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"Die Mehrheit der Palästinenser will diesen Terrorkrieg gar nicht haben"

Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ermutigt, an dem geplanten Referendum über eine Zwei-Staaten-Lösung festzuhalten. Die Mehrheit der Bevölkerung stehe hinter Abbas und wolle Frieden, sagte Primor. Der Palästinenserpräsident müsse Ordnung schaffen, damit es einen Ansprechpartner für Verhandlungen mit Israel gebe. Dabei könne ein Referendum hilfreich sein.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Seit die Hamas die Palästinensergebiete regiert, ist Palästina von der Welt isoliert und finanziell am Ende. Es herrscht Anarchie. Das Parlament wird gestürmt. Der Tourismusminister tritt zurück. Anhänger der Hamas liefern sich Kämpfe mit der rivalisierenden Fatah. Es gibt Tote und Verletzte. Angesichts dieser zugespitzten Lage in den Gebieten will Präsident Abbas möglicherweise auf seine geplante Volksabstimmung über die indirekte Anerkennung Israels verzichten. Am Telefon in Tel Aviv ist der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, Leiter der Universität Herzliya. Guten Morgen Herr Primor!

    Avi Primor: Guten Morgen Herr Spengler!

    Spengler: Herr Primor, sind solche Raketenangriffe Israels, wie sie unser Korrespondent gerade berichtete, angesichts der vielen unschuldigen Opfer überhaupt zu rechtfertigen?

    Primor: Sie sind unvermeidlich und unentbehrlich. Man kann sie vielleicht besser machen dadurch, dass man sich noch mehr bemüht, die Unschuldigen zu vermeiden und nur die Schuldigen, die Terroristen, die uns beschießen, zu treffen, aber an sich muss man sich verteidigen. Das ist überhaupt eine Situation, die kein Israeli verstehen kann. Wir haben den Gaza-Streifen vollkommen geräumt, bis zum letzten Zentimeter. Die Armee ist raus, die Siedler wurden geräumt, die Siedlungen wurden abgerissen und wir werden beschossen. Warum, wozu, was wollen die Palästinenser erreichen? Wir können das gar nicht verstehen. Eine Sache ist klar: Die Armee und die Regierung muss irgendetwas tun, weil die Bevölkerung es verlangt und sagt, verteidigen sie uns, wozu sind sie denn da!

    Spengler: Aber es bleiben natürlich in der Welt die Bilder zum Beispiel von dieser Familie, die da in der letzten Woche ausgelöscht worden ist, obwohl man sagen muss man weiß nicht genau, wodurch sie sozusagen getötet worden ist.

    Primor: Immerhin ist das ein Krieg und der Krieg wurde von den Palästinensern entfesselt, ohne Grund auf jeden Fall, den wir verstehen können, denn wir haben ja das Gebiet geräumt. Wir werden beschossen und aus einem Gebiet, wo Zivilisten leben. Warum müssen die Terroristen uns ausgerechnet aus diesen Gebieten beschießen? Das war eine weitere Frage. Wir haben keine andere Lösung, als dass wir uns verteidigen und versuchen, die Terroristen zu treffen, und man kann sie nur treffen wo sie sich befinden, nicht anderswo.

    Spengler: Aber es ist Ihnen klar, dass das die Wut in Palästina auf Israel schürt?

    Primor: Schrecklich, schrecklich! Ich weiß das. Das ist wirklich ein Teufelskreis, aber was können wir mehr machen, als die palästinensischen Gebiete zu räumen und uns zurückzuziehen. Was mehr können wir da machen? Und dann sollen wir da ruhig sitzen in unseren Dörfern und uns von Raketen beschießen lassen, ohne uns zu verteidigen? Das ist doch unmöglich. Das würde kein Mensch in der Welt tun.

    Spengler: Herr Primor, wie betrachtet Israel eigentlich diesen innerpalästinensischen Machtkampf? Ist das nach dem Motto wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, oder ist man beunruhigt?

    Primor: Nein, ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass unsere Tragödie eben darin liegt, dass die Palästinenser keine richtige Macht haben. Das war ja der Fall schon, seit Arafat an der Macht war. Arafat regierte und dennoch duldete er unabhängige bewaffnete Gruppierungen in seinem Gebiet, die ganz frei herumlaufen durften. Das würde keine Regierung tolerieren; Arafat hat das toleriert. Das ist immer noch der Fall, heute viel schlimmer. Deshalb haben wir ja keinen Gesprächspartner. Wir hätten ja alles mit den Palästinensern erörtern können, gäbe es eine Macht in Palästina, die tatsächlich auch die Gewalt beherrscht, aber das ist eigentlich nicht der Fall und das ist unsere Tragödie genau wie die der Palästinenser.

    Spengler: Ist denn dieser Machtkampf innerhalb Palästinas nicht auch eine Folge der internationalen Isolierung und damit auch der Armut, der wirtschaftlichen Isolierung Palästinas?

    Primor: Nein, ich glaube im Gegenteil. Man hat ja die Palästinenser nicht isoliert. Man isoliert die Hamas-Bewegung, die ganz offen und offiziell eine terroristische Bewegung ist, eine fundamentalistische Bewegung ist, eine Bewegung ist, die ganz offen sagt, ihr Ziel wäre es, Israel zu vernichten. Diese Bewegung, die wird von der Welt isoliert, nicht das palästinensische Volk, auch nicht der palästinensische Präsident, aber man erwartet von dem palästinensischen Präsidenten, irgendwie Ordnung zu schaffen und eine echte, legitime Regierung dort zu führen, damit man mit der auch sprechen kann.

    Spengler: Was halten Sie denn von der Absicht des Palästinenserpräsidenten Abbas, sein Volk vielleicht doch nicht abstimmen zu lassen über die indirekte Anerkennung des Staates Israel, um einfach Frieden mit der Hamas zu schließen?

    Primor: Natürlich ist das wunderbar. Er soll es nur weitermachen, weil eines ist klar: Er will eine Volksabstimmung haben, weil er weiß, dass die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung hinter ihm steht. Das ist doch die Tatsache. Die Mehrheit der Palästinenser wollen doch diesen Terrorkrieg gar nicht haben. Die wollen überhaupt den Frieden haben. Nur sind sie unter Druck der Extremisten und können sich nicht helfen. Sollten sie jetzt den Präsidenten Abbas unterstützen und ihm die Macht dadurch übergeben und dann wirklich es erzwingen, dass eine palästinensische Regierung mit Israel verhandelt, dann würden wir beide, sowohl die Palästinenser als auch die Israelis, ihr Ziel erreichen.