ganze ausgerechnet in London, im Mutterland des Fußballs, in dem Deutsche und Deutschland jahrzehntelang nicht das beste Image hatten, um es zurückhaltend auszudrücken. Gerade im Zusammenhang mit Fußball tauchten in der Vergangenheit ja immer wieder Vergleiche mit Nazideutschland auf. am Telefon begrüße ich Anthony Glees, Politikwissenschaftler an der Universität von Buckingham. Schönen guten Tag, Herr Glees.

    Anthony Glees: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Glees, Sie haben mir im Vorgespräch gesagt, Sie hätten von Fußball keine Ahnung. Wie kann das sein als echter Brite?

    Glees: Ja, das stimmt, ich habe nur wenig Ahnung, ich habe noch 1966 gut in Erinnerung, aber ein besonderes Interesse für Fußball haben meine Söhne, aber nicht ich. Wissen Sie, als Politologe in diesem Land, Großbritannien, gibt es immer so viel Spannendes, so viel Hin und Her, dass Fußball wirklich keine Rolle spielen darf.

    Heckmann: Okay, das ist also vermerkt, Herr Glees, trotzdem die Frage: Die Boulevardzeitungen, die hantieren rund um die Weltmeisterschaften und Europameisterschaften ja immer wieder mit Nazivergleichen und Nazisymbolen, wenn es um die Deutschen geht. Woran liegt das, dass es eigentlich immer noch so zieht – oder zieht das gar nicht mehr so?

    Glees: Ich weiß, die Frage ist sehr gut, die Frage ist auch berechtigt, nach dem wunderbaren Sieg von FC Bayern. Aber man muss gestehen, dass für die Briten es nicht so ist, dass wieder die Geschichte vom hässlichen deutschen Sieger in diesem Falle ist. Was man eher merkte in den Zeitungen heute Morgen, die ich durchgelesen habe, und auch in den Blogs, in den Zeitungen, und die Kommentare, ist eigentlich, dass die Deutschen, FC Bayern, sehr bewundert werden von sehr vielen Leuten. Man könnte denken, dass die Briten ganz anders sein würden, wenn zwei deutsche Mannschaften sich in Wembley – das Herz des britischen Fußballspiels! – treffen werden in einigen Tagen. Aber in der Tat ist es heute Morgen ganz anders, ganz anders. "Well done, Bayern Munich!" steht da, es lebe England, aber es lebe auch die deutsch-britische Freundschaft. Und ich glaube, es gibt hier etwas Tieferes: Die Briten, die Engländer haben einen guten Sinn für das, was die Deutschen gut tun und gut getan haben. Ja, es gibt zwei Weltkriege, darüber kann man sich nicht lustig machen, aber es gibt auch Sachen, die in England von den Deutschen gut gemacht werden. Sogar die Königin fährt jetzt VW, denn Bentley, ihr Lieblingswagen Bentley, wird von Volkswagen gemacht.

    Heckmann: Also die Deutschen machen auch die eine oder andere Sache gut, dennoch gilt Angela Merkel als Hassfigur, die auch immer wieder mit Naziuniform gezeigt wird in halb Europa, wegen der ökonomischen Dominanz Deutschlands und Merkels Rolle in der Eurokrise. Wie werden die Deutschen denn vor dem Hintergrund der Eurokrise und ihrer Rolle darin gesehen auf der Insel?

    Glees: Ausgesprochen negativ. Also von FC Bayern ist bei Frau Merkel wohl nichts bei den Briten zu spüren, besonders, wo es um den Euro geht, wir sahen in den letzten Tagen die Schotten, und die Unabhängigkeit von Schottland sehen würden, sind in tiefe Verwirrtheit geraten, weil George Osborne, der Kanzler, gesagt hat, die Schotten dürften das Pfund nur haben, was sie jetzt wollen – sie wollten früher den Euro haben –, sie dürfen nur den Pfund behalten, wenn sie innerhalb des Vereinigten Königreiches bleiben würden. Und der Grund dafür war, dass eben bei Zypern Frau Merkel gezeigt hat, dass die Deutschen alle beherrschen wollten, und dass es für Deutschland gut war, in der Eurozone zu sein, aber für alle anderen bedeutet es Arbeitslosigkeit und Misere. Und das wird in der britischen Presse, in der Boulevardpresse, aber auch in der "Times", im "Daily Telegraph", tagtäglich weitergebracht. Und wissen Sie, wir haben Regionalwahlen heute in Großbritannien, und wir werden sehen, ob das alles auf die Tories einen Druck ausgeübt hat, ob heute Abend David Cameron als Verlierer dasteht und Nigel Farage der UKIP, der unabhängige Führer, der Sieger wird.

    Heckmann: Sie haben die Regionalwahlen in England angesprochen, das wird ganz spannend werden, es tritt ja die europakritische UKIP an, Sie haben sie gerade eben erwähnt. Welche Chancen haben die bei den Wahlen, und wie viel wollen die Briten eigentlich noch mit der Europäischen Union zu tun haben?

    Glees: Ja, das ist natürlich wohl die schwierigste Frage unserer Zeit. Es ist so, glaube ich, dass die Mehrzahl der Briten immer noch in der Europäischen Union bleiben wollen. Das heißt aber, dass es eine Europäische Union sein soll, die den Briten passt und nicht den anderen 26. Wenn man heute eine Wahl darüber haben würde, ob in oder aus, dann würde es eine Mehrheit für ausgeben. Aber wir wissen nicht, wie das letztendlich auf den Briten als Einzelnen ausspielen wird, wenn der einzelne Brite über seine wirtschaftliche Zukunft nachdenken soll. Und – ich sprach vorhin vom Volkswagen – wir sollen nicht vergessen, dass es viele deutsche Firmen in Großbritannien gibt, ich spreche zu Ihnen nicht weit weg von Oxford, wo BMW wahnsinnig viel Geld auf lange Zeit investiert hat, da hängen 30.000 Jobs mit BMW in Oxford zusammen wahrscheinlich. Also das alles, und auch der billige Wein, würden die Briten dann wegschmeißen, wenn das so weitergeht. Also wenn die Briten Zeit haben zum Nachdenken, und wenn Frau Merkel das weiter macht, was sie bisher mit Cameron gemacht hat, das heißt, dass sie zu David Cameron nicht sofort zu allem nein sagt, sondern das können wir uns mal überlegen als Freunde, dann ist es gut möglich, dass, wenn das Referendum kommt, es eine kleine Mehrzahl für ein Verbleiben in Europa geben wird.

    Heckmann: Über Deutschland und England und das Verhältnis zur Europäischen Union haben wir gesprochen mit Anthony Glees, dem Politikwissenschaftler an der Universität von Buckingham. Ganz herzlichen Dank, Herr Glees, für das Gespräch!

    Glees: Gerne geschehen!

    Heckmann: Und schöne Grüße!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.