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Nahost-Experte: Hamas kommt an Anerkennung Israels nicht vorbei

Suleiman Abu Dayeh, Leiter der Palästina-Abteilung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem, sieht für die radikal-islamische Hamas-Bewegung keine Alternative zu einer Anerkennung des Staates Israel. Um die Macht zu erhalten, müsse die Hamas aus der Isolation herauskommen und Konzessionen machen, sagte Abu Dayeh.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Bilder von chaotischen Szenen erreichen uns seit Tagen aus den Palästinensergebieten. Da überfallen Fatah-Anhänger das Parlamentsgebäude und setzen es in Brand. Anschließend greifen sie die Büros der konkurrierenden islamistischen Hamas an. Die mobilisiert wiederum ihre Anhänger und schickt sie zu Großdemonstrationen auf die Straße. Der Tourismusminister im Kabinett tritt aus Protest gegen die Entwicklung zurück. Der Auslöser der Eskalation: der Plan von Präsident Abbas, die Palästinenser über die so genannte Gefangeneninitiative abstimmen zu lassen, die eine indirekte Anerkennung des Staates Israel beinhalten würde. Nun wollen beide Seiten auf dem Verhandlungsweg ihre Differenzen ausräumen. Abbas deutete erstmals an, dass er auf die Volksabstimmung verzichten könnte. Dennoch gab es wieder Unruhen.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Suleiman Abu Dayeh. Er ist Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem. Guten Tag!

    Suleiman Abu Dayeh: Ja, guten Tag! Ich leite nur die Palästina-Abteilung der Naumann-Stiftung.

    Heckmann: Genau. Vielen Dank für die Korrektur. Sehen Sie bei den Gesprächen zwischen Fatah und Hamas irgendeine Aussicht auf Erfolg? Das heißt, sehen Sie die Chance, dass sich die Hamas zur Anerkennung Israels durchringen könnte?

    Abu Dayeh: Ich sehe durchaus eine Chance, wenn auch diese Chance sehr klein ist. Ich halte, sage ich mal, den Dialog und die Gespräche, die zwischen beiden Seiten zurzeit geführt werden, für nicht aussichtslos. Es braucht nur lange Zeit. Es geht immerhin um die Aufgabe von prinzipiellen Positionen, insbesondere von der Hamas, und es braucht eben Zeit, bis Hamas einsieht, dass in der Regierung eine andere Politik gemacht werden muss, als wenn man in der Opposition ist.

    Heckmann: Und woraus schöpfen Sie den Optimismus, dass bei der Hamas sich eben diese Position durchsetzen wird?

    Abu Dayeh: Ob ich optimistisch bin?

    Heckmann: Ja, woraus Sie Ihren Optimismus schöpfen.

    Abu Dayeh: Weil ich davon ausgehe, dass Hamas in erster Linie eigentlich am Machterhalt interessiert ist. Und Machterhalt bedeutet, dass sie auch politische Konzessionen machen müssen. Die Hamas-Bewegung ist nicht bereit, nachdem sie die Macht durch demokratische Wahlen erobert hat, aufzugeben, und deswegen glaube ich, dass sie letztendlich politische Konzessionen machen müssen, um diese Macht zu erhalten.

    Heckmann: Aber die Hamas hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie das Existenzrecht Israels ablehnt?

    Abu Dayeh: Das ist richtig. Nur es bleibt ihr nichts anderes übrig, zumal ja keine Aussicht besteht, aus dieser Sackgasse herauszukommen, aus dieser vor allem wirtschaftlichen Sackgasse, in der die Hamas-Bewegung steckt. Selbst wenn sie weiterhin darauf besteht, diese Position nicht anzunehmen, muss sie natürlich die dringenden wirtschaftlichen Probleme des Landes und der Bevölkerung lösen. Sie müssen aus dieser politischen Isolation herauskommen, und das kann die Hamas nicht machen, wenn sie keine politischen Konzessionen macht. Es ist eine Frage der Zeit, von ein paar Monaten, bis sie dann gezwungen ist, entweder aufzugeben, von der Macht abzutreten, oder tatsächlich ihre Position so moderat zu gestalten, dass dann die Weltgemeinschaft diese Isolation aufgibt.

    Heckmann: Was wird am Ende dieser Gespräche stehen können? Wird es wahrscheinlich sein, dass ein Papier unterschrieben wird von beiden Seiten, das wirklich das Existenzrecht Israels beinhaltet, oder besteht nicht die Gefahr, dass am Ende doch ein fauler Kompromiss dabei herauskommt?

    Abu Dayeh: Ich denke, es wird eine, sage ich mal, verdeckte Anerkennung Israels am Ende stehen. Ich schließe nicht aus, dass am Ende zum Beispiel auch die Akzeptanz des Beschlusses der arabischen Liga aus der letzten Konferenz von 2002 an der Tagesordnung steht. Das beinhaltet natürlich auch eine indirekte Anerkennung Israels. Und vor allem: Die Hamas-Bewegung braucht die Unterstützung der arabischen Welt und auch der islamischen Welt. Insofern könnte vielleicht dieses Dokument letztendlich der Ausweg für die Hamas darstellen, um die geforderten Positionen von Abbas und der anderen arabischen Staaten zu akzeptieren.

    Heckmann: Sollten die Gespräche dennoch scheitern, Herr Abu Dayeh, wie nah sind dann die Palästinenser an einem Bürgerkrieg?

    Abu Dayeh: Die Gefahr ist durchaus gegeben, aber ich denke, alle Seiten sehen auch die Gefährlichkeit dieser Entwicklung, weil am Ende alle eigentlich die Verlierer sein werden, so dass beide Seiten sehr darauf bedacht sein müssen und sind, diesen Bürgerkrieg einfach zu vermeiden. Ich will diese Gefahr aber nicht hundertprozentig ausschließen. Die ist noch gegeben, wenn die Palästinenser nicht in der Lage sind, sich auf ein vernünftiges, moderates Programm zu einigen.

    Heckmann: Präsident Abbas hat ja die Hamas durchaus unter Druck gesetzt in dieser Frage. Wie würden Sie sein Agieren beurteilen?

    Abu Dayeh: Was würde ich beurteilen?

    Heckmann: Das Agieren von Präsident Abbas, der ja die Hamas sehr stark unter Druck gesetzt hat.

    Abu Dayeh: Ich finde, er hat endlich mal Führungsstärke gezeigt, und er hat auch gezeigt, dass er als Präsident letztendlich in erster Linie für das Schicksal der Palästinenser zuständig und verantwortlich ist. Er kann nicht weiterhin lange zuschauen, wie die palästinensische Bevölkerung ausgehungert wird, wie die Palästinenser in eine totale politische und wirtschaftliche Isolation geraten, ohne dass er handelt. Sicherlich ist das eine Regierung, die in seinem Auftrage gebildet wurde, aber wenn sie nicht in der Lage ist, die von ihr erwarteten Aufgaben zu erfüllen, muss er letztendlich auch die Stärke beweisen und zeigen, dass er diese Regierung wieder entlassen kann, wenn sie ihren Aufgaben nicht gerecht werden kann.

    Heckmann: Sollte es dennoch zu einer Volksabstimmung kommen - Abbas hat das ja jetzt wieder in Frage gestellt -, wie sicher wäre es denn, dass die Palästinenser für diese Zwei-Staaten-Lösung votieren würden?

    Abu Dayeh: Abbas hat eigentlich die Abhaltung dieses Referendums niemals für eine endgültige Entscheidung gehalten. Er hat immer wieder gesagt, wenn wir uns auch nur einen Tag vor dem Datum dieses Referendums einigen, ich werde dieses Referendum auch absagen. Insofern hat er auch weiterhin über 45 Tage Zeit für alle Seiten gegeben, um zu einer Einigung zu kommen. Aber wenn ein Referendum zu Stande kommen sollte, dann gehe ich von einer Mehrheit der Palästinenser aus, die ja sagen würde zu diesem Dokument und zu diesem Ausweg aus der Krise. Ich habe keine Zweifel, dass mindestens 70 bis 80 Prozent der Palästinenser mit Ja sich an dem Referendum beteiligen werden.

    Heckmann: Worauf käme es denn auf israelischer Seite an? Kann der Plan von Ministerpräsident Olmert, sich einseitig zurückzuziehen, einseitig die Grenzen zu ziehen, aber Teile des Westjordanlandes eben nicht zu räumen, eine Grundlage sein für eine Verständigung?

    Abu Dayeh: Zumindest partiell ist das eine Grundlage. Die Israelis sind sicherlich weit davon entfernt, alle Punkte in diesem Dokument zu akzeptieren, insbesondere die Frage der Räumung aller 67 besetzten Gebiete. Aber das Ziel dieses Referendums und dieses Dokuments ist eigentlich, Israel, aber auch der Weltöffentlichkeit insbesondere, zu zeigen, dass er wieder handlungsfähig ist und somit eigentlich das Mandat besitzt, im Namen der Palästinenser Gespräche und Verhandlungen mit den Israelis wieder aufzunehmen. Die Basis dieser Verhandlungen ist ja nicht unbedingt für Israel akzeptabel, genauso wie die vielen Forderungen der Israelis, die die Palästinenser nicht akzeptabel finden. Aber er kann demonstrieren, dass er die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat, wenn er Verhandlungen mit Israel beginnt. Das ist letztendlich das Ziel dieses Referendums, weil Hamas ja nicht verhandeln will und nicht verhandeln kann, aber er muss es tun, und deswegen braucht er das Votum des Volkes.

    Heckmann: Suleiman Abu Dayeh war das, der Leiter der Palästina-Abteilung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem. Besten Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Abu Dayeh: Ja, danke schön. Auf Wiederhören.