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Die polnische Perspektive
Streit um Polens Rechtsstaatlichkeit

Seit gut einem Jahr läuft ein sogenanntes Rechtsstaatverfahren der EU-Kommission in Polen, denn es gibt Zweifel am Zustand der Demokratie im Nachbarland. Heute läuft eine Frist ab bis zu der die Warschauer Regierung sich wieder einmal erklären muss. Dabei ist der Streit mit Brüssel für viele hier praktisch beigelegt.

Von Florian Kellermann | 20.02.2017
    Der Sprecher des polnischen Parlaments, Marek Kuchcinski, eröffnet die Sitzung. 11.01.17
    Viele polnische Regierungsvertreter können nicht recht verstehen, worum es der EU-Kommission bei ihrem Verfahren eigentlich geht. (AFP / JANEK SKARZYNSKI)
    Polnische Regierungsvertreter zucken nur mit den Schultern, wenn sie auf das Rechtsstaatsverfahren angesprochen werden. Sie könnten gar nicht recht verstehen, worum es der EU-Kommission eigentlich gehe, erklären sie dann. Öffentliche Stellungnahmen klingen etwas versöhnlicher, so zuletzt bei Ministerpräsidentin Beata Szydlo:
    "Wir sind seit längerer Zeit im Dialog mit der Europäischen Kommission. Wir haben schon Informationen übermittelt und werden weiterhin erklären, wie die Situation in Polen wirklich ist."
    Aus Sicht der polnischen Regierung ist der Streit mit Brüssel praktisch erledigt. Denn im Dezember hat das Parlament die Gesetze nachgebessert, die die Arbeit des Verfassungsgerichts regeln. In wesentlichen Punkten ging die Regierung der rechtskonservativen Partei PiS dabei auf die Kritik ein, die EU-Kommission und Europarat an den ursprünglichen Gesetzen geübt hatten. So muss das Verfassungsgericht eingehende Klagen nun doch nicht der Reihe nach bearbeiten. Und das jeweilige Richtergremium fällt seine Urteile mit einfacher Mehrheit, eine Zwei-Drittel-Mehrheit wird nun doch nicht benötigt. Das Gericht ist formal sogar unabhängiger von der Politik als früher: Es kann die Veröffentlichung von Urteilen selber in die Wege leiten, bisher brauchte es dafür die Regierung.
    "Der Streit geht weiter, und Polen wird darunter leiden."
    Trotzdem sind die Kritiker der PiS alles andere als zufrieden. Borys Budka von der oppositionellen "Bürgerplattform":
    "Der Streit geht weiter, und Polen wird darunter leiden. Es wird noch lange dauern, bis wir in unserem Land wieder von Normalität reden können, aber irgendwann werden wir dieses Chaos aufräumen, das die PiS anrichtet."
    Denn die PiS hat auch dafür gesorgt, dass sich die Machtverhältnisse im Verfassungsgericht zu ihren Gunsten ändern. Per Gesetz hat sie dafür gesorgt, dass der im Dezember ausgeschiedene, PiS-kritische Gerichtspräsident nicht kommissarisch durch seinen Stellvertreter ersetzt wurde. Die neuen Bestimmungen waren darauf zugeschnitten, dass Julia Przylebska den Posten bekam, die ein Jahr zuvor von der PiS-Mehrheit im Parlament ins Gericht gewählt worden war. Eine ihrer ersten Amtshandlungen: Sie ließ weitere drei von der PiS gewählte Richter zu Verhandlungen zu - anstatt der drei Richter, die noch vom alten Parlament rechtmäßig gewählt wurden.
    Nun stehen schon sieben der insgesamt 15 Richter der Regierung nahe, im Juni werden von der PiS gewählte Juristen im Kollegium die Mehrheit haben. Zu einem Kompromiss mit Brüssel, zu einer Änderung an dieser Konstellation, ist die Regierung in Warschau nicht bereit.