Von einer möglichen "Flüchtlingswelle" von der Krim in Richtung Türkei sprach die muslimische NGO Imkander zu Beginn dieser Woche und forderte die türkische Regierung in Ankara damit umgehend zum Handeln auf. Das Brudervolk der Türken, die Krimtataren, sei ernsthaft in Gefahr! Das glaubt auch Celal Icten – Vorsitzender der Istanbuler Vereinigung der Krimtataren. Immer wieder betont der 59-Jährige in diesen Tagen, wie sehr er auf politische Unterstützung seitens der Regierung hofft. Seine großen Hoffnungen auf die Türkei, die Millionen von Krimtataren wie ihm zur Heimat geworden ist:
"Die Türkei – mit ihrer starken Wirtschaft, ihrer jungen Bevölkerung und ihrer geografischen Lage – spielt eine wichtige Rolle in der Region. Sie hat genug Macht, um sich Gehör zu verschaffen, noch dazu als NATO-Mitglied. Ich glaube auch jetzt nicht, dass die türkische Regierung die Krimtataren im Stich lassen würde."
Die Türkei als historische Schutzmacht
Die Hoffnungen von Cemal Icten kommen nicht von ungefähr. Seit Wochen wird die türkische Regierung nicht müde, ihre Rolle als historische Schutzmacht der Krimtataren zu betonen. So etwa, als sich Außenminister Davutoglu Anfang des Monats mit 50 ihrer Vertreter in Ankara traf oder als er sich kurz darauf zu einem Spontanbesuch in die Ukraine aufmachte. Auch Ministerpräsident Erdogan erwähnte die Krimtataren, als er Wladimir Putin am Telefon aufforderte, sich für ein friedliches Zusammenleben von Ukrainern, Russen und Tataren einzusetzen.
"Die Öffentlichkeit sollte wissen, dass unsere Sorge um die Krimtataren wichtiger ist als alles andere",
betonte Davutoglu nun erneut bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit dem Ex-Präsidenten des Krimtatarschen Parlaments, Mustafa Cemil Kirimoglu.
Ihr Wohlergehen und ihre Bürgerrechte sind Prinzipien, die die Türkei niemals aufgeben würde. Die Krimtataren werden bis zum letzten Tag auf der Krim, ihrem Land, leben. Und sie können sich dabei immer auf die Unterstützung der Türkei verlassen.
Ankara erkenne das Ergebnis der Volksbefragung auf der Krim nicht an, fügte Davutoglu seiner Rede hinzu. All das klingt nach gutem Willen – bleibt jedoch gleichzeitig auffällig vage. Denn tatsächlich folgen den vielen diplomatischen Worten bisher keine Taten. Im Gegenteil: Direkte Russland-Kritik vermeiden türkische Politiker seit Beginn der Krim-Krise bewusst.
"Was könnte die Türkei auch groß tun?",
fragt Fatih Özbay, Russlandexperte an der Technischen Universität Istanbul.
"Wir können uns keine schlechten Beziehungen mit Russland leisten, dazu ist unsere Abhängigkeit viel zu groß!"
Wirtschaftliche Abhängigkeiten
Das gilt vor allem für die letzten Jahre, in denen sich nicht nur das persönliche, sondern auch das wirtschaftliche Verhältnis zwischen den Staatsführern Putin und Erdogan kontinuierlich verbesserte: Bis zum Jahr 2020 soll das gemeinsame Handelsvolumen die 100-Milliarden-Marke erreichen. Auf der Liste der wichtigsten Außenhandelspartner Russlands rangiert die Türkei schon jetzt auf Platz 8. Mit seinen Öl- und Gaslieferungen deckt Russland einen Mammutanteil am ständig wachsenden Energiebedarf der Türkei.
Russische Firmen sind es auch, die zurzeit das erste türkische Atomkraftwerk bauen. Und nicht zuletzt bevölkern im Sommer nicht mehr vor allem deutsche Touristen türkische Strände, sondern die – oft ohnehin zahlungskräftigeren – Russen: Mehr als vier Millionen allein im vergangenen Jahr. Auch das erklärt Ankaras diplomatischen Zickzackkurs zwischen Unterstützungsbeteuerungen an die "tatarischen Brüder" auf der einen und Freundschaftsbekundungen gegenüber Russland auf der anderen Seite. Experte Fatih Özbay:
"Die Türkei ist das Land, das in diesem Fall in der schwierigsten Situation überhaupt steckt: Sollte es zum Krieg kommen, würde ihr das schaden – egal für welche Seite sie sich entscheiden müsste. Deswegen ist die Strategie der diplomatischen Reden die momentan einzig richtige."
Und so überrascht es auch nicht weiter, dass die türkische Regierung zu den nun von der EU beschlossenen Sanktionen gegen ranghohe Anhänger und Unterstützer des Putin-Regimes bisher schweigt. Erst eine klare Haltung in dieser Frage aber würde auch den Krimtataren signalisieren, wie ernstgemeint die Unterstützungsbekundungen aus Ankara wirklich sind.