Donnerstag, 28. März 2024

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Die Pressekonferenz als Bühne
"Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich"

Es war eine Pressekonferenz, auf der SED-Funktionär Günter Schabowski diesen legendären Satz sprach. Danach fiel die Mauer. Meistens sind Pressekonferenzen aber Alltag für Journalisten. Es ist ein spannendes Instrument politischer Kommunikation, das immer wieder Überraschungen bietet - manche schreiben Geschichte.

Von Stefan Fries | 02.04.2021
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU - M) spricht am 19.07.2019 in der Pressekonferenz neben Corinna Buschow, Mitglied im Vorstand der Bundespressekonferenz, und Regierungssprecher Steffen Seibert
Hier treffen Journalisten auf Politiker: Bundespressekonferenz (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm)
Pressekonferenzen sind ein bekanntes Mittel der politischen Kommunikation. Wenige schauen sie sich von Anfang bis Ende an, kleine Schnipsel daraus landen in der Medienberichterstattung: als Zitate in Zeitungen und Online-Portalen, als Originaltöne in Radio- und Fernsehbeiträgen.
Es sind Ausschnitte aus einer ganz eigenen Welt, die Außenstehenden oft verschlossen ist. Pressekonferenzen funktionieren nach Regeln – nach geschriebenen und ungeschriebenen. Hier herrschen besondere Machtverhältnisse - mit Folgen. Und hier passieren immer wieder überraschende Dinge, die sogar den Lauf der Geschichte verändern können.
Eine Pressekonferenz, die Geschichte schrieb
Journalist: "Hier ist wieder das internationale Pressezentrum in Berlin in der Mohrenstraße mit einer Direktübertragung. Eine gestern begonnene Tradition wird heute fortgeführt, jeden Abend nach dem Abschluss der Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Er steht ein Vertreter dieses Gremiums den in- und ausländischen Journalisten, die, wie sie sehen, hier massenhaft versammelt sind, Rede und Antwort."
Was der Reporter am 9. November 1989 eine Tradition nennt, ist erst einen Tag alt: eine Pressekonferenz, die live in Fernsehen und Radio der DDR übertragen wird.
Journalist: "Interessant auch für mich als Journalisten hier das große Interesse, dass unsere Arbeit, das heißt die Arbeit der DDR-Journalisten, bei den ausländischen Kollegen genießt. Von mehreren Seiten sind wir schon angesprochen worden, Interviews zum Inhalt unsere Arbeit zu geben."
Günter Schabowski: "...Information über den 2. Tag der Beratung der 10. ZK-Tagung. Ich darf Ihnen wieder meine Kollegen vorstellen: Genossin Helga Labs, Mitglied des Zentralkomitees und Vorsitzender der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung. Professor Banaszak ist Chefredakteur der theoretischen Zeitschrift der SED, 'Einheit'. Und neben mir sitzt Außenhandelsminister Bayer. Über die heute Arbeit des Zentralkomitees könnte man zusammenfassend sagen: Sie ist bestimmt von einer sehr intensiven Erörterung des von Genossen Krenz gegebenen Berichtes und von dem Entwurf des Aktionsprogramms auch weitgehend bestimmt."
Auf der Sitzung des Zentralkomitees der SED geht es vor allem darum, Proteste und Massenflucht einzudämmen. ZK-Mitglied Günter Schabowski ist erst seit drei Tagen Sekretär für Informationswesen, eine Art Regierungssprecher. Er referiert Zwischenergebnisse der laufenden ZK-Sitzung und beantwortet dann länglich Fragen von Journalisten aus aller Welt, denen er selbst das Wort erteilt. Nach einer knappen Stunde ruft er Riccardo Ehrman auf, Korrespondent für die italienische Nachrichtenagentur ANSA.
Auf einer Brücke in Leipzig haben am 23.10.1989 DDR-Bürger Transparente aufgehängt und fordern Reise-, Presse-, Meinungsfreiheit sowie "Wir fordern Krenz(en)lose Freiheit". 
Rund zwei Wochen vor der legendären Pressekonferenz demonstrieren in Leipzig DDR-Bürger für Reise-, Presse-, Meinungsfreiheit (picture alliance/dpa)
Ehrmann: "Herr Schabowski, Sie haben von Fehlern gesprochen. Glauben Sie nicht, dass es war ein großer Fehler, diesen Reisegesetzentwurf, das Sie haben jetzt vorgestellt vor wenigen Tagen?"
Schabowski: "Nein, das glaub ich nicht."
Ehrman hatte zuvor von einem SED-Spitzenfunktionär denTipp bekommen, nach dem Gesetz zu fragen. Drei Minuten braucht Schabowski in seiner Antwort, bis er zur entscheidenden Stelle kommt.
Günter Schabowski während der historischen Pressekonferenz am 9. November 1989.
Günter Schabowski während der historischen Pressekonferenz am 9. November 1989. (dpa / picture-alliance)
Schabowski: "Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen."
Journalist: "Das gilt...?"
Ehrmann: "Ohne Pass? Ohne Pass?"
Journalist: "Ab wann tritt das in Kraft?"
Schabowski: "Bitte?"
Journalist: "Ab sofort? Ab...?"
Schabowski: "Also, Genossen. Mir ist dat hier mitgeteilt worden, dass eine solche Mitteilung heute schon verbreitet worden ist. Sie müsste eigentlich in ihrem Besitz sein. Also: 'Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilung Pass und Meldewesen der VfB, der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzung für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD erfolgen. Damit entfällt die vorübergehende ermöglichte Erteilung von entsprechenden Genehmigungen. Auslandsvertretung der DDR beziehungsweise die ständige Ausreise mit dem Personalausweis der DDR über Drittstaaten.' Die Passfrage kann ich jetzt nicht beantworten. Das ist auch eine technische Frage. Ich weiß ja nicht, die Testpässe müssen ja also, damit jeder im Besitz eines Passes ist, überhaupt erstmal ausgegeben werden. Wir wollten aber... entscheidend ist die…"
Journalist: "Wann tritt das in Kraft?"
Schabowski: "Das tritt… nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich."
Noch am Abend berichtet die DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera".
Sprecherin: "Über den heutigen Beratungstag informiert Günter Schabowski am Abend die internationale Presse. Dabei gab er auch einen Beschluss des Ministerrates zu neuen Reiseregelungen bekannt. Demzufolge können Privatreisen nach dem Ausland ab sofort ohne besondere Anlässe beantragt werden. Die Bestimmung gilt bis zum Inkrafttreten einer entsprechenden gesetzlichen Regelung der Volkskammer."
DFF-Nachrichten "Aktuelle Kamera" zeigt am 9.11.1989 um 19.30 Uhr Bilder aus der Pressekonferenz mit SED-Politbüromitglied Günter Schabowski (oben Mitte), der zuvor die sensationelle Nachricht bekannt gegeben hatte, dass alle DDR-Grenzen zur Bundesrepublik Deutschland und nach West-Berlin für DDR-Bürger ab sofort geöffnet werden. Daraufhin strömten binnen weniger Stunden tausende von Ost-Berlinern in den Westteil der Stadt, wo es zu volksfestartigen Verbrüderungen zwischen Bürgern aus Ost- und Westdeutschland kam.
Das DDR-Fernsehen informierte in der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" am Abend des 09.11.1989 um 19.30 Uhr die Bevölkerung über die neuen Reiseregelungen für DDR-Bürger (picture-alliance / dpa / DFF)
"Tagesthemen"-Moderator Hanns Joachim Friedrichs: "Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten; sie nutzen sich leicht ab. Aber heute Abend darf man einen riskieren: Dieser 9. November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen."
Diese Pressekonferenz ist womöglich die berühmteste der Welt – und die folgenreichste. Die Reiseregelung sollte eigentlich erst am folgenden Tag im DDR-Rundfunk verkündet werden; dann sollten auch Behörden und Grenzbeamte vorbereitet sein. Schabowski war schlecht informiert. Seine Worte entfalteten auch deswegen eine so große Wirkung, weil die Pressekonferenz live übertragen wurde – und weil Journalisten aus aller Welt für internationale Verbreitung sorgten.
Ein Besucher verfolgt am Donnerstag (05.11.2009) in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn (Bördekreis) die Fernsehaufzeichnung jener historischen Pressekonferenz vom 09. November 1989, in welcher der SED-Funktionär Schabowski eher beiläufig die sorfortige Reisefreiheit für DDR-Bürger verkündet.
Die berühmte Pressekonferenz vom 9. November 1989
Kaum eine andere Pressekonferenz wird den Deutschen so in Erinnerung sein, wie die am 9. November 1989 in Ost-Berlin. SED-Funktionär Günter Schabowski gab die neuen Regelungen für Westreisen bekannt – und ungeplant auch die Öffnung der Mauer.
An dieser letzten Pressekonferenz vor dem Fall der Mauer lässt sich auf vielen Ebenen zeigen, welche Wirkung dieses Format haben und welche Dynamik entstehen kann. Und auch, wie die Beteiligten mit den Machtverhältnissen auf einer Pressekonferenz umgehen.
Was ist eigentlich eine Pressekonferenz?
Eine Pressekonferenz dient in der Regel vor allem der Vermittlung von Informationen und Meinungen. Nach politischen Beratungen und Beschlüssen, nach der Ausarbeitung von Plänen und als Reaktion auf politische Ereignisse treten Politikerinnen und Politiker vor Mikrofone und Kameras.
Mathis Feldhoff, Hauptstadt- korrespondent des ZDF in Berlin: "Bei Pressekonferenzen grundsätzlich haben Journalistinnen und Journalisten und Politikerinnen und Politiker ja ein gemeinsames Grundinteresse. Das ist die Botschaft, die der eine aufnehmen will und der andere verbreiten will."
An diesem Punkt ende das gemeinsame Interesse aber auch schon, fügt Feldhoff hinzu: "Während der Politiker weiter nur mit seiner Botschaft unterwegs ist, ist das Interesse von Journalistinnen und Journalisten dann ja, diese Botschaft zu hinterfragen." Das sei manchmal nicht unbedingt angenehm für beide Seiten: Wenn man auf eine gut gestellte und gut recherchierte Frage "keine Antwort kriegt, ist ja auch für Journalisten nicht befriedigend. Genauso wie es für Politiker nicht angenehm ist, unangenehme Fragen gestellt zu bekommen".
Die gehen auch an Pressesprecherinnen und Pressesprecher der Ministerien und der Bundesregierung. Am berühmtesten Veranstaltungsort von Pressekonferenzen, im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin, stellen sie sich dreimal die Woche den Fragen der Hauptstadtpresse. Unter ihnen ist meistens Regierungssprecher Steffen Seibert, der dafür voll des Lobes ist.
Steffen Seibert, Regierungssprecher: "Es ist ein ganz wichtiges Mittel, um zu informieren, darzulegen, zu erklären und sich befragen zu lassen und sich auch hinterfragen zu lassen. Ich bin so dankbar, dass wir in einem Land leben, in dem das so ist. Weil ich die Zahl der Länder, in denen es so nicht ist, zunehmen sehe. Und manche sind gar nicht so fern von uns."
Deswegen wolle er als Regierungssprecher "dazu beitragen, dass nicht nur die Bundespressekonferenz, sondern insgesamt der Umgang zwischen Journalisten und Politikern in diesem Land ein demokratischer ist. Das ist nicht Gegnerschaft, das ist nicht Kumpanei. Das ist vielleicht ein institutionelles Vertrauen, weil man letztlich in verschiedenen Rollen der gleichen Sache dient, nämlich der Demokratie. So ist mein Verständnis."
Eine derjenigen, die regelmäßig Fragen stellen, ist Kristina Dunz, stellvertretende Leiterin des Hauptstadtbüros des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Das ist eine Gemeinschaftsredaktion der Verlagsgesellschaft Madsack aus Hannover, die Inhalte für mehr als 50 verlagseigene und fremde Regionalzeitungen zuliefert, darunter etwa die "Dresdner Neuesten Nachrichten", die "Märkische Allgemeine" und die "Neue Westfälische". Dunz sagt, sie gehe zu Pressekonferenzen, "weil ich Fragen habe, was nicht läuft oder warum etwas nicht läuft oder weil ich eine Zusatzinformation brauche."
Kristina Dunz, stellvertretende Leiterin des RND-Hauptstadtbüros: "Mir geht es immer darum, etwas mehr zu erfahren, als ich weiß, Neues zu hören oder Erklärungen zu bekommen für Dinge, die ich nicht verstehe und von denen ich annehme, dass es auch meine Leserinnen und Leser nicht verstehen."
Was auf Pressekonferenzen gesprochen wird, kann vor allem deshalb eine so große Wirkung entfalten, weil dort eine besondere Form von Öffentlichkeit herrscht.
In den letzten Jahren hat sich auch die die Dynamik verändert: Die Technik macht es für immer mehr Medien möglich, Pressekonferenzen leicht zu übertragen, schließlich ist weder großes technisches Equipment nötig noch mangelt es dank Internet an Ausspielflächen. Gerade in Krisenzeiten gibt es auch ein besonderes Interesse an direkter Kommunikation mit der Politik.
Die politischen Botschaften richten sich an den Bürger, aber sie müssen durch einen Filter namens Journalist. Die Form einer Pressekonferenz biete dafür viele Vorteile, sagt Mathis Feldhoff.
Mathis Feldhoff: "Die Wirkung einer Botschaft ist natürlich viel, viel breiter, als wenn ich ein Einzelinterview einer einzelnen Zeitung gebe. Dann muss ich als Politiker ja darauf hoffen, dass möglichst viele dieses Interview wahrnehmen, das möglicherweise noch mal weiterverbreitet wird durch Nachrichtenagenturen, durch die Aufnahme in anderen Medien – 'da hat er das und das gesagt'. Aber die Beschränktheit des Einzelinterviews ist halt, dass man sicher seine Botschaft gezielter und präziser darstellen kann - und vielleicht ein bisschen weniger durch den Filter eines Journalisten als auf einer Pressekonferenz. Aber die Pressekonferenz hat insgesamt eine breitere Wirkung."
Verwendung weltweit
Haus der Bundespressekonferenz - Das journalistische Herz der Hauptstadt
Im Haus der Bundespressekonferenz arbeiten Journalisten aus aller Welt. Die Stimmung ist meistens gut – nur manchmal gibt es Streit an der Kaffeemaschine.
Die große Öffentlichkeit
Natürlich können auch eine öffentliche Rede, eine Äußerung in einer Bundestagsdebatte oder ein Auftritt in einer Talkshow große Aufmerksamkeit verschaffen, doch haben sie nicht unmittelbar ein so großes journalistisches Publikum, das eine Aussage sofort aufgreift und weiterverbreitet.
Angela Merkel: "Das Motiv, in dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das."
Thomas de Maizière: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern."
Uwe Barschel: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind."
Für Politikerinnen und Politiker hat es den Vorteil – und gelegentlich Nachteil - , dass sie ihre Botschaften über viele Kanäle gleichzeitig streuen können und die Gesamtwirkung verstärken.
Das klingt banal. Es spielt aber bei Überlegungen in Pressestellen eine Rolle, welches Mittel der Öffentlichkeitsarbeit je nach politischer Situation das Mittel der Wahl ist. 1:1-Interviews machen Arbeit – vor allem, wenn viele Medien einen Einzeltermin haben wollen.
Gibt es nur eine schriftliche Pressemitteilung, aus der Medien nur zitieren können? Oder ein kurzes Pressestatement, bei dem die Politikerin ein paar Sätze sagt – ohne Nachfragen.
Eine Pressekonferenz eignet sich für diejenigen, die große Aufmerksamkeit suchen, weil sie etwa in einen Skandal geraten sind. Meistens wurde bereits in vielen Medien über sie geschrieben, per Pressekonferenz ziehen sie die Aufmerksamkeit auf ihre eigene Position und am liebsten auch gleich ihren Kopf aus der Schlinge. Je größer die Öffentlichkeit, desto besser für das Anliegen.
Regierungssprecher Steffen Seibert und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Saal der Bundespressekonferenz. Seibert erteilt einem Journalisten das Wort.
Regierungssprecher Seibert - Die Stimme der Kanzlerin
Steffen Seibert ist länger Regierungssprecher als jeder seiner Vorgänger seit 1949. Der ehemalige ZDF-Journalist ist nicht nur Sprecher der Kanzlerin, sondern auch einer ihrer engsten Berater.
"Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort - ich wiederhole: mein Ehrenwort"
Legendär die Pressekonferenz des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel von der CDU am 18. September 1987. Elf Tage zuvor, kurz vor der Landtagswahl, hat das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" über angebliche "schmutzige Tricks" berichtet, die die CDU im Wahlkampf gegen die SPD angewandt habe. Bei der Wahl verliert die CDU 6 Prozentpunkte. Am Tag danach legt der "Spiegel" nach und zitiert Staatskanzlei-Mitarbeiter Reiner Pfeiffer: Uwe Barschel stecke selbst hinter den Aktionen gegen die SPD. Weitere vier Tage später versucht Barschel, die Vorwürfe öffentlich auszuräumen.
Der stellvertretende Kieler Regierungssprecher Herwig Ahrendsen (l) und Ministerpräsident Uwe Barschel am 18.09.1987 während einer Pressekonferenz in Kiel. 
Der stellvertretende Kieler Regierungssprecher Herwig Ahrendsen (l) und Ministerpräsident Uwe Barschel bei der Pressekonferenz am 18.09.1987 (picture-alliance/ dpa / Wulf Pfeiffer)
Uwe Barschel: "Heute nun, meine Damen und Herren, wende ich mich mit dieser Pressekonferenz an die deutsche Öffentlichkeit. Und in dieser Pressekonferenz gedenke ich, alles auf den Tisch zu legen. Alles, was mir bekannt ist."
Im Bemühen, jeden der Vorwürfe zu widerlegen, wiederholt Barschel diese ausführlich und bestreitet sie dann haarklein.
Uwe Barschel: "Ich komme nun zum Hauptteil meiner Darstellungen, nämlich der Stellungnahme zu allen mir bekannt gewordenen Vorwürfen des Herrn Pfeiffer beziehungsweise des Spiegel. Hierzu erhalten Sie im Anschluss an diese Pressekonferenz eine umfangreiche eidesstattliche Versicherung meinerseits. Und in der Anlage zu dieser eidesstattlichen Versicherung befinden sich weitere, wie ich bereits erwähnte eidesstattliche Versicherungen von Personen, auf die ich als Zeugen, wenn ich das so sagen darf, Bezug nehme, die meine Aussagen ausdrücklich bestätigen."
Barschels Eingangsstatement dauert über eine Stunde, bis er zum Schluss kommt und eine juristisch wohl unnötige, aber sich als fatal erweisende Ehrenerklärung nachschiebt.
Uwe Barschel: "Über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! – dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind. Ich danke Ihnen."
Der CDU-Politiker und frühere Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, im September 1987 bei einer Präsidiumssitzung der CDU in Bonn
1987 - Uwe Barschels Tod als Zäsur für Schleswig-Holstein
In einer Hotel-Badewanne in Genf wurde der CDU-Politiker Uwe Barschel am 11. Oktober 1987 tot aufgefunden. Die Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt. Sicher ist aber, dass der Name Barschel bis heute für einen der größten politischen Skandale der Bundesrepublik steht.
Die Offensive nutzt ihm höchstens kurzfristig. Später stellt sich heraus, dass Barschel gelogen hat – vor den deutschen Medien, festgehalten für die Ewigkeit. Wer sich auf Pressekonferenzen weit aus dem Fenster lehnt, stellt nicht selten fest, dass der Fall besonders tief ist. Eine Woche später kündigt Barschel seinen Rücktritt als Ministerpräsident an – auf einer Pressekonferenz. Neun Tage später wird er tot aufgefunden.
Stern stellt angebliche Hitler-Tagebücher vor
Pressekonferenzen dienen freilich auch der Werbung. Für den 25. April 1983 lädt das Magazin "Stern" in Hamburg zu dem ein, was es eine internationale Pressekonferenz nennt, um eine Weltsensation zu verkünden.
"Stern"-Reporter Gerd Heidemann präsentiert am 25. April 1983 auf einer Pressekonferenz in Hamburg eines der angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers.
"Stern"-Reporter Gerd Heidemann präsentiert am 25. April 1983 auf einer Pressekonferenz in Hamburg eines der angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers. (AP Archiv)
27 Fernsehteams und 200 weitere Reporter aus aller Welt kommen, um sich von Chefredakteur Peter Koch angebliche Tagebücher von Adolf Hitler vorstellen zu lassen. Er sagt: "Ich glaube schon, dass die Behauptung, die Geschichte des Dritten Reiches müsse zum Teil umgeschrieben werden, gerechtfertigt ist."
Man habe viel Geld in die Recherchen investiert, sagt Koch stolz, "einfach deshalb, weil uns für die Informationen unserer Leser nichts zu teuer ist. Das ist ein Grundsatz unseres Hauses".
Peter Koch: "Ein zweiter Grundsatz unseres Hauses ist, dass wir unsere Quellen nicht preisgeben. Auch auf bohrende Nachfragen werden Sie jetzt von mir nicht hören werden, wer uns die Bücher übergeben hat, und Sie werden auch nicht hören, wie viel Geld wir insgesamt investiert haben. Außerdem, ich kenne die Summe nicht."
Doch schon vor der Veröffentlichung hatte es Hinweise darauf gegeben, dass die Tagebücher gefälscht waren. Auch der Historiker Eberhard Jäckel, der zuvor bereits angeblichen Hitler-Dokumenten desselben Fälschers, nämlich Konrad Kujau, aufgesessen war, bezweifelte öffentlich die Echtheit, so dass sich Stern-Chefredakteur Peter Koch noch auf der Pressekonferenz von ihm distanzierte.
Peter Koch: "Ich möchte jetzt die Eingangsworte schließen und nur noch sagen, dass ich mich sehr gewundert habe über Ferndiagnosen auch so renommierter Leute wie Professor Jäckel. Wir, hätten wir uns als Journalisten die Arbeit so leicht gemacht, in der Tat, man hätte uns leichtfertigen Umgang mit den Materialien vorwerfen können."
Der Journalist Gerd Heidemann hält bei einer Pressekonferenz im April 1983 ein Exemplar der angeblichen "Hitler-Tagebücher" hoch. Im Hintergrund hängen Titelbilder der "Stern"-Ausgabe zu der Veröffentlichung.
"Faking Hitler" - Die Mutter aller Fälschungen
Im April 1983 veröffentlichte der "Stern" Auszüge aus den "Hitler-Tagebüchern". Doch schon nach wenigen Tagen wurde die vermeintliche Sensation als Fälschung entlarvt. Nun arbeitet das Magazin selbst daran, die Erinnerung an den Presse-Skandal wach zu halten – mit der Podcast-Reihe "Faking Hitler".
Wer tatsächlich leichtfertig mit den Materialien umgegangen war, war dann knapp zwei Wochen später offiziell. Dass die Hitler-Tagebücher Fälschungen waren, wurde übrigens auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben.
Vor- und Nachteile der mangelnden Kontrollierbarkeit
Pressekonferenzen sind in Deutschland prinzipiell offene Veranstaltungen. Zwar können die Veranstalter kontrollieren, wer eingeladen oder zugelassen wird und damit auch, wer Fragen stellen darf. Den Inhalt der Fragen aber können sie nicht kontrollieren – und geraten dadurch auch schon mal in Bedrängnis.
Ende Oktober 2009, einen Monat nach der Bundestagswahl, stellen die Vorsitzenden von CDU/CSU und FDP, Angela Merkel, Horst Seehofer und Guido Westerwelle, ihre Koalitionsvereinbarung vor. Zuvor war bekannt geworden, dass Wolfgang Schäuble Finanzminister werden sollte. Im Saal der Bundespressekonferenz erinnert der Berlin-Korrespondent der niederländischen Tageszeitung "De Telegraaf", Rob Savelberg, daran, dass Schäuble Jahre zuvor in eine Parteispendenaffäre verstrickt war.
Rob Savelberg: "Frau Merkel, eine Frage von Rob Savelberg, 'Telegraaf' aus Amsterdam. Sie reden heute ziemlich viel über Geld, über Finanzen auch der Bundesrepublik Deutschland. Nun wollen Sie das Finanzministerium besetzen mit einer Person, die öffentlich beteuert hat im Deutschen Bundestag, dass er einen Waffenhändler nur einmal getroffen hat und dabei vergessen hat, dass er 100.000 D-Mark von dem angenommen hat. Also: Wie können Sie so eine Person als sehr kompetent schätzen, um sozusagen die Finanzen dieses Landes hinzuzuvertrauen in der Krise. Können Sie das erklären?"
Angela Merkel: "Weil... weil diese Person mein Vertrauen hat."
Savelberg: "Aber kann er mit Geld umgehen, wenn er vergisst, dass er 100.000 Mark in bar in seiner Schublade liegen hat?"
Merkel: "Ich hab wirklich jetzt alles gesagt dazu."
Savelberg: "Wenn das alles ist."
Merkel: "Wie bitte? – Ja, ich kann gerne den Satz noch mal wiederholen, aber ich hab aus meiner Sicht alles gesagt."
Savelberg: "Aber es geht um die Finanzen von 82 Millionen Deutschen, also..."
Merkel: "Genau."
Savelberg: "...das ist eine ziemlich große Summe, würd ich sagen."
Merkel: "Hm."
Die besondere Dynamik
Weil es kein 1-zu-1-Interview war, konnte Savelberg Merkel nicht weiter mit Fragen zusetzen. Und er blieb mit seiner Frage allein. Dabei hätten ihm durchaus Kollegen beispringen können, aber sie müssten dann auf eine eigene Frage verzichten. Gelegentlich gibt es eine solche Dynamik auf Pressekonferenzen.
Sputnik V und die Vorbestellung
Ein Beispiel von Mitte März 2021. In der Regierungspressekonferenz stellt Nikita Jolkwer von der Deutschen Welle die Frage, ob die Regierung den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V bestellen will. Für das Bundesgesundheitsministerium antwortet Hanno Kautz, man wolle erst auf die europäische Zulassung warten. Jolkwer verweist darauf, dass andere Impfstoffe bereits vor der Zulassung bestellt wurden. Der Journalist Tilo Jung, der vor allem bei Youtube für ein junges Publikum über Politik berichtet, greift die Vorlage seines Kollegen Jolkwer auf.
Das Foto zeigt zwei blau-weiße Medikamentenpackungen mit russischer Aufschrift, die den Covid-Impfstoff Sputnik V enthalten.
Ein Impfstoff als politisches Projekt: Bisher ist Sputnik V nach russischen Angaben in 50 Ländern zugelassen und man hofft, es werden bald mehr (imago images / ITAR-TASS / Mikhail Metzel)
Tilo Jung: "Das versteh ich jetzt nicht. Warum wird Sputnik V nicht jetzt schon bestellt, wie alle anderen?"
Hanno Kautz: "Herr Jung. Also. Dieses Zulassungsverfahren ist gerade erst eingeleitet worden. Es ist ein Rolling-Review-Verfahren. Es ist mitnichten so gewesen, dass das bei allen anderen Impfstoffen dann zeitgleich bestellt wurde. Außerdem habe ich gerade schon betont, dass wir rund 300 Millionen Impfstoffdosen, glaube ich, insgesamt bestellt haben bei anderen Herstellern. Ob man noch weitere Impfstoffe bestellt, ob man Sputnik V bestellt, kann ich Ihnen im Moment nicht sagen."
Jung: "Alle Experten, so wie ich sie verstanden habe, sagen: Jeder Impfstoff, der eine sehr gute Chance hat, jetzt zugelassen zu werden, muss jetzt massenhaft bestellt werden. Mich würde interessieren, wieviel... Weil: Sie müssen ja davon ausgehen, dass Sputnik V zugelassen wird: Wieviel haben Sie schon bestellt, wieviel werden Sie bestellen und wie bewerten Sie, dass der Impfstoff jetzt auch in Deutschland produziert werden soll?"
Kautz: "Herr Jung, ich hab doch gerade schon gesagt, dass ich Ihnen nicht sagen kann, ob der Sputnik V bestellt wird, ob wir mit dem Hersteller verhandeln."
Corona-Impfstoffe in der Übersicht
Die EU-Behörde EMA hat bisher vier Corona-Impfstoffe zugelassen - Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson. Wie die Vakzine wirken, was über Nebenwirkungen bekannt ist und welche Impfstoff-Kandidaten es noch gibt – ein Überblick.
Wie üblich auf einer Regierungspressekonferenz, stellen Journalisten abwechselnd ihre Fragen; wollen Sie ein Thema verfolgen, müssen sie sich erneut melden. Erst rund neun Minuten später ist Nikita Jolkwer von der Deutschen Welle wieder dran.
Nikita Jolkwer: "Herr Kautz, noch mal ganz kurz zurück zu dem russischen Impfstoff. Können Sie ausschließen, dass bei der Entscheidung, ob der Impfstoff bestellt werden soll oder nicht, nachdem er zugelassen ist, politische Überlegungen nicht berücksichtigt werden?"
Kautz: "Ich werd hier nichts aus- oder einschließen."
Jolkwer: "Also, es kann sein, dass aus politischen Überlegungen der..."
Kautz: "Das hab ich nicht gesagt, das haben Sie gesagt."
Jolkwer: "Aber Sie können das nicht ausschließen."
Kautz: "Ich schließe hier nie etwas aus noch ein."
Weitere dreieinhalb Minuten später setzt Tilo Jung erneut nach.
Jung: "Ich hab trotzdem noch mal ne Lernfrage. Alle bisherigen zugelassenen Impfstoffe, da wurden immer vor der Zulassung bereits Impfmengen, also Produktionsstoffe bestellt. Korrekt?"
Kautz: "Herr Jung, ich glaube, das Thema hatten wir gerade abgehandelt. Ich kann Ihnen nicht mehr dazu sagen, als Sie jetzt fragen wollen."
Jung: "Wir brauchen in diesem Land und in Europa so viele Impfstoffe wie möglich. Und jetzt machen Sie es zum ersten Mal so, dass Sie erst abwarten, bevor ein Impfstoff zugelassen wird, bevor Sie riesige Mengen bestellen. Ich versteh das nicht, warum Sie ausgerechnet bei diesem Impfstoff keine... dass Sie da keine Bestellung aufgegeben haben."
Kautz: "Herr Jung, wenn, dann sprechen wir sowieso darüber, dass in kleinen Mengen Impfstoff für Europa zur Verfügung stehen könnte. Und außerdem, im Vergleich dazu, haben wir sehr viele Impfstoffe schon gesichert."
Jung: "Aber nicht genug."
Kautz: "300 Millionen. Ich weiß nicht, wie viele Einwohner Sie in Deutschland rechnen."
Doch auch ein letzter Versuch eines Kollegen bringt nichts.
Kautz: "Herr Jessen, ich hab dem nichts hinzuzufügen."
"Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern"
Vor allem unter Anspannung haben Politiker eine Pressekonferenz mitunter nicht unter Kontrolle. Am 17. November 2015 sollte eigentlich ein Fußball-Länderspiel der Herren im Stadion in Hannover stattfinden – ein Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden. Drei Tage zuvor hatte es in Paris die islamistisch motivierten Terroranschläge mit 130 Toten gegeben. Anderthalb Stunden vor Anpfiff – im Stadion saßen bereits erste Fans – sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Spiel ab - wegen Terrorgefahr.
Thomas de Maizière: "Die Gefährdung für Deutschland und Europa ist hoch. Die Lage ist ernst. Das sage ich seit Längerem, und ich habe es nachdrücklich wiederholt seit dem Anschlag von Paris."
De Maizière sitzt in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im niedersächsischen Innenministerium neben seinem Kollegen Boris Pistorius und dem amtierenden Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Rauball. Er muss etwas sagen, kann es aber eigentlich nicht, weil er nicht über Terrorgefahr sprechen will. So bleibt er vage und stiftet mehr Verwirrung als zu informieren.
De Maizière: "Ich bitte um Verständnis, dass ich aus ganz grundsätzlichen Erwägungen die Quelle und das Ausmaß des Hinweises und der Gefährdung nicht weiter kommentieren möchte. Das würde für die Zukunft Rückschlüsse auf unser Verhalten zulassen, dass wir jede denkbare Hinweisgeber dazu führen, gegebenenfalls keine Hinweise mehr zu geben. Beides dient nicht der nationalen Sicherheit unseres Landes."
Pressesprecher Philipp Wedelich (l-r), Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD), Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der Delegationsleiter der Nationalmannschaft, Reinhard Rauball sitzen am 17.11.2015 bei einer Pressekonferenz zum Fußball-Länderspiel Deutschland - Niederlande im Innenministerium in Hannover (Niedersachsen) vor Medienvertretern.
Pressekoferenz zur Absage des Länderspiels Deutschland/Niederlande wegen eines drohenden Sprengstoffattentats von Islamisten (picture alliance / dpa / Ole Spata)
De Maizière steht unter Druck – wie sich zeigt, als der erste Journalist eine naheliegende Frage stellt.
Journalist:"Gibt es denn eine noch anhaltende Gefährdungslage? Oder ist die jetzt beendet?"
De Maizière: "An wen richtet sich die Frage? - Ich fang vielleicht mal an."
De Maizière muss erst aufgefordert werden, zu antworten. Und da er das nicht möchte, simuliert er erst einmal allerlei Fragen, die ihm niemand gestellt hat.
De Maizière: "Ich fange... ich fange gleich mal an. Wissen Sie, Ich verstehe diese Frage. Und ich verstehe auch die folgenden Fragen, die kommen werden. Was genau war denn der Hintergrund der Gefährdung? Was hätte passieren können? Wovor? Was war der Gefährdungsgrad, warum sie abgesagt wurde? Was war der zeitliche Ablauf, dass die Entscheidung nachher so klar war, wie wir sie beide getroffen haben? Ich verstehe diese Fragen. Verstehen Sie bitte, dass ich darauf keine Antwort geben möchte. Warum?
Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern. Ein Teil dieser Antworten würde unser Verhalten in Zukunft erschweren. Denn wir werden auch in Zukunft solche Entscheidung zu treffen haben. Vielleicht nicht in Hannover, sondern irgendwo anders. Zum Teil würde auch die Aussagen, die ich jetzt machen würde, gegebenenfalls den Hinweisgeber dazu führen, dass wir vielleicht demnächst keine Hinweise mehr bekommen. Das wäre auch nicht im Interesse. Ich bitte einfach mal die deutsche Öffentlichkeit um einen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Landesinnenminister und gegenüber mir und gegenüber den Sicherheitsbehörden, dass wir gute Gründe hatten, bittere Gründe, das so zu entscheiden. Dass es aber nicht weiterhilft, jetzt die Einzelheiten so darzulegen, dass Ihre verständliche Neugier befriedigt wird, aber das Handeln für die Zukunft erschwert wird."
Vor allem de Maizières zentraler Satz, ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern, sorgte anschließend für genau das – und für Spott. Später räumte er einen Fehler ein, auf diese Frage habe es keine richtige Antwort gegeben. Es sei ihm aber spontan keine andere Antwort eingefallen.
Eine Frau mit FFP2-Maske hält eine Printausgabe der "New York Times" in der Hand
"NYT"-Korrespondentin über Corona-Berichterstattung in Deutschland: "Stimmung in den Medien gekippt"
Zu Beginn der Pandemie sei die mediale Corona-Debatte nicht so politisch geführt worden, sagte Melissa Eddy, die Deutschland-Korrespondentin der "New York Times" im Dlf. Nun aber habe es einen Wandel gegeben.
Kleinere Medien kommen näher ran
Die erste Frage an de Maizière kam übrigens von einem Journalisten der "Neuen Osnabrücker Zeitung", einer Regionalzeitung aus Niedersachsen. Zeitungen wie diese sind im Einzelnen für die Politik in Berlin tendenziell weniger wichtig als die überregionalen. Auf Pressekonferenzen haben ihre Vertreter aber keine schlechteren Chancen, Fragen stellen zu können.
Zumindest im Rahmen der Bundespressekonferenz sind sie alle gleich. Denn dort gilt der einzelne Journalist mehr als sein Medium, sagt ZDF-Korrespondent Mathis Feldhoff, der auch Vorsitzender des Vereins der Bundespressekonferenz ist:
Mathis Feldhoff: "Wir haben ja in der Bundespressekonferenz sehr bewusst Einzelmitgliedschaften. Also jeder Korrespondent ist als Einzelner Mitglied und nicht sein Medium. Deswegen gibt es keine Abstufung zwischen einem wichtigeren oder unwichtigeren Medium, zwischen einem Medium, das eine größere oder eine kleinere Reichweite hat. Im Prinzip hat jedes Mitglied der gleichen Rechte. Das versuchen wir auch in den Pressekonferenzen durchzusetzen und als Grundlage zu nehmen."
Auch Kristina Dunz schätzt als Korrespondentin für ein Netz von Regionalzeitungen die direkte Zugänglichkeit - statt den Filter der Pressestelle:
Kristina Dunz: "Bei Spitzenpolitikern ist es so, dass man sie nicht einfach eben ans Telefon bekommt oder einen Direktkontakt abrufen kann. Jetzt nehmen wir mal die Bundeskanzlerin. Die kann man natürlich nicht ans Telefon bekommen oder ansimsen oder von ihr direkt was bekommen. Das geht alles über Sprecher. Und wenn es die Gelegenheit gibt, dass sie selber auftritt oder sagen wir Bundesminister und Parteivorsitzende, dann gehe ich natürlich da hin und stelle meine Fragen."
Journalisten warten auf die Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Bouffier.
"Aus Kreisen..." – Das Spiel mit den Informationen
Bereits Stunden, bevor Angela Merkel ihren Rückzug als Partei-Vorsitzende bekannt gab, berichteten Journalisten darüber und bezogen sich auf "CDU-Kreise". Über die Spielregeln des Berliner Medienbetriebs.
Filter gibt es aber durchaus: Wer bekommt überhaupt die Möglichkeit, bei einer Pressekonferenz seine oder ihre Frage zu stellen? Bei der Bundespressekonferenz sind es ihre Mitglieder. Bei Pressekonferenzen, die von Ministerien oder Parteien ausgerichtet werden, beginnt die Zugänglichkeit aber schon bei der Frage, wer sich anmelden darf.
Im Januar 2019 verweigerte die AfD in Bremen einem Journalisten der Tageszeitung taz den Zutritt, weil dieser sich dem – Zitat aus der Begründung - "Kampf gegen rechts" verpflichtet habe. Im Mai 2018 durfte ein Reporter der "Bild" zwar die wöchentliche Pressekonferenz der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag besuchen. Die Fraktionsspitze wollte aber seine Fragen nicht beantworten, weil sie mit seinem Auftreten in vorherigen Pressekonferenzen nicht einverstanden gewesen sei. Der Bild-Reporter hatte den damaligen AfD-Fraktions- und Parteichef Andreas Kalbitz zu seiner rechtsextremistischen Vergangenheit befragt. Die anwesenden Journalisten verließen aus Solidarität mit dem Kollegen den Raum; die AfD brach ihre Pressekonferenz ab.
Neben der Einladungspolitik lässt sich auch steuern, wer Fragen stellt. Entscheidend ist, wer das Wort erteilt. Das kann der Auskunft gebende Politiker selbst sein, seine Pressesprecherin oder ein Journalist. Je nachdem, hat das unterschiedliche Folgen, erläutert der emeritierte Journalismusprofessor Horst Pöttker von der Technischen Universität Dortmund.
Horst Pöttker: "Wir haben das ja nun in den vier Jahren Trump in den USA gesehen, dass da offenbar die Regeln nicht so sind, dass diejenigen, die befragt werden oder die Informationen geben sollen, dass die nicht entscheiden können, wer da zugelassen wird. Trump hat immer wieder auch Leute mal rausgeschmissen aus seinen Pressekonferenzen. Ich glaube, das ist problematisch. Da sollte die Regel sein, dass insbesondere im Bereich der Politik Pressekonferenzen diejenigen, die Informationen geben, nicht allein darüber entscheiden, wer zugelassen wird."
Doch auch für Donald Trump galten gelegentlich andere Regeln. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2017 zu ihrem ersten Staatsbesuch nach Washington kam, konnte nicht er bestimmen, wer spricht. Das Wort bekam Kristina Dunz, damals arbeitete sie noch für die Deutsche Presse-Agentur.
Kristina Dunz: "Frau Bundeskanzlerin, mit Ihrer Erfahrung aus der DDR äußern sie immer die Zuversicht, dass Mauern auch wieder fallen können. Für wie gefährlich halten Sie die Abschottungspolitik des US-Präsidenten mit seinen geplanten Importzöllen und auch seiner Geringschätzung für die Europäische Union als Gemeinschaft? Und, Herr Präsident: Ist es nicht auch eine Gefahr für Amerika, wenn ‚America first‘ die Europäische Union schwächen würde? Und was macht es Ihnen eigentlich... warum macht Ihnen eigentlich Pressevielfalt so große Angst, dass Sie so oft von Fake News sprechen und selbst Dinge behaupten, die dann nicht belegt werden können, wie die Äußerung, Obama habe Sie abhören lassen?"
Donald Trump: "Should I go first? Nice, friendly reporter. First of all, I don't believe in isolationist policy..."
Kristina Dunz: "Was überraschend für mich war: Dass er konterte mit der 'nice, friendly reporter' - das heißt übersetzt so was heißt wie 'blöde Kuh'. Aber er hatte sich da nicht so ganz im Zaume. Im Nachhinein soll er sich sehr geärgert haben über die Frage und die Bundeskanzlerin gefragt haben, warum sie so eine Frau mit so einer Frage aussuche. Und Frau Merkel hatte dann nur geantwortet, sie sucht da weder Frage noch Frau aus.
Das ist ja bei diesen Reisen mit der Kanzlerin so, dass der mitreisende Journalistentross - so ungefähr 15 Journalistinnen und Journalisten - unter sich ausmacht, wer eine Frage stellen darf. In der Regel sind internationale Pressekonferenzen so, dass es zwei Fragen pro Nation gibt. Und insofern war ich damals ja für die Deutsche Presse-Agentur auch ausgewählt."
Donald Trump spricht zu Reportern während einer chaotischen Pressekonferenz im White House, 7. April 2020 in Washington, DC, USA.
Der ehemalige US-Präsident Trump stand auf Kriegsfuß mit den Medien (Getty/Chip Somodevilla)
Dass bei Pressekonferenzen auf Auslandsreisen oft nur zwei mal zwei Fragen gestellt werden dürfen, begründet Regierungssprecher Steffen Seibert mit dem engen Zeitplan.
Steffen Seibert: "Also erstens mal: Zwei Fragen pro Land macht vier Fragen. Aber da stimmt die Mathematik oft nicht, weil natürlich der gewiefte Journalist - und da sind die Ausländer genau wie unsere - irgendwie immer noch eine zweite Frage unterbringen. Und so hast du de facto eigentlich immer fünf oder sechs Fragen. Die müssen oft von beiden beantwortet werden. Also hast du zwölf Antworten, das sprengt oft den vorgesehenen Zeitraum. Regierungs-, Arbeitsbesuche oder auch Staatsbesuche haben ja viele Programmpunkte. Da ist die Pressekonferenz einer, ein wichtiger, aber nicht der einzige. Da muss man schon gucken, dass man irgendwie durchs Programm kommt."
Hier machen die Journalistinnen und Journalisten also die Fragesteller unter sich aus. Anders bei Pressekonferenzen etwa im Kanzleramt oder in Ministerien, in denen die Pressesprecher das Wort erteilen. Das war vor allem in der Anfangsphase der Pandemie ein Problem, als Pressekonferenzen nur per Videokonferenz stattfanden, dazu Fragen nur schriftlich eingereicht werden konnten und die Pressestellen auswählten, welche Frage sie weitergaben.
Das Prinzip, dass sich Journalistinnen und Journalisten untereinander verständigen, wer fragt, wendet Regierungssprecher Seibert auch bei kurzen Pressekonferenzen zu Staatsbesuchen im Kanzleramt an. Ansonsten setzt er gerne auf Nachrichtenagenturen, deren Informationen wiederum von den meisten anderen Medien genutzt werden können.
Steffen Seibert: "Die großen Nachrichtenagenturen, die machen ja so die Schwarzbrotarbeit des Journalismus. Die sind bei allem dabei, besetzen jeden Termin, verfolgen jedes Thema, schreiben über alles ihre Artikel, die dann von allen anderen genutzt werden. Ich finde, das bringt sie in eine Situation, dann auch die Möglichkeit zu bekommen, Fragen zu stellen. Das tun auch andere natürlich. Also es ist ganz unterschiedlich. Und ganz feste Regeln gibt es nicht."
Die überraschende Frage von außen
Noch mal zurück zu Donald Trump und der hartnäckigen Journalistin aus Deutschland. Hier sieht man besonders gut, was es bedeutet, wenn Politiker es gewohnt sind, ihre Gunst gezielt zu verteilen. Kristina Dunz' erste Frage nach dem Isolationismus verneint Trump zunächst wortreich, beantwortet die Frage nach Angst vor Pressefreiheit aber nicht und nennt sie selbst einen Beweis für Fake News.
Donald Trump: "But I’m not an isolationist by any stretch of the imagination. I don't know what newspaper you're reading but I guess that would be another example of what you say fake news."
Kristina Dunz: "Ich habe einen sehr, sehr guten Tipp bekommen von dem damaligen ZDF-Korrespondenten Ulf Röller, der gesagt hatte: Stell' die Frage auf Deutsch, dann kann er dich nicht unterbrechen, er muss abwarten, bis die Übersetzung zu Ende ist. Und damit kam diese Frage einmal in Ruhe rüber, ohne dass er reinpoltern konnte. Das war tatsächlich in der Zeit, also zwei Monate seit seiner Amtseinführung, die erste Frage dieser Art, die ihm so gestellt wurde. Und deswegen war damals so eine Erleichterung bei den US-Kollegen und Kolleginnen, die so gesagt haben: So, jetzt ist es einmal öffentlich, was hier abläuft."
In Deutschland genauso wie in den USA wurde Kristina Dunz für ihre eigentlich simple Frage von Kolleginnen und Kollegen gefeiert. Sie selbst hielt die Frage, warum er so viel Angst vor Pressefreiheit habe, für naheliegend. Den Kollegen in den USA lag nach ihrer jahrelangen Auseinandersetzung mit Trump und der Gewöhnung an seine Attacken auf die Presse diese Frage schon wieder sehr fern.
Kristina Dunz glaubt, dass es gelegentlich die Distanz von außen braucht, um eine solch einfache Frage stellen zu können.
Kristina Dunz: "Ich erinnere mich an die Pressekonferenz in Deutschland, als Angela Merkel gerade Kanzlerin geworden ist, und da wurden alle möglichen Inhalte abgefragt. Und dann war es eine Kollegin aus Großbritannien, die fragte..."
Frage: "Frau Merkel. Was fühlen Sie jetzt. Sind Sie... Sie werden Kanzlerin von Deutschland. Wie geht es Ihnen? Wirklich – wie geht es Ihnen?"
(Applaus von Kollegen) "Wirklich. Wir sind neugierig, sehr, sehr neugierig. Bitte."
Merkel: "Ja, also ich... Erstens: Mir geht es... mir geht es gut. Um Sie erstmal... Zweitens: Ich glaube, dass sehr, sehr viel Arbeit vor uns liegt."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am 22.11.2005 im Deutschen Bundestag in Berlin durch Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer ersten Vereidigung im Jahr 2005. (picture-alliance / Sven Simon)
Kristina Dunz: "Diese Frage hätten wir vermutlich auch nicht gestellt, weil wir ja auch schon so reingewachsen waren in die Rolle, dass das jetzt etwas ganz Neues ist in Deutschland. Und im Ausland ist das aber noch mal auch mal anders beurteilt worden. Und insofern kann ich mir schon gut vorstellen, dass es insgesamt so ist, wenn man von außen kommt, dass man noch mal so einen fokussierten Blick darauf hat und den etwas weiten kann, als wenn man in den Themen ganz tief drin ist und eben inhaltlich wissen will, was da jetzt geplant ist und nicht diesen Überbau abfragt. Aber auch die, also die Frage damals war dann die, die herausragte aus dieser Pressekonferenz mit Frau Merkel."
Die Bundespressekonferenz als einzigartige Institution
Als Repräsentanten ihrer Ministerinnen und Minister stellen sich die Sprecher dreimal die Woche den Fragen der Hauptstadtpresse auf der sogenannten Regierungspressekonferenz. Anders als Politiker, die selbst Entscheidungsträger sind, können deren Pressesprecher nicht für sich sprechen, sondern müssen sich auf mögliche Fragen gut vorbereiten und sich bei allem anderen rückversichern. Für ein Forschungsprojekt hat sich der Soziologe Ulf Bohmann von der Technischen Universität Chemnitz die Vorbereitungen der Regierungsseite angesehen.
Ulf Bohmann: "Die Bundesregierung hat eine stabile Meinung, und diese stabile Meinung, diese stabile Position ist in der sogenannten 'Sprache' festgelegt. Also die 'Sprache' ist der Ausdruck, der insbesondere beim Bundespresseamt und bei den zuständigen Abteilungen der Ministerien verwendet wird und so insgesamt beschreibt an den Formulierungen, an den Dingen, die man zu einem bestimmten Sachverhalt sagen kann. Das heißt, das sind abgestimmte Positionen: Wie ist die Haltung zu Russland? Wie ist die Haltung zur neuen Impfstrategie? Wie ist die Haltung zu XY? Und diese Sprache ist sozusagen der Gesamtkosmos dessen, was kommuniziert werden kann, weil es schon intern abgestimmt ist."
Zu sehen ist der Konferenzsaal der Bundespressekonferenz von innen.
Bundespressekonferenz - Wo Politiker keine Fragen verbieten können
In der Bundespressekonferenz ist die Presse selbst Gastgeber. Auf dieses einzigartige System könne man stolz sein, sagte der Journalist Wulf Schmiese im Dlf. Hier können Politiker keine Fragen verbieten - anders als Trump es in den USA oft getan hat.
Jede Auskunft, die nicht abgesprochen ist, wird entweder verweigert oder muss so vage sein, dass sie trotzdem gültig ist. Regierungssprecher Steffen Seibert räumt ein, dass Journalistinnen und Journalisten mit so etwas nicht immer zufrieden sind.
Steffen Seibert: "Das ist in Unterhaltungen oft so, dass der Frager nicht immer die Antwort bekommt, die er erwartet. Nichtsdestotrotz bemühe ich mich immer um Antworten. Aber ich gebe auch zu – und das weiß auch jeder Journalist, der sich hier auskennt in Berlin: Es gibt Bereiche, da kann ich gar nicht so viel antworten, wie man von mir gerne hören würde. Es gibt Bereiche, die gehen in die Geheimhaltung. Es gibt Bereiche, da äußert sich die Bundesregierung nur gegenüber bestimmten Bundestagsgremien, alles Geheim- oder Nachrichtendienstliche beispielsweise. Das heißt, da muss ich enttäuschen. Aber die Mitglieder der Bundespressekonferenz wissen das auch. Trotzdem stellen sie natürlich manchmal die Frage, einfach nur, um von mir zu hören, dass ich dazu nicht Stellung nehmen kann, weil auch das für ihren Beitrag wichtig ist."
Die Regierungspressekonferenzen finden in der Hauptstadt Berlin bei der Bundespressekonferenz statt, von der bisher schon viel die Rede war. "Bundespressekonferenz" ist der Name eines mittlerweile über 70 Jahre alten Vereins von Journalistinnen und Journalisten, die aus Berlin und Bonn über Bundespolitik berichten.
Der Verein ist trotz des irreführenden Begriffs "Bundes" unabhängig von jeder staatlichen Einrichtung. Er hat rund 900 Mitglieder und ist stolz darauf, weltweit der einzige dieser Art zu sein. Die Pressekonferenzen, die hier stattfinden, werden nicht von denen ausgerichtet, die befragt werden. Wer im Saal vor der berühmten blauen Wand Rede und Antwort steht, der kommt als Gast, eingeladen von der Hauptstadtpresse. Und für ihn wie für diejenigen, die fragen, gelten besondere Regeln.
Mathis Feldhoff: "Man kann sich nicht in die Bundespressekonferenz einklagen, man kann sich nicht selber einladen, sondern man wird eingeladen. Und dieses Besondere, dass man eingeladen wird, hat ein paar Konsequenzen auch für den, der dort als Gast erscheint, nämlich dass wir von ihm verlangen, dass er nicht vorher, vor dieser Pressekonferenz, über sein Thema weitschweifig redet, indem er zum Beispiel morgens in Radiosendungen Interviews gibt, weil wir wollen, dass die Informationen dann schon möglichst exklusiv für unsere Mitglieder zur Verfügung stehen. Daran sollen sich unsere Gäste halten. Und wir bestimmen sozusagen auch die Frage, wie lange so eine Pressekonferenz ist."
Die Bundespressekonferenz setzt sich in ihrer Konstruktion bewusst ab von ihren Vorläufern, erläutert der emeritierte Journalismusprofessor Horst Pöttker von der TU Dortmund.
Horst Pöttker: "Das hat angefangen mit den Pressekonferenzen des Militärs im Ersten Weltkrieg in Deutschland. Das war eine staatliche Einrichtung, da hat das Militär den Journalisten Informationen gegeben, und der Zugang wurde vom Militär reguliert. In der Weimarer Republik war es dann anders. Da wurde das in die Hände der Journalisten gelegt, der Zugang zu den Pressekonferenzen. In der NS-Zeit war es dann wieder ganz stark natürlich beim Regime. Die Reichspressekonferenz, von Goebbels ausgesuchte Journalisten, denen man dort mitgeteilt hat, per Presseanweisung, wie man sich zu verhalten hat, worüber man berichten soll und worüber man nicht berichten soll. Nacht 1945, dann gab es ja erst mal vier Jahre ohne Pressefreiheit. In der Lizenzzeit zwischen '45 und '49 gab es keine bundesweite Pressekonferenz. '49 wurde die dann eingerichtet, als eine Veranstaltung der Journalisten."
Eine weitere Regel für Gäste der Bundespressekonferenz: Wer sprechen will, muss auch Fragen beantworten. Das galt auch für AfD-Parteichefin Frauke Petry nach der Bundestagswahl 2017. Der AfD war gerade zum ersten Mal der Einzug in den Bundestag gelungen, am Tag danach treten die Spitzenkandidaten und die Parteichefs auf. Frauke Petry erhält das Wort.
Frauke Petry: "Eine anarchische Partei, wie es in den vergangenen Wochen das eine oder andere Mal zu hören war, die die AfD sei, die kann in der Opposition erfolgreich sein, aber sie kann eben dem Wähler kein glaubwürdiges Angebot für die Regierungsübernahme machen. Und das ist der Grund, meine Damen und Herren, unter anderem in meinem Anspruch verbunden, dass ich aktiv gestalten möchte und eben Realpolitik im guten Sinne einer konservativen Politik machen werde, für mich nach langer Überlegung zu entscheiden, dass ich der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht angehören werde. - Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis, dass ich dazu jetzt auch keine weiteren Fragen beantworte. Sie haben sicherlich noch viele Fragen. Ich werde im Foyer auch noch für wenige Nachfragen bereitstehen. Ich möchte mich bei meinen Kollegen bedanken, bei Alice Weidel, bei Alexander Gauland und bei Jörg Meuthen und werde jetzt diesen Raum verlassen. Dankeschön."
BPK-Sprecher: "Also pardon, das halte... Frau Petry, das finde ich kein faires Verhalten hier auch gegenüber den Kollegen..."
Petry: "Ja, das tut mir leid, aber..."
BPK-Sprecher: "Sie nutzen das Forum der Bundespressekonferenz, um ihre Botschaft zu setzen, und verschwinden dann. Also insofern missbilligen wir dieses Verhalten ausdrücklich."
Die AfD-Spitze in der Bundespressekonferenz
Frauke Petry verkündete ihren Austritt aus der AfD-Fraktion vor der Bundespressekonferenz (dpa/Julian Stratenschulte)
In dem Moment hat Frauke Petry bereits den Saal verlassen. Die drei zurückgebliebenen AfD-Spitzenpolitiker Alexander Gauland, Alice Weidel und Jörg Meuthen schauen sich lachend an. Unruhe im Saal. Einige Fotografen und Journalisten folgen Petry aus dem Saal.
BPK-Sprecher: "So, also noch mal. Ich missbillige als Vorstand der Bundespressekonferenz hier dieses Verhalten ausdrücklich, die Bundespressekonferenz hier als Forum in dieser Form, ich möchte mal sagen, zu missbrauchen."
Petry sei die einzige, die sich jemals auf diese Weise Fragen entzogen habe, sagt Vorstand Mathis Feldhoff. Dass sonst alle bleiben trotz unangenehmer Fragen, erklärt er so:
Mathis Feldhoff: "Die Regierung hat in den 70 Jahren Bundespressekonferenz-Geschichte schon gelernt, dass es sehr sinnvoll ist, sich auch der kritischen Öffentlichkeit von Medien zu stellen und auch dort sozusagen ihre Botschaften immer wieder zu platzieren. Natürlich gibt es für Regierungssprecher die Situation, dass das unangenehm ist, dass das nicht lustig ist, dass man mal eine Position vertreten muss, die, die man die einem nicht gefällt, aber eine 70-jährige Tradition einfach über den Haufen zu schmeißen, ist auch so keine einfache Übung."
Feldhoff hält es für glaubwürdig, wenn Regierungssprecher Steffen Seibert die Bundespressekonferenz als wichtiges demokratisches Medium lobt – auch wenn es für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen manchmal unangenehm werde:
Mathis Feldhoff: "Es ist nicht die Aufgabe der Journalisten, dafür zu sorgen, dass ich mich immer wohlfühle. Die Journalisten haben eine Aufgabe, kritisch zu fragen, Hintergründe auszuleuchten. Und ich habe die Aufgabe, unsere Position der Bundesregierung wirklich auch vertieft darzulegen. Und wenn es dann mal schwierig wird, das damit muss er ein Regierungssprecher rechnen, und ehrlich gesagt, darunter sollte ja auch nicht leiden, sondern er sollte sich sagen, und das versuche ich zu tun: So ist es die mit der Pressefreiheit, und die liebe ich so sehr, dass ich dann auch gerne mal 60 Minuten schwitze."
Wenn aber die Regeln der Bundespressekonferenz verletzt werden, reagieren ihre Mitglieder verstimmt. So sorgen sie am 18. Februar 2010 für eine der kürzesten Pressekonferenzen in der Geschichte des Vereins. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg steht in der Kritik, weil ihm Plagiate in seiner Doktorarbeit vorgeworfen werden. Rund 30 Journalisten erwarten sich von zu Guttenbergs Sprecher Steffen Moritz Antworten.
Journalist: "Frage an Herrn Moritz: Wird es heute eine Erklärung des Verteidigungsministers geben, wann und mit welchem Inhalt?"
Steffen Moritz: "Der Minister wird jetzt in diesem Moment, in den nächsten Minuten vor einigen ausgewählten Medienvertretern, die da vom Ministerium gewartet haben, eine Erklärung abgeben. Und den Inhalt werden Sie dann erfahren, wenn er es getan hat."
BPK-Sprecher: "Herr Moritz, wenn ich da für den Vorstand der Bundespressekonferenz sagen darf: Dieses Verfahren halten wir nicht für fair, das..."
(Applaus)
BPK-Sprecher: "Gut, Herr Wonka."
Dieter Wonka: "Ehrlich gesagt, Herr Moritz, bin ich baff, dass ihr Minister so ein Feigling ist und sich nicht vor nicht vor nicht nur ausgewählten Medien, die gewartet haben, um einen Tonständer hinzustellen und der Minister, so denke ich mir das, spricht seine zehn Sätze und geht dann wieder. Das widerspricht eigentlich meiner Wahrnehmung Ihres Ministers. Können Sie mal eine Erklärung versuchen, weshalb man seinen Rücktritt nur so in einer dürren Erklärung vor ausgewählten Kameraleuten sagen, weshalb er nicht die Traute hat, sich hierherzustellen, um Fragen zu beantworten, die alle möglichen Leute, nicht nur böse Journalisten, stellen und die auf eine Antwort warten."
Moritz: "Also er hat sich so entschieden, wie er sich entschieden hat, vorzugehen. Und ich habe das jetzt von hier aus nicht weiter zu interpretieren oder zu kommentieren."
Auch Regierungssprecher Steffen Seibert gibt auf Nachfrage keine weiteren Informationen preis. Ein Journalist bittet darum, die Regierungspressekonferenz um eine Stunde zu verschieben. Ein anderer bittet um Abbruch der "Witzveranstaltung", wie er sie nennt.
BPK-Sprecher: "Okay, dann schlage ich vor, wir ziehen die anderen Themen vor. Bis dahin hat Herr Moritz vielleicht etwas oder Herr Seibert auch etwas mehr. Und dann überlegen wir, wie wir weiter verfahren. Herr Seibert, dann darf ich Sie bitten, die Termine der nächsten Woche vorzutragen."
Die nächsten vier Minuten und 25 Sekunden trägt Steffen Seibert Termine vor. In dieser Zeit packen die Hauptstadtkorrespondenten ihre Kameras , Mikrofone und Schreibblöcke weg und verlassen geschlossen den Saal.
Pressekonferenzen sind Bühnen, für die Befragten, und manchmal auch für die, die Fragen stellen. Aber sie sind nur ein Mittel journalistischer Arbeit und können die Recherche nicht ersetzen, höchstens ergänzen. Eine Pressekonferenz ist selbst keine Form von Journalismus, sondern eine Quelle – für den Journalisten genauso wie für die Zuschauerin. Für die alltägliche Berichterstattung bietet die Pressekonferenz beiden Seiten Vorteile: Politik wie Medien. Und manchmal sorgt sie eben für besondere Momente.
Schabowski: "Das tritt… nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich."