Freitag, 29. März 2024


Die »lyrix«-Gewinner im November 2013

Im November besuchte »lyrix« das Kreismuseum Wewelsburg. Das Museum dient heute als Erinnerungs- und Gedenkstätte für den Terror der SS von 1933 – 1945.

06.01.2014
    Dort fand am 20.11.2013 eine »lyrix«-Schreibwerkstatt mit dem Lyriker Max Czollek statt, aus dessen Feder auch die beiden Gedichte zum Monatsthema "Ausgrenzung und Verfolgung" kamen. Zentral für die Arbeit am Leitmotiv war das Gemälde "Verfolgung" des Künstlers Josef Glahé aus der Dauerausstellung des Museums.
    Weitere Informationen zur Schreibwerkstatt.

    Eure Gedichte beschäftigen sich insbesondere mit der Frage, an welchen Stellen uns Ausgrenzung und Verfolgung heute begegnen. Sie berichten unter anderem vom "Anderssein" und hierdurch bedingter Ausgrenzung, aber auch von politisch, religiös oder ethnisch motivierter Verfolgung, die im Extremfall zum Tode führt.

    Wir bedanken uns sehr für eure vielfältigen und interessanten Einsendungen! Hier kommen die Gedichte der Gewinner im November:
    o.T.
    die ich kannte die töten sie sind nicht wie du menschen im grenzland sind fremde die du kanntest verachten ihr seid nicht wie du die leute aus besseren kreisen die er kannte die hassen wir sind nicht wie du übertrieben verschönt götzen gleich die sie kannte verleugnen es ist nicht wie du verfolgt von mord hass distinktion die man kannte die schänden sie ist nicht wie du rein wie zu früherer zeit die wir kannten verbieten ihm sei nicht wie du held über helden die ihr kanntet die glauben du bist nicht wie du ein mensch unter menschen die sie kannten verkennen ich bin nicht wie du

    (Philippe Bürgin aus Weil am Rhein, Mathilde-Planck-Schule Lörrach, Klasse 13, Muttersprache Deutsch)
    Ausgrenzung?

    "Vorurteile? - Haben wir keine.
    Die Fremden leben sowieso lieber alleine.
    Vielfalt und Freiheit sind doch toll,
    wenn jeder macht was er auch soll.
    Verschieden sehen Menschen aus,
    aber nein, der da kommt mir nicht ins Haus.
    Offen sind wir, tolerant,
    doch Fremdlingen gibt man nicht die Hand.
    Hallo du da, mit dem dunklen Gesicht,
    merke dir,
    Ausgrenzung, die gibt es bei uns nicht."

    (Paul Rathke aus Glauchau, Georgius-Agricola-Gymnasium Glauchau, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)
    Blutzoll
    Kind der Statik,
    setz dich auf den Gehsteig
    und beiß das Moos aus
    den Ritzen der Pflastersteine.
    Ordne,
    was einfältige Arbeiter unter
    ihren Schlägen schief
    in den Boden trieben.
    Bereite
    das Mosaik zum Teppich
    den kommenden Völkern
    und befehle den Steinen
    sich zu putzen.
    Achte nicht
    auf das Brechen deiner
    herauspurzelnden Augäpfel,
    wie sie zerspringen
    und die Kastanie deiner Pupille
    in Rillen
    dem Rinnstein
    folgt.
    Lese
    nur die Scherben auf,
    sie könnten den Granit
    zerkratzen.
    Sattle
    dein Maultier und
    stecke ihm Rosen zum Schmuck
    mit den Dornen an.
    Erst wenn deine Augen
    über dir Äste schlagen,
    wirst du, blind tastend,
    die Felsen sehen,
    deren Struktur du entweihtest.
    (Moritz Schlenstedt aus Dresden, Evangelisches Kreuzgymnasium, Klasse 12, Muttersprache Deutsch)
    Wir beide
    Der Mond scheint still
    Im Angesicht
    Der dunkelgrünen Trübe
    Ich wisper‘ dir
    Ein Traumgedicht
    Tief unter’m Nachtgefüge
    Das Sternennetz
    Ist dieses Mal
    Für uns allein gewoben
    Die Ferne als
    Verlass‘ner Saal
    Zum Tanze auserkoren
    Doch schäumt der Schnitt
    So rücksichtslos
    Genau zwischen uns beiden
    Ist jeder Blick
    Ein eig’nes Floß
    Die Stille schreit das Leiden
    Obwohl du bist
    So gut für mich
    Sieht dich die Welt als Fremder
    Erkennt dich falsch
    Dann stürzt sie dich
    Vom Himmelsrandgeländer

    (Annika Werner aus Schloß Holte-Stukenbrock, Gymnasium Schloß Holte-Stukenbrock, Klasse 10, Muttersprache Deutsch)
    Gut getroffen
    Gut getroffen.
    Der Himmel ist wolkenlos, die Sonne scheint.
    Sie scheint, um uns zu schmeicheln.
    Wir gehen die Straßen entlang.
    Wir, die Clique.
    Die Clique der Coolen.
    Wir sind zusammen, stark, grenzenlos.
    Und da ist sie.
    Sie ist anders als wir.
    Sie, die sich nicht in dieser Welt einfügen kann,
    die Sandalen mit Socken trägt und Nutella mit Wurst isst.
    Sie gehört nicht hierher.
    Sie ist befremdlich.
    Wir fixieren unser Ziel.
    Wir laden das Gewehr.
    Wir schießen.
    Sie fällt.
    Gut getroffen.
    Der Himmel ist wolkenlos, die Sonne scheint.
    Sie scheint, um mich zu verhöhnen.
    Ich gehe die Straßen entlang.
    Ich, die Andere.
    Der Inbegriff der Andersartigkeit.
    Ich bin allein, anders, ausgestoßen.
    Und da sind sie.
    Sie sind anders als ich.
    Sie, die sich eine Welt aufgebaut haben
    Mit ihren Regeln und ihren Werten.
    Doch die Eintrittskarte für mich haben sie vergessen.
    Sie sind gefährlich.
    Sie fixieren das Ziel und schauen auf mich.
    Sie laden das Gewehr und öffnen den Mund.
    Sie schießen.
    Mit boshaften Begriffen und wütenden Worten.
    Sie schießen mit spöttischer Sprache.
    Die Munition ist billig.
    Die Wirkung ist stark.
    Sie schießen.
    Ich falle.
    Gut getroffen.
    (Jing Wu aus Dortmund, Käthe-Kollwitz-Gymnasium, Klasse 12, Muttersprache Chinesisch)

    Und hier die Gewinner "außer Konkurrenz"

    (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)
    Nostra Culpa (2013)
    Ach regne nun auf unser Haupt,
    du liebe Freundin Asche,
    nie hat sie uns den Schlaf geraubt,
    befremdlich ist sie nicht,
    wir kehren unsre Rücken stets,
    zu spüren eure Leiden,
    was bliebe uns, was könnten wir,
    zu eurer Rettung heute tun?
    Gesenkte Blicke,
    schweige still!
    Weil niemand von uns hören will,
    die Stimmen in uns
    laut erbeben,
    'drum dürft ihr nie den Kopf erheben.
    Auf weiße Laken rieselt sie,
    die Stille eurer Poren,
    wer sind wir, ach, wen habt ihr euch,
    zum Heiland nur erkoren?
    Wir sehen nicht, wir kennen nicht,
    wir wollen auch nicht nennen,
    und nimmermehr zu eurem Leid,
    und unsrer Schuld bekennen.
    Denn Schreie, die wir niemals hören,
    und Blicke die uns nimmer stören,
    ihr habt uns und wir euch belogen,
    und dichter Rauch ist aufgezogen.
    Ach regne nun auf unser Haupt,
    o Mutterschoß Vergessen,
    die gänzlich und genau wie wir,
    niemals Courage besessen.
    (Julia Fourate aus Nordhofen, Mons-Tabor-Gymnasium, Klasse 13, Muttersprache Deutsch)
    Verfolgt
    Wenn du so bist, wie du bist
    und das nicht so ist
    wie es uns passt, was wir uns gedacht
    holen wir dich, dann wirst du umgebracht
    Wenn du das denkst, was du denkst
    und uns nicht gibst und schenkst
    was wir wollen, dann zögern wir nicht
    verfolgen dich
    Wenn du das sagst, was du glaubst
    und uns damit Macht und Anhänger raubst
    und unsere Autorität dadurch untergräbst,
    dann begraben wir dich, wenn du nicht mehr lebst.
    Wenn du so bist, wie du bist
    und das nicht so ist
    wie es uns passt, was wir uns gedacht
    suchen wir dich, kriegen wir dich,
    du entkommst uns nicht
    und dann wirst du viel schneller als du vielleicht gedacht
    umgebracht.

    (Magdalena Wejwer aus Umkirch, Wentzinger-Gymnasium, Klasse 12, Muttersprache Deutsch)