Christoph Heinemann: 03. und 04. Juni 1989: in Peking rollen Panzer, in der DDR brodelt es. Der frühere Bürgerrechtler Werner Schulz erinnert sich an die Nachricht über die Niederschlagung der Studentenbewegung auf dem Platz des himmlischen Friedens.
Werner Schulz: "Das war schrecklich, das war Schockstarre auf uns. Ich habe das nicht für möglich gehalten, weil es war ja ein Jahr oder eine Situation, wo man das Gefühl von demokratischem Aufbruch im sozialistischen Lager verspürte. Und dann diese Bilder! - Es hat zu einer Mobilisierung beigetragen, weil die Opposition der DDR sich protestierend zu diesen Ereignissen in China geäußert hat. Wir waren nicht bereit, uns die chinesische Lösung bieten zu lassen."
Heinemann: Sagt der frühere Bürgerrechtler Werner Schulz. 20 Jahre danach hat die chinesische Regierung nichts unversucht gelassen, Erinnerungen in Natura oder virtuell nach besten Kräften zu erschweren. Am Telefon ist Hanspeter Hellbeck. Er war 1989 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Volksrepublik China. Guten Tag!
Hanspeter Hellbeck: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Hellbeck, wie haben Sie den 4. Juni erlebt?
Hellbeck: Ich hatte am 3. Juni noch Besuch eines Bundesministers, den ich am frühen Morgen dann zum Flugplatz gebracht habe. Wir waren uns beide einig darüber, nachdem wir die vorangegangenen Tage erlebt hatten, dass es ziemlich schlimm werden würde, und wir waren ja in der Tat darauf auch vorbereitet, denn ab dem 26. April hatte ja die Kommunistische Partei Chinas in der Zeitung bereits eine sehr deutliche Warnung ausgesprochen, die für jeden, der mit der kommunistischen Terminologie vertraut ist, nur eins bedeuten konnte, dass die Parteiführung bereit war und entschlossen war, diese Sache niederzuschlagen. Es gab damals den amtierenden Ministerpräsidenten Zhao Ziyang, dessen Memoiren vor zwei Wochen veröffentlicht worden sind und die wahrscheinlich auch ihren Weg in der chinesischen Ausgabe nach China finden werden, der damals versuchte, die Studenten noch auf einen Reformkurs einschwenken zu lassen, den er selbst vertrat, und er wollte das auch in seiner Führung vertreten, ist damit aber dann bis zum 20. Mai, an dem das Kriegsrecht verhängt wurde, nicht durchgekommen. Seit dem 20. Mai rollten die Truppen in und um Peking herum an und es war abzusehen, dass es zu einer Niederschlagung dieser Demonstrationen kommen würde.
Heinemann: Wäre eine solche Reaktion heute in Peking noch denkbar?
Hellbeck: So sieht es nicht aus. Wenn Sie die heutige Ausgabe der Parteizeitung "Global Times" angucken, dann ist darin ein Artikel erschienen, der die Massenzwischenfälle beleuchtet, die sich in China auch seitdem immer wieder abgespielt haben. Das sind kleinere lokale Aufruhr-Tatbestände auf dem Lande vor allen Dingen, wo die Bürger, die Bauern protestieren gegen unrechtmäßige Landnahmen der lokalen Behörden, gegen andere Repressionsmaßnahmen, die dem Recht widersprechen. Das wird in diesem Artikel angeprangert und in dem Artikel wird auch Bezug genommen auf den 4. Juni. Das ist ein erstaunliches Faktum, dass die Chinesen heute diese Dinge offen ansprechen und versuchen einzuordnen. Dieser Artikel zitiert einen Journalisten, der von einer demokratischen Kontrolle dieser Maßnahmen, die ich eben nannte, berichtet hat und davon gesprochen hat. Ich finde das erstaunlich. Das hat es bisher in der Form noch nicht gegeben.
Heinemann: Herr Hellbeck, wie laut oder leise sollten westliche Politiker mit chinesischen Politikern die Frage der Menschenrechte ansprechen oder besprechen?
Hellbeck: Das kann man sicherlich ansprechen, das haben wir ja auch schon immer wieder getan. Nur sollte man sich dabei bewusst sein, dass Reformen, die Idealzustände nach westlichem Muster herbeiführen sollten, auf die Schnelle nicht zu erwarten sind. Wenn wir unsere eigene Geschichte angucken, so haben wir doch ziemlich lange gebraucht, bis wir eine funktionierende Demokratie eingerichtet haben. Andere Staaten haben auch lange gebraucht. Dasselbe wird in China, wo eine ganz andere Voraussetzung dafür gegeben wäre, so schnell nicht zu machen sein. In der nächsten Zeit ist zu erwarten, dass zunächst einmal die jetzige vierte Führungsgeneration um den Präsidenten Hu Jintao in drei Jahren abtreten wird. Bis dahin sind diese Leute noch im Gange, aber selbst die Mitglieder dieser Regierung vertreten heute schon Sprüche, die man vor 20 Jahren nie gehört hat. Da wird von demokratischen Reformen geredet, von Kontrolle der Regierung und so weiter. Das sind also erstaunliche Formeln, die man heute liest, aber die Umsetzung dieser Dinge braucht Zeit. In drei Jahren wird eine nächste Führungsgeneration an die Macht kommen, die dann nicht mehr in Moskau studiert hat, sondern in Amerika oder in Deutschland und die ganz andere Erfahrungen für das Leben auch in China mitbringen und Wünsche vor allen Dingen auch haben an die Führung des chinesischen Reiches.
Heinemann: Wird China zwischendurch vielleicht online demokratischer? Das heißt, könnte das Internet bewirken, wofür die Formel "Wandel durch Annäherung" im innerdeutschen Verhältnis gesorgt hat?
Hellbeck: Ja, natürlich. Das sind ganz wichtige Faktoren. 1989 spielte das Fax eine große Rolle. Faxe kamen aus Hongkong und stachelten die Studenten an, dies oder jenes zu verlangen oder zu machen. Das Fax ist natürlich längst abgelöst durch das Internet und durch die E-Mail, die in den letzten zehn Jahren auch in China eine gewaltige Rolle gespielt haben. Es gibt hunderttausende von Besitzern von E-Mail-Geräten und von Internet-Empfängern. Das ist eine neue Entwicklung, die ein ganz anderes Bewusstsein gerade auch bei den jungen Menschen geschafft hat.
Heinemann: Hanspeter Hellbeck, der ehemalige deutsche Botschafter in Peking. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Werner Schulz: "Das war schrecklich, das war Schockstarre auf uns. Ich habe das nicht für möglich gehalten, weil es war ja ein Jahr oder eine Situation, wo man das Gefühl von demokratischem Aufbruch im sozialistischen Lager verspürte. Und dann diese Bilder! - Es hat zu einer Mobilisierung beigetragen, weil die Opposition der DDR sich protestierend zu diesen Ereignissen in China geäußert hat. Wir waren nicht bereit, uns die chinesische Lösung bieten zu lassen."
Heinemann: Sagt der frühere Bürgerrechtler Werner Schulz. 20 Jahre danach hat die chinesische Regierung nichts unversucht gelassen, Erinnerungen in Natura oder virtuell nach besten Kräften zu erschweren. Am Telefon ist Hanspeter Hellbeck. Er war 1989 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Volksrepublik China. Guten Tag!
Hanspeter Hellbeck: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Hellbeck, wie haben Sie den 4. Juni erlebt?
Hellbeck: Ich hatte am 3. Juni noch Besuch eines Bundesministers, den ich am frühen Morgen dann zum Flugplatz gebracht habe. Wir waren uns beide einig darüber, nachdem wir die vorangegangenen Tage erlebt hatten, dass es ziemlich schlimm werden würde, und wir waren ja in der Tat darauf auch vorbereitet, denn ab dem 26. April hatte ja die Kommunistische Partei Chinas in der Zeitung bereits eine sehr deutliche Warnung ausgesprochen, die für jeden, der mit der kommunistischen Terminologie vertraut ist, nur eins bedeuten konnte, dass die Parteiführung bereit war und entschlossen war, diese Sache niederzuschlagen. Es gab damals den amtierenden Ministerpräsidenten Zhao Ziyang, dessen Memoiren vor zwei Wochen veröffentlicht worden sind und die wahrscheinlich auch ihren Weg in der chinesischen Ausgabe nach China finden werden, der damals versuchte, die Studenten noch auf einen Reformkurs einschwenken zu lassen, den er selbst vertrat, und er wollte das auch in seiner Führung vertreten, ist damit aber dann bis zum 20. Mai, an dem das Kriegsrecht verhängt wurde, nicht durchgekommen. Seit dem 20. Mai rollten die Truppen in und um Peking herum an und es war abzusehen, dass es zu einer Niederschlagung dieser Demonstrationen kommen würde.
Heinemann: Wäre eine solche Reaktion heute in Peking noch denkbar?
Hellbeck: So sieht es nicht aus. Wenn Sie die heutige Ausgabe der Parteizeitung "Global Times" angucken, dann ist darin ein Artikel erschienen, der die Massenzwischenfälle beleuchtet, die sich in China auch seitdem immer wieder abgespielt haben. Das sind kleinere lokale Aufruhr-Tatbestände auf dem Lande vor allen Dingen, wo die Bürger, die Bauern protestieren gegen unrechtmäßige Landnahmen der lokalen Behörden, gegen andere Repressionsmaßnahmen, die dem Recht widersprechen. Das wird in diesem Artikel angeprangert und in dem Artikel wird auch Bezug genommen auf den 4. Juni. Das ist ein erstaunliches Faktum, dass die Chinesen heute diese Dinge offen ansprechen und versuchen einzuordnen. Dieser Artikel zitiert einen Journalisten, der von einer demokratischen Kontrolle dieser Maßnahmen, die ich eben nannte, berichtet hat und davon gesprochen hat. Ich finde das erstaunlich. Das hat es bisher in der Form noch nicht gegeben.
Heinemann: Herr Hellbeck, wie laut oder leise sollten westliche Politiker mit chinesischen Politikern die Frage der Menschenrechte ansprechen oder besprechen?
Hellbeck: Das kann man sicherlich ansprechen, das haben wir ja auch schon immer wieder getan. Nur sollte man sich dabei bewusst sein, dass Reformen, die Idealzustände nach westlichem Muster herbeiführen sollten, auf die Schnelle nicht zu erwarten sind. Wenn wir unsere eigene Geschichte angucken, so haben wir doch ziemlich lange gebraucht, bis wir eine funktionierende Demokratie eingerichtet haben. Andere Staaten haben auch lange gebraucht. Dasselbe wird in China, wo eine ganz andere Voraussetzung dafür gegeben wäre, so schnell nicht zu machen sein. In der nächsten Zeit ist zu erwarten, dass zunächst einmal die jetzige vierte Führungsgeneration um den Präsidenten Hu Jintao in drei Jahren abtreten wird. Bis dahin sind diese Leute noch im Gange, aber selbst die Mitglieder dieser Regierung vertreten heute schon Sprüche, die man vor 20 Jahren nie gehört hat. Da wird von demokratischen Reformen geredet, von Kontrolle der Regierung und so weiter. Das sind also erstaunliche Formeln, die man heute liest, aber die Umsetzung dieser Dinge braucht Zeit. In drei Jahren wird eine nächste Führungsgeneration an die Macht kommen, die dann nicht mehr in Moskau studiert hat, sondern in Amerika oder in Deutschland und die ganz andere Erfahrungen für das Leben auch in China mitbringen und Wünsche vor allen Dingen auch haben an die Führung des chinesischen Reiches.
Heinemann: Wird China zwischendurch vielleicht online demokratischer? Das heißt, könnte das Internet bewirken, wofür die Formel "Wandel durch Annäherung" im innerdeutschen Verhältnis gesorgt hat?
Hellbeck: Ja, natürlich. Das sind ganz wichtige Faktoren. 1989 spielte das Fax eine große Rolle. Faxe kamen aus Hongkong und stachelten die Studenten an, dies oder jenes zu verlangen oder zu machen. Das Fax ist natürlich längst abgelöst durch das Internet und durch die E-Mail, die in den letzten zehn Jahren auch in China eine gewaltige Rolle gespielt haben. Es gibt hunderttausende von Besitzern von E-Mail-Geräten und von Internet-Empfängern. Das ist eine neue Entwicklung, die ein ganz anderes Bewusstsein gerade auch bei den jungen Menschen geschafft hat.
Heinemann: Hanspeter Hellbeck, der ehemalige deutsche Botschafter in Peking. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.