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Die Theologie des Religionsphilosophen Eugen Biser
Verstehen statt gehorchen

Er wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden: der katholische Theologe Eugen Biser. Er war kein Revolutionär, forderte von seiner Kirche aber eine Öffnung für die Philosophie, für andere Wissenschaften oder die Künste. Biser war überzeugt: Das Christentum drehe sich zu sehr um sich selbst.

Von Burkhard Schäfers |
    Theologe Prof. Eugen Biser mit einem Buch in seinem Büro
    Der Religionsphilosoph Eugen Biser (imago/ HR Schulz)
    "Ich erlebe die Kirche als die größte Herausforderung meines Lebens. Ich möchte meine ganze Kraft darauf konzentrieren, dass die Kirche wirklich den Eintritt ins dritte Jahrtausend schafft und sich im dritten Jahrtausend als eine zentrale Gestaltungskraft der Zukunft erweist. Es ist notwendig, dass wir einsehen: Das Christentum ist keine asketische, sondern eine therapeutische Religion."
    Eugen Biser - Theologe, Religionsphilosoph, Universalgelehrter.
    "Der Christ hat nicht nur einen persönlichen Gott sich gegenüber, sondern vor allen Dingen einen Gott, der mit sich reden lässt. Einen Gott, der trotz seiner Transzendenz aus seiner ewigen Verborgenheit hervorgetreten ist."
    Geboren 1918 im südbadischen Oberbergen am Kaiserstuhl, gestorben 2014 mit 96 Jahren. In diesem Jahr wäre Eugen Biser 100 geworden. Ein katholischer Priester, der seine Doktorarbeit über den Philosophen Friedrich Nietzsche verfasste. Der seine Kirche immer wieder scharfsinnig kritisierte - und den Dialog mit anderen Religionen vorantrieb.
    Was sagt der christliche Glaube den Menschen heute?
    Aus Sicht Eugen Bisers drehe sich das Christentum zu sehr um sich selbst: um Katechismus, Lehren und Dogmen. Nicht Hüterin der Moral solle die katholische Kirche sein. Der Fundamentaltheologe wollte stattdessen die für ihn entscheidende Frage ins Zentrum stellen: Was sagt der christliche Glaube den Menschen heute?
    "Es geht im Christentum um die Erhebung des Menschen. Und wenn man sich fragt, wie diese Erhebung vor sich gehen soll und worin sie besteht, gibt es keinen zentraleren Begriff als den Begriff der Gotteskindschaft."
    Wie wurde Eugen Biser zu einem wichtigen Theologen des 20. Jahrhunderts, der so viele Zeitgenossen prägte? Wohl nicht zuletzt durch seine anschauliche Sprache: Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann nannte ihn einmal einen "glänzenden Schriftsteller".
    Biser studierte in Freiburg katholische Theologie und wurde 1946 zum Priester geweiht. Später promovierte er in Theologie und Philosophie, lehrte als Professor in Passau, Würzburg und München. Theologisch beschäftigte er sich vor allem mit Jesus und Paulus.
    "Ein allen Künsten, allen Wissenschaften zugewandter Mensch"
    Aber Biser war nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Prediger und jemand, der über sein Fach hinausdachte, berichtet einer seiner Weggefährten, der frühere Politiker Hans Maier:
    "Er hat sich nicht nur für die Wissenschaft interessiert, sondern auch für die Kunst - oder besser muss ich sagen für die Künste. Das war wohl, was zu seinem Ruf beitrug, er sei ein Universalgelehrter. Oder überhaupt ein allen Künsten, allen Wissenschaften zugewandter Mensch."
    Der Politikwissenschaftler und frühere Politiker Hans Maier.
    Der Politikwissenschaftler und frühere Politiker Hans Maier. (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
    Biser sei geprägt gewesen durch seine Heimat am Oberrhein, sagt Hans Maier, eine Region, die eine ganz besondere Theologie hervorgebracht habe:
    "Wenn Sie die Theologen aus dem Südwesten nehmen: Karl Rahner, Augustin Bea, man kann auch Hans Urs von Balthasar dazurechnen - also die Basler, Freiburger und Tübinger Theologie - dann war die immer ökumenisch aufgeschlossen. Das spürte man bei Biser von Anfang bis zum Ende, dass für ihn die Evangelischen keine Fremden waren. Er war mit ihnen in der Schule aufgewachsen, und er hat sich immer auch für die evangelische Theologie interessiert."
    Steiniger Weg in die Wissenschaft
    Dabei war Eugen Biser kein Star der Theologie, kein Mann mit glatter Karriere, bei dem es schon in jungen Jahren steil aufwärts ging. Im Gegenteil: Zuerst musste er sein Studium kriegsbedingt unterbrechen, wurde Soldat, und - weil er sich abfällig über Hitler geäußert hatte - von einem Kriegsgericht verurteilt und nach Stalingrad geschickt. Schwer verwundet kehrte er heim, beendete sein Studium, wurde 1946 zum Priester geweiht. Bisers Weg in die Wissenschaft war steinig, erzählt sein Weggefährte Hans Maier. Der Freiburger Erzbischof habe Bisers Antrag auf ein Freijahr für seine Promotion zurückgewiesen:
    "Er musste also seine Arbeit - wie er selber sagt - bei Nacht und Nebel schreiben. Und dann kam noch hinzu, dass das erste von ihm gewählte Thema über russische Ikonen abgelehnt wurde. Er musste ganz neu anfangen. Aber er sagte, ich bin im Zeichen des Steinbocks geboren. Ich hab mich nicht einschüchtern lassen. Und dann hat er über Gertrud von le Fort eine bis heute sehr lesenswerte Arbeit geschrieben."
    Dieser ersten Promotion in Theologie folgte eine zweite in Philosophie - ausgerechnet über Friedrich Nietzsche.
    "Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, - ihr und ich! […] Gott ist todt! Gott bleibt todt!"
    "Nietzsche spielt in der Erweckung des wissenschaftlichen Geistes von Eugen Biser eine ganz zentrale Rolle. Also Nietzsche, der Pfarrerssohn und der bekennende Atheist, das war eine Lektüre, die für Theologen im 20. Jahrhundert, meinte Biser, eben einfach unvermeidlich sei."
    "Gott ist tot", dieser berühmte Satz Nietzsches führte Biser hin zur Dialektik von Glaube und Unglaube. Hans Maier sagt:
    "So hat Biser in seinem Glauben den Zweifel gewissermaßen als integrierendes Element mitgedacht. Und damit hat er auch viele erreicht, die nicht gläubig sind."
    Mit dem Glauben gegen die Angst
    Was Biser zugutekam, war seine Begabung, komplizierte Fragen anschaulich zu gliedern. Er lehrte und schrieb und predigte. Aber er verließ auch Universität und Kirche - ging regelmäßig in die Öffentlichkeit. Etwa mit seinen Sendungen im Bayerischen Fernsehen, die bis heute regelmäßig wiederholt werden. Dort sprach Biser über Themen wie Versöhnung, Tod oder den Menschen in der Moderne.
    "Dem Menschen sind, bildlich gesprochen, gleichsam Flügel gewachsen, durch die er sich zu Dimensionen erheben kann, die ihm früher noch unerreichbar waren. Aber er steht auch vor Abgründen, in die er abstürzen kann, auch in Tiefen, von denen man früher noch kaum etwas geahnt hat."
    Was wollte der Religionsphilosoph erreichen? Er suchte nach Wegen des Menschen zu einem guten Leben. Dabei sollte der Glaube helfen - auch gegen die Angst:
    "Angst ist die teuflische Mitgift des Menschengeschlechtes. Und ihre Dämonie besteht darin, dass sie unter ihren dauernd wechselnden Masken stets diejenige auswählt, die ihren Opfern am schrecklichsten einleuchtet."
    Für Biser war es zentral, dass die Menschen ihre Ängste überwinden, sagt Richard Heinzmann, emeritierter Professor für Christliche Philosophie:
    "Eugen Biser diagnostiziert den heutigen Menschen als einen, der wesentlich unter der Angst leidet. Diese Angst ist wesentlich bedingt durch die Todesangst, und die wiederum ist wesentlich bedingt durch die Gottesangst. Und da sagt er, dass es die revolutionäre Gottesentdeckung Jesu war, dass er Gott eben nicht als den Ambivalenten, der einmal straft und einmal belohnt, sondern als den vorbehaltlos liebenden Vater entdeckt habe."
    Gott als der liebende Vater
    Was aber ist mit dem zürnenden, rachsüchtigen Gott? Dem Gott, der die einen errettet und den anderen die Verdammnis androht? Dem Gott, der Abraham befiehlt, seinen Sohn Isaak zu opfern? Und schließlich dem Kreuzestod Jesu als Sühne für die Fehler der Menschheit? In der Bibel finde sich durchaus auch Kritik an der Opfertheologie, erläutert Theologe Heinzmann:
    "Das Verständnis des Opfers, so wie es heute noch von vielen Kollegen von ihm vertreten wird, akzeptiert er nicht. Er sagt, das ist die Perversion des Christentums, weil das Christentum die Botschaft verkündet, dass Gott der vorbehaltlos liebende Vater ist. Dann ist das Christentum die Botschaft der Freiheit."
    Gottes Liebe zu den Menschen als Kernbotschaft des Christentums - nicht wenige Zeitgenossen fanden das zu banal, kritisierten Bisers theologischen Ansatz. Der hielt dagegen: Über die Jahrhunderte habe die Kirche eine Drohpädagogik vertreten, sich an Dogmen abgearbeitet - und so die Mitte des Christentums aus dem Blick verloren. Richard Heinzmann sagt:
    "Im Lauf der Geschichte, in der Begegnung mit der griechischen Philosophie, hatte man das Bedürfnis, das Christentum auf eine Lehre zu bringen. Und die großen philosophisch-theologischen Systeme des Mittelalters sind dafür ganz bedeutende Zeugnisse, die auch heute noch in sich ihren Wert haben, aber für unsere Zeit den Menschen nicht mehr ansprechen."
    "Vom Gehorsams- zum Verstehensglauben"
    Als maßgeblich für diese Entwicklung gilt der Kirchenvater Augustinus. Er formulierte die Lehre von der Erbsünde - und meinte, man solle die Menschen zwingen, in die Kirche einzutreten. Für Biser hingegen bedeutete Glaube nicht Zwang, sondern Freiheit.
    "Ich sehe eine Wende vom Gehorsams- und Autoritätsglauben zum Verstehensglauben."
    Doch gibt es immer wieder Gegenbewegungen, die diese Wende zu verhindern suchen, erklärt Richard Heinzmann:
    "Es gab lange, bis vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die Vorstellung: Ich habe das Wesen des Christentums, wenn ich die dokumentierte Lehre der Kirche vor mir habe - in Dogmen, in Symbolen und so weiter. Diese Vorstellung wurde dann im Zweiten Vatikanum aufgebrochen. Aber nach der Überzeugung von Eugen Biser ist die Kirche sehr bald wieder zurückgefallen hinter das Erste Vatikanum."
    So sei das Christentum in die Krise geraten.
    "Wenn die äußere Form stärker wird als der Inhalt, dann wird der Inhalt totgedrückt. Er wird steril. Das ist weitgehend die Situation des Christentums auch in unserer Zeit. Und das ist die große Gefahr, dass das Christentum seine Bedeutung in unserer Zeit, wo es eigentlich sehr nötig wäre, als Antwort auf die Sinnfrage des Menschen, dass es diese Bedeutung verliert und damit eine große Chance vertut."
    Keine Revolution, aber Unterwanderung
    "Das Christentum ist keine moralische, sondern eine mystische Religion. Und damit schaffe ich mir natürlich die allergrößten Schwierigkeiten. Denn die Aussagen der Amtskirche konzentrieren sich ja seit Jahr und Tag auf den Sektor der Moralität."
    Der katholische Priester Eugen Biser ging mit seiner Kirche hart ins Gericht. Vieles in der offiziellen Verkündigung war ihm ein Dorn im Auge. Aus seiner Sicht kreise sie oft um Randthemen, anstatt das zu thematisieren, was die Menschen wirklich bewegt. War Biser ein Kirchenkritiker?
    Richard Heinzmann, emeritierter Professor für Christliche Philosophie und Ehrenpräsident des Stiftungsrates der Eugen-Biser-Stiftung
    Richard Heinzmann, emeritierter Professor für Christliche Philosophie und Ehrenpräsident des Stiftungsrates der Eugen-Biser-Stiftung (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
    Er sei "kein Revolutionär", urteilte Biser einmal über sich selbst, meine aber, "dass die Kirche im besten Sinn des Wortes unterwandert werden muss". Richard Heinzmann sagt:
    "Eugen Biser hat immer betont, dass ein Frontalangriff auf die Kirche nicht sinnvoll ist. Sondern er war der Überzeugung, man muss von innen heraus die Mauern, die sich von selbst aufgebaut haben und die von bestimmten Leuten natürlich auch aufgebaut wurden, die muss man von innen heraus sprengen."
    "Die Messe war so, dass man von Anfang an hellwach und fasziniert war"
    Mauern sprengen, den Weg aus der Enge der eigenen Disziplin suchen - das zog sich wie ein roter Faden durch das Leben Eugen Bisers. Wäre er nicht Theologe geworden, dann womöglich Pianist. Stephan Heuberger sagt:
    "Musik hat eine große Rolle in seinem Leben gespielt. Er war selber eigentlich ein sehr guter Pianist in jüngeren Jahren. Er hat mir mal erzählt, dass er sogar den Gedanken in sich getragen hat, Musiker zu werden. Und er hat Beethovens Sonaten besonders geliebt."
    Stephan Heuberger ist Kirchenmusiker an der Münchner Kirche St. Ludwig, wo Eugen Biser 26 Jahre lang als Universitätsprediger wirkte.
    "Das war immer die Sonntagabendmesse um 19 Uhr. Es war kein Sitzplatz frei, was ungewöhnlich ist natürlich. Es war für mich immer die letzte Messe am Tag, wo man normalerweise als Kirchenmusiker immer müde kommt und denkt, na ja, die muss ich auch noch hinter mich bringen. Die Messe war so, dass man von Anfang an hellwach und fasziniert war. Vor allem dann bei der Predigt. Die hat 20, 25 Minuten gedauert. Aber es war so, dass einem keine Sekunde langweilig war, vom ersten Moment an war ich gebannt. Und wenn ich vorher müde war, am Schluss war ich dann hellwach."
    "Kunst für die Sache des Glaubens einsetzen"
    Wenn Eugen Biser predigte, kamen Glaubende und Suchende, Künstler und Wissenschaftler, Christen und Nichtchristen, berichtet Kirchenmusiker Heuberger.
    "Musik war für ihn nicht dekorativer Hintergrund und irgendwie Verschönerung der Messe. Sondern das war ein ganz existenzieller Akt. Die Musik, die Seiten des Glaubens beleuchten kann, die man durch Worte niemals ausdrücken kann, das war für ihn wichtig, dass es das gibt. Und eben auch diese kreative Seite."
    "Dann müsste man endlich auf die Idee kommen, die Kunst ganz anders, nämlich nicht nur illustrativ, sondern operativ für die Sache des Glaubens einzusetzen. Und die Kunst als das uns längstens schon vorgegebene große Glaubenszeugnis zu begreifen und an die Menschen heranzutragen."
    In seinen Werken zitierte Eugen Biser Novalis und Heinrich von Kleist, Max Frisch und Heinrich Böll, Thomas Mann und Paul Celan. Er interessierte sich für russische Ikonen, römische Mosaikkunst und führte Gruppen ins elsässische Colmar zum Isenheimer Altar von Matthias Grünewald: die berühmte Darstellung, in der Johannes der Täufer auf den Gekreuzigten deutet.
    "Um zu zeigen: Das ist der Inbegriff der göttlichen Erbarmung und Liebe. Und auf diese Weise deutlich macht: Leiden hat einen Sinn. Das scheint mir die eigentliche, therapeutische Wirkung dieses Altars zu sein, diesen medizinisch hoffnungslos Leidenden einen Sinn ihrer Lebenstragödie vor Augen gestellt zu haben."
    Biser verstand das Christentum als therapeutische Religion. Die Mystik sollte dabei helfen, sich dem eigenen Inneren zuzuwenden. Als zentrale Gestalt der christlichen Mystik betrachtete er den Apostel Paulus.
    "Weltreligionen müssen in eine dialogische Beziehung eintreten"
    Was für ein Gottesbild hatte Eugen Biser? Biser blickte weit über den katholischen Horizont hinaus. War er also ein Patchwork-Theologe, der oberflächlich über die Unterschiede der Religionen und deren jeweiligen Wahrheitsanspruch hinwegging?
    Mit dieser Kritik sah sich Biser regelmäßig konfrontiert. Er hielt dagegen: Der Kontakt der Religionen sei unausweichlich.
    "Die Antwort kommt aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Denn dieses Konzil hat sich ja zu dem Prinzip des Dialogs durchgerungen. Meine grundlegende Überzeugung ist, dass diese Weltreligionen miteinander in eine dialogische Beziehung eintreten müssen."
    2002, ein Jahr nach den Anschlägen des 11. September, gründete er mit anderen eine nach ihm benannte Stiftung, die den Dialog der unterschiedlichen Religionen und Kulturen vertiefen soll.
    "Die Zeitverhältnisse haben es ja mit sich gebracht, dass das Verhältnis zum Islam auf eine extreme Weise plötzlich gespannt worden ist. Der Islam ist verteufelt worden, und wer auf dieser Linie fortfährt, stürzt die Welt früher oder später in eine Katastrophe hinein. Der Islam umfasst eine Milliarde von Menschen, die ihm zum Teil mit unglaublicher Treue anhängen. Und deswegen müssen wir zum Islam ein dialogisches Verhältnis aufbauen, so schwierig es ist."
    Glaube sollte gesellschaftlich relevant sein
    Eugen Bisers Denken blieb nicht auf die religiöse Welt beschränkt. Glaube sollte gesellschaftlich relevant sein. Deswegen initiierte er an der Münchner Uni 1987 das Seniorenstudium, das er anschließend 20 Jahre lang leitete. Er schrieb mehr als 150 Bücher und etwa 1.000 Aufsätze.
    Wenn Eugen Biser vor den Kameras des Bayerischen Fernsehens sprach, dann in einem Sessel vor dem Kamin der Guardini-Bibliothek in der Münchner Katholischen Akademie, zerfurchtes Gesicht, gestikulierende Hände. Er redete immer druckreif, ohne Manuskript. Auch noch mit Mitte 80. Unterwegs zu Terminen schlängelte er sich auf seinem blauen Motorroller durch den Münchner Verkehr.
    "Er hatte in seinem Leben was unglaubliches Rastloses. Was ihm schwerfiel, war Pausen zu halten, sich zu erholen. Und das hat ihn manchmal schon an die Grenzen geführt seiner körperlichen Leistungsfähigkeit, aber auch seiner seelischen Stabilität natürlich."
    Täglich fuhr der Theologe Eugen Biser, wie hier am 30.12.1997, mit dem Motorroller von seiner Schwabinger Wohnung zur Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.
    Religionsphilosoph Eugen Biser fuhr täglich auf seinem Motorroller von seiner Wohnung zur Ludwig-Maximilians-Universität (dpa - Fotoreport/ Frank Mächler)
    Erinnert sich Kirchenmusiker Stephan Heuberger. Eugen Biser war im Laufe seines Lebens auch immer wieder angeeckt und gescheitert. Nun, im fortgeschrittenen Alter, war er ein geschätzter, von manchen auch verehrter Theologe. Aber war er ein populärer Theologe?
    "Er stand gegen das, was das allgemein Übliche war"
    "Im allgemeinen Raum der Kirche war er eigentlich kein populärer Theologe. Er stand gegen das, was das allgemein Übliche war. Und Leute, die genauer hinhörten, vor allen Dingen viele Fachkollegen, die haben natürlich auch ihre Bedenken angemeldet. Insofern war er kein populärer Theologe. Aber er war ein Theologe für die Menschen - und das ist ja das Entscheidende", sagt Richard Heinzmann, emeritierter Professor für Christliche Philosophie.
    Was bleibt von Eugen Biser und seinem Denken? Und wird es noch gebraucht, angesichts leerer, schrumpfender Kirchen? Biser selbst gab darauf eine überraschende Antwort: Für ihn stecke das Christentum noch in den Kinderschuhen.
    "Das Christentum ist die größte Liebeserklärung Gottes an die Welt. Man muss sich einmal vorstellen, was das für die Welt bedeutet, wenn ein liebender Gott sich ihr zuwendet. Denn dann kann diese Welt aufblühen, und der Mensch in dieser Welt kann aufatmen. Dann kann er hoffen, und dann kann er seines Lebens - und vor allen Dingen seines Glaubens - endlich froh werden."