Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Die SPD "ist schon noch sozialdemokratisch genug"

Der CDU-Politiker Heiner Geißler wünscht der SPD zum 150. Jubiläum, dass die Partei zu ihrem Weg, dem Einsatz für mehr Freiheit und Gerechtigkeit, zurückkehrt. Er kritisiert, dass durch die Agenda 2010 der Arbeitnehmer wieder zum Objekt degradiert worden sei. Mit diesem Irrtum müsse die SPD aufräumen.

Heiner Geißler im Gespräch mit Christine Heuer | 23.05.2013
    Christine Heuer: Sie ist die älteste Partei Deutschlands und vielleicht auch die Partei, die es sich traditionell immer besonders schwer macht. Heute feiert die SPD ihren 150. Geburtstag – wie fast immer üblich in schwierigen Zeiten. In den Umfragen für die Bundestagswahl dümpelt sie zwischen 20 und 25 Prozent. Kaum einer glaubt, dass die SPD mit Peer Steinbrück eine halbwegs realistische Chance auf einen Sieg im September hat.

    Kurz vor dieser Sendung hatte ich Gelegenheit, über den 150. Geburtstag der SPD mit einem CDU-Politiker zu sprechen: mit Heiner Geißler. Als Generalsekretär gehörten Attacken auf die SPD zu seinem Job. Inzwischen ist er unter anderem Attac-Mitglied und er gilt als eher Linker in seiner Partei. Meine erste Frage an Heiner Geißler, was er denn der SPD zu ihrem Geburtstag wünscht.

    Heiner Geißler: Ich wünsche der SPD, dass sie an die stolze und erfolgreiche humane Tradition anknüpfen kann, die begründet worden ist vor 150 Jahren, und dass sie den philosophischen Weg, der damals von ihr gewiesen worden ist, zugunsten der Menschen für mehr Freiheit und Gerechtigkeit, dass sie den wieder weiter beschreiten kann. Wenn ich sage, wieder, dann muss ich die Einschränkung machen, dass in den letzten Jahren, wenn nicht sozusagen letzten anderthalb Jahrzehnten sie diesen Weg verlassen hat.

    Heuer: Genau danach hätte ich Sie jetzt gefragt. Ist die SPD noch sozialdemokratisch genug?

    Geißler: Ja, sie ist schon noch sozialdemokratisch genug. Sonst würde sie sich nicht so quälen. Sie ist ja zerrissen, und das hängt damit zusammen, dass sie den Grundgedanken aufgegeben hat, für den sie ja gegründet worden ist, nämlich die Arbeitswelt insgesamt und die Gesellschaft so zu verändern, dass der Mensch nicht mehr Objekt der Wirtschaft ist oder Kostenfaktor, sondern ein gleichberechtigtes Mitglied, ein gleichberechtigter Partner im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Geschehen. Aber genau dies ist ja durch die Agenda 2010 zerstört worden. Das wissen auch fast alle Mitglieder der SPD, aber bis jetzt haben sie nicht die Kraft gefunden, auch nicht die Führung, diese Agenda 2010 wieder menschenfreundlich zu reformieren.

    Heuer: Dann kommen wir in die Gegenwart, Herr Geißler. Ist Peer Steinbrück die richtige Person, um zurückzufinden auf diesen Weg im Sinne der Menschen, wie Sie ihn gerade beschrieben haben?

    Geißler: Er hat auf jeden Fall die Fähigkeit dazu. Intelligenz besitzt er und er ist auch durchaus mutig. Seine Entscheidung für Wiesehügel ist eine richtige Entscheidung gewesen, auch wenn das von großen Tageszeitungen als Dummheit persifliert worden ist. Wiesehügel ist einer, der modern ist, der der Gewerkschaftsvorsitzende einer modernen Gewerkschaft ist, aber gleichzeitig nicht vergessen hat, woher die SPD kommt, und gerade in der heutigen Zeit, in einer modernen Zeit, darf es nicht passieren, dass der Status der Arbeitnehmer wieder zurückfällt auf den Status des Frühkapitalismus. Das heißt, durch die Agenda 2010 sind keine sicheren neuen Arbeitsplätze geschaffen worden, aber über sechs Millionen Minijobs, Leiharbeitsverhältnisse, befristete Arbeitsverträge noch und noch. Der Arbeitnehmer ist wieder zum Objekt degradiert worden, zum Kostenfaktor, und mit diesem Irrtum muss die SPD aufräumen.

    Heuer: Die SPD schwächt sich in der Regierung erfahrungsgemäß selbst. Sie haben die Zerrissenheit der Partei angesprochen. Um es im Duktus von Franz Müntefering zu fragen: Kann die SPD Regierung?

    Geißler: Natürlich kann die SPD Regierung, das ist gar keine Frage. Zum Beispiel gab es eine sehr gute Regierung in der Großen Koalition.

    Heuer: Aber die wurde dann doch von der CDU angeführt?

    Geißler: Ja, gut, das macht ja nichts. Ich meine, sie haben ja wichtige Ressorts besetzt: Steinbrück als Finanzminister, Olaf Scholz als Sozialminister, der im Übrigen das Entscheidende getan hat, um die Wirtschaftskrise zu vermeiden für Deutschland. Das war ja nicht die Agenda 2010 mit den Minijobs, sondern Scholz hat ja aktiviert das Kurzarbeitergeld, Steinbrück zwei Konjunkturprogramme, und beides zusammen hat ja den Vorteil der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt befördert, nämlich die Qualität unserer Produkte. Natürlich sind die in der Lage, aber manchmal – und das ist bei Gerhard Schröder doch kennzeichnend gewesen – verlieren sie das ethische Fundament und glauben, sie müssten modernistischen Irrtümern nachlaufen, und die SPD ist unter Gerhard Schröder in das neoliberale Schlepptau geraten, das sich ja nun als total falsch erwiesen hat vor vier Jahren während der Finanzkrise.

    Heuer: Herr Geißler, Sie haben lange gegen die Sozialdemokraten Politik gemacht. Das waren die größten Konkurrenten, unter anderem, als sie CDU-Generalsekretär waren. Mit welchem Sozialdemokraten haben Sie besonders gern zu tun gehabt?

    Geißler: Ich hatte natürlich Auseinandersetzungen mit der SPD. Das war ja damals auch eine Grundsatzfrage. Die SPD hat ja die deutsche Frage zum Beispiel mehr als Sicherheitsfrage gesehen denn als Freiheitsfrage. Das waren eben die unterschiedlichen Bewertungen der Politik. Aber ich habe zum Beispiel ein sehr gutes Verhältnis gehabt zu Peter Glotz, der damals Bundesgeschäftsführer der SPD war. Ich bin zeitweise sogar mit ihm in einer Talkshow aufgetreten. Also es ist nicht so, dass die Verbindungen abgerissen gewesen wären. Im Übrigen hat die SPD ja ihr Bündnis von Willy Brand und Erhard Eppler eingeleitet, mit dem Gesinnungspazifismus wieder aufgegeben, sobald sie an der Regierung war. Das war ein großes Verdienst von Schröder und von Joschka Fischer, dass wir sozusagen an der Spitze der NATO im Kosovo einmarschiert sind, um die Menschenrechte zu schützen. Das ist eine gewaltige Weiterentwicklung gewesen des politischen Selbstverständnisses der SPD. Das habe ich immer begrüßt und für richtig gehalten.

    Heuer: Herr Geißler, Sie haben in diesem Gespräch, das jetzt allmählich zu Ende geht, sehr ausführlich auf die Agenda 2010 geschimpft. Sie sind immer mehr selber nach links gerückt. Wären Sie selbst manchmal gern Sozialdemokrat gewesen?

    Geißler: Ich bin nicht nach links gerückt. Ich glaube, dass ich immer in der Mitte war. Auch meine Partei: Was ich vertreten habe, war immer kompatibel mit dem Grundsatzprogramm der CDU. Was heißt links? Links und rechts sind heute keine Kategorien mehr. Es geht heute darum, ob man eine bessere Politik macht, eine Politik, die nach vorne geht und die vor allem menschenrechtsorientiert ist, und zwar in der Außenpolitik wie in der Innenpolitik.

    Heuer: Und das kann die CDU besser als die SPD?

    Geißler: Jedenfalls macht sie es nicht schlecht, die CDU, und die SPD muss sich genauso wie die CDU fragen, die Menschen müssen sich fragen, ob sie sich betroffen fühlen von dem Schicksal von Millionen von Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, von Millionen von jungen Menschen in Europa, die keine Zukunft vor sich sehen. Und wenn diese Betroffenheit dann zu einer entsprechenden Politik führt, dann, glaube ich, ist eine Zusammenarbeit vor allem zwischen CDU und SPD nicht nur möglich, sondern ist in der heutigen Zeit, glaube ich, die einzige mögliche Alternative.

    Heuer: Der CDU-Politiker Heiner Geißler. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Geißler.

    Geißler: Bitte schön, Frau Heuer.

    Heuer: Schönen Tag!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.